Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

65
Die Krönung des Königs

Das Jahr 1722 brachte das Ende der Regentschaft, Ludwig XV. wurde mündig erklärt. Die Krönung zu Reims sollte diesem Ereignis die übliche Weihe geben.

Der König ging nach Reims. Am 25. Oktober fand die Feierlichkeit statt. Sechs Prinzen von Geblüt stellten die sechs weltlichen Pairs von Frankreich vor. Der Herzog von Orleans vertrat den Herzog von Burgund, der Herzog von Chartres den Herzog von der Normandie, der Herzog von Bourbon den Herzog von Aquitanien, der Graf von Charolais den Grafen von Toulouse, der Graf von Clermont den Grafen von Flandern und der Prinz von Conti den Grafen von Champagne. Den Konnetabel stellte der Marschall von Villars dar und der Prinz von Rohan den Oberzeremonienmeister des Königs.

Bei der Rückkehr von Reims begab sich der König nach Villers-Cotterets, wo ihm der Herzog von Orleans glanzvolle Feste gab, dann nach Chantilly zu dem Herzog von Bourbon, wo gleichfalls Festlichkeiten stattfanden.

Die Herzogin von Orleans, obgleich unpaß, wünschte doch der Krönung beizuwohnen; sie traf also Anstalten zur Reise. Diese an Frankreichs Geschicke so sehr beteiligte deutsche Frau, die ihr ganzes Dasein am französischen Hofe zugebracht, wollte doch nicht das Leben verlassen, ohne ein so wichtiges Staatsereignis, wie es die Krönung eines neuen Königs ist, mit anzusehen. Ihre Freundinnen suchten sie von der Reise abzuhalten, ihr Sohn riet ihr, den Verlauf der Krankheit in Ruhe und zu Hause abzuwarten.

»Du verstehst davon nichts,« sagte sie, »ich muß dabei sein. Ich will diese bedeutungsvolle Krone, an deren Last ich mitzutragen gehabt habe, auf dieses junge Haupt übergehen sehen, für das sie vorerst nur ein Symbol der Macht, noch nicht die Macht selbst ist.«

Sie hatte recht, wenn sie behauptete, daß sie an der Krone mitzutragen gehabt hätte. Sie tat es in bester und edelster Weise. Während die schamlosen Weiber, mit denen der König sich umgab, die Last nur schwerer und sogar zuletzt verhaßt machten, benutzte sie die wenigen Stunden, wo sie dem Träger der Last nahe stand, durch Belebung und Aufheiterung, durch Teilnahme für die Unterdrückten des Volkes, das in den Fesseln des Fanatismus schmachtete, ihre edle Weltanschauung kundzugeben. Zuletzt allerdings war dies vergeblich, die schwarzen Mächte, die den König umschlossen hielten, verstanden jede Annäherung dieser Art fernzuhalten. Immer, wenn sie erschien, mit ihrem bleibend ruhigen und freundlichen Gesichtsausdruck, mit ihrem Scherz und ihrer Heiterkeit, mit denen sie die auf sie gezückten Waffen ihrer Feindinnen abwehrte oder wirkungslos machte, war sie dem König eine willkommene und stets gesuchte Erscheinung. Ihren Platz an der Familientafel leer zu sehen, war ihm stets bedauerlich. Daß sie sich nie in die Händel des Hofes mischte, nie für jemand sprach oder mit einer Ansicht durchdringen wollte, machte sie ihm besonders lieb, und gerade dies beunruhigte und beleidigte die herrschenden Mätressen, die jede Handhabe verloren, an der sie sie fassen konnten. Frau von Montespan rief ihr mehr als einmal zu: » Allez, Madame, vous êtes bon pour rien!« – Dennoch war keine aufmerksamer, wenn es galt, ihre Stellung zu bewahren, und niemand verstand es so gut, das passende Wort zu finden, wo dem Übermute oder der Rücksichtslosigkeit Zaum und Zügel konnte angelegt werden. Es wagte darum zuletzt niemand, mit der soeur pacifique anzubinden, weil man wußte, man zog immer mit einer Niederlage ab.

