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Der Tod der Herzogin

Während des steigenden Krankheitszustandes der Herzogin wich ihr Sohn nicht von ihrem Lager. Er vernachlässigte seine Geschäfte, er versäumte wichtige Antworten, er ließ Personen von Einfluß warten, er war nur mit seiner Mutter beschäftigt. Er kam selbst, um ihr die verordnete Medizin einzugeben. Das Übel, das mit einem Brustleiden angefangen, war nach und nach in eine Wassersucht übergegangen. Die Herzogin, die nichts von der Kunst des Arztes hielt, erklärte selbst, daß sie an diesem Krankheitsanfall sterben werde, und niemand durfte ihr mit Rat und Tat nahen als ihr Freund Gervais, der eigens aus Hannover herübergekommen war bei dem ersten Verlauten des Unwohlseins seiner treuen Gebieterin und Freundin. Sie verordnete sich selbst einige Mittel, und Gervais fand sie passend und ließ sie einnehmen. Die Herzogin scherzte darüber mit ihrem alten Arzt, daß er gekommen sei, um etwas Neues zu lernen und gutzuheißen. »Ich kann Gott nur für gesunde Tage danken,« sprach sie, »ich weiß es nicht, was es heißt, krank zu sein, jetzt muß ich's lernen, jetzt da ich bald nichts mehr zu lernen finden werde.«

Aber sie sprach nicht ganz der Wahrheit getreu; sie kannte wohl das Kranksein. Sie litt an einer Anschwellung der Milz, die oft so groß wurde, daß sie in Form eines Kinderkopfes hervortrat; aber es dauerte nicht lange, und mit etwas Vorsicht war das Übel leicht wieder gehoben. Auch konnte ihr Magen nicht jede Speise vertragen; Bouillon brachte sie zum Erbrechen, während die echt deutschen Gerichte ihre Verdauung wieder in Ordnung brachten. Alles dies wußte sie, brauchte daher auch nie einen Arzt dagegen, sondern heilte sich selbst durch Vorsicht und Mäßigkeit.

Die freien Augenblicke, wo die Heftigkeit des Schmerzes nachließ, benutzte Gervais, um auf die an ihn gerichteten Fragen nach seiner Familie genügende Antwort zu geben. Er teilte ihr mit, daß er Madeleine verloren hatte, und auch die Geisteskrankheit der anderen Tochter berührte er. Die Heirat seines Sohnes machte er ihr bekannt, und daß dieser bereits Vater dreier Kinder sei. Diese Nachrichten beschäftigten die Herzogin. Sie gab ihm dagegen die Neuigkeiten, die Georg betrafen, von seiner Anstellung und seiner Wirksamkeit in Rußland, wie er in dem Zaren einen wahren Freund gefunden, der mit großer Tätigkeit seiner Angelegenheit sich angenommen und deshalb an den Kaiser selbst geschrieben habe. Es ließ sich erwarten, daß dies eine vorteilhafte Antwort zur Folge haben würde; doch sei er nun Fürst oder bleibe, was er sonst sei, dies könne in seinen dankbaren Gefühlen für den Zaren keine Änderung machen, die ihn verpflichten würden, so lange ihm noch Kraft und Gesundheit blieben, ihm seine Dienste zu widmen.

»So habe ich denn auch ihn verloren!« rief sie traurig, »den ich herzlich geliebt habe, mit dem ich sogar einst willens war, den Lebensweg gemeinschaftlich zu gehen. Ich gedachte ihm ein Fürstendiplom zu verschaffen, er sollte die letzten Tage seines Lebens mit mir zusammen verleben; es sollte nicht sein.«

Mit ihrem Sohne tauschte sie noch zuletzt ihre Ansicht über ihren fürstlichen Stand und über ihre Standesgenossen aus. Sie hatte das Institut der Fürsten auf seinem Glanzpunkte gesehen, sie prophezeite nun, daß es damit abwärts gehen würde. »Die Gesellschaft, die sich die Ordner und die Halter ihrer Angelegenheiten selbst schafft, wird bald merken, daß die Fürsten sich ihrer Stellung überheben, und von diesem Augenblick an wird sie gegen sie gleichgültig werden. Alle kirchlichen und aristokratischen Hilfsmittel helfen nichts gegen eine zur Kenntnis der Menge gekommene Untüchtigkeit. Das Gericht wird streng sein. Die Rasse der Fürsten ist nicht unersetzlich, es werden sich Stellvertreter finden, denen man die den Fürsten abgenommene Pflicht auferlegt, und man wird streng darauf sehen, daß sie wirklich ausgeübt wird. Die Stimme der Völker ist unerbittlich; sie will die, die sie über sich stellt, auch dieser Stellung würdig handeln sehen; geschieht das, dann wird jeder Glanz, jedes Wohlergehen sie dafür belohnen. Jede Torheit und Schwäche, sowie jede Unvollkommenheit muß freilich zu einem gewissen Grade gedeihen, ehe die Gesamtheit sie als das erkennt, was sie ist; alsdann aber handelt sie rasch und sicher. Ich fürchte, so wird es mit den Fürsten gehen. Es werden schwache, es werden sogar gute und redliche Fürsten kommen, allein die einmal eingesehene Wahrheit wird dennoch sich an ihnen rächen, und sie werden rücksichtslos fallen.

