Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

54
Des Königs Unglücksjahre

Wir haben noch zwei Todesfälle zu berichten von Personen, die in dieser Geschichte eine Rolle gespielt, von der Frau von Montespan und dem Chevalier von Lorraine.

Die erstere erlebte noch die Freude, wenn man dieses anders eine Freude nennen darf, ihren ungetreuen Liebhaber noch einmal vor ihrem Tode zu sehen. Es war dies auf einem Feste, das der Sohn des Königs gab, und wo er vorher die Liste der einzuladenden Personen dem Könige überschickt hatte. Der König hatte den Namen der Marquise gelesen und die Liste darauf, ohne ein Wort zu erwidern, eingesteckt. Es war ein Fest zu Ehren der jungen Herzogin von Burgund. Diese in der Tat liebenswürdige junge Frau, die damals noch nicht den sie entehrenden Liebeshandel mit dem Herrn von Maulevrier hatte, war in der Blüte ihrer Gunst beim Hofe und ohne Frage ein bevorzugter Liebling des Königs selbst. Auch sie war neugierig, Frau von Montespan zu sehen, und mit ihr waren es sehr viele Damen aus der Umgebung dieses Kreises. Frau von Montespan kam und wurde vom König mit Gleichgültigkeit begrüßt; das war alles. In dem Kloster, wohin sie sich zurückgezogen hatte, fuhr sie fort Besuche zu empfangen und ihre Zeit der Wohltätigkeit zu widmen. Dabei beherrschte sie eine furchtbare Todesangst. Sie unterhielt eigens eine Anzahl Personen, die den Auftrag hatten, die ganze Nacht über in ihrem Zimmer zu tanzen, zu lachen, zu spielen. Es durfte keine Minute vergehen, wo sie sich allein und ohne dieses gezwungene Aufgebot von Frohsinn befