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LIX.
Eine Hochzeit mit Hindernissen

Etwa um zehn Uhr vormittags des anderen Tages, nach mitteleuropäischer Zeit, klingelte Mendone bei Götz. Niemand öffnete. Um zwölf Uhr kam er wieder. Nichts rührte sich. Am Abend versuchte er es noch einmal. Wieder umsonst. Götz war nicht zu Hause. Auch die Nachbarn, befragt, ob ihn niemand gesehen habe, wußten nichts.

Sie sind vielleicht fortgegangen, meinte er, und kommen erst später nach Hause. Ich werde um acht Uhr noch einmal nachsehen.

Aber auch um acht Uhr war Götz nicht daheim. Er saß im Occamgarten, schon den ganzen Tag. Schweigsam brütete er vor sich hin. Manchmal konnte man ihn mit verzweiflungsvollem Augenaufschlag murmeln hören: »Ich bin verantwortlich –«, und am Nachmittag war er wieder betrunken, sang und krakeelte und schwur, er werde nicht heimgehen, nicht eher, als bis er Deschl, den er aber noch nicht im geringsten gesucht hatte, gefunden habe.

Mendone war beunruhigt und mißgestimmt durch ein unsicheres Gefühl der Vorahnung, das ihm sagte, daß da etwas nicht in Ordnung war. Er ließ es sich natürlich nicht anmerken, sondern war gesonnen, selbst am Vorabend seines Hochzeitstages froher Laune zu bleiben. Was ihm zwar noch leichter angekommen wäre, hätte ihm Eli auch ihrerseits die kleine Mühe ein klein wenig abgenommen. Aus dem vielen Schweigen aber, in dem Sie nun schon seit acht Tagen verharrte, wurde er noch weniger klug als sonst aus ihrem vielen Reden. Das Schweigen an sich ist sehr schätzenswert, aber so geübt, war es die rechte Tugend nicht. Die ganze Zeit schon bohrten grübelnde Gedanken in ihm, was das zu bedeuten habe, und wie lange es eigentlich noch dauern sollte. Es war doch nichts vorgefallen, was solche unversöhnliche Haltung hätte rechtfertigen können. Wenn er dem bevorstehenden Tag als einer bureaukratischen Amtshandlung, die sein Leben nicht änderte, die denkbar mindeste Bedeutung beimaß, so lag der Fall bei ihr aber eigentlich umgekehrt. Das allein schon, wenn sonst nichts, hätte sie bestimmen können, sich nachgiebiger zu zeigen. Es gibt immer noch Frauen, die das Standesamt als eine Art Liebesbeweis auffassen. Als eine Prüfung wie die Fleischbeschau: Wenn der Stempel drauf ist, dann ist das Fleisch trichinenfrei. Führt man sie aber hin und läßt sich mit ihnen gesetzlich trauen, dann behaupten sie eine Stunde hernach, man habe sie nur aus Berechnung geheiratet. Im allgemeinen hatte er von seinen verschiedenen Besorgungen mit gutem Gründe nichts erzählt und zuletzt, als Eli eine nordisch eisige Mauer des Schweigens um sich ausbaute wie um eine schwedische Festung, auch nichts mehr über Yatsuma berichtet. Nicht einmal, daß er bei Gericht gewesen war und wie alles geendet hatte. Er befürchtete, sie könnte ihm den Versuch, die Stickluft der Mißlaune aufzuhellen, wie schon manchmal mit Worten danken, die ihn kränkten, sooft er sich ihrer erinnerte, und die er am liebsten vergessen hätte, als wären sie nicht gefallen. Vom ersten Tag an, an dem er ein Wort über Yatsuma gesprochen, hatte er eine ablehnende Haltung an ihr beobachtet. »Du mit deinem ewigen Yatsuma!« hatte sie ihm einmal gesagt. Seitdem ängstigte ihn der Gedanke, er könnte ihr Gelegenheit geben, solche Worte zu wiederholen. Außerdem gehören zum reden zwei. Wenn der eine nicht will, muß der andere verstummen. Es ist nicht jedermanns Sache, allein weiterzureden. In eisiger Luft ist schwer auftauen. Natürlich hatte sie bemerkt, daß er etwas vor ihr geheimhielt. Warum machte sie sich darüber Gedanken, die sie verstimmten, statt ihn zu fragen, oder es ungefragt auf sich beruhen zu lassen, bis die Aufklärung sich von selbst ergab. Es war rätselhaft, zum mindesten eigenartig. Eine Art Sehenswürdigkeit, ein Naturereignis. Jedenfalls ein Zustand, der auf die Dauer die schönste Ähnlichkeit mit der Hölle einer neunundvierzigjährigen Ehe bekam, die nur deswegen noch ein Jahr hält, weil sie der Welt das erschütternde Schauspiel der goldenen Hochzeit vorführen muß.

Solche und ähnliche bedrückende Erwägungen verfolgten ihn, wenngleich er sie verbarg, als Eli, ihn bedienend wie immer, mit aufdringlicher Lautlosigkeit den Tisch deckte, ohne daß ein Blick oder eine Miene eine mögliche Änderung ihrer Sinnesart verraten hätte.

»Am Polterabend könntest du aber schon ein wenig besserer Laune sein!« polterte sie auf einmal heraus.

