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IX.
Idyll auf Huahine

Yatsuma war inzwischen nicht untätig geblieben. Er hatte über manches nachgedacht, also eigentlich die vernünftigste menschliche Tätigkeit ausgeübt, und nicht nur das, sondern seinen Gedanken auch da und dort beredten Ausdruck verliehen. Das hätte eigentlich genügt. Wenigstens wäre es an sich nicht nötig gewesen, daß er sich deswegen eigens bis nach Huahine begab, wohin wir ihm wohl oder übel folgen müssen, wenn wir ihn wiederfinden wollen. Genauer gesagt in der Gegend der Garchinger Heide, die zwar ziemlich flach und einförmig aussieht. Allerdings sind in der Nähe der Isar ziemlich viele Altwasserlachen, Pfützen und kleine Inseln. Genau wie im Tahiti-Archipel.

»Sieh mal, Ayma,« sagte er zu einem umgestürzten Baumstamm neben ihm, »wie weit, wie weit liegen die Fabriken und Kaufhäuser der zivilisierten Welt hinter uns!«

»Was ist das, Fabriken?« fragte das Maorimädchen.

»Wie soll ich das sagen können, wenn ich über das paradiesische Blau dieses Meeres und seinen reinen Himmel blicke!« antwortete Yatsuma. »Wo der Gegenstand fehlt, fehlt das Wort und darum kennst du ihn nicht. Weit hinter diesem glücklichen Wasser sind die Menschen in steinerne Häuser eingesperrt. Sie hausen und grausen in Zimmern, Winkeln, Sälen und Kanzleien; in Läden und Gewölben; in Kellern, Speichern, Mauern, Gefängnissen, Verschlägen und Löchern; in Lagerhäusern, Laboratorien, Werften, Maschinenhallen, Werkstätten und Kohlenstollen; in Schächten und Nächten, Stuben und Gruben. Sie wissen nichts vom Sonnenwunder. Sie wissen nichts vom Prangen der Erde, die wie ein geschliffener Stein bei jeder Drehung in anderen Farben und Lichtern blitzt. Hier leuchtet ja die Sonne noch! Hier fügt sich noch eine goldene Stunde an die andere, reiht die Tage wie Perlen auf der Schnur der Zeit aneinander wie einen Schmuck der Ewigkeit. Ihr ahnt noch nicht, wo und wie das Himmelslicht schon lange erloschen ist, und daß der Tag nicht fern ist, an dem sein Schein kein menschliches Auge mehr freuen wird. Der Planet und sein himmlische Königin stehen euch noch in der Blüte der Jahre. Eure Erde ist noch eine Jungfrau, vor wenigen unzählbaren Jahrmillionen geboren und noch so unberührt wie am ersten Tag. Aber dort, hinter den Wassern ist die Natur ihrer unschuldigen Frische beraubt. Dort ist der Mensch ein eingetrockneter Bach und nur einige Gedankenpfützen blinken in seinen dürren Ufern. Dort haben die Menschen kein Rückgrat mehr. Ehe der Sekundenzeiger ihrer Zeitmaschine, die sie in der Tasche tragen, zweimal tickt, knicken sie dreimal um. Dort wächst nichts auf Bäumen und Feldern, denn alles was du siehst, gehört immer den anderen. Hier ist die Natur, das Unwegsame, Glückliche und Bleibende. Aber dort ist das Gefällige, Wertlose und Vergängliche. Hier ist der Anfang, dort das Ende, hier die ewige Geburt, dort das ewige Sterben. Das ist die Fabrik!«

Nachdenklich und lässig träumerisch stand er da. Es war, er fühlte es selbst, ein ergreifender Anblick. Von seinen eigenen Worten begeistert blickte er ins Weite, wie einer, der photographiert wird. Ein schwermütiger Ausdruck umspielte seinen Mund, als ob er Migräne oder Zahnweh hätte. Dann aber blickten seine hellen Augen entschlossen und klar. Und er sagte noch:

»Wo die Linie dieser goldenen Flut in den Himmel verschwimmt, wird eines Morgens ein leichter Schatten auftauchen. Eure geraden Augen, die ungebrochen durch die Sonnenglut schauen, werden ein kleines blaues Wölkchen sehen, nicht größer als ein opalener Fingernagel deiner kleinen Hand. Größer und größer wird der gespenstische Rauch werden und um die Stunde der höchsten Sonnenbahn liegt eine ungeheure Maschine vor eurer stillen Bucht, lärmende Menschen, Bankiers und Spekulanten, Kommis und Sekretäre, Prokuristen und Rennstallbesitzer schwimmen an Land und bringen ihr Geld und ihre Sorgen, ihr Elend und ihre photographischen Platten, ihre Rentabilitätsberechnungen und ihre falschen Gebisse solange zu euch, bis ihr ihnen gleich geworden seid und euer Glück verloren habt wie einen Traum. Aber sei nicht traurig, Ayma! Darum bin ich gekommen, daß ich der verdunkelten Sonne helfe in ihrem Kampf gegen die irdische Finsternis! Darum sollst du nicht betrübt sein, Mädchen, daß ich dich verlassen muß, sondern über meinen Weg frohlocken und über mein Ziel jubeln und lachen!«

