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Hofluft

Beim Herzog war große Damengesellschaft. Die Zimmer waren geöffnet; in dem mittelsten derselben, das von Spiegeln, schönen Stoffen und vergoldeten Figuren prangte, saß der Herzog und war bemüht, der Frau Marschallin von Grançay aus einem Buche vorzulesen. Es ging nicht besonders; der Herzog machte öfters Fehler, die von den Damen unter Lachen verbessert wurden. Er trug einen gelben Seidenrock mit einer Stickerei von Braun und Gold, sein Haar war frisiert nach der Weise der hohen Damenscheitel. Rot und Weiß war dem Gesicht stark aufgelegt, in welchem seine kleinen Augen vor Vergnügen blitzten, sich in so guter und angenehmer Gesellschaft zu sehen. Sein Beinkleid war von dunkelm Rot, die Strümpfe wiederum gelb, mit Strumpfbändern von Diamanten zusammengehalten, auf den Schuhen, die hohe Büschel von farbigen Bändern trugen, prangten ebensolche Schnallen. Während er las, beschäftigten sich die Damen mit Arbeiten. Ein Teil der jungen Schönen saß an dem Fenster, sie blickten verstohlen in den Gang hinüber, der mit Glastüren verschlossen war, und in welchem ein paar hübsche Gardesoldaten wachehaltend auf und ab schritten. Die älteren Frauen hatten sich dicht um den Herzog gesetzt und begleiteten jede Miene, jede Bewegung desselben mit Ausrufungen schmeichelhaften Lobes. Die Marschallin lag auf einem Ruhebett und hatte den Blick ihrer schönen Augen abwechselnd auf ihre Umgebung und auf den Vorleser gerichtet. Sie verbarg ein Gähnen hinter den goldenen Stäben ihres Fächers.

Der Roman, der vorgelesen wurde, war › la reine de Navarra‹, den Fräulein von Laforce geschrieben und der Prinzessin Conti gewidmet hatte.

»Es ist genug!« rief die Marschallin, als eben wieder eine schwierige Stelle überwunden worden war, wo zwei fremde Namen, die beide von dem Vorleser falsch ausgesprochen wurden, vorkamen.

»Es kommt jetzt zur Liebesszene!« bemerkte der Herzog.

»Wir haben schon zwei solcher Szenen erlebt!« rief die Marschallin. »Legen Eure Hoheit das Buch hin und helfen Sie mir etwas Goldfäden zupfen.«

»Mit Vergnügen. Übrigens wieder auf den Roman zu kommen, so ist nichts leichter, als eine mittelmäßige Geschichte mit fremden Namen auszuputzen. Man kann davon sehr viele und sehr sonderbare erfinden, die sämtlich für den Vorleser schwierige Aufgaben bilden.«

»Indessen waren jene zwei Namen in Languedoc sehr gebräuchlich!« bemerkte die Marquise. »Haben Eure Hoheit nicht die Laforce gekannt?«

»Ich habe sie gekannt, und man sagt sogar, daß sie mich in ihr Herz geschlossen hat,« erwiderte der Herzog. »Allein man sagt dies von so vielen Damen meiner Bekanntschaft, daß ich auf diesen einzelnen Umstand kein Gewicht legen will.« Einige ältere Frauen sahen sich bei dieser Bemerkung lächelnd und fragend an. Der Herzog fuhr fort. »Mademoiselle Laforce begnügt sich nicht allein, Romane zu schreiben, sie spielt auch welche, und man hat mir versichert, daß ihr Leben den eigentümlichsten Roman, den man finden kann, gebildet habe.«

»Ei, erzählen Sie!« rief die Marschallin.

»Zuvörderst sehen wir sie als ein armes Fräulein im Vorzimmer der Herzogin von Guise ihren Platz einnehmen. Dort lernt sie den Marquis von Nesle kennen, den Vater des jetzigen, und bringt es zuwege, daß dieser elegante und gesuchte Kavalier sich in sie so sterblich verliebt, daß er auf seine Verwandten nicht hört, sondern sie heiraten will. Sie müssen wissen, daß Fräulein von Laforce häßlich war.«

»Wie geschah denn das alles?« fragte die Herzogin von Nellville.