»Ich?« Mendone war starr. Er war bis jetzt der Meinung gewesen, sie könnte besserer Laune sein. »Ich bin doch ausgezeichneter Laune!« brachte er nach dem ersten Schrecken hervor. »Ausgezeichnet!« Er lächelte sogar, sehr freundlich und zuvorkommend. Wie ein Diplomat, der sich mit der Gattin des Gesandten unterhält, während ihm die hinteren Hosenknöpfe aufspringen.

»Den ganzen Tag warst du noch keine fünf Minuten zu Hause!«

»Hättest du mich denn brauchen können, wenn du doch großes Reinemachen hast?«

»Und überhaupt die ganze Woche noch keine halbe Stunde!«

»Ich hatte wichtige Besorgungen, es war etwas viel auf einmal«, verteidigte er sich. »Unter anderem war ich auf dem Gericht.«

Er erzählte es. Denn es war ihm nicht leicht gefallen, so lange davon zu schweigen.

»Du hättest ihn aber auch einer Irrenanstalt überweisen lassen können!« meinte sie.

»Nein, das hätte ich nicht können!« Er schwieg einen Augenblick, um seine Verstimmung über diesen zwar naheliegenden, aber doch nicht erhofften Einwand niederzukämpfen, ehe er fortfuhr: »Das wäre grausam, ungerecht und dumm gewesen. Diese Anstalten dienen zur Verwahrung selbst- oder gemeingefährlicher Personen, deren Hirntätigkeit nicht normal funktioniert, das heißt: von der Norm abweicht, die nirgends aufgestellt ist und niemals aufgestellt werden kann. Darum sind sie hervorragend geeignet, sehr viel Personal zu beschäftigen –«

»Doch –,« meinte Eli, etwas kleinlaut geworden, »ich verstehe schon, daß du ihm helfen willst. In einer Irrenanstalt, heißt es, muß einer, der es noch nicht ganz ist, zuletzt irrsinnig werden, schon durch die Umgebung –«

»Nein, das stimmt nicht, das ist natürlich Unsinn, was die Leute da sagen. Wer nicht irrsinnig ist, kann es auch in einer Irrenanstalt nicht werden; sonst müßte er es ja heraußen noch schneller werden, weil da ja noch viel mehr Narren herumlaufen! Yatsuma und die Welt sind zwei Körper, die sich nicht vereinbaren lassen; worum es sich übrigens in jedem Leben handelt. Nur sind in diesem Fall die Gegensätze besonders drastische und elementare. Nur wer täglich um acht Uhr in seine Kanzlei geht, zwischen zwölf und ein Uhr zu Mittag ißt und durch keine ungewöhnlichen Anschauungen Aufsehen erregt, nur ein solcher Mensch ist unbesiegbar. Ihm kann die Welt nichts anhaben, weil er sich ihr unterordnet. Yatsuma aber muß erliegen, weil er, so mager er ist, nur aus lauter Angriffsflächen besteht. Dem Schwächeren zu helfen nennt man edel – ich habe dieses Amt nun einmal übernommen und werde es auch zu Ende führen. Ich werde mich hüten, einen, der sich der Welt selbst ans Messer geliefert hat, auch noch der Knochensäge der Wissenschaft zum Geschenk zu machen. Natürlich würde sein mageres Korpus dem Messer des Anatomen ein wunderschönes Demonstrationsobjekt sein. Da ist auch nicht eine einzige Sehne von der dünnsten Fettschicht verdeckt. Aber auch seine Leiche würde kein Mensch eines Blickes würdigen. Die hundert Studentenaugen hängen wie an einem Magneten am Zeigefinger des Dozenten und senken sich mit vollendeter militärwissenschaftlicher Disziplin alle im gleichen Augenblick auf den einzigen Punkt nieder, auf den er deutet. Wer über diese Stelle zufällig hinausschaut, überlegt sich höchstens, daß man gut und kräftig zu Mittag essen muß, um nicht so mager zu werden. Das glaube ich, daß sie diesen Schädel, auf den jeder haut, aufmeißeln würden. Sie können ja in keinen hineinsehen, außer wenn sie ihn öffnen und würden nie hinter sein Geheimnis kommen, weil sie gar keins suchen. Was sie darin finden, brauchen sie nicht zu suchen, weil sie es schon vorher wissen, geschützt durch ihre Autorität, die keinen Widerspruch zu fürchten hat. Es genügt ihnen, fremde Schädel aufzuschlagen. Sich dabei auch noch den eigenen zu zerbrechen, wäre zuviel der Mühe!«

Den temperamentvollen Worten Mendones war anzuhören, wie nahe ihm das Schicksal dieses Menschen ging, wie sehr er ihm am Herzen lag. Eli verstand freilich nur soviel, daß er sich auf ein Fachgebiet begeben hätte, auf dem mit ihm nicht zu rechten war.

»Das kostet dich aber viel Geld!« meinte sie.