Ich habe während meines ganzen Lebens für stolz gegolten, ich habe nichts weiter getan, als was nach meiner Ansicht jeder Fürst tun muß, seinen Stamm rein zu erhalten, ihn nicht durch Mißheiraten, die unendlichen, unberechenbaren Nachteil bringen, herniederzuziehen. – Meine Ansicht hat nichts geholfen. Keck und unbedacht, übermütig und ihre Stellung für ewig haltend, habe ich die Fürsten um mich her, ganz nach Willkür handeln sehen. Sie werden es bereuen. Ich sehe sie sinken, und wenn sie einmal sinken, wird nichts sie vom Sturze aufhalten können. Der Adel ist eine zweideutige Stütze; das Gute, das geschieht, mißt er sich zu, das Üble dem Herrscher, und ein neuer Herrscher findet bald einen neuen Adel. Die Geistlichkeit vollends sorgt für sich und den Gott, den sie geschaffen hat; sie ist nur so lange auf der Seite der Fürsten, wie diese sich ihrem Spiel beugen; bei einem Umsturz der Dinge ist sie sogleich bereit, unter denselben Formeln das Neue zu adeln, mit denen sie das Alte unterstützt hat. Es ist die undankbarste und raubgierigste Klasse der Staatsbürger. Das, was wahr ist, ist zugleich so einfach, daß es bald gesagt ist, diese gewinnsüchtige Klasse weiß aber daraus einen unendlichen Aberglauben zu machen, voll eingebildeter, vom Himmel stammender Gesetze und Geschichten, um damit den Geist der Menge zu umspinnen, daß er sich nicht zu regen imstande ist. Es gehört viel dazu, sie und ihre ewigen Pläne, ihr stetes Zusammenhalten zu beherrschen und nach einem vernünftigen Plane zu ordnen. Nur ein großes Unglück beugt sie, und der Staat muß erst an den Rand des Verderbens gebracht sein, alsdann gehen sie von ihrem Hochmut ab und lassen ihre Gewinnsucht und ihr Ränkespinnen. Auch dazu wird es kommen.«

Von ihren zwei treuen Gefährtinnen, der Rätin Rathmannshausen, der letzten ihr übriggebliebenen von denen, die sie nach Frankreich begleitet hatten, und von der Herzogin von Chateauthierre nahm sie besonders Abschied, empfahl beiden die wenigen Angelegenheiten, die sie unvollendet zurückließ, ihrem Sohn übergab sie ihren letzten Willen, der ihn auf das pünktlichste vollzog. Die neue Herzogin von Orleans, die zwei noch übriggebliebenen Töchter des Regenten und seinen Sohn, den Herzog von Chartres, sah sie noch zuletzt und erteilte ihnen ihren Segen.

Den Herzog, der weinend an ihrem Bette kniete, zog sie zu sich heran und küßte ihn so zärtlich und so rührend auf die Stirn und auf die Wangen, daß die Umstehenden in Tränen ausbrachen.

»Der Tod ist ein schlimmes Ding!« sagte sie. »Es läßt sich auf keine Weise damit scherzen; man muß ihm nur etwas entgegenhalten, woran sein Stachel sich abstumpft. Das sind ein paar kleine, gerechte Handlungen! Die machen, daß das Andenken eines Menschen nicht so verflüchtigt wie der Rauch, dessen Säule der Wind hin und her weht und der zuletzt verschwindet, niemand weiß, wo seine Stätte gewesen. Ein paar solche kleine gute Handlungen glaube ich verübt zu haben; es ist der Gehorsam, mit dem ich die Befehle meines Vaters ausführte, obgleich sie mich mehr als mein zeitliches Wohlergehen kosteten, und zweitens die Geduld und Treue, die ich gegen meinen Herrn, den Herzog, ausgeübt. Das übrige ist Torheit, Müßiggang und Eigenwillen, wie gewöhnlich bei dem menschlichen Geschlechte, von dem ich mich in keinerlei Weise unterscheide.«

Den achten Dezember, morgens um vier Uhr, starb sie in St. Cloud, nachdem sie in üblicher Weise die Sterbesakramente empfangen und befohlen hatte, daß man sie ohne Gepränge beerdigen sollte.

Es wird noch nötig sein, etwas über das Ende des Regenten zu sagen. Nachdem er seine Regentschaft abgegeben hatte, wie wir gesehen haben, mit Ruhm und lebhaftem Danke des Königs und des Parlaments, zog er sich in das Privatleben zurück. Vorher hatte er noch eingewilligt, den Kardinal Dubois zum ersten Minister zu machen, eine Auszeichnung, die der König bestätigte. Doch genoß der neue Minister diese Ehre nicht lange, er starb, von Gewissensbissen gequält und von der Verachtung der Menge begleitet, die in seinem Steigen nichts gesehen hatte, als das zeitweilige Erheben einer faulen Masse nach oben, die dann mit Geräusch und Gestank platzt und wieder nach unten sinkt, wo sie ihrer Bestimmung nach liegenbleibt. Er starb an einem Geschwür an der Blase. Der Chirurg, der die Operation an ihm vollzog, fand seine inneren Teile verfault und die ganze Maschine des Körpers nicht mehr lebensfähig. Der Herzog von St. Simon hatte ihm jährliche Einkünfte von einer Million fünfmalhunderttausend Livres nachgerechnet.

Der Herzog überlebte ihn nicht lange. In den Armen der Frau von Phalaris überraschte ihn ein Schlagfluß, der ihn augenblicklich tötete. Er war neunundvierzig Jahre alt geworden.

 

Ende


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