»Hören Sie! Der große Condé, mit dem der Marquis nahe verwandt war, führte ihn, um ihn zu heilen, mit sich nach Chantilly. Dort waren alle Verwandten versammelt, die nochmals erklärten, sie würden die Heirat nicht zugeben. Der Marquis erklärte, nie eine andere Frau nehmen zu wollen. In Verzweiflung lief er in den Garten und würde sich ohne Zweifel das Leben genommen haben, wenn er nicht zufällig an der Schnur gerissen, an der ein Amulett hing, das ihm Fräulein von Laforce gegen Alpdrücken umgehängt hatte. Das Band reißt, das Amulett fällt zur Erde, und von dem Augenblick ist er von aller Liebesqual befreit. Er kehrt zur Gesellschaft zurück und erklärt ihr das. Man besichtigt das Amulett und findet –«

»Nun, was findet man?« fragten mehrere Damen neugierig.

»Zwei Krötenpfoten,« erzählte der Herzog weiter, »die hielten ein Herz, von einem Fledermausflügel umwickelt, und um das Ganze war ein Stück Papier gehüllt, beschrieben mit Charakteren.«

»Ei, wie sonderbar! Doch dabei nicht ohne Beispiele!« rief die Herzogin von Allion. »Ich kannte einen Herrn in Lille, der konnte einem Liebe eingeben mit Krebssteinen. Diese Liebe dauerte gerade vierundzwanzig Stunden.«

»Vierundzwanzig Stunden zu lange!« bemerkte das junge Fräulein von Montfort.

»Mademoiselle halten nicht viel von der Liebe?« bemerkte eine alte Duchesse spitzig.

»Wenigstens nicht von der, die den Krebssteinen anhaftet!« sagte das junge Mädchen lachend. »Ich halte es mit der, die ein paar hübsche Augen und ein gefühlvolles Herz eingeben.«

»Ach ja« – seufzte eine Dame von vierzig Jahren, »mit einer solchen halte ich's auch!« – Ein Gelächter entstand; die Dame sah sich fragend um; da niemand antwortete, arbeitete sie fort.

»Wieder auf die Laforce zu kommen!« fing die Marschallin an. »Was wurde denn zuletzt aus ihr?«

»Mein Gott, sie lebt noch!« rief der Herzog in komischer Verwunderung. »Soll ich sie etwa Ihnen zu Gefallen totschlagen, Madame? Später liebte sie den Schauspieler Baron. Der war nicht verhext, also dauerte die Liebe nicht lange. Dann die hübscheste Geschichte in ihrem Leben! Sie liebte den jungen Bilhuet. Die Eltern wollen die Heirat wieder nicht zugeben und sperren den Sohn ein. Was geschieht? Ein Trupp Bärenführer zieht durch den Ort. Fräulein Laforce macht sich an einen der Musiker, überredet ihn, sie in ein Bärenfell zu nähen und so auf den Hof zu führen, von wo der Geliebte zuschauen kann. Dem hat sie geschrieben, daß einer der Bären sie wäre. Er kommt aus seinem Gefängnis heraus, nähert sich dem kleinen, gefälligen Bären, der ihm die Hand küßt, und will endlich mit diesem Bären allein sein. Man führt ihn in eine Abteilung des Hofes, und dort unterhalten sich die sonderbaren Liebenden aufs beste, bis die Trompete das Zeichen zum Aufbruch gibt. Die Hauptsache bei dem Ständchen war, den jungen Mann zu überreden, die Heirat bei seinen Eltern durchzusetzen. Was der Geliebten in Menschengestalt nicht gelingt, führt die Bärenhafte richtig aus. Die Heirat kommt zustande. Als Madame von Bilhuet habe ich sie gesehen, denn sie kam nach Versailles, wo sich der König ihrer annahm.«

Nach dieser Erzählung brach ein allgemeines Gelächter der Damen aus. Niemand wollte die Geschichte glauben, und der Herzog hatte viel zu tun, jeder einzelnen die Wahrheit seiner Worte zu beschwören. Er tat dies mit der größten Geläufigkeit, indem er mit kleinen Schritten im Saal hin und her lief und jede der einzelnen Damen am Rocke faßte, um ihr umständlicher die ganze Geschichte nochmals zu erzählen und ihr dabei den Herzog von St. Simon zu nennen, den wahrheitliebendsten Mann bei Hofe, der ihm als Beweismann diente.

Mittlerweile, als eben der Sturm am lebhaftesten war, trat einer der Gardesoldaten des Vorzimmers herein und meldete den König.

Sogleich wurden die Türen aufgerissen, und Seine Majestät erschien. Der von Frauen wimmelnde Saal schien ihn anfangs etwas bestürzt zu machen; doch merkte man ihm dies nicht an. Mit gewohnter Sicherheit schritt er herein, und seine Blicke suchten nicht seinen Bruder, denn er war ihm schon zur Seite, sondern die Herzogin, seine Gemahlin.