»Ach, Geld – was soll mir ein Geld, das wir zum Leben nicht brauchen, wenn es mir nicht die Befriedigung verschaffen kann, die Welt wenigstens in diesem kleinen Punkt hin und wieder ein wenig zu korrigieren, weil man außerdem noch Grund genug hat, an ihr kaputt zu gehen. Sie ist nun einmal so eingerichtet, daß die Besten immer leer ausgehen. Man kann ein Erdbeben nicht telephonisch abbestellen, aber man kann den Verunglückten helfen. Und von dem, was mich das kostet, kann ich mir keine herrschaftliche Villa kaufen!« Diese Bemerkung verursachte ihm besondere Genugtuung. »Der Mann hat es fertiggebracht, in einer Welt, in der nur ein Blinder lachen kann, heiter zu bleiben, obwohl er sie bis ins Innerste durchschaut hat. Und wenn er es auch hin und wieder zuwege bringt, auch andere Menschen lachen zu machen, so möchte ich wissen, was unbezahlbarer wäre. Ich verdanke ihm Genüsse, die der heutige Mensch sich nicht vorstellen kann, wenn er Vergnügungen nachjagt, die ihm etwas vormachen, was nicht ist, damit er sich einbildet, es sei etwas, und ich erhoffe mir noch manches solches kostbare Geschenk von ihm. Darum will ich mich ihm für meinen Teil erkenntlich zeigen, soweit es in meinen Kräften steht – vorausgesetzt, daß wir ihn überhaupt noch finden. Es kann ja ebensogut schon zu spät sein! Mir scheint schon, daß irgend etwas nicht stimmt, sonst wäre Götz nicht so spät am Abend nicht zu Hause gewesen!«

Eli wußte nichts darauf zu erwidern. Das heißt, sie wußte schon etwas:

»Warst du wirklich sonst nirgends?« fragte sie. »Hast du kein Rangedewuh gehabt?«

»Aber Eli, Rendezvous heißt es, Ren – Ren – Nasallaut!«

»Rang – Rang –«

»Nein, man darf kein g hören: Ren! Nein, Kindchen, ich habe kein Ren- und kein Rangdewuh gehabt. Wie kommst du auf so alberne Ideen?«

Sie lehnte sich an ihn und preßte ihn in den weichen Schraubstock ihrer Arme. An seiner rasierten Wange spürte er, daß ihre Augen anfingen, undicht zu werden. Sie streichelte ihn.

»Du siehst ohne Bart viel besser aus, viel jünger, mein kleiner Binscham!«

»Na siehst du, so fällt doch für dich auch etwas ab. Ganz zwecklos war es also doch nicht, daß ich mich mit Yatsuma beschäftigt habe.«

»Jetzt bist du nicht mehr mein kleiner Barbarossa, jetzt bist du mein kleiner Yatsuma, ja?«

» Barba nero mußt du sagen! Rossa ist rot, nero schwarz!«

Aber alle Korrekturen steigerten nur Elis Zärtlichkeiten: »Du bist mein grausamer Nero!«

Das Glück war wieder hergestellt, mit Tränen geleimt und mit Küßchen verziert. Er konnte sich zwar einer leisen Ahnung nicht ganz erwehren, als beruhe das Glück hauptsächlich darauf, daß man immer wieder mal beide Augen zudrückt. Aber was tut das, sagte er sich, es war doch auch ein Glück, daß er die Gabe besaß, da nachzugeben, wo, wenn er es nicht gekonnt hätte, recht unangenehme Geschichten entstanden wären. Man muß mit allem, was man dem Glück bieten kann, zufrieden sein …

Am Hochzeitsmorgen war der junge Doktor Kux, der eine der Trauzeugen, schon längst da, Gluth dagegen, unpünktlich von Natur, ließ auf sich warten. Man machte sich schon mit dem Gedanken vertraut, daß er über einer neuen Gemäldekomposition den Hochzeitstag vergessen habe und daß man sich einen Dienstmann als zweiten Zeugen werde mieten müssen, da schellte es nervenerschütternd und gleich darauf dröhnte ein Gepolter durch das ganze Haus, als wäre es mindestens zur Hälfte eingestürzt.

»Wenn man ihn nicht schon am Läuten erkennen würde,« sagte Mendone bei dem Gerumpel, »so würde man es jetzt ganz bestimmt wissen, daß Herr Gluth gekommen ist. Er pflegt nämlich, wenn er zweimal zu uns kommt, dreimal die Treppe herabzufallen.«

So war es. Gluth, zwei Bilder, ein großes und ein kleineres schleppend, wollte sich keins abnehmen lassen, und da er sich am Geländer nicht hatte festhalten können, war er ausgeglitten und einige Stufen heruntergerutscht. An den Bildern war, von ein paar Kratzern abgesehen, nichts weiter beschädigt, dagegen hatte er selbst einen beträchtlichen Riß in der Hose. Er hatte es durchaus nicht eilig, sondern betrachtete still versunken die Bilder, als überlege er, ob die Kratzer nicht geeignet seien, die künstlerische Wirkung zu erhöhen. Eli wollte haben, daß er seine Hose rasch nähen lasse, aber Gluth wollte nichts davon wissen. Es sei ihm egal, meinte er, und unterm Mantel sei ja nichts zu sehen. Eli war es aber nicht egal, ob man in einem zerrissenen Anzug zum Standesamt ging.

»Dieser hochnotpeinlichen Behörde!« warf der Doktor ein.

Es half kein Widerspruch, Gluth mußte nachgeben und ein Paar Hosen vom Doktor anziehen.

»Was haben Sie denn da alles Schönes mitgebracht?« fragte Mendone, nachdem diese lustige Affäre erledigt war.

Gluth stellte die beiden Bilder auf.

»Ich habe mir erlaubt – ein kleines Hochzeitsgeschenk. Eine kleine Landschaft, und das da eine Figurenkomposition, eine Weinlese!«

Die Bilder wurden gebührend bewundert. Eli hatte sich schon lange eine Landschaft gewünscht. Sie fand es sehr schön, wenn der erste Blick morgens beim Aufwachen auf ein Bild fällt, in dem Augen und Gedanken auf freien Wegen, unter grünen Bäumen und sonnigem Himmel angenehm spazierengehen können, während es draußen regnet, was vom Himmel kann.

