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II.
Eine sonderbare Unterhaltung

Gehen wir hinein.

Die Stube ist sehr klein, niedrig und düster. Das Fenster geht nach Süden und ist von keinerlei Vorhang verdunkelt, aber der trübe Tag hat alles Licht verschluckt. Auf dem breiten Fensterbord stehen Blumenscherben ohne Pflanzen. Ein weibliches Wesen hat also hier lange nicht gehaust. Sobald sich die Augen an das Dunkel gewöhnt haben, fallen einem die vielen Musikinstrumente auf, die an der rückwärtigen Wand hängen und herumliegen. Da ist eine Gitarre, mehrere Geigen, große und kleine Trommeln, eine Ziehharmonika, Mandolinen und ähnliche bauchige Saiteninstrumente, eine Zither, Trompeten, Klarinetten und anderes Blas- und Pfeifzeug. Eine Musikalienhandlung kann auch keine größere Auswahl haben. In der helleren Stubenmitte steht ein Tisch und um ihn herum drei Stühle, einer links, rechts ein gewöhnlicher Küchenstuhl, und mit dem Rücken gegen das Fenster ein alter Lehnsessel.

In ihm sitzt der lange Mensch, der vor dem Haus stand, der letzte und einzige Bewohner dieser modrigen Stube, den Kopf in die Hand gestützt und unbeweglich ins Dunkel starrend. Soweit es das karge Licht erlaubt, können wir jetzt sein Gesicht sehen. Es ist ebenso hager wie sein nichtswürdiger Körper, die lange Nase an der breitgedrückten Spitze etwas nach oben gebogen, das rötliche Haar gelichtet und fadenscheinig. Ein abgemagerter Knochen, den das hungrige Schicksal übriggelassen hat.

Vor ihm auf dem Tisch liegt eine kleines Buch, auf dem ein Schild klebt mit dem Aufdruck »Notes«. Er durchblättert es gedankenlos. Auf den linken Seiten sind Einnahmen, auf den rechten Ausgaben mit Bleistift eingeschrieben. Die linken Seiten sind ziemlich leer. Immerhin steht da manchmal: Für einen Stuhl rep. 1,80 M., oder: eine Politur mit Schellack 4,20 M., oder: ein Kasten ausbessern 3 M. Die rechten Seiten dagegen sind von oben bis unten eng bekritzelt.

Er legt das Heftchen weg und steht auf. Und ein wenig seufzend, wenn auch durchaus nicht unliebenswürdig, so als ob er sich nun einmal Unvermeidlichem fügen müsse, spricht er einige Worte. An wen aber?

»So meine Herren, jetzt kommen wir daran! Ich stehe zu Ihren Diensten!«

An wen waren diese Worte gerichtet? Es war niemand da. Er war allein im Zimmer.

»Bitte, meine Herren, nehmen Sie Platz!« Er rückte die Stühle, als ob sich jemand hinsetzen würde. »Machen Sie sich's bequem, so gut das bei mir möglich ist! Bequem war mein Leben nie und wird es künftig noch viel weniger sein, haha!«

Es war niemand da, der auf diese eigentümlichen Worte hätte antworten können. Das war aber auch nicht notwendig, denn er antwortete sich sogleich selbst:

»Sie wollen also wirklich –?« fragte er.

»Ja, ich will!« antwortete er dann, ruhig aber bestimmt. Und schaute gerade aus über den Tisch weg. »Was heißt wollen –«, fügte er leiser hinzu.

