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XXV.
Maler Gluth

Ich finde,« sagte Mendone um diese Zeit, »daß mich der Verfasser dieser Schwabinger Robinsonade, in letzter Zeit zu sehr vernachlässigt. So sehr ich mich über alles freue, was mir über die Hauptperson dieser Geschichte zu Ohren kommt, aber dem Interesse nach, das ich an dem Helden nehme, hätte er mich schon längst einmal wieder persönlich bringen müssen, und nicht erst im fünfundzwanzigsten Kapitel!«

Eli glaubte, er rede von einer der medizinischen Zeitschriften, die vor ihm lagen und in denen sein Name öfters erwähnt war.

»Du sollst abends nicht lesen, Gilbert!« sagte sie. »Erstens ist es nicht gut für deine Augen, du steckst sowieso den ganzen Tag in deinen Büchern, und dann könntest du auch einmal eine Minute für mich übrig haben, du Bücherwurm!«

Er legte die ersten vierundzwanzig Kapitel, die ich ihm damals zur Durchsicht geliehen hatte, weg, wenn auch ungern, und ergriff ihre Hand. »Übrigens,« fiel ihm auf einmal ein, »daß ich nicht vergesse: heute abend kommt Herr Gluth!«

»Der verrückte Maler, der Unglücksrabe? Ach Gott, was der mir schon Tassen zerschlagen hat! Nein, er ist ein ganz netter Mensch. Ich mag ihn ganz gerne. O je – und ich dachte, wir gehen heute mal besonders früh zu Bett, wir haben ja die ganze Woche noch nicht ausgeschlafen! Jedesmal, wenn wir schlafen gehen wollen, dann kommt aber bestimmt Herr Gluth, aber jedesmal! Jetzt sind die Geschäfte schon geschlossen –« Sie zupfte den Doktor am Ohr, »habe ich dir nicht gesagt, du sollst mir das immer rechtzeitig sagen, wenn Besuch kommt, du Schlawiner! Ich habe nicht ein Stückchen Kuchen im Hause!«

Der Doktor strahlte. Seine kleine Eli war ausgezeichneter Laune, das Barometer ihres Einvernehmens stand auf schön Wetter.

»Sehr viel früher konnte ich es dir nicht sagen, Liebchen. Ich traf ihn auf dem Nachhauseweg und konnte nicht gut nein sagen.«

»Hoffentlich kommt er nicht wieder so spät! Ihr sollt nicht immer die ganze Nacht zusammensitzen! Neulich habe ich achtmal Tee gebraut, acht Kannen Tee habt ihr gesoffen, ihr Bohémiängs!«

»Bohémiens heißt es,« demonstrierte er, »iens, Nasallaut, iens!«

»Jäng – iäng –« probierte sie.

»Übrigens kannst du doch aufbleiben. Es ist doch ganz interessant, mal wieder einen anderen Menschen zu sehen. Mal etwas anderes als die ewige Medizin!«

»Ihr fangt ja doch wieder zu fachsimpeln an!«

»Ich habe ihm schon gesagt, er darf nicht so spät kommen, weil ich schon weiß – na, wenigstens wissen wir heute, daß er kommt. Weißt du überhaupt, wie ich den Gluth kennen gelernt habe? Dadurch, daß er auf dem Rasen da vorne auf dem Bauch gelegen hat. Ich habe sonst nicht die Gewohnheit, die Maler durch Zuschauen zu irritieren. Ich möchte auch nicht haben, das man mir bei meinen Operationen zusieht. Der Mann interessierte mich nur, weil er am Boden lag. Aber vielleicht hat es auch einen anderen Grund gehabt, das weiß man nicht so genau. Ich werfe einen Blick hin und sehe, daß er ein ganz reizendes Pastell von der Häusergruppe mit unserer ›Villa‹ dazwischen fabriziert hat, da oben hängt es!«

»Ach das?« Eli betrachtete das kleine Bild über dem Serviertisch mit besonderer Aufmerksamkeit. »Ich liebe Landschaftsbilder, vielleicht kaufst du ihm mal ein größeres ab!«

