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XVII.
Der madagassische Großwürdenträger

Yatsuma fiel auf, daß die fremdländischen Zonen, die er durchreiste, manchmal Ähnlichkeit hatten mit gewissen Örtlichkeiten seiner Heimat. Zuweilen schien es ihm fast, als ob ihm die Straßennamen und was er sonst irgendwo las, bekannt vorkämen. Darum blieb er in dieser Zeit, ich weiß den Ort nicht mehr genau, wo er war, jedenfalls sehr weit von hier, vor einem Wegweiser stehen und las die von einem schlichten Bauernmaler auf das ungehobelte Brettchen gepinselten Buchstaben. Dabei berührte ihn jemand am Arm, und als er sich umdrehte, war es ein Gendarm, der ihn fragte, wo er herkomme. Es war ein auf seine Weise gemütlicher Alter, der sich über die rätselhaften Redensarten Yatsumas nicht weiter aufregte.

»Kommens jetzt nur mit,« sagte er, »Papier oder Geld hams ja doch keins, das seh ich schon.«

Yatsuma kam aber auch so zerfasert und zerlempert, so ausgeplündert und entblößt von aller irdischen Habe daher, als käme er schnurstracks aus dem Geldverleihgeschäft eines jüdischen, oder auch, was nicht sehr viel schlimmer ist, christlichen Wucherers.

»Wie ich sehe,« sagte er, »ist die Papierwirtschaft über alle Teile der Erde verbreitet wie eine unausrottbare Pest; wie das Kino, das Radio, das Parlament und das Billardspiel. Ich bin ein fanatischer Gegner dieser Einrichtungen und stehe nicht an, meine Meinung in Madagaskar so frei auszusprechen wie auf den Sandwichinseln. Wie heißen Sie, wo wohnen Sie, was ist Ihr Beruf? Das ist alles, was man wissen will. Wenn man mich doch fragen würde, wer ich bin, da könnte ich ihnen schon einiges sagen. Fragen ist dumm und taktlos; es sollte abgeschafft werden. Wer Augen, Ohren und eine Nase hat, der sieht, hört und riecht, wen er vor sich hat. Haben Sie schon einmal jemand ein Pferd fragen hören, ob es eine Kuh sei? Und doch erlebt man jeden Tag, daß ein Astronom gefragt wird, ob er eine Zigarrenhandlung habe, oder daß ein feuersicherer Geldschrank für einen Kunstmaler gehalten wird, so miserable, verderbte Sinne haben die Menschen und so sehr sehen sie einander ähnlich. Neulich hat mich jemand gefragt, für welche Firma ich reise! Es ist, als hätte der Mensch Vernunft, Witz, Geist und Empfindung nur, damit er sich durch den Gebrauch dieser Gaben, mit denen er sich turmhoch über alle anderen Tiere erheben könnte, unter das Tier herabbegeben kann. Habe ich nicht auf den ersten Blick gesehen, daß ich in Ihnen einen madagassischen Gesandten vor mir habe? Und habe ich Sie, entschuldigen Sie, Baron, habe ich Sie etwa nach Ihrem Geburtsdatum gefragt oder nach Ihrer Halsweite, oder verlangt, daß Sie diese Ziffern schwarz auf weiß bei sich in der Tasche tragen sollen? Gewiß, ich verstehe, daß man sich für das Wesen des Menschen interessiert, und, wenn das Riechorgan schlecht funktioniert, auch einmal eine vorsichtige und zurückhaltende Frage erlaubt, unter entsprechender Entschuldigung versteht sich. Aber zu fragen, in welcher Straße man wohnt und welchen Mädchennamen die Großmutter gehabt hat, ist der Gipfel hilfloser Geistesverlassenheit! Menschen, die das tun, sollte man wegen allgemeinschädlicher Dummheit in Isolierbaracken sperren wie die Cholerakranken, damit sie die wenigen anderen, die noch etwas Vernunft bewahrt haben, wenigstens nicht auch noch anstecken können. Dieses ist meine Ansicht, Herr Graf. Trotzdem, und darum sage ich es nur, verehrter Herr Abgesandter, ist es mir leid, wenn ich einem Beamten weder schriftlich noch mündlich antworten kann. Schon oft wünschte ich mir dann, solche bedruckte Papiere zu besitzen, welche die aufgezogenen Leichname unserer Zeit brauchen, um zu begreifen, daß der vor ihnen steht, ein Mensch ist. Und weil es bei dem fortwährenden raschen Ortswechsel, wie ihn meine Reise mit sich bringt, schon technisch unmöglich wäre, überall die geeigneten Papiere, Stempel, Unterschriften und Daseinsmöglichkeiten zu beschaffen, so wünsche ich mir jedesmal, sie möchten mir aus der Luft herunter zufliegen, nur damit diese armen geplagten Registratoren, Volkszähler und Aktenstellagen nicht so viele Umstände und Ärger haben!«