»Ich bitte, meine Damen,« rief er, mit der liebenswürdigsten Artigkeit überallhin grüßend, »lassen Sie sich nicht stören!« Und zu seinem Bruder gewendet, setzte er hinzu: »Wo ist Madame?«

»Sie wird sogleich erscheinen!« rief der Herzog von Orleans in ehrerbietiger Stellung.

Der König faßte ihn vertraulich unterm Arm, und beide Brüder verschwanden in dem dritten Salon, dessen Türen offen blieben. Hier zog der König den Herzog etwas in die Fensternische und sprach mit ihm. Die Kavaliere, die mit dem König gekommen waren, verteilten sich im Gemach unter die Damen.

Unterdessen war die Herzogin erschienen.

Alles drängte sich um sie her, um ihr Ehrfurcht zu bezeigen. Die Frage des Königs war nicht so leise getan worden, daß sie nicht vom ganzen Kreise gehört worden wäre. Deshalb dieser Empfang. Zwei alte Gräfinnen blieben fortan immer in der Nähe der Herzogin, die sich befremdet im Saale umsah, denn sie wußte nichts von ihrem erhabenen Gaste und war nur auf den Ruf ihres Gemahls gekommen, der ihr ziemlich sonderbar erschienen war, da sie sich bereits gewöhnt hatte, niemals dabei zu sein, wenn der Herzog Damen empfing.

Endlich flüsterte ihr einer der Kavaliere zu: »Der König ist da!«

Sie sah sich rasch um. Im dritten Salon erkannte sie ihn. Er schien etwas unwillig geworden zu sein, wenigstens konnte man dies aus der verlegenen und betretenen Haltung des Herzogs an seiner Seite schließen. Doch trennten sie sich herzlich und vertraut, und der König kam auf die Herzogin zu, küßte ihr die Hand und führte sie zu dem Platze zurück, den sie eben verlassen hatte.

Es wird unterdessen nötig sein, die Unterredung der beiden Brüder etwas genauer zu beachten: sie war wichtig für die zukünftige Stellung unserer Heldin.

»Mein Herr Herzog,« hub der König an, indem er einen jener Blicke annahm, dessen Schärfe und Strenge der Angeredete zur Genüge kannte, »Ihr habt Euren ganzen Palast voller Damen, und Eure Gemahlin fehlt? Wie hängt das zusammen?«

»Eure Majestät erschrecken mich!« stammelte der Herzog. »Sollte ich in irgendeinem Stücke gegen Dero Willen mich vergangen haben?« –

»Ich will, daß Sie mit Ihrer Frau anständig leben.«

»Die Frau Herzogin zieht es vor, in ihren Gemächern zu bleiben, wenn ich Gesellschaft habe,« sagte der Herzog.

»Sie zieht es vor,« nahm der König das Wort, »weil Sie sie nicht auffordern. Bedenken Sie, daß Ihre frühere Ehe, mein Bruder, nur unglücklich war, weil Sie es an allem fehlen ließen, was eine Frau von ihrem Manne fordern kann. Ich wünsche, daß diese nicht ebenso sich gestalte! Bemerken Sie wohl, ich wünsche es.« –

Der Herzog verbeugte sich.

»Die Umgebung spricht bereits allerlei,« fuhr der König fort, »ich will es nicht beachten. Doch ist's nichts Schmeichelhaftes für Sie. Unsere Frauen können nur zur Geltung kommen, wenn wir sie dahin bringen! Also ist's unsere Pflicht, unsere Gemahlin, die Mutter unserer Kinder, vor allen anderen emporzuziehen. Nehmen Sie sich ein Beispiel an mir! Die Königin kann sich, was ihre Stellung und Würde vor der Welt betrifft, in keinem Stücke über mich beklagen. Dies im Vertrauen, mein Bruder, und jetzt lassen Sie uns zur Gesellschaft zurückkehren.«

Der Herzog machte eine so tiefe Verbeugung, daß er fast mit den frisierten Locken seiner Perücke die Knie des Königs berührte; dieser zog ihn an sich heran, und beide Brüder küßten einander, zur großen Freude und Genugtuung des Hofes, der bereits zu fürchten anfing, das alte gute Verhältnis sei durch irgendeinen unerklärlichen Vorfall erschüttert worden.

