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XV.
Folgenschwere Unterhaltung

Ich möchte nur wissen,« sagte Mendone zu Fräulein Trondal, »was eigentlich aus diesem Menschen da geworden ist, diesem, wie nannte er sich doch, ich habe ihn nie wiedergesehen und nichts mehr von ihm gehört. Vielleicht haben sie ihn eingesperrt. Gewöhnlich ist es so, daß Menschen, die selbständige Gedanken haben, weil man sie sonst nirgends brauchen kann, ins Gefängnis kommen. Wenn er überhaupt noch lebt. Solche Menschen sind zwar oft zäher als man meint. Es ist ja nur die geistige Kraft, die das Leben festhält. Der Kranke hat keinen Willen. Sie wollen nicht gesund sein, das ist die Geschichte. Und nicht leben wollen, das ist der Tod!«

In Fräulein Eli war, nicht erst seit heute, ein diesem nicht unähnlicher Gedanke lebendig, um nicht zu sagen: lebendig begraben. Sie hatte ihn, in beinahe zwei Jahren, vielleicht einmal schüchtern angedeutet, vielleicht in einem Seufzer rätselhaft verraten und zugleich noch tiefer versteckt, aus einem Scherzwort lächeln, in einer grauen Regentagslaune melancholisch versickern oder auch in einem zornigen Auftritt toben und zappeln lassen, aber ihn nie klar und einfach ausgesprochen. Warum nicht? Was war das für ein geheimnisvoller Gedanke? Man schweigt manchmal lange, weil man weiß, daß es doch einmal heraus muß.

Sie hatte ihren Vater früh verloren, ihn nie gekannt, ihr Gatte und Vater zugleich war Mendone. Vorausgesetzt, daß diejenigen Gatten sind, die im Namen des Gottes der Liebe, durch gegenseitige Wertschätzung, Hingabe und Selbstlosigkeit einander gehören, durch jene Selbstaufopferung, die zu den denkbar angenehmsten Tugenden gehört, denn wer möchte sich da nicht verlieren, wo er sich sogleich wunderbar wiederfindet. Wenn das aber nicht genügt, nun dann fehlte nichts als die Lappalie, die kleine Äußerlichkeit der dummen amtlichen Bestätigung. Der Mensch kann ja bekanntlich ohne Geburtsschein nicht geboren werden und ohne Sterbeattest nicht sterben, wenn er auch noch so gerne möchte. Männer pflegt das zwar wenig zu kümmern. Sie sind selbstherrlich, jeder sein eigener König, den nichts hinderte, dem Weltall, sämtliche Kanzleien miteingerechnet, einen Nasenstüber zu geben, wenn das Weib nicht wäre. Die Frau aber denkt darüber anders. Sie ist Gesellschaftskörper, Bestandteil der Gemeinschaft, bindendes und verbindendes Element.

»Willst du den blauen Anzug auch mitnehmen?« fragte ste nach einer beträchtlichen Schweigepause.

Der Doktor hatte eigentlich ein Eingehen auf seine Frage nach Yatsuma erwartet. »Natürlich,« sagte er, »ich denke, es ist schon alles eingepackt?«

»Ich habe ihn schon eingepackt, ich wollte dich nur noch einmal fragen. Wir müssen heute früh schlafen gehen!« Wieder eine kleine Pause. Dann zirpte sie so nebenbei hin: »Darf ich wirklich nicht mit, Schnuck?«

»Es geht doch nicht!« Beschwichtigend und belehrend sagte er es, wie zu einem dreijährigen Kind, das mit auf den Maskenball oder auf die Naturforschertagung will. Als ob sie das nicht selbst und viel besser gewußt hätte, daß es »nicht geht«.

»Warum nicht? Das geht schon – dann mußt du mich eben heiraten!«

Bums, da war es heraus, und mit der Diplomatie war es wieder einmal vorbei.

Der Doktor zog die Uhr. »Hm, neun Uhr. Um acht Uhr fünfzig geht der Zug. Kann man sich am Fahrkartenschalter nicht trauen lassen?«

»Nein, Gilbert –«

»Schade, das würde die Sache wesentlich vereinfachen.«

»Nein, Gilbert, wir müssen wirklich einmal darüber reden!« Sie warf ihm beide Arme um den Hals wie ein Lasso.

Mendone konstatierte, daß die Sache anfing, dramatisch zu werden.