»Warum nicht. ›Können Sie im Liegen besser malen?‹ fragte ich. ›Na, das nicht gerade,‹ meint er, ›aber ich habe keine Staffelei.‹ Dabei schaute er mich so komisch an, wir mußten lachen. Dann habe ich ihm das Dings da abgekauft.«

»Wieviel hat es gekostet?«

»Nicht viel. Er verlangt ja nichts, man muß ihm immer mehr geben. Später habe ich dann noch den ›Floh‹ gekauft und die anderen kleinen Sachen –«

»Der ›Floh‹ ist sehr schön!«

»Ein wundervolles Bild. So haben wir uns kennengelernt. Es war noch in der Zeit, als ich dich noch nicht kannte. Darum kann er sich auch noch immer nicht an die neue Einteilung gewöhnen –«

Die Klingel schrillte.

»Das ist er! Und ich habe noch kein Teewasser aufgestellt!« Eli flog hinaus.

Sie waren bei dem Klingelrasseln zusammengefahren wie ertappte Einbrecher. Jedesmal erschraken sie so, hatten es sich schon so angewöhnt. Dabei kannten sie sein Läuten ganz genau; aber eben vielleicht darum.

Etwas ängstlich horchte der Doktor auf die Geräusche, die in dem kleinen Haus überdeutlich laut, als wären alle Wände Schallverstärker, vernehmbar waren. Wie der Maler über die enge, ein wenig steilgewundene Treppe herauftappt und ob er, wie das in zwei von drei Fällen mit tödlicher Sicherheit geschah, noch nicht bald ausgleitet und die halbe Stiege hinunterrasselt. Nein, es war ohne Unfall abgegangen, er war schon auf dem Vorplatz gelandet und legte ab. Im Geiste sah der Doktor seinen sehr eigentümlichen Hut und den unvermeidlichen Lodenmantel, den Gluth zu allen Jahreszeiten mit sich schleppt.

Eli ließ ihn ein und zog sich in die Küche zurück.

»Ah, habe die Ehre, Herr Gluth! Nun, wie geht's denn?«

»Guten Abend Herr Doktor, danke sehr, ich bin zufrieden, wie geht es Ihnen?«

»Miserabel!« krächzte Mendone mit der Grimasse tiefster Bekümmernis. »Ich werde jeden Tag jünger und gesünder, bekomme immer mehr Patienten und immer mehr Arbeitslust und noch mehr Lebenslust! Es ist nicht zum Aushalten! Außerdem werde ich zu dick, schauen Sie mich an, wie ich aussehe! Fräulein Trondal«, er warf einen vorwurfsvollen Blick auf die hereintretende, »füttert mich zu gut, sie will mich umbringen!«

»Das ist nicht wahr! – Herr Gluth, Sie müssen vielmals entschuldigen, ich habe nicht ein Stückchen Kuchen im Hause, der Doktor hat es mir wieder zu spät gesagt! Ich muß Sie bitten, mit diesem kleinen Gebäck vorlieb zu nehmen!«

»Das ist ja entsetzlich, Fräulein Trondal, mit diesem kleinen Gebäck soll ich vorlieb nehmen? Na, also gut, ich will ausnahmsweise – ich bin zwar gewohnt, jeden Tag meine Torte zu haben, aber nur keine Umstände, das verdirbt die Gemütlichkeit.«

»Der Doktor vergißt regelmäßig, es mir zu sagen, wenn Besuch kommt, regelmäßig vergißt du das, Doktorlein! Finden Sie denn wirklich, Herr Gluth, daß der Doktor dicker geworden ist?«

»Nicht die Spur! Wirklich nicht. Ich bin doch jünger wie Sie und besitze ein bedeutend ausgeprägteres Embonpoint als Sie! Dabei leben wir das ganze Jahr von Kartoffeln.«