»Ja, das glaube ich!« sagte der Gendarm lachend. »Und gebratene Hühner dazu? Ist es Ihnen jetzt vielleicht eingefallen, woher Sie kommen?«

»Ich habe schon früher darüber nachgedacht,« sagte Yatsuma, »ich erinnere mich einer reizvollen Landschaft mit sonderbar geformten, vulkanischen Hügeln, schattigen Tälern und endlosen, von Schlingpflanzen, Fächerpalmen, Farnen und undurchdringlichem Gestrüpp verwachsenen Wäldern. Der Himmel brannte in orangefarbigem Feuer, die Ebene färbte sich violett, aus den gelben Wassern krochen schwarze Sandriffe. Sonst ist mir niemand begegnet und so hätte ich auch nicht fragen können, wie die Gegend heißt. Die Landschaft trug eher vorderindischen oder malaiischen Charakter, so daß anzunehmen ist, daß ich mich schon länger auf Madagaskar befinde. Einer größeren Ansiedlung bin ich nicht begegnet, werde aber wohl nicht fehlgehen, wenn ich annehme, daß Sie mich einer solchen zuführen. Möglicherweise der Hauptstadt Antananarivo, wie? Nun wir werden ja sehen. Eben demnächst, als ich auf der Ortstafel, vor welcher wir uns begegneten, den Namen (wenn ich mich recht erinnere) Feldmoching las, fiel mir auf, daß die Ortsnamen im Ausland oft denen in meiner europäischen Heimat sehr ähnlich sind. Das kommt, wie jedermann weiß, daher, daß die Auswanderer und Goldsucher ihre Siedelungen, Dörfer und Städtegründungen aus Anhänglichkeit an die Heimat mit Vorliebe auf den Namen eines Heimatortes oder eines berühmten Landsmannes taufen, als wollten sie damit ihr Vaterland oder seine Persönlichkeiten erneuern, was freilich eine riesige Arbeit ist, aber immer noch leichter, als wie zu Hause. In den Vereinigten Staaten zum Beispiel gibt es ein Manchester, ein Dover, ein Neu-London, New York und Syrakus, in Minnesota sah ich ein Neu-Ulm, in Iowa ein Madrid, in Indiania ein Frankfurt, in Ohio ein Sidney, Toledo, Hamilton und Columbus, in Missouri kam ich in eine Stadt, die Bismarck und in Arkansas in eine, die Napoleon heißt. In Tennessee fand ich mich plötzlich in Paris und Memphis wieder, in Virginia betrat ich Petersburg. In Britisch-Guayana kam ich nach Neu-Amsterdam, in Brasilien nach Nazareth, Neu-Mecklenburg fand ich in Ozeanien und Neu-Pommern in Neu-Guinea. Die Beispiele ließen sich ins Endlose fortsetzen!« schloß Yatsuma seine Aufzählung, die auch nicht von schlechten Eltern war.

»Großartig,« schmunzelte der Gendarm und schüttelte sein bemoostes Haupt, »großartig, was so einem Spitzbuben alles einfällt! Man möcht's nicht glauben!«

Unterdessen waren sie an eine Ansiedelung, will sagen in ein kleines Dorf gekommen. Da sich in dem abgelegenen Ort keine Behörde befand und der Tag zu Ende ging, führte der alte Wachtmeister den Häftling in einen provisorischen Arrest, der im Feuerwehrhäuschen eingerichtet war. Er fragte ihn, was er zu essen haben wolle, ob ihm eine Suppe lieber sei oder ein Stück Wurst. Yatsuma versicherte mit der Liebenswürdigkeit des vielgereisten Mannes, daß er nicht den geringsten Appetit habe und bat, man möge sich keine Umstände machen. Selbstverständlich füge er sich in allem gerne den Anordnungen des Gastgebers.