»Du mußt heute unbedingt um halb zehn zu Bett gehen!«

»Dazu muß ich doch nicht verheiratet sein!«

»Nein, Gilbert, du machst immer Witze, aber du mußt selber einmal daran denken, Bubi, wirklich! Du sagst, ich bin deine Frau – ich bin gar nichts! Wenn du sterben würdest, was ist dann?«

»Wer hat denn das wieder gesagt, daß ich sterben will? Das wäre doch eine kapitale Dummheit von mir, jetzt zu sterben, wo ich dich habe!«

»Ich bin immer allein, ich muß immer zu Hause bleiben, ich darf dich auf keine Reise begleiten, kann in keine Gesellschaft gehen, was habe ich eigentlich von meinem Leben –.« Tränenschwanger zitterte die halberstickte Stimme, wurde aber außerordentlich rasch wieder frei und kühn: »Ich will nicht! Ich will nicht als deine Geliebte angesehen werden, ich will Achtung haben! Eine Frau ist ganz anders geachtet, ich gebe jetzt nicht mehr nach, Gilbert! Du mußt endlich die Papiere besorgen!«

»Du verlangst zu viel, Purzelchen, du verlangst Überflüssiges, und das ist zu viel. Du bist meine Frau und damit basta. Was heißt Achtung? Achte ich dich vielleicht nicht? Was kümmern uns die Hinz und Kunz und Meier und Schulze? Ich will mir meinetwegen ein Bein amputieren lassen und es dir zum Geburtstag schenken, wenn du durchaus einen Beweis meiner Liebe und Achtung verlangst, aber die Behörden, diese Behörden, was habe ich armer Mann verbrochen, womit hätte ich das verdient, möchte ich wissen –«

»Du hast doch gar nichts damit zu tun, Schnuck, das besorge ich doch alles!«

»Rentamt, Standesamt,« mit komisch beschwörender Geste hob Mendone den Arm, »Standesamt, Paßamt, Polizei, das ist die Inquisition, die mittelalterliche Folterkammer der Neuzeit, die Herabsetzung, Entwürdigung des Menschen zum Aktenstück! Niemals werde ich mich dazu hergeben. Du bist meine Frau, wen geht das etwas an? Ob die ihren Stempel dazugeben, das ist doch mir egal! Was haben sich diese Leute um meine intimsten Privatangelegenheiten zu kümmern? Und zahlen soll ich die Sippschaft auch noch für ihre unerbetene Einmischung, das ist noch das Allerunglaublichste!«

Ein heißer Tränenstrom entlud sich bei diesem Gewitterdonner aus Elis großen, in trockenem Zustande wenigstens großen und schönen Augen. »Das kostet doch fast gar nichts!« fand sie die Geistesgegenwart, hinter feuchten Schleiern hervor zu bemerken. »Du hast es doch selbst gesagt: ›nicht verheiratet sein, das ist kein Leben!‹«

»Ich? Wann –?«

»Heute, heute Abend hast du's gesagt!«

»Ha – hahaha, hehe! Dummkopf, du! Nein, so was, was habe ich gesagt? Ich habe gesagt: nicht leben wollen, das ist der Tod!«

»Das ist doch dasselbe! Nicht heiraten wollen, ist auch der Tod!«

»Ha – hehe, ausgezeichnet! Wundervoll! Also höre mal, du Miniaturgenie, ich will dir etwas sagen. Selbstverständlich, Eli, habe ich nicht die geringste Absicht, dich in irgendeiner Weise zu benachteiligen, dir irgend etwas vorzuenthalten, was meiner Frau gebührt. Das liegt mir ferne. Sondern –«

Der Doktor holte etwas weiter aus und es wurde, Männer tun's nun einmal nicht anders, ein kleiner Vortrag daraus, nicht lang, nur einige kleine Abhandlungen über Liebe, Ehe und die dicht benachbarten Themen, wie freie Liebe, Freundschaft, Konkubinat, Kamerad, Geliebte, Gattin, Familie und über die Zeit. Daran anschließend ein kurzer historischer Rückblick auf die Wandlungen der Eheverhältnisse in den verschiedenen Kulturepochen, sowie eine Betrachtung der sozialen Prozesse, Umwälzungen und Erscheinungen der Gegenwart nebst Ausblick auf die Zukunft. Ich habe diese Darlegungen nicht wörtlich aufgeschrieben. Das kann man ja in jedem anderen der heutigen Romane alles ausführlich nachlesen.

Der Vortrag mit daran anschließender Diskussion muß indes nicht völlig resultatlos verlaufen sein, denn Mendone beschloß seine grundlegenden Ausführungen mit den Worten: »Nun ja, also gut, ich bin einverstanden. Meinetwegen.«

Und erhielt dafür ein Küßchen mit der Begleitmusik: »Mein lieber, kleiner Osterhas!«

Es war nämlich, wie aus dem vorigen Kapitel ersichtlich, schon März, und Ostern stand vor der Tür.

»Jetzt müssen wir –« unterbrach Eli den Kuß, der noch gar nicht richtig zu Ende war, »jetzt müssen wir aber ins Bett! Um Gotteswillen: halb zwei!«

»Das kommt davon, wenn man schon bald verheiratet ist! Das kann ja nett werden, na, ich danke!«

Desungeachtet fuhr Doktor Mendone, der, wie ich schon einmal erwähnt haben muß, ein Frühaufsteher war, pünktlich um acht Uhr fünfzig nach Breslau zum Ärztekongreß.


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