Mendone nahm Gluth beiseite: »Was bin ich schuldig?«

»Nichts!«

»Wieso? Ich habe Ihnen für die ›Weinlese‹ noch nichts bezahlt –«

»Ich darf doch auch einmal – nicht wahr, nachdem ich sowieso nichts habe als meine ollen Bilder –«

»Was fällt Ihnen ein, Herr Gluth, davon kann nicht die Rede sein! Sie hätten Ihr Geld längst, aber Sie wollten es ja nicht annehmen!«

»Eben darum. Ich habe mir das so ausgedacht, Herr Doktor! Wenn Sie mir ein Vergnügen machen wollen, bitte ich – das Bild hat Ihnen sehr gefallen, Sie können mir ja, wenn Sie Lust haben, einmal dafür mehrere andere abkaufen!«

Gluth schien auf diese Weise eine kleine Schuld abtragen zu wollen –

Mendone war gerührt. »Ich finde es ja außerordentlich nett, außerordentlich! Herzhaften Dank, lieber Gluth! Sie wissen ja, daß mich nichts so freut als wie ein schönes Bild. Na – also, haben wir alles? Dann schieben wir los! Die Tragödie kann beginnen!«

Da man an der Wohnung des Götz vorbeiging, ließ er es sich nicht nehmen, rasch noch einmal hinaufzuspringen und anzuklingeln. Erfolglos. Niemand öffnete.

»Sonderbar!« brummte er geärgert.

Es gibt in der Tat nichts Unangenehmeres als einen Gang, der zum fünften Male umsonst gemacht ist, wobei man wie ein lackierter Affe vor der verschlossenen Tür steht und den Weg, den man gekommen, unverrichteter Dinge wieder zurückgehen muß. Und wobei man den unwillkürlichen Eindruck nicht los wird, daß der immer Abwesende einen schlechten Charakter haben muß.

Als die Trauzeugen gratulierten, fiel es Gluth auf, daß Eli vor Verzückung strahlte wie ein goldumrändertes Heiligenbild. Als wollte sie am liebsten jedem vorbeigehenden Trambahnschaffner laut ins Gesicht rufen: Ich habe erreicht, was ich wollte!

Ja, ja, die Weiber! dachte er. Das Nest! Der Nestbautrieb! – Er verlor sich in Gedanken, er war ja auch verheiratet und auch schon zum zweitenmal. Und vergaß darüber ganz, verwirrt wie er war, auch dem Doktor die Hand zu geben.

»Also, meine Herren,« sagte dieser, »da der heutige Tag durchaus kein Festtag ist, mein Hochzeitstag ist der, an dem wir uns kennengelernt haben und nicht der, an dem der Mann mit dem Gummistempel auf das Eheschließungszeugnis haut, den können meinetwegen die Beamten feiern. Wir veranstalten darum kein Hochzeitsmahl, weil ich diese Gesellschaftsspiele nicht ausstehen kann, bei denen man vor Langeweile und Pflichtgefühl in den Erdboden versinken möchte, nur daß er sich leider nicht auftut. Wir essen allein zu Mittag, im Café Noris, wie sonst auch. Sie kommen dafür Nachmittag zu uns. Holen Sie uns am besten im Café ab, wann denn? So zwischen zwei und drei Uhr!«

Also geschah es. Als die Herrschaften aus dem Kaffeehaus auf die Straße traten, entwickelte sich folgender Dialog.

Frau Mendone, da der Doktor an die Trambahnhaltestelle ging: »Wo gehst du denn hin, Gilbert? Wir wollen doch nach Hause!«

Herr Mendone: »Nach Hause! Ganz richtig!«

»Wozu willst du dann in die Trambahn steigen? Und noch dazu in die falsche Linie?«

»Das ist schon die richtige, kommt nur. Vorwärts, rasch, sonst fährt sie uns davon!«

»Aber wo willst du denn hin, Gilbert, ich denke wir fahren nach Hause? Wir wollten doch zum Kaffee!«

»Ja, das wollen wir, nach Hause und zum Kaffee.« Gluth rannte voraus und stieß, als er sich nach den anderen umsah, mit der Nase an die Plakatsäule. »So – jetzt ist sie glücklich weg! Das kommt von deinem Frage- und Antwortspiel. Ich muß noch einen kleinen Weg machen und dabei könnt ihr mich in Gottes Namen begleiten!«

»Aber Lumpi, sogar heute noch einen Gang!«

»Und warum nicht? Heute schickt es sich am besten. Was soll ich machen, ich bin Arzt, Pony, und gehöre nicht mir selbst, das weißt du ja. Aber jetzt Schluß mit der Debatte, sonst fährt uns der zweite Wagen auch noch davon. Ich würde ja ein Auto nehmen, es wäre einfacher. Doch könnte dadurch der Verdacht entstehen, ich hätte eine Geldheirat gemacht; oder als würde ich diesem Tag eine besondere Bedeutung –«

»Ja, bitte, nimm ein Auto, Gilbert!« (Das ist ja doch die Höhe, dachte sie, ich glaube, er hält ein Auto für etwas Besonderes!) »Es geht rascher, wir sind viel früher gemütlich zu Hause. Ich muß ja auch noch den Kaffee bereiten.«

»Na also, nehmen wir ein Auto. Es hilft alles nischt, wir müssen ja doch tun, was der Verfasser will!«

Er ließ alles einsteigen und gab die Adresse an.