»Da können Sie noch von Glück sagen!«

»Wieso?«

»Daß Sie über eine Konstitution verfügen, der diese Delikatesse so gut anschlägt. Sie sehen vorzüglich aus und sparen eine Menge Geld dabei. Wie viele Menschen müssen ein Vermögen ausgeben, um einigermaßen gesund und bei Kräften zu bleiben – Sie brauchen morgens kein Schinkenbrot und keine Eier, mittags weder Fleisch noch Braten, noch Tischwein, brauchen keinen Kaviar zu kaufen und keinen Sekt zu trinken! Das macht im Jahr zehntausend Mark aus, die Sie sich glatt ersparen. Hoffentlich geht es Ihrer Familie ebenso gut!«

»Danke, wir sind alle gesund und zufrieden.«

»Mehr kann man vom lieben Gott nicht verlangen. Haben Sie etwas verkauft?«

»Nichts. Gar nischt!«

»Das ist allerdings bös. Natürlich haben Sie immer noch keine Ausstellung gemacht!?«

Gluth schüttelte den englischen Lordkopf mit der grauen Mähne.

»Warum wollen Sie eigentlich nicht ausstellen?«

Der Maler schlug die Augen nieder und wischte mit einer Handbewegung sämtliche Kunstausstellungen, Staats- und Privatgalerien der Erdoberfläche von sich weg wie eine Fliege. »Das hat keinen Sinn!«

»Wieso, das verstehe ich nicht, Herr Gluth! Sie sind doch ein Künstler, Sie können doch was!«

»Ich kann noch gar nichts –«

»Sie können noch nichts? Dann würde ich Ihnen raten, doch vielleicht in den nächsten zehn Jahren noch ein bißchen zu lernen, dann sind Sie, wieviel, fünfundfünfzig oder sechzig –«

»Das muß man auch, lernen. Immer wieder und immerzu.«

»Wahrscheinlich, aber, verzeihen Sie, man muß auch etwas für seine Arbeit tun! Übrigens, das wollte ich Sie schon lange fragen: wie sind Sie eigentlich auf die Idee zu dem Bild ›Der Floh‹ gekommen?«

»Sehr einfach. Meine erste Frau, sie ist es nicht porträtähnlich, aber sie war mein Modell –«

»Sind Sie denn zum zweitenmal verheiratet? Das habe ich ja gar nicht gewußt! Diese Tatsache, muß ich gestehen, ermutigt mich einigermaßen. Wir wollen nämlich,« sagte der Doktor, von einem hypnotisierenden Blick Elis gestachelt, »wir wollen demnächst heiraten. Ich hoffe, Sie werden unser Trauzeuge sein!«

»So? Ach? Das ist ja fein!« nickte er Fräulein Trondal zu, deren Augen flammten wie zehn Weihnachtskerzen. »Selbstverständlich komme ich, selbstverständlich!«

»Ich habe Sie unterbrochen, Herr Gluth!«

»Ja, meine erste Frau war eine Flohangel erster Güte. Sie hat zu süßes Blut gehabt. In einem Umkreis von zehn Meilen hat sie –« Gluth schaute dem Doktor kerzengerade in die Augen und seine Mundwinkel zuckten leis, – »alles an sich gezogen, was da hüpft und sticht.«

»Scheint ein ganz süßes Geschöpf gewesen zu sein. Das Bild ist jedenfalls meisterhaft!«

Gluth wehrte ab, als wolle er Frau samt Gemälde wegwischen, mit der gleichen Handbewegung wie vorher, nur daß er dabei beinahe die Teetasse weggewischt hätte. Sie klirrt aber nur, fiel zur außerordentlichen Genugtuung Elis, diesmal nicht um.

»Wenn Sie ausstellen, können Sie das Bild haben, selbstverständlich. Wo sind denn eigentlich meine Zigarren, Eli? Richtig, im Schreibtisch, laß nur –«

Er ging ins Arbeitszimmer hinüber.

