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XLIX.
Ein Gefecht, oder Folgen der Inkonsequenz

Dann wieder rannte Yatsuma aus der Stadt hinaus oder wollte es wenigstens.

Auf welches Gestirn wird er sich wohl heute begeben? dachte Gluth. Hoffentlich nicht allzuweit. Womöglich muß ich abends zehn Kilometer weit nach Hause laufen!

Yatsuma sprach fast nie ein Wort. Nur nachts, wenn er fortgehen wollte, wurde er gesprächig. Dann erteilte er Gluth ein astronomisches Privatissimum, wobei es ihm freilich nicht darauf ankam, den nördlichen und südlichen Sternhimmel ein wenig durcheinanderzubringen. Bis Gluth, der sich manchmal mit einem gewissen träumenden Genuß in das seltsame Feuerwerk dieser krankschweifenden Phantasie versenkte, das Gespräch auf ein anderes Thema brachte.

Die normale Lebensweise und die regelmäßige Nahrung schienen Yatsuma übrigens schlecht zu bekommen. Gluth hatte den Eindruck, als würde er statt frischer und ausgeruhter von Tag zu Tag siecher und schlaffer. Mendone, mit dem er sich fast täglich telephonisch unterhielt, meinte, das sei eine Reaktionserscheinung. Nach den Entbehrungen und Überanstrengungen seines bisherigen Vegetierens befände er sich in einem Rekonvaleszentenstadium, das ihn vorläufig schwächen müsse. Wahrscheinlich werde er krank werden und einer schwierigen Krisis zutreiben.

Mir scheint, er treibt der Krisis schon zu! dachte Gluth, als er hinter ihm dreinging und beobachtete, wie er zwar komisch schwingend und schwebend, aber sehr langsam und geknickt dahinsackte. Es war auch recht heiß. Der Spätsommer bot alle seine Gluten auf, alles an einem Tag, damit es nicht so lang dauert, und verschwendete sein Feuer wie einer, der sein Ende ahnt, sich vorher die Adern öffnet. Vielleicht wollte er sich für den miesen Sommer ein wenig revanchieren.

Und richtig, nachdem Yatsuma zwischen Neufreimann und dem nördlichen Friedhof einige hundert Meter querfeldein gestolpert war, legte er sich auf einmal nieder wie ein angeschossener Hase. Es war eine gemähte Wiese, das Heu war in Schobern aufgeschichtet. Auch Gluth ließ sich nieder, zog sein Skizzenbuch heraus und blinzelte in die flimmernde Gegend. Nicht lange, da sah er, daß Yatsuma wieder aufgestanden war und sich mit einem Knüttel, den er gefunden haben mußte, in kampfbereiter Haltung vor einem der Heumännchen aufpflanzte. Hatte er schlecht geträumt, oder glaubte er sich wieder von Marsbewohnern umgeben und belästigt oder angegriffen? Gluth hörte: »Was wollte ihr?«, »Was habe ich dir getan?« und ähnliche mehr ängstliche als zornige Ausrufe. Plötzlich versetzte Yatsuma dem Heumännchen einen Fußtritt, daß es umfiel, stürzte sich wütend auf die übrigen wie eine Schar drohender Angreifer im Kreise stehenden, packte sie, riß die Pfähle aus dem Boden und hieb mit seinem Knüppel fürchterlich auf sie ein. Wie der Blitz drehte er sich um sich selbst, seine Hiebe nach allen Seiten austeilend, immer schneller und rasender, die Heumänner stürzten um, der Staub flog, das Heu wirbelte in Fetzen durch die Luft, er schlug und schlug und stampfte mit den Füßen auf dem verstreuten Heu herum, immerfort drohende Worte ausstoßend.

Gluth erschrak. Die Krise beginnt! dachte er. Anscheinend ein Tobsuchtsanfall! Wenn er es nur auf die Heumännchen abgesehen hat, dann geht es ja noch. Rasch nahm er den Stift, um einige interessante und charakteristische Bewegungen festzuhalten.

Yatsuma hätte wahrscheinlich das ganze Feld in Grund und Boden getreten und geschlagen, wäre er in dieser sonderbaren Beschäftigung nicht plötzlich unliebsam unterbrochen worden: durch einen furchtbaren Faustschlag, der ihn von hinten auf den Kopf traf. Er taumelte zwanzig Schritte weit, ließ den Stock fahren, stürzte zu Boden, raffte sich wieder auf und sprang hierhin und dorthin, aber der Bauer, der zum Heueinfahren auf das Feld gekommen war, traf ihn immer dicht hinterdrein mit seinem Knüppel wo er ging und sprang, bis Yatsuma liegenblieb wie ein von Sonntagsausflüglern verfolgter, halb totgeschlagener Frosch. Jetzt aber bearbeitete er ihn erst recht und so gewaltig, als wollte er alle gangbaren Sorten Getreide aus ihm herausdreschen.