Frau Mendone: »Fahren wir weit?«

»Gar nicht. Wir sind in zehn Minuten zu Hause.«

Der Wagen hielt.

Herr Mendone: »Bitte alles aussteigen!«

Sie, die einstöckige hübsche Villa, vor der sie standen, betrachtend: »Komisch, was du alles vorhast. Sieh mal, das ist ein hübsches Haus!«

»Hm, hm, nicht übel!«

»Wenn du einmal deiner Gattin so eins schenken würdest, dann würde ich Respekt vor dir haben, mein lieber Mann!«

»Erst dann? Schade!«

»Wie? – Komisch, da steht Dr. Mendone auf dem Schild! Wie kommt denn das?«

»Ein Bruder von mir. Ich bin der Doktor Mendone, und das hier ist der einstöckige Villenbesitzer Mendone! Das sind zwei Paar Stiefel!«

Sie standen auf den Stufen zum Eingang.

»Davon hast du mir nie ein Wort gesagt, daß du einen villenbesitzenden Bruder hast! Und da hast du auch noch den Hausschlüssel dazu?«

»Den habe ich. Und hoffe ihn auch in Zukunft zu behalten.«

»Seit wann?«

»Schon sehr lange. Schon länger als ich bin. Der war vor mir da!«

»Der Schlüssel?«

»Nein, der Bruder.«

»Aber warum hast du mir das immer verheimlicht?«

»Weil ich ihn erst seit acht Tagen habe.«

»Den Bruder?«

»Nein, den Schlüssel.«

Eli verzog das Mündchen. Und Mendone schloß endlich auf.

»So, meine Herrschaften, treten Sie ein, legen Sie ab, und nun will ich dich und Sie nicht länger foppen: das ist unsere neue Wohnung, die ich für meine Frau erworben habe. Es ist noch nicht alles so, wie ich es mir wünsche, aber im großen ganzen wird nicht viel verändert werden. Ich habe die ganze Hütte samt Inhalt ziemlich billig erwischt. Gestatten Sie, daß ich vorangehe, es sind nicht viele Räume, aber alles ganz praktisch beisammen.«

Mendone nahm seine junge Frau an der Hand und führte sie. Jetzt kannte sie sich erst recht nicht mehr aus.

»Er macht Spaß!« sagte sie entschuldigend zu den beiden Herren.

Gluth: »Ich weiß nicht, mir scheint fast –«

Dr. Kux: »Wie ich den Doktor kenne, gnädige Frau – er macht ja immer Spaß. Ich persönlich nehme diese Späße immer ernst!«

Nachdem die Parterreräume, Empfangszimmer, Sprechzimmer, Bibliothek und Arbeitszimmer besichtigt waren, ging es in den ersten Stock: zwei Wohnzimmer, Schlafzimmer, Ankleideraum, Bad. Alles war (im Gegensatz zu seiner alten Wohnung, deren sonst brauchbarer Luftraum von Gründerzeit-Renaissance-Möbeln verstellt war) modern gediegen, ohne nervenbelastende Dokumentierung einer Stilepoche, ohne übertriebenen Prunk und ohne übertriebene Einfachheit, mit einem Wort wohnlich und anheimelnd eingerichtet.

»Die Küche befindet sich im Souterrain,« erklärte der Doktor, »die Dienstbotenräume und Fremdenzimmer, ohne beide Gattungen auf eine Stufe stellen zu wollen, im Dachgeschoß. Das wäre alles! Der Tisch ist gedeckt, wie in den Romanen der besitzenden Klassen, der Kaffee duftet, wie wir bemerkt haben, ich will gleich mal klingeln, dann wird dir auch deine Köchin erscheinen. Nun machen wir Musik und dann wollen wir uns häuslich niederlassen!«

Er setzte sich ans Klavier und ließ den Florentiner Einzugsmarsch donnernd erschallen. Die Tür zum Zimmer nebenan stand auf, der weiße Kaffeetisch, freundliche Blumen leuchteten herüber, und an der Wand hing Gluths Gemälde »Der Floh«. Nun war kein Zweifel mehr, daß alles wahr war. Wann hat er nur das Bild herüberschaffen lassen? dachte Eli. Mendone hatte eigentlich erwartet, sie würde den eruptiven Ausbruch einiger Jubelschmetterschreie nicht unterdrücken können, sah sich aber angenehm enttäuscht. Sie spielte nicht die wichtige Rolle der Neuvermählten, von der alles zu Tränen gerührt oder bis zum Wahnsinn begeistert sein muß, sondern verhielt sich eher wie ein schweigsamer, still glücklicher und bescheidener Gast. Irgendein Umschwung schien in ihr vorzugehen. Und das war ihm noch lieber.

»Gehört das alles dir?« fragte sie. Ganz einfach und gar nicht so laut wie sonst.

Er sah ihr in die Augen.

