Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VIII.
Geld regiert die Welt

Hältst du das für möglich,« sagte an einem dieser Abende Fräulein Eli zum Doktor, »daß ein Mensch ganz ohne Geld leben kann?«

»Wie sollte denn das möglich sein? Du denkst vielleicht an die Neger auf irgendeiner weltverschollenen Insel, auf der es kein Geld gibt? Eine solche verschollene Insel gibt es nicht mehr. Wo man unsere Einrichtungen noch nicht kennt, da wird man sie in den nächsten acht Tagen ganz bestimmt kennenlernen. Und wo es unser Geld noch nicht gibt, da gibt es dafür ein anderes, Muscheln, Korallen, Bernstein, Perlen, Schwefel, Tierzähne oder Kieselsteine, die da ebensoviel wert sind wie bei uns Goldstücke, Aktien und Pfandbriefe, wenn nicht mehr. Und wo man solches Geld nicht hat, da hat man wieder anderes zum Kaufen, Tauschen, Handeln und Schachern. Waren zum Beispiel, Früchte, Kokosnüsse, Nahrungsmittel, Tierfelle, Waffen, Trophäen, Herden, Sklaven, Weiber und dergleichen Kleinigkeiten.«

»Was, Kleinigkeiten!« Sie gab ihm einen Klaps. »Du Lausbub, was hast du gesagt?«

Der Doktor strahlte. Wenn seine Eli ihn mit Lausbub, Schlawiner, Affenpinscher, Zulukaffer und ähnlichen Ausdrucksformen hochprozentiger Zärtlichkeit bombardierte, dann grinste er vor Vergnügen übers ganze Gesicht, dann wußte er, daß sie in der allerbesten Laune war.

»Das alles untereinander auszutauschen wird sofort unausweichlich notwendig, wenn man nur ein einziges davon besitzen will. Das System beherrscht die ganze Erdkugel, von der Laub- oder Lehmhütte des Buschnegers bis zur Londoner City. Seinerzeit, als Adam und Eva noch allein auf der Welt waren, was ein beneidenswerter Zustand gewesen sein muß, da haben sie, das kannst du mir glauben, schon am ersten Tag einen kleinen Handel miteinander angefangen –«

»Ja? Wie denn?«

»Sehr einfach. Die Eva hat irgendwo einen eigentümlich blitzenden Stein gefunden. Gib mir den Stein, liebe Eva, sagte Adam, den kann ich gerade famos zu einer Lanzenspitze brauchen; du kriegst dafür die schönen roten und blauen Federn von dem Vogel, der da immer herumfliegt, vorausgesetzt, daß ich das Biest erwische, die kannst du dir ins Haar stecken, das ist jetzt modern – und das erste Geschäft auf Erden war abgeschlossen! Es ist, wie wir sehen, nicht bei dem einen geblieben.«

»Federhüte sind jetzt ganz unmodern«, meinte Eli nachdenklich. »Man trägt jetzt nur, denke dir, die große Sommermode sind Filzhüte! Findest du das nicht verrückt?«

Mendone lachte. »Möchtest du einen?«

»Du solltest dir jetzt wirklich einen ordentlichen weichen Hut kaufen, Gilbert! Diese Halbzylinder sind doch ganz unmodern, ich kann den Kübel nicht mehr sehen!«

»Bleiben wir bei der Sache, du schweifst ab, Eli!«

»Doch, ich möchte schon einen probieren. Ich glaube, sie stehen mir nicht übel!«

»Wir können ja morgen in die Stadt gehen, halt, nein, morgen geht es nicht!«

»Dann übermorgen, ja?«

»Gut. Du hast mich nicht ganz ausreden lassen –«

Sie klebte ihm als Abschlagszahlung für den neuen Hut ein kitzliches Küßchen auf den Backenbart: »Entschuldige, Schnuckel!«

»Der Gedanke ist überhaupt nicht ausdenkbar …«

»Welcher?«

»Europa, die ganzen fünf Erdteile können sich dem Gesetz des Handels nicht nur nicht entziehen, sondern sie haben überhaupt keinen anderen Daseinszweck mehr als kaufen und verkaufen, zahlen und nichtbezahlen, kreditieren und debitieren. Man verlangt vom Menschen bekanntlich, er soll essen, um leben zu können, nicht leben, um essen zu können. Wende das auf die Völker an, dann ist es so, daß sie früher einmal Handel getrieben haben, damit sie existieren konnten, während sie heute nur noch existieren, um Handel treiben zu können. Wie soll ein einziger Mensch aus diesem Netz entschlüpfen können? Die ganze Menschheit ist wie ein Zug zappelnder Heringe eingefangen. Wenn dieser hochedle Jazuma auch keine Münze und keinen Papierschein annimmt, wenn er auch, Gott sei Dank, kein Finanzgenie ist, wie schon jeder Kaufmannslehrling, er muß den Austausch mitmachen, oder er ist in drei Wochen eine Leiche. Wie der Hungerstreik, so läßt sich auch der Geldstreik nur sehr kurze Zeit durchführen. Freilich würde er mich wegen dieser Ansicht bitterlich verachten!«

»Du sollst nicht immer an diesen Menschen denken, Piepmatz!«

»Ich denke nicht immer an ihn, ich habe genug anderes zu denken. Aber schließlich, ob er normal oder verrückt ist, das ist ganz egal, normale Menschen haben noch nie etwas Besonderes geleistet. Den Kerl muß man gern haben. Er ist bewundernswert.«

»Doch, das ist er schon!«

Nachdenklich sagte sie es vor sich hin.

Dann legte sie den Arm um seinen Nacken. »Aber ich bin auch bewundernswert: ich habe von dem letzten Haushaltsgeld, das du mir gegeben hast, über vier Mark erspart! Das ist doch bewundernswert!«

»Du Dummkopf!« sagte er brummig zärtlich.

»Ist das nicht bewundernswert, sag'?«

»Doch! Du bist überhaupt in jeder Beziehung bewundernswert!«

Sie lehnte ihren Blondkopf an seine Schulter, als wollte sie ihre Augen verbergen. Die ein wenig traurig auf das Tischtuch starrten, auf dem noch das Geschirr vom Abendessen stand –


 << zurück weiter >>