»Entschuldigen Sie, Herr Gluth,« flüsterte Eli rasch und ihre Lippen bewegten sich, obschon fast geräuschlos, dafür mit niegesehener Schnelligkeit, »Sie dürfen zum Doktor nicht sagen, Sie seien jünger! Darin ist er etwas komisch. Einen jüngeren Mann als er ist, gibt es nicht! Nicht wahr, Sie entschuldigen, aber er ist in diesem Punkt gleich verstimmt –«

»Ich bitte um Entschuldigung, Fräulein Trondal«, erwiderte Gluth gedämpft. »Übrigens war es nicht so von mir gemeint! Ich meinte nur den Jahren nach. Was Energie und Elastizität betrifft, ist der Herr Doktor ganz entschieden jünger als ich –«

Mendone marschierte mit einer Kiste Brasil herein.

»Weil wir gerade vom Heiraten sprechen, Sie haben doch auch Interesse für Sonderlinge, Narren, Geisteskranke, Wahnsinnige, Käuze und wie die intelligenten Menschen alle heißen!«

»Nur die Käuze sind Menschen! Und die Frauen!« wandte sich Gluth mit einer leichten Verbeugung gegen Eli.

»Ein hübsches Kompliment, ich danke schön! Wollen Sie mich mit Wahnsinnigen auf eine Stufe stellen?«

»Die sind nicht zu verachten!« sagte Gluth auf einen fragenden Blick des Doktors, den ersten Zug aus seiner Brasil aushauchend.

»Die Wahnsinnigen?«

»Auch manchmal, Fräulein Trondal. Der Herr Doktor wird Ihnen darüber vielleicht schon manches erzählt haben. Nein, ich meinte die Zigarre! Sehr gut! Famos! Ich habe lange keine geraucht.«

»Kostet acht Pfennige!«

»Unglaublich!«

»Also hören Sie mal, Herr Gluth, da bin ich, vor einem Vierteljahr etwa, einem Menschen begegnet, Jazuma nennt er sich. Gehe ich da durch die Feilitzschstraße –«

Mendone erzählte seine damalige Begegnung.

»Diese Symptome,« fuhr er fort, »daß ein erwachsener Mensch sich aufführt wie ein vom Mond Gefallener, wie ein Kaspar Hauser oder ein sehr hoher Offizier, der auch im Leben nicht Bescheid weiß, sind ja nichts Ungewöhnliches. Es sind Sinnesirrtümer, auf gewisse Gehirnpartien lokalisierte Störungen. Ähnliche Fälle kann man Hunderte erleben, nur daß sie nicht alle gleich interessant sind.«

»Wie kann so eine Störung eigentlich entstehen?« fragte Eli. »Wie kommt so etwas? Ist das vererbt oder eine selbsterworbene Krankheit?«

»Das kommt auf den einzelnen Fall an und auch dann gibt es noch tausend Möglichkeiten. Greifen wir aufs Geratewohl einige heraus: Neigung zu romantischen Spekulationen, angeborener Hang zu ausschweifen-den Phantasien, übererregbare Sensitivität, anormal entwickelte Einbildungskraft, schreckliche Erlebnisse – jede einzelne dieser Eigenschaften, irgendein Geschehnis kann genügen, den Sinn für die Wirklichkeit zu trüben und abzutöten. Manchmal hat einer zu viel nachgedacht, was nicht ganz ungefährlich ist, wie übergeschnappte Philosophen beweisen. Kummer, Nöte, Leiden, äußere wie innere, können den Organismus unterhöhlen und das Werk der Empfindungen und Gedanken stören, verstören, zerstören; um so eher natürlich, je feiner dieses Werk ist. Wie bei einer Uhr, die zu viel geschüttelt und herumgeworfen wurde. Manchmal ist einem eine Liebesgeschichte zu Kopf gestiegen. Er weiß gar nichts mehr davon, denkt nie daran, hat sie längst überwunden und vergessen, wie man sagt. Aber irgendwann ist etwas, als er noch sehr jung war, in ihm vor sich gegangen, worüber er sich nicht recht klar ist. Eines Tages kommt es zum Vorschein. Der gute Mann wacht morgens auf und ist irrsinnig.«

»Schrecklich, Gilbert!« flüsterte Eli. Ihre Augen verdunkelten sich.