»Dir! Für mich allein tut es ein Schreibtisch, ein Stuhl und ein Bett – was unter Umständen ein einziges Möbelstück sein kann!«

Später kam noch eine kleine Frage:

»Was machst du mit unserem kleinen Schneckenhaus, Gilbert?«

»Mit unserem Schneckenhaus? Darin wird, so hoffe ich, künftig Herr Yatsuma von Landen wohnen!«

»Ach? – Schade, daß er nicht da ist!«

»Das finde ich auch. Ich stelle mir nämlich vor, daß er da in Gesellschaft einiger Hühner, die das Gras im Garten, das nicht wächst, noch ganz ausrotten, ganz gut existieren kann. Er wird seine Suppe kochen, seine Pfeife rauchen, seine Wäsche im Garten aufhängen und eines von den zwei Dutzend Instrumenten, auf denen er Meister ist, ertönen lassen.«

»Zwei Dutzend Instrumente? Das muß ja ein entsetzlicher Lärm sein!«

»Abwechselnd eines von den zwei Dutzend natürlich! Sie kennen ihn noch nicht,« wandte er sich an Dr. Kux, »wir werden Ihnen noch von ihm erzählen. Meinen Sie nicht, Gluth, daß das eine ganz passable Lösung wäre?«

»Nicht ohne, aber …«

»Ja, es sind manche Aber dabei. Ich werde noch manche notwendige Besorgungen zu erledigen haben, Eli, bis es soweit ist. Aber zuerst müssen wir ihn überhaupt haben! Herr Götz läßt sich nicht blicken, auch der Amerikaner, der uns schon so lange versprochen ist, scheint nicht zu kommen. – Daß ich nicht vergesse, haben Sie Lust, heute Abend ins Theater zu gehen? Es wird ›Das Konzert‹ von Bahr gegeben, ein hübscher Zufall. Sie kennen es nicht? Ein ausgezeichnetes Ehelustspiel! Für Jung- und Altverheiratete und solche, die es werden oder nicht werden wollen, sehr zu empfehlen. Gut, dann werde ich telephonisch die Karten bestellen.«

Während der Unterhaltung beobachtete Mendone seine junge Frau unauffällig. Sie war fast ohnmächtig vor Freude. Sie erschien ihm wie ein anderes Geschöpf, kaum wiederzuerkennen.

Ich fange an, mich in sie zu verlieben! dachte er.

Einmal bemerkte er, daß ihre Augen feucht waren. Sie stand auf und ging ans Fenster.

»Es schneit –« hörte er sie leise sagen.

*

Es schneit!

Lautloses Gewirbel, malerische Verhüllung der weiten, ebenen Landschaft. Die kreischenden Spatzen haben sich gesättigt von der Landstraße zurückgezogen. Sie sitzen geduckt in den winkeligen Ästen der alten Pappeln und schauen dem Gestöber schläfrig zu.

Einen Sack über den Kopf gestülpt, die Fäuste in die Taschen seines grobgeflickten, furchtbar dicken Mantels vergraben, trottet der Fuhrknecht hinter dem Wagen. Pferd und Fuhrwerk gleiten lautlos wie auf Teppichen dahin.

Auf einmal bleiben die Pferde mit einem Ruck stehen.

Pferde sind keine Automobile, sondern verständige Wesen. Wenn sie plötzlich stehenbleiben, dann ist bei ihnen nicht etwa eine Schraube los, im Gegenteil.

Der Fuhrmann ging nach vorne, nachzusehen, was das bedeute.

Mitten auf der Straße dicht vor den Pferden, lag ein Kerl, zerlumpt, halb zugeschneit.

Der Fuhrmann nahm die Pfeife aus dem Mund. »He, du!« Er rüttelte ihn, der Mann rührte sich nicht. Kalt war er nur im Gesicht und an den Händen. Herzschläge waren nicht zu hören, auch rasselten die Pferde zu laut im Geschirr, dafür roch er nach Bier, wie jenes Gefäß, das der Wirt unter dem Wechsel stehen hat und dessen Inhalt er von Zeit zu Zeit auf die frisch eingeschenkten Gläser und Krüge verteilt. Der Fuhrknecht packte den Kerl, hob ihn auf die Schulter und lud ihn ziemlich unsanft auf den Wagen. Schob ihm eine Decke unter den Kopf, legte einige Säcke über ihn. Er schaute noch herum, ob kein Hut irgendwo lag, sah aber nichts.

Es dunkelte bereits, als der Knecht in den Hof einfuhr.

»Alles aussteigen! Wir sind da, Kamerad!«

Yatsuma schlug die Augen auf.

»Hast deinen Rausch ausgeschlafen? Dann ist's ja gut!«

Die Pferde waren ausgeschirrt und im Stall, und der Bursche auf dem Wagen rührte sich noch immer nicht. Der Knecht zog ihn herunter, aber kaum stand Yatsuma auf den Beinen, da knickte er auch schon wieder zusammen. Sie hatten kein großes Gewicht zu tragen, und doch war es ihnen zu viel.

»Du machst schöne Sachen!« brummte der Fuhrmann. Er schleifte ihn in den Stall und legte ihn auf ein paar Schüppel Stroh. Fütterte und tränkte die Pferde und ging dann in die Wirtschaft. Es war sechs Uhr.

*

Die Theatervorstellung war aus. Es war nicht die beste Aufführung gewesen, aber die leicht hingesagten und doch nicht leicht wiegenden ehelichen und unehelichen Wahrheiten des Stückes waren nicht gut umzubringen. Mendone forderte seine beiden Gäste auf, mitzukommen, es sei noch früh, er habe noch eine Flasche Wein zu Hause und wolle doch jetzt, da alle angenehm angeregt unter dem Eindruck des ausgezeichneten Lustspiels stünden, den Abend lustig zu Ende bringen.