»Ja aber, das ist doch –«, ließ er gewissermaßen den Mann auf dem rechten Stuhl sagen, »Sie haben doch Verpflichtungen! Sie haben doch, soviel ich weiß, vier oder fünf Kinder, unverheirateterweise, und –«

»Vier, nur vier bitte! Ja, die habe ich allerdings, leider.«

»Für die müssen Sie doch sorgen!« sagte der rechte Stuhl streng. »Sie können doch nicht einfach Ihre Existenz aufgeben und die armen Dinger im Stich lassen! Sie können doch nicht das ganze Leben aufs Spiel setzen!«

»Wir haben es alle verlernt, unser Leben aufs Spiel zu setzen!« antwortete er freundlich gelassen. »Darum ist es auch so weit gekommen, daß die Welt zugrunde gehen muß. Das muß anders werden. Einer muß den Anfang machen. Was hilft das Reden. Ich habe bis heute noch nichts geleistet. Ich habe vielleicht manches versprochen, das heißt: ich habe gedacht, was andere höchstens geahnt haben. Nun will ich tun, was andere höchstens denken!«

»Ah was,« fiel der linke Stuhl ärgerlich ein, »geh zu, das ist doch alles Schmarrn! Was geht denn das dich an, wenn die Welt untergeht! Gibt dir vielleicht jemand was, wenn du sie aufhältst?«

»Die Welt steht schon lang, mein lieber Deschl,« sagte der Rechte, »und sie steht immer noch. So lange wir leben wird sie noch halten! Wenn die Welt jedesmal untergegangen wäre, wenn man es prophezeit hat, du lieber Gott!«

»Das ist sie auch!« sagte Deschl.

»O mei Mensch!« jammerte der Linke verzweifelt. Dann wandte er sich nach rechts: »Es is weiter nix, Herr Baumeister, als wie ein kleiner religiöser Wahnsinn, das is jetzt modern! Er muß natürlich bei jeder Spinnerei gleich dabei sein! Das hat der Schorch schon immer so gehabt! Aber er meint es ja nicht so. Das vom Weltuntergehen hat er schon vor zehn Jahr gesagt. Deswegen muß ja nicht gleich das ganze Geschäft auseinandergehn!«

»Das verstehst du nicht, Götz«, wandte sich Deschl nach links.

»Das werd' ich dann nicht verstehn! Ich versteh' bloß das eine, daß du mit deine überspannten Sprüch' nochamal ins Narrenhaus kommst! Da kannst dann recht g'schwolln daherredn. Wenn dir der Herr Baumeister bei Kaluppn abkauft, dann hast doch auch was! Wer jeds Instrument spielen kann, der braucht keine Angst zu haben! Da is es ja nie nicht gefehlt! Ich hab' mit meinem Meister g'redt: du kannst morgen, wenn du willst, bei uns in der Werkstatt anfangen. Das wird, mein' ich, Sach' gnug sein. Und dann und wann schickt dir dein Bruder aus Amerika auch wieder was, ich mein', du kannst es schon aushalten!«

»Also Deschl, seien Sie vernünftig. Wir können die Welt ja doch nicht ändern. Nur nicht gleich alle Viere grad sein lassen und mit dem Kopf durch die Wand wollen! Es geht schon wieder, es kommt wieder alles in Ordnung, wenn wir zusammenhelfen. Die Bautätigkeit hat auch wieder eingesetzt, überall sind ordentliche Verhältnisse, wenn's auch langsam geht, natürlich, das Bargeld ist überall knapp. Ich will ihnen gern in jeder Weise –«

Deschl unterbrach ihn. »Was hilft es denn, meine Herren,« wandte er sich nach beiden Seiten, nach links und nach rechts, »lieber Herr Baumeister und du, alter Kamerad, ihr gebt euch da Mühe mit mir, das bin ich gar nicht wert. Vielleicht ist meine philosophische Idee ein Irrtum – ich glaube an sie, warten wir es ab. Man kann dem Schicksal nicht dreinreden. Es ist mir bestimmt, von gestern ab mein Leben auf vollständig neue Grundlagen zu stellen –«

»Das hab ich auch schon oft gsagt, ich will ein neues Leben anfangen!« kam es von links.

