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XXXIII.
Erholungspause

Nicht wegen der eigentümlichen Ähnlichkeit, welche die deutschen Jahreszeiten miteinander haben, verwechselte sie Yatsuma, denn wenn es im August in Haidhausen hagelt und in Schwabing schneit, so ist es deswegen noch lange nicht Winter. August bleibt immer August, und wer's nicht glaubt, der kann ja im Kalender nachsehen. Aber ob man im Dezember auf dem Balkon ein Sonnenbad nehmen kann oder in den Hundstagen den Pelzmantel aus dem Versatzamt holen muß, Yatsuma ist das alles gleich, er richtet sich nach nichts und niemand, bei ihm ist nun einmal ohne jede Ordnung und Reihenfolge einfach alle fünf Minuten eine andere Jahreszeit.

Einige ungestüm aufgezogene weiße Frühlingswolken hingen am Herbsthimmel, Abgeordnete des Winters, der hinter braunen Wäldern lauert. Auf Äcker und Fluren fiel eigentümliche Finsternis nieder. Noch probierte die Sonne, optimistisch, wie sie ist, ein dünnes Glitzern durch eine schadhafte Stelle des hastig zugewobenen Dunstschleiers – vergeblich, sie versank, gab es auf. Matt hingen die Äste im betrübten Schatten, aus dem Dach krochen Nebel, der Wind fuhr auf und zerrte die letzten grauen Blätter, die erschreckt zitterten.

Yatsuma wunderte sich, daß die Bäume noch kein Laub trugen. Er spürte ein schmerzhaftes Ziehen im Leib und ein dumpfes Surren im Kopf, das er, obwohl sein Hunger zu allen Jahreszeiten der gleiche war, auf den Frühling zurückführte. Er war, wie alle mageren Leute, ein starker Esser. An diesem Tag aber hatte er ausnahmsweise Pech: als er nämlich in einen Laden ging und wie gewöhnlich um etwas zu essen bat, kam ihm auf einmal ganz klar zu Bewußtsein, daß er bettelte. Es war ihm ungemein peinlich.

»Warum kommen Sie denn nicht früher?« sagte der Krämer. »Wir haben schon gegessen. Mögen Sie ein Stück Käse und ein Brot dazu?«

»Der Hungertyphus«, sagte Yatsuma, »ist schließlich auch nicht gerade förderlich, wenn man Pflichten und Aufgaben zu erfüllen hat! Wenn es nicht Frühling wäre, wäre es halb so schlimm.«

»Frühling? Den können wir jetzt nicht brauchen, mein lieber Mann! Wir sind froh, daß wir alles unter Dach haben! Es wird bald schneien!«

»Sollte ich mich geirrt haben?« sagte Yatsuma. »Ich habe mich früher auf meine Frostbeulen immer ziemlich gut verlassen können!«

»Ja, früher! Früher war das anders. Heute kann man sich überhaupt auf niemand mehr verlassen!«

Ein Landgendarm trat in den Laden und verlangte Zigarren. Der Krämer gab Yatsuma mit einem Blick zu verstehen, daß er sich davonmachen solle, und da er den Wink nicht verstand, zählte er Kleingeld auf den Tisch, als ob er ihm auf fünfzig Pfennig herausgeben würde: »So, das macht fünfzehn und fünf sind zwanzig und dreißig ist fünfzig. Stimmt's?«

»Nicht ganz,« verwahrte sich Yatsuma, »ich habe nichts gekauft und will mit Geld nichts zu tun haben –«

»Sondern Sie haben gebettelt!« unterbrach ihn der Gendarm.

»Es widerspricht meinen Prinzipien. Aber wenn der Mensch immer derjenige wäre, der er im Augenblick seiner besten Gedanken ist, dann wäre er ja fast vollkommen!«

»Nur nicht so viele Romane erzählen!« schnitt der Gendarm kurz ab. »Können Sie sich ausweisen?«

Yatsuma hätte gerne noch einige Sentenzen zum besten gegeben, aber plötzlich verdunkelte sich etwas in ihm. Sein Bewußtsein verwirrte sich. Er begriff nicht, was los war. Infolgedessen tat er, was er immer tut, er verbeugte sich graziös wie ein anerkannter Lyriker und ließ einige geschraubte Stilblüten vom Stapel:

»Seit ich mich an der Küste von Tschantabon befinde, bin ich noch niemand von den Eingeborenen begegnet. Ich freue mich darum, den Wünschen des siamesischen Fürsten dienen zu können!«

Der Krämer mußte lachen, der Beamte ärgerte sich, weil er sich verspottet glaubte. Yatsuma aber machte sich zufrieden mit ihm auf den Weg. Die gütige Vorsehung, die seinen Verstand umnachtete, verhüllte ihm die Schattenseiten des Lebens, ließ ihn nur das Schöne und Angenehme sehen und ersparte ihm Selbstvorwürfe und Gewissensqualen.

Ungemein erholungsbedürftig, wie er schon lange war, hatte er es nicht ungünstig getroffen, daß er sich nach Hinterindien begeben hatte; in diesem Lande herrschte im Gegensatz zur Mandschurei immerhin so viel Ordnung, daß man wenigstens ordentlich eingesperrt werden konnte.

»Es würde mich denn doch langsam sehr interessieren,« sagte Mendone an jenem Abend, »zu wissen, wo sich Herr Yatsuma augenblicklich befindet! Der Gluth läßt sich nicht blicken und nichts von sich hören. Er hat mir doch ganz bestimmt versprochen, mir Radierungen zu bringen. Wahrscheinlich hat er wieder alles vergessen. Er findet es viel amüsanter, die ganze Welt zu verfluchen, weil sie den Künstler verhungern läßt, als irgend etwas gegen seine Not zu unternehmen. Er ist halt ein Maler!«


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