Yatsuma entfernte sich, und das Mädchen begleitete ihn. Sie schritten am Ufer der Bucht entlang und freuten sich über das schnatternde Volk der Reihervögel, Emus und Pelikane, das sie neugierig betrachtete, und über das geheimnisvolle Schauspiel der brandenden Bewegung des Wassers. Stromaufwärts wandernd, um vor dem raschen Einfall der tropischen Nacht ein Nachtlager zu finden, erblickten sie ein von Grasbäumen, Mimosen, Orchideen und Schlingpflanzen überwuchertes, natürliches Zelt, das schattig zum Verweilen einlud. Sie hatten sich aber kaum auf den schwankenden Boden gebettet und das Mädchen freute sich schon, während es den scharf süßlichen Geruch der narkotischen Blumen einatmete, die in allen romantischen Reisebeschreibungen vorkommen, als Yatsuma spürte, wie ein Skorpion auf sein Gesicht sprang, ein abscheuliches Tier, genau so groß, wie es im Kemptener astrologischen Kalender abgebildet war. Hastig fuhr er sich an die Nase, das unheimliche Insekt wegzureißen, erwachte und blickte um sich. Von einem Skorpion war nichts zu sehen. Eine gewöhnliche deutsche Wiesenfliege, weiß der Himmel, wo sie zu dieser kalten Jahreszeit schon hergekommen war, saß auf seinem Knie und scheuerte die regenbogenfarbigen Flügel aneinander wie jemand, der sich vergnügt die Hände reibt.

Yatsuma, als er merkte, daß er geträumt hatte, erhob sich. Nicht ohne Anstrengung. Seine Glieder waren steif wie gefrorenes Holz, wie ein Regierungsbeamter. Und sich an den Baumstamm wendend, den er vorher für eine Südseeschönheit gehalten, rief er zornig:

»Donner und Doria! Warum weckst du mich nicht, du alberner Dampfzylinder! Hast du noch nicht bemerkt, daß ein Wort von mir wichtiger ist als deine zehntausend Umdrehungen in einer Minute? Da läßt er mich Kinderträumen nachhängen, während die kostbare Zeit verrinnt, als wäre ich ein Verdiener, der außer dem Geld weiter nichts versäumt und also noch weniger als nichts! Muß ich nicht die ganze zerstörte Welt einrichten und ihre ganze Einrichtung zerstören? Oder glaubt ihr vollkommen zu sein, weil ihr euch gegenseitig radiotelegraphisch eure ausgezeichnete Langeweile versichert? Telephonisch nach dem Befinden der Hühneraugen der Frau Oberregierungsrat erkundigt? Mit der Eisenbahn von einem Ort an einen anderen fährt, der gar kein anderer ist, seit man hinfahren kann, sondern genau derselbe? Und durch das Radio aus der fernsten Ferne hört, was ihr in der nächsten Nähe nicht versteht? Was nützt eine Welt, in der die wohltuende Nacht mit elektrischem Licht getötet wird, solange der Größenwahn, die Schandtaten und Verbrechen des Menschen den hellen Tag verfinstern? In der man Schreib- und Druckmaschinen erfunden hat, damit alles, was ungeschrieben bleiben soll, gedruckt werden kann? Wo die Vergangenheit im Museum aufgespeichert liegt wie der Staub im Hirn, und die Zukunft ein Biergespräch pensionsberechtigter Postbeamter ist? In der die Medizin ungeheure Fortschritte macht, um dem ungeheuren Fortschritt der Krankheiten auf den Fersen zu bleiben? In der die Befruchtung der Erde ein Handgriff an der Säemaschine ist und die menschliche Zeugung ein bezahlter Zeitvertreib und ein Fluchtverbot der Not? Schreit nur ach und weh, ihr gutverzinsten Totgeburten, ihr kitschigen Grabsteine mit goldenen Buchstaben, ihr Seelen mit den Goldplomben! Die Wandlung und Erneuerung der Welt geschieht mit und ohne euch! Ich rühre keinen Finger, ich krümme euch kein Haar auf den Zähnen, habt nur keine Angst, ihr Versicherungsagenten und Fußballspieler, ich tue euch nichts – ich sehe nur den Wert ewig bestehen und das Wertlose zugrunde gehen!«

Voll der Genugtuung, daß er der Menschheit einmal wieder ordentlich Die Meinung gesagt hatte, ging Yatsuma seines Weges.


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