»Und wie man dieses mein Leben beurteilen wird, das kann nicht meine Sorge sein. Kann man jemand helfen, der sich nicht helfen läßt? Es geht nicht. Ich kann keine Hilfe brauchen, so gerne ich sie Ihretwegen annehmen würde. Es kann sich jeder nur selbst helfen. Und nicht um mich handelt es sich, sondern um die Aufgabe, die mir auferlegt ist. Eine große Tat hat noch immer die ganze Welt gegen sich gehabt – bis sie geschehen war, dann hat jeder sie begriffen. Wenn es Ihnen aber eine Beruhigung ist, so kann ich Ihnen nur das eine sagen: was auch geschehen wird, ich werde immer glücklich sein!«

»Glücklich, ja!« höhnte es schmerzvoll freundschaftlich auf der linken Seite. »Müde Füße und einen leeren Magen, keinen Pfennig Geld und keinen ganzen Hadern auf'm Leib, da bist freilich glücklich, hm hm –«

»Ich glaube nicht,« sagte Deschl, »daß das Geld, die Folter unseres Daseins, die Menschen überhaupt jemals glücklich gemacht hat. Darüber läßt sich streiten. Ich habe, über diese Frage nachdenkend, seit Monaten kein Auge zugetan. Was ich aber ganz bestimmt weiß: ein großes Werk muß heute so weit vom Geld weg geschehen wie von der Pest. Kein Geld zu haben, ist heute keine Schande mehr, sondern ein Vorzug. Hier unterscheiden sich die Menschen! Nur wer ohne Geld lebt, hat das Recht zu sagen, er lebe.«

»Ein nettes Leben! Du wirst schauen, wie schnell du wieder heimkommst! Was wetten wir, Schorsch, wollen wir wetten? Gilt's?«

»Nie«, sagte Deschl ruhig. »Ich komme nie mehr wieder!«

»Du bist von Breslau wiedergekommen, du bist von Ingolstadt wieder nach Hause gekommen, du bist von Württemberg wiedergekommen –«

»Geh zu,« lachte Deschl gutmütig, »was verstehst denn du davon, du altes Kamobbel! Was ich künftig getan habe, war ganz etwas anderes, als was ich früher tun werde – –«

Das klang nun wieder zur Hälfte ganz normal, fast so, wie ein vernünftiger Mensch redet, und zur andern Hälfte –? Hatte er sich im Eifer versprochen?

»Ja,« seufzte es von rechts, »da wird es vorläufig nichts mit unserem Geschäft werden, das seh' ich schon. Tun Sie in Gottes Namen, was Sie nicht lassen können, aber Sie werden es bereuen! Denken Sie an mich!«

»Der kommt schon wieder, werden's sehn, Herr Baumeister, wie schnell der wieder da ist. Was ein echter alter Schwabinger ist, der bleibt nicht lang aus! Der wird schon noch gescheidt, wenn's zu spät ist!« –

Während der letzten Worte dieser von ihm improvisierten Unterhaltung, aus der, hätte sie jemand gehört, wahrscheinlich niemand klug geworden wäre, war Deschl aufgesprungen, ging aufgeregt hin und her und blieb wieder unvermittelt stehen. Auf seinem Gesicht malten sich blitzschnell alle Wandlungen seiner Empfindungen ab. Er hatte freilich das Gefühl, daß er sich schlecht verteidigt habe. Aller Anfang ist schwer. Seine Taten, dachte er, werden besser veranschaulichen, was sich mit Worten nur unzureichend sagen läßt.

Er blieb vor dem Tisch stehen, kramte in seinen Taschen, fand einige Münzen und legte sie auf den Tisch. Es waren eine Mark und vierzig oder fünfzig Pfennige. Er klappte seine Schnupftabakdose auf und wollte eine Prise nehmen, aber sie war fast ganz leer.

»Die muß ich mir auffüllen –«, murmelte er.

Auf dem Tisch lagen ein Apfel und ein Stück Brot, das schon etwas hart war. Er steckte beides in seine Hosentaschen. Die Münzen schob er unschlüssig mit dem Zeigefinger auf der Tischplatte hin und her. Schließlich steckte er auch das Geld ein.

Dann nahm er zwei Schlüssel, die mit einer fransigen Schnur zusammengebunden am Türrahmen hingen, vom Nagel, ging hinaus und sperrte die Tür zu.


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