Als der Alte zurückkam, mit einer Schüssel, in der außer der Suppe auch noch ein Stück Wurst schwamm, was er ihm mit barschen Worten vorsetzte, stürzte sich Yatsuma mit einer dermaßen wolfsartigen Heißgier darüber her, daß der Alte sich umdrehen und wegschauen mußte. Yatsuma fand, daß die Suppe wie Gänsebraten schmecke und das Brot wie Vanillepudding.

Die Schlafgelegenheit war wohl etwas primitiv, was in Madagaskar nicht wundernehmen kann. Sie bestand aus einem Strohsack, den ein Bauernbursche hinter der Feuerspritze auf den Boden warf.

Yatsuma blieb nicht viel Zeit zu betrachtender Kritik übrig. Kaum hatte sein Astralleib die horizontale Lage wahrgenommen, da verlor er auch schon das Bewußtsein völlig und fiel abgrundtief in einen todesähnlichen Schlaf, in dem er, ohne die Körperlage ein einziges Mal zu verändern, verharrte, bis ihn der Wachtmeister um fünf Uhr morgens mit zwar freundschaftlichen Püffen, aber immerhin weckte. Es duftete auch bereits nach Andreas Hofers Feigenkaffee aus einer blechernen Schüssel, die auf dem Trittbrett des Spritzenwagens stand. Der Kaffee schmeckte nach fremdländischen Früchten.

An diesem Tag nämlich ließ der Großwürdenträger von Antananarivo Yatsuma eine andere Wohnung anweisen: er wurde in die Polizeistation der nächsten Ortschaft überführt. Sogleich nach dem Frühstück machte man sich auf den Marsch. Die Residenz des Hovashäuptlings, ich wollte sagen die Gendarmeriestation, war ein graues Gebäude, das in den rauhen Aprilmorgen hineinsah wie drei Wochen Regenwetter und in dem auch keine Menschenseele residierte, der Amtsrichter ausgenommen, da sich außer der Polizeiwache gleichzeitig das Amtsgericht, bestehend aus zwei staubigen Schreibstuben und einem ebenso muffigen Sitzungssaal, in demselben befand. Als sie in die Gerichtsschreiberei eintraten, wo der Gendarm den Schlüssel für die Haftzelle holen wollte, sah Yatsuma einen kleinen, dicken, ernstaussehenden Herrn mit dunklem Bart, Zwicker und Gummikragen (es kann aber auch Dauerwäsche gewesen sein), vertieft in eine Zeitung kleineren Formats vor einem gelben Pult sitzen. Da er nicht zweifelte, daß dieser Herr, seiner unbeweglichen Würde nach der madagassische Großwürdenträger sei, verbeugte sich Yatsuma so tief, als es seinem ausgemergelten Leib möglich war, ohne daß er das Gleichgewicht verlor. Der fremde Fürst verwandte jedoch kein Auge von seiner Druckschrift, mögen es nun die Prozeßordnungsvorschriften letzten Datums oder die Regierungsverfügungen oder der Moosacher Anzeiger gewesen sein. Ohne seine strenge Miene und düstere Blickrichtung zu verändern, fragte er den Wachtmeister nur: »Wen haben Sie da?«

»Er hat keine Papiere, Herr Oberamtsrichter!« lautete die Antwort.

Damit war die Audienz beendet.

Yatsuma tröstete sich indes und hoffte, daß sich späterhin noch eine Gelegenheit zu längerem Empfang und ausführlicher Unterhaltung ergeben werde.

Der Schlüssel war natürlich wieder einmal nicht zu finden, also wurde Yatsuma vorläufig in die Wachtstube gebracht. Er war immer noch so matt, daß er sogleich wie ein vom Herzschlag Getroffener auf die Holzpritsche hinsank. Für den Schlaf, der ihn trotz der frühen Stunde innerhalb zwei Sekunden wie eine Chloroformnarkose hinwegraffte, hätte ihm ein reicher Neurastheniker ohne Wimperzucken tausend Mark bar auf den Tisch gelegt.


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