Der König, indem er sich auf der Schwelle der Türe zeigte, erschien als eine so edle und imposante Gestalt, daß niemand, auch wer ganz unvertraut mit den Verhältnissen in den Saal geblickt hätte, zweifeln konnte, wer er sei. Die breite Brust, die sich unter keinem Ordensstern, sondern im Gefühle männlicher Kraft und Würde hob, das Ebenmaß der Glieder, hatten bei Hofe wenig ihresgleichen. Es war ein Heros, der zugleich das Diadem königlicher Würde trug. Sein Blick war stolz, doch war es nicht der Stolz, der von Außendingen seine Färbung annimmt, es war der Stolz des Mannes, der da herrscht, weil er würdig war zu herrschen. Eine unendlich liebliche Miene um Mund und Wangen milderte diesen Titanenzug. So stand er einen Augenblick, doppelt sichtbar und auffällig neben seinem Bruder, der, klein, schwarz, unterwürfig und ergeben, die glanzlose Gegenpartie der Gruppe bildete, ehe er auf die Herzogin, seine Schwägerin, zuschritt und sie aus der Anzahl von Damen, die sie umgab, frei machte, um sie auf den ihr gebührenden Ehrenplatz zu führen.

Um den König und die Herzogin scharte sich die übrige Gesellschaft, zu der auch der Herzog sich gesellte. Es war kein Hofzirkel, auch fehlten sehr viele der berühmtesten Namen, es war nur ein kleiner Kreis, der sich zum Plaudern zusammenfand, und in welchem die Grazien angenehmer Unterhaltung das Übergewicht erhielten über die Etikette und den Zwang der großen Repräsentationen. Der König war guter Laune, er scherzte und forderte die Damen auf zu sprechen. Viele machte diese königliche Aufforderung stumm, die meisten sprachen nur, um dem König nicht die Last des Alleinsprechens aufzulegen; nur eine befand sich in diesem Kreise, die mit Vergnügen sprach, die frei und offen erzählte und dadurch den König zum Lachen brachte; diese eine war die Herzogin. Madame, noch nicht bekannt mit der Hofsitte dieses Kreises, sah in dem König nichts als den gefälligen, artigen, liebenswerten Mann, der ihr mit Vergnügen zuhörte, und sie breitete den Schatz ihrer kleinen Pfälzer Geschichten mit Anmut und mit Lebhaftigkeit aus. Sie erzählte von ihrem Vaterlande, von dem dortigen treuherzigen, ehrlichen Volke, und mitten drin erschien sie selbst als fröhliches Kind, die Gesänge des Volkes mitsingend und tausend alberne Possen treibend, um ihre Umgebung, die die Einwohnerschaft eines Dorfes war, zu belustigen. Von der Anmut, Frische und Lebendigkeit dieser sonderbaren Erzählungen, die manche Herzogin wie Märchen aus Tausendundeiner Nacht anhörte und nicht begriff, verstand nur der König etwas. Seinem natürlichen Sinne war jede Eigentümlichkeit, wo sie sich zeigte, verständlich, und hier fand er etwas, was er bisher nirgends in der Sphäre, in der er geatmet, entdeckt hatte, die köstliche Frische und Unberührtheit eines ursprünglichen Gemüts, das die Welt noch nicht verdorben hatte. Er forderte die Erzählerin durch seinen Wunsch auf zu immer neuen Skizzen, und endlich schwamm der ganze Kreis in Lachen und Lustigkeit. Der König ließ sich verleiten, eine kleine dramatische Szene mit der Herzogin aufzuführen: er selbst machte einen pfälzischen Bauern, der im Begriff war, bei seiner Schönen, die die Herzogin war, anzusprechen. Nichts konnte amüsanter sein als die bäurisch verlegene Miene des Königs, der sein gebrochenes, elsässer Französisch vorbrachte und darauf die lustigen Antworten seiner Geliebten empfing. Noch nie war der Hof auf eine solche Weise belustigt worden. Jede der Damen versuchte auf ihre Weise, deutsch zu radebrechen, und jeder mißglückte es auf eine so komische Weise, daß das Gelächter kein Ende nahm.

Nach diesem Auftritt war die Stellung der Herzogin entschieden. Man wußte, daß sie ihr Glück beim König gemacht, das war genug. Der Herzog war von jetzt an der feinste Hofmann gegen sie. Charlotte mußte sich fragen: »Wodurch ist dies entstanden? Was ist geschehen, daß plötzlich die Dinge um mich her sich verändert haben?« – Man hätte ihr erwidern können: »Das ist die Luft des Hofes!«


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