»Das ist halb so schlimm. Narren sind wir alle. Wir wissen es nur nicht, wollen es nicht zugeben. Es hat's noch kein Närrischer von sich selbst behauptet, man begnügt sich damit, den anderen für närrisch zu erklären. Kommt noch hinzu, daß dieser Mann, wie ich gehört habe, viel mit Künstlern, Malern und Schriftstellern verkehrt hat. Das Schwabinger Milieu, das lateinische Viertel, Münchens bester Teil und noch das einzige Gegengewicht gegen den miserablen Ruf der Stadt, ist nicht ganz ungefährlich. Den Dickhäutern und den Neunmalklugen schaden die Literaturbazillen, die man hier bei jedem Schritt aus- und einatmet, natürlich nichts. Aber wie mancher arme Teufel, der sich zu Höherem berufen glaubte, hat hier Haare lassen müssen, wie manchem guten, braven Mädel, das den schönsten Fabrikbesitzer glücklich gemacht hätte, hat ein armer Kunstmaler den Hals gebrochen.«

»Vielleicht hat er doch unglücklich geliebt!« entschied sich Eli. »Du würdest jedenfalls nicht irrsinnig werden, du Räuberhauptmann!« meinte sie vorwurfsvoll.

»Aber wir wissen ja nichts,« sagte Mendone, »alle diese Erklärungen sind keine Erklärungen. Manchmal kommt es auch vom Zeitunglesen!«

»Ausgezeichnet!« sagte Gluth. »Die antiwissenschaftliche Art, wie Sie diese Dinge betrachten, gefällt mir. Für Sie ist der Mensch Schöpfung und Wunder, das unerforschlich bleiben wird. Sie zerlegen ihn nicht in Fakultäten und Abteilungen, Sie haben kein psychiatrisches Geschäft! Unsere Bildungsinstitute sind ja nur Unterabteilungen der Industrie und des Geschäftslebens, in das die Schüler, wenn sie ihr Examen bestanden haben, entlassen werden. Daß Sie sich aber mit dem Rätsel Dasein ernsthaft beschäftigen, ist vielleicht ein Teil des Geheimnisses Ihrer unverwüstlichen Jugend!«

»Mich interessiert der Mensch, nicht die Krankheit. Diese Betrachtung ist der Wissenschaft verlorengegangen. In einem Mikroskop sieht man keinen Menschen, Bakterien, Blutgefäße und andere interessante Kleinigkeiten. Wenn zum Beispiel die Idee des Jazuma, daß es keinen Menschen mehr gibt, daß es ihn aber einmal wieder geben wird, auch eine fixe Idee ist, so liegt ihr doch eine tiefe Wahrheit zugrunde!«

»Das weiß Gott!« seufzte Gluth. »Die Tatsache dürfte schwer zu bestreiten sein. Wie es mit der Hoffnung steht, das allerdings kann ich nicht beurteilen.«

»Ich bin zum Glück in Vermögensumständen, die mir den Sport der Nächstenliebe ermöglichen. So schön wie Fußball ist er auch. Aber ich glaube, ich könnte, wenn ich auch gar nichts besäße, meinen letzten Anzug dafür opfern –«

»Du solltest dir«, griff Eli ein, »jetzt wirklich einen guten Anzug machen lassen. Du hast auch nicht einen einzigen mehr, der auf der Höhe ist!«

»Für's Standesamt sind sie gut genug. Da ziehe ich meinen allerschlechtesten an! Daß ich Ihnen das gleich sage, Herr Gluth, wir haben zwar noch Zeit, meine Papiere dauern noch länger, da müssen mindestens ein Dutzend Behörden ihren Senf dazugeben, also für das Standesamt ziehen Sie den miserabelsten Anzug an, den Sie besitzen, sonst kann ich Sie nicht brauchen!«

»Da kann ich also ruhig meinen besten anziehen«, meinte Gluth.

