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XXXI.
Bin heute leider verhindert

Da er aus dem Krankenhause fortgelaufen war, ohne etwas abzuwarten, was mit einer Genesung eine entfernte Ähnlichkeit gehabt hätte, stellten sich bei Yatsuma alle ungeheilten Gebrechen wieder ein wie zudringliche, mit leeren Versprechungen hingehaltene Gläubiger. Das erste, was sich meldete, war, begünstigt von der Kälte, Nässe und den windigen Nächten, ein Darmkatarrh, der ihn so entkräftete, als wolle er ihn um jeden Preis innerhalb zwei Stunden umbringen. Sein Glück dabei war, daß er nichts im Magen hatte, was die Krankheit noch mehr zum Angriff reizen konnte. Aber es befand sich auch kein Energievorrat mehr in ihm, der ihrer Wut hätte widerstehen können. Er war wie ein leerer Tresor, dessen Besitzer sich, angewidert von der Raffgier seiner Nachbarn, hartnäckig darauf versteift, keine Kapitalien anzuhäufen. Er schleppte sich, zermürbt und unterhöhlt, noch ein wenig vorwärts, kroch noch ein bißchen und blieb schließlich sitzen, leer und eingeschrumpft wie eine brüchig gewordene Brieftasche. Die Sonne blinzelte schüchtern aus den Wolken und wärmte ihn ein ganz klein wenig. Wie einen erfrorenen Vogel, den ein Junge anhaucht, um ihn wieder lebendig zu machen.

Es schien, als höre er einen Gesang in der Nähe. Er hob den Kopf ein wenig und sah einen Trupp junger Menschen, Herren und Damen, Arm in Arm, singend und gitarrespielend näher kommen. Sie machten einen Mordsradau, an ihren Instrumenten flatterten buntseidene Bänder und ihre Kleider und der ganze Aufzug waren nicht weniger bunt und phantastisch. Yatsuma war nicht ganz sicher und auch uninteressiert, in welchem Erdteil er sich befand: Die Kostüme der jungen Damen besonders konnten ebensogut birmanisch wie malaiisch, maurisch oder mexikanisch sein.

Eigentümlich, dachte Yatsuma, der in dieser Zeit eine Periode hatte, wo ihm alle Menschen wie Menschen vorkamen, eigentümlich, daß man überall Menschen begegnet. Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß die Erde so dicht bevölkert ist. Es ist wohl noch nie so schwierig gewesen, allein zu bleiben, wie heute. Ein Glück, daß mich eine erhabene Aufgabe zu den Menschen führt, die das Peinliche solcher fortwährenden Begegnungen nicht aufkommen läßt. Sie könnten mir sonst manchmal wirklich recht lästig werden!

Als das Schwabinger Künstlervölkchen näher kam, hatte Yatsuma, der nun einmal normaler Vorstellungen nicht fähig ist, den Eindruck, als wären diese Leute trotz ihrer lauten Fröhlichkeit eigentlich recht traurige Menschen. Es war ihm so, als hätten sie in einem Buch nachgelesen, wie man lustig sein muß, und gäben sich nun vergeblich die größte Mühe. Gewohnt, jeden Tag einer anderen exotischen Merkwürdigkeit zu begegnen, wunderte er sich nicht über diese seltsamen Geschöpfe, aber sie taten ihm leid. Und er fand, daß es sich wohl lohnen würde, Menschen, die in einer so wichtigen, vor den tiefsten Erschütterungen und größten Umwälzungen stehenden Zeit einer falschen Fröhlichkeit huldigen, den richtigen Begriff von Zeit und Welt und damit eine echte Freude beizubringen.

Als die jungen Damen und Herren des Häufchen Elends ansichtig wurden, das da verwildert und hohlwangig wie der Tod von Holbein oder Goya am Wege saß, umdrängten sie die sonderbare Gestalt neugierig. Yatsuma erhob sich. Nicht ohne Anstrengung. Das Leibweh zog ihn zusammen wie einen getretenen Regenwurm.

»Verehrte fremdländische Damen und Herren! Es ist mir eine große Freude –«

Weiter kam er nicht, das Leibschneiden zwang ihn wie einen Bumerang gekrümmt auf den Meilenstein nieder. Die Künstler lachten. Dann schienen sie sich untereinander zu beraten. Ein eleganter junger Mensch mit langem Lockenhaar, einer mächtigen flatternden Krawatte und einem Filzhut, so groß wie ein Sonnenschirm, den sogar ich für einen mexikanischen gehalten hätte, schritt schließlich auf ihn zu.

»Hören Sie mal,« sagte er, »wir laden Sie ein, mit uns zu kommen. Sie sollen einen guten Tag haben! Haben Sie Lust dazu?«

Yatsuma stand wieder auf.

»Bin heute – leider verhindert –«

Mehr brachte er nicht heraus. Er hatte vielleicht sagen wollen: Ihnen meinen Vortrag zu halten oder dergleichen. Die Leute fanden diese Antwort noch komischer. Obwohl dieses erbarmungswürdige Bild der Hilflosigkeit eigentlich nicht zum Lachen war, konnten sie sich doch nicht halten und platzen laut heraus.

»Ich habe nämlich ein wenig Leibweh –« beendete Yatsuma später seinen Satz.

»Schade!« sagte eine der jungen Damen, ein hübsches schwarzes Mädchen in halb städtischer, halb oberbayrisch-ländlicher Tracht. »Es wäre sehr lustig gewesen! Da nehmen Sie am besten eine Taffe sehr heißen, schwarzen Tee, ohne Zucker! Auch Kakao in Wasser gekocht ist sehr gut. Die Hauptsache ist warm halten und diät leben!«

Yatsuma wollte sich bedanken, brachte aber vor Schmerzen kein Wort heraus und konnte sich auch nicht erheben, um sich zu verbeugen. Die Herrschaften entfernten sich. Der junge Künstler mit dem großen Hut legte, ohne die abwehrende Handbewegung Yatsumas zu beachten, ein Päckchen Geldscheine, die er ohne sie zu zählen aus der Brieftasche genommen, neben ihm auf den Boden und beschwerte sie mit einem Stein.

Ein schlechter Talisman –, dachte Yatsuma. Seine Schmerzen vermehrten sich. Schließlich stand er auf, biß die Zähne zusammen, legte das Bündel Geld in den Straßengraben und häufte ein wenig Erde darüber. Hierauf wurde ihm etwas leichter. Noch lange drangen, wenn sich der Wind regte, zerflatterte Töne des Gesanges der fernen Gesellschaft an sein Ohr.


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