Der Verlauf dieser Geschichte hat gezeigt, welche Kränkungen sie bei alledem erfuhr, wie man ihr Herz bluten machte und wie wenig man sich darum kümmerte, ob sie die Last der schweren Sorgen würde tragen können oder nicht. Ohne Zweifel wäre dem ganzen Hofe, den König vielleicht ausgenommen, ein Erliegen der Dulderin, wenn nicht willkommen, so doch völlig gleichgültig gewesen. Aber ihr ehrlicher Gottessinn, vereint mit der starken Natur, die sie mitbrachte, half ihr siegen, und zuletzt hatte eine Art Gleichgültigkeit sich über ihre Seele gelegt, so daß ihr alles, ihren Sohn ausgenommen, völlig einerlei war, was geschah. Sie hatte unzählige Male den Egoismus siegen, die Schlechtigkeit triumphieren sehen; aber die einfache Wahrheit, wie sie sie bewahrte und brachte, war ein Gegenstand, den niemand zu wissen forderte. Dann fühlte sie auch, daß sie mit ihren Ansichten wie mit ihrer Kleidung altmodisch geworden war. Die alte Frau, wie sie in ihrem steifen Leibstück, mit dem Goldbrokatkleide, gerade und regungslos dasaß, hatte für die junge Welt etwas Abschreckendes. Ihre Miene von Freundlichkeit wurde zur Grimasse. Man glaubte nicht, daß dieser alten Dame noch irgendetwas einen wohlwollenden Zug entlocken könnte, und man hielt deshalb ihre lächelnde Miene für eine Maske. Zum großen Teil war sie es auch. Noch bis in ihr spätes Alter mit scharfem Gesicht begabt, richtete sie doch diese Schärfe und Sehfähigkeit auf keins der Dinge um sie her, sondern sie sah vor sich hin oder blickte teilnahmlos auf den Gegenstand, der ihr gezeigt wurde. In der Kirche war es der Priester am Altar, obgleich sie dessen Tun und Treiben, als mit ihrer Religion in keiner Weise zusammenhängend, herzlich gering achtete; in der Gesellschaft war es die vornehmste Person. Da in allen Gesellschaften, wo sie sich zeigte, es müßte denn der kleine knabenhafte König zugegen gewesen sein, sie die vornehmste Person selbst war, so versank sie bald nach ihrem Erscheinen in eine Art halb wachenden, halb schlafenden Zustandes, der ihr, außer der freundlichen Miene, die sie immer beibehielt, durchaus kein Merkmal der Seelentätigkeit abnötigte. Auch vermied sie diese großen Gesellschaften. Fanden sie abends statt, so kam sie grundsätzlich nie hin, weil der herrschende Ton daselbst zu frivol geworden war und allzu viele »liederliche Weiber« um sie her saßen. Zu großen Mittagsfesten, besonders bei ihrem Sohne, ließ sie sich herbei, und dort war immer für einen Kreis ernster Männer und alter Damen gesorgt, der sie einschloß. Für gewöhnlich blieb sie in ihren Gemächern, in ihrem geliebten St. Cloud, wo sie zu bestimmten Stunden ihren Sohn erwartete, der immer kam, um sie mit dem Neuesten bekannt zu machen, was sich gerade in der Politik und in der Gesellschaft ereignet hatte. Wir haben gesehen, wie freimütig und offen sie miteinander sprachen, und das ganze Entzücken des Regenten war, seine Mutter zum Lachen zu bringen oder ihr eines jener kernigen, derben Späßchen zu entlocken, die mit zunehmenden Jahren bei ihr immer seltener wurden.

In Reims hatte er dafür gesorgt, daß sie mit all den Auszeichnungen und dem Prunk ihres Ranges auftrat. Sie hatte ihre eigene Loge in der Kirche und saß darin, goldglänzend und mit ihren Diamanten geschmückt, wie ein altes kostbares Bild aus einer unschätzbaren Bildergalerie, so prächtig, so glänzend und so überaus vornehm. Die Blicke des jungen Königs begegneten dieser erlauchten Verwandten, und er behielt sie fest im Auge, als er seinen Schwur ablegte, gleichsam als riefe er diese ehrwürdige Dame, diese fleckenlose Tugend, diese Dulderin als Zeugin seiner Versprechungen an. Sie war auch in der Tat von dem ganzen alten Hofe, der in Nacht und Dunkel versunken war, die einzige, die noch gegenwärtig war, um der Krönungsfeier eine gewisse patriarchalische Würde zu geben, die bei keiner andern Person des Hofes mehr zu finden war. Als das zeremoniöse Fest seinen Anfang nahm, als der Krönungszug sich ordnete, war sie es, der der junge König den Arm reichte, und es war seltsam zu sehen wie die alte siebzigjährige Frau und der vierzehnjährige Knabe zusammen dem versammelten Hofe vorangingen, während die Musik die große, von Lolli komponierte Siegeshymne Frankreichs spielte.

Aber nicht allein das großartige Fest, auch Familienrücksichten hatten die kranke Herzogin bewogen, die Reise zu machen. Sie sah bei der Gelegenheit den Herzog von Lothringen wieder, der ihr Eidam war und ihre geliebte Tochter zur Frau hatte. Es war ihr, in ihrem goldnen Käfig in Paris eingesperrt, nicht möglich, eine Reise nach Lothringen zu ihrer Tochter zu machen; jetzt bei der Krönung in Reims sah sie sie endlich wieder. Diese ungewöhnliche Gemütserschütterung wirkte indessen nicht günstig auf ihr körperliches Wohl. Sie kam nach St. Cloud bedeutend kränker zurück, als sie ausgefahren war.


 << zurück weiter >>