»Wie gesagt,« fuhr der Doktor fort, »ich habe eine Schwäche für alle sonderbaren Kreaturen. Nur die Normalmenschen sind unausstehlich.«

»Darum«, sagte Eli, »halten dich auch alle Leute für einen Menschenfeind. In der ganzen Keferstraße schimpfen sie über dich!«

»Na ja, die Keferstraße ist ja nicht sehr groß. Das ist schon noch auszuhalten. – Dabei ist dieser Mensch amüsant im höchsten Grade! Ich wollte, ich hätte nichts zu tun, als dem Kerl nachzuspüren. Das wäre mir unterhaltender als die halbe Weltliteratur. Das Leben bleibt immer Leben!«

»Wie sieht er denn aus?« fragte Gluth.

Mendone beschrieb ihn ungefähr.

»Ich glaube, den habe ich schon gesehen!«

»Sie müßten ihn doch eigentlich kennen als geborener Schwabinger. Der Mann muß Sie als Maler doch auch interessieren!«

»Doch. Ein klein wenig mehr schon als wie das Porträt der Frau Kommerzienrat Niedermeier.«

»Forschen Sie doch ein wenig herum! Sehen Sie zu, ob Sie etwas über ihn erfahren können! Sie machen mir eine große Freude damit. Wenn Sie Auslagen dabei haben, dafür komme ich selbstverständlich auf!«

»Natürlich, das kann ich leicht. Ich will sowieso dieser Tage zum Landschaftern gehen.«

»Haben Sie mir übrigens etwas mitgebracht? Sie wollten mir doch Radierungen zeigen! Nein! Natürlich vergessen!«

»Ich wollte nur nicht mehr ins Atelier gehen, es war schon etwas spät. Ich bringe Ihnen das nächste Mal mehreres mit!«

»Das will ich aber wirklich hoffen!«

Der Maler erhob sich. »Es ist Zeit, daß ich mich empfehle. Ein sehr schöner Abend, sehr anregend. Ich sage meinen herzlichen Dank!«

Sie begleiteten den Gast hinaus.

»Was ist denn übrigens mit Ihnen heute los?« fragte Mendone. »Sie sind nicht die Treppe hinuntergestürzt –«

»Ich bin noch nicht unten!«

»Haben keine Tasse zerbrochen, kein Loch in die Tischdecke gebrannt und vergessen nicht mal Ihren Hut, wie ich sehe. Sie werden sich doch nicht untreu werden?«

»Da ist leider keine Gefahr, Herr Doktor. Eine momentane Inkonsequenz, die scheinbar so aussieht wie eine Besserung. Bei mir ist schon Hopfen und Malz verloren.«

»Also die Radierungen nicht vergessen und die Nachforschungen nach Jazuma!« mahnte Mendone.

Unter überschwenglichen Versprechungen empfahl sich der Maler.

Mendone nahm seine Zigarre. »Ich muß ihm mal wieder was abkaufen. Er ist ein armer Teufel und ein hochanständiger Mensch dazu. Außerdem gefallen mir seine Sachen. Es ist da etwas ganz Besonderes drin, etwas Echtes, Ungelogenes. Ich verstehe ja nichts von Malerei, aber, wie gesagt, wenn er nur ein klein wenig praktischer wäre. So ein Mann opponiert gegen die ganze Welt und kommt dabei natürlich unter die Räder. Ich will ihm gern hin und wieder etwas abnehmen, aber wenn man ihm nicht das Messer auf die Brust setzt, dann bringt er einfach nichts!«

Mendone, der das Gefühl hatte, daß der Abend etwas steif und inhaltslos verlaufen war, denn die Unterhaltung war doch nur soso lala gewesen, wollte sich zur Entschädigung noch ein bißchen gemütlich hinsetzen. Aber Eli, dieses Vorhaben durchschauend, rief ganz entsetzt: »Nein, nein, mein Lieber! Da wird nichts draus, du gehst jetzt schlafen! Es ist halb eins!«

»Schon?« sagte er. Und legte die Zigarre, die er sich schon zwischen die Zähne gesteckt, um sie in beschaulichem Nachdenken zu Ende zu qualmen, hin. – –


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