Das war alles so schnell und lautlos gegangen, daß Gluth, in sein Skizzieren vertieft, vielleicht überhaupt nichts davon bemerkt hätte, wäre er nicht durch Yatsumas jämmerliche Weh- und Schmerzensschreie aufmerksam geworden. Er rannte hin.

»Halt!« rief er. »Hören Sie doch endlich auf, Sie Unmensch! Sie bringen ihn ja um!«

Der Bauer, zu sehr beschäftigt, hörte nicht gleich. Dann, als er Gluth bemerkte, schien er nicht übel gesonnen, auch ihm seinen Knüppel fühlen zu lassen.

»Noch so einer! Umbringen soll man die Hundskerl'! Macht daß ihr hinauskommt aus meinem Feld! Trollt euch, bevor mich die Wut anpackt!«

»Nur langsam!« sagte Gluth und ging entschlossen auf den Wüterich zu. »Ich glaube, es reicht, es ist genug, was? Euch stinkige Mistgabelhengste fürchtet ein anständiger Mensch noch lange nicht! Du wirft wohl nicht verhungern wegen deines Heus! Gefressen hat er's nicht, er hat's nur gedroschen und dafür, daß er das Heu nicht vom Hafer unterscheiden kann, kann er nicht, sein Hirn ist kein Strohschuppen wie deins! Es gibt doch in der ganzen Welt nichts Hungrigeres und Gewalttätigeres als wie einen Bauern! Andere Menschen müssen auch Schaden leiden ihr ganzes Leben lang, und dürfen deswegen noch lange keinen Mord auf sich laden!«

»Mord, ja Mord!« sagte der Bauer. »Verdient hätt' er's, daß ich ihn erschlagen hätt', der Mistfink! Was braucht der mein Heu kaputtmachen und auseinanderstreuen, wenn ich einfahren will, der Haderlump! Geht man so mit der Sach' um heutzutag, aus lauter Übermut?«

Gluth ließ ihn stehen und sah sich nach Yatsuma um, der ziemlich leblos am Boden lag und aus einigen Wunden am Kopf und im Gesicht stark blutete, half ihm auf die Beine und trug ihn halb davon, gegen den Schwabinger Bach zu, der unweit von dieser Stelle am Wiesenrand fließt. Dort legte er ihn nieder, tränkte sein Taschentuch im Wasser, wusch ihn ab und legte ihm das feuchte Tuch, es von Zeit zu Zeit erneuernd, auf den Kopf, der schrecklich zugerichtet war.

Yatsuma war ein sanftmütiger Charakter und aller Gewalttat abgeneigt. Er selbst hat den Grundsatz aufgestellt, daß man sich nicht wehren soll außer mit Weisheit und nicht kämpfen außer mit der Vernunft. Aber es scheint, daß sogar in einem Menschen, der die Nachgiebigkeit und Geduld selbst ist, noch eine Art grausamen Übermutes steckt, der irgendwann ganz unversehens explodiert. Wie hätte er sich sonst soweit vergessen, wie hätte ihn seine geheimnisvolle Gabe, unter jämmerlichen Umständen heiter und froh zu sein, an diesem Tage so gänzlich im Stich lassen können?

»Was war denn das?« fragte Gluth später, als er glaubte, Yatsuma sei langsam soweit, daß er Antwort geben könne.

Er bewegte mühsam die geschwollenen Lippen:

»Man muß sich mutig und unerschrocken zeigen und verteidigen,« murmelte er, »wenn man von niedrig, böshaften Geistern angegriffen wird, und den Kampf bis zur gegenseitigen Vernichtung führen! Nur unreines Gewissen und ordinäre Gesinnung sind feige und lahm!«

Eine ganz neue Ansicht! Gluth wurde nicht recht klug daraus. Er beschloß, Mendone zu fragen, den er sowieso für den Abend zu sich geladen hatte. Und es war ihm ganz recht, daß Yatsuma den ganzen Tag regungslos auf einem Fleck liegenblieb, er wartete gern bis zum Einbruch der Dämmerung, um der lästigen Straßenjugend zu entgehen und weniger Aussehen zu erregen. Er hatte alle Mühe, ihn wieder auf die Beine zu bringen. Wahrscheinlich waren seine Glieder so verschwollen, daß es jetzt bedeutend schwieriger und schmerzhafter war, sie zu bewegen, als gleich nach dem Unfall. Nicht nur, daß er nicht allein stehen konnte, er war so hinfällig, daß es Gluth schien, als würde er wohl überhaupt nicht mehr sehr lange auf den Beinen stehen. Er mußte ihn stützen, führen, heben und halten und immer wieder von Zeit zu Zeit Rast machen.

Als sie nach Hause kamen, schritt Mendone schon unruhig vor der Haustür auf und ab.


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