Als der Wagen vor seinem Haus hielt, stand da noch ein anderer Wagen, ein Privatauto, genau vor dem Eingang. Ein Herr, groß, breitschultrig, elegant, trat auf Mendone zu, zog den breitrandigen Hut:

»Habe ich die Ehre mit Herrn Dr. Mendone?«

»Der bin ich!«

»John Deschl –«

»Aus Kansas City!«

»Ja, ich muß um Entschuldigung bitten –«

Mendone schüttelte ihm die Hand. »Nicht nötig, kommen Sie nur gleich mit! Wir erwarten Sie schon sehr lange, Herr Deschl!«

»Es ist sehr spät, aber es war mir nicht möglich –«

»Bitte, jede Erklärung überflüssig, Sie sind uns zu jeder Tages- und Nachtzeit außerordentlich willkommen!«

»Kann ich meinen Wagen einfahren?«

»Ich lasse gleich das Tor öffnen. Eli, geht nur hinein, wir kommen gleich. Ein schönes Ding! Haben Sie ihn in Deutschland gekauft? Die amerikanischen sind doch billiger?«

»In jeder Weise! Sie sind so billig, daß man sie nach einem Jahr zum alten Eisen wirft. So einen Wagen dagegen, der das Leben verkürzt, hat man sein Leben lang. Dafür kann man schon ein paar Mark Zoll zahlen.«

»Ja, wir Deutsche haben nun einmal eine unglückselige Leidenschaft für das Lebenslängliche und Dauerhafte!« sagte Mendone, ein wenig lächelnd und mehr zu sich selbst.

Im Licht sah John Deschl noch größer und trotz des sehr gut geschnittenen schwarzen Anzuges beinahe athletisch aus. Sein Gesicht war breit und hager, aber auch die zwei wulstigen Grüblerfalten über der Nasenwurzel vermochten den überwiegenden Eindruck der Gutmütigkeit nicht abzuschwächen.

»Ich darf wohl gleich loslegen?« sagte er, als man sich bekannt gemacht hatte und um den Tisch saß. »Mich hat Herr Götz zu Ihnen geschickt. Ich wäre schon früher gekommen, aber Ihre neue Adresse war uns nicht bekannt. Über meinen Bruder hat Herr Götz mir einiges erzählt. Unter anderem, daß er nicht weiß, wo er sich augenblicklich befindet –«

»Was? Also einfach grauenhaft! Was habe ich immer gesagt! Ich möchte nur wissen, wozu diese Schwabinger eigentlich zu gebrauchen sind? Er weiß also überhaupt nichts?«

»Nichts. Ich bin seinetwegen herübergekommen und nebenbei auch, um zu heiraten. Man kennt hier unsere Verhältnisse drüben nicht. Ich habe ein Restaurant. Eine luxuriöse Gattin mag für einen reichen Mann eine weitere angenehme Bereicherung seines Daseins sein. Ich brauche eine verläßliche Frau, die sich auch für das Geschäft interessiert. Darum bin ich herübergekommen, sie mir zu holen. Sie wissen vielleicht davon?«

»Gewiß!«

»Und auch die beiden Kinder, die ja nicht mehr klein sind, stören mich nicht, ich bin es ja auch meinem Bruder schuldig. Meine Hochzeit fand vor zwei Tagen statt –«, die zwei Falten über seiner Nasen zogen sich scharf zusammen, »zum Erstaunen der ganzen Occamstraße nicht im Gasthaus zum Occamnhof, oder wie es heißt. Leider konnte ich meinen Bruder nicht einladen. Meine Eltern leben nicht mehr, aber ihm möchte ich wenigstens ein wenig aufhelfen, so weit habe ich mich heraufgearbeitet. Es hat Jahre genug gebraucht, bis aus dem ›mißratenen Sohn‹ –«, er lächelte, »jemand geworden ist, der sich zur Not unter anderen Sterblichen blicken lassen kann. Ich habe gehört, Herr Doktor, daß Sie für meinen Bruder viel getan haben. Wofür ich Ihnen erstens danken muß –«

»Getan?« sagte Mendone, »das ist wohl etwas übertrieben –«

Ah, so, dachte Deschl, es ist ihm lieber, wenn hier nicht alles aufs Tapet kommt. Dann ein andermal. – Er beabsichtigte, Mendone alle Aufwendungen zu ersetzen.

»Ich habe«, fuhr Mendone fort, »zwar vor, ihm ein wenig beizustehen. Das alte, baufällige Häuschen habe ich in seinem Namen verkauft –«

Deschl nickte zustimmend.

»Das alte Gerümpel wird abgebrochen werden, bevor es von selbst zusammenstürzt, die Einrichtung wird verkauft, einen Teil soll er behalten. Von dem Erlös kann er in meiner früheren Wohnung, die ich ihm zur Verfügung stelle, schon einige Zeit bescheiden leben. Ich werde Ihnen – was ist das?« unterbrach er sich. »War das nicht das Telephon?«

Sie horchten, die Klingel erscholl zum zweitenmal.

»Ich werde Ihnen meine Pläne gern näher auseinandersetzen – entschuldigen Sie mich einen Augenblick!«

Während der Doktor draußen war, war alles recht schweigsam. Man fühlte, daß irgend etwas Entscheidendes geschah.

»Sie haben wohl auch viel durchgemacht da drüben, Herr Deschl?« fragte Eli.

»Das kann man wohl sagen, gnädige Frau. Wenn die Meinung der Welt nicht wäre, wäre das Leben schon etwas leichter. Sie hat mich nie interessiert, aber sie hat mir geschadet genug und genützt jedenfalls nur insofern, als ich mich nicht von ihr beirren ließ. ›Ein begabter Mensch, aber haltlos!‹, solche Urteile hatte man dutzendweise zur Hand. Ein Aber war immer dabei, denn ich war ein armer Kerl und mit so einem erlaubt man sich alles. Der Triumph des Geldes! Wer arbeitet für die anderen, und Not leidet für die anderen, der soll dafür auch noch dankbar sein und sich –«

Der Doktor kam zurück.

»Da haben wir die Bescherung!«

Alles blickte ihn gespannt an. Mendone, wie immer, wenn etwas Besonderes los war, von unheimlicher Ruhe und Gelassenheit, zündete sich eine Zigarre an und lehnte sich bequem in den Ledersessel. »Ich werde Ihnen gleich erzählen, ich muß nur noch ein wenig überlegen –« Was ihn am meisten freute, war, daß Eli nicht, wie sonst in solchen Fällen, mit ungeduldigen Fragen auf ihn einfuhr. Wunder über Wunder!

»Ja, da hat also Herr Götz telephoniert. Ich bin nicht aus allem klug geworden, was der gute Mann da erzählt. Aber das eine steht jedenfalls fest, daß Ihr Bruder, Herr Deschl, bekannt und berühmt unter dem Namen Yatsuma heute abend sich aus einem Pferdestall, in dem er sich befand, entfernt hat –«

»Was bedeutet denn eigentlich dieser Name?« fragte Deschl.

»Bedeutet? Man kann sich, wenn man will, alles mögliche dabei denken.«

»Woher er nur den verrückten Namen hat!?«

»Das kann ich Ihnen erklären, dieses Geheimnis glaube ich gelöst zu haben. Der Name ist halb so romantisch als er aussieht: Sie kennen doch sicher die bekannte japanische Porzellanmarke Satsuma? Früher taugten die Sachen was, jetzt ist es billiger Exportschund, 'ne echte japanische Vase für drei Mark fumpfzig, verstehen sie, und da fand ich kürzlich beim hermstochern in seiner Wohnung richtig so einen Prospekt von den Satsuma-Vasen.«

Deschl schüttelte den Kopf: »Ein blödsinniges Luder!«

»Sagen Sie das nicht, auf Namen kommt es nicht an. Gehen wir lieber ihm selber nach: den Schneespuren nach steht fest, daß er die Freisinger Landstraße hinausgelaufen ist. Er macht diese Spaziergänge und Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung Schwabings zu allen Tagesstunden und Witterungen nun seit zwei Jahren, in einem körperlichen Zustand, der aller Beschreibung spottet, und mit einer Ausdauer, die ans Wunderbare grenzt. Ich bin der Meinung, daß es nicht schwer sein wird, ihn einzuholen. Was mich betrifft, so wette ich, daß ich ihn zu Fuß erwische, aber mit dem Kraftwagen ist es vielleicht doch etwas bequemer!«

Eli sprang auf: »Ich fahre mit!«

Auch Deschl war aufgestanden.

»Bravo!« rief der Doktor. »Sehr hübsch! Aber ich rate dir, es nicht im Ernst zu tun, es ist recht kalt draußen! Du bist müde und sollst dich ausruhen!«

»Ich? Nicht im geringsten! Um diese Zeit bin ich nie müde!«

»Gut, du wirst es schon noch werden, Pony! Mir ist es recht: du hast ja immer schon den Wunsch in dir genährt, mich auf meinen Reisen begleiten zu können. Sie, meine Herren, können ja bis Schwabing mitkommen.«

Während man sich anzog, drückte Mendone ferner Gattin die Hand, als wären sie ein geheimes Pärchen, das sich unbeobachtet sein Einverständnis bezeugt. Er war in diesem Moment nicht nur, wie allgemein üblich, bis über die Ohren in sie verliebt, sondern möglicherweise noch eine Etage höher. War sie nicht reizend: ihre geduldige Zurückhaltung während der Unterhaltung mit John Deschl, in die sie, obwohl es doch ihr Recht gewesen wäre, die Hauptaufmerksamkeit für sich zu beanspruchen, nicht wie früher mit unpassenden Fragen peinlich dazwischen gefahren war. Ein gütiger Zufall muß es gefügt haben, daß sie auch nichts von Parfäng, Täng und Arrangschemang sagte. Und nun, da der Abend sich in eine Autofahrt auflöste, die ganz und gar nicht auf dem Programm stand, kein Vorwurf, kein Wort, nicht die leiseste Verstimmung, sondern sie tat ehrlich vergnügt mit! Anscheinend, so schloß er seine stille Betrachtung, steckt doch in allen Menschen zuletzt eine gute und feine Natur – man muß ihnen nur von Zeit zu Zeit eine kleine Villa schenken, wenn sie zum Vorschein kommen soll –

»Ich glaube,« sagte Mendone, als er neben Deschl saß, der den Wagen lenkte, »ich glaube, daß es mir gelingen wird; was ich Ihnen vorhin sagte. Obwohl es bisher noch niemand gelungen ist.«

»Er muß einfach parieren!«

Mendone lachte.

»So einfach, mein lieber Herr Deschl, geht das nicht! Ich denke, daß mir meine Erfahrung als Arzt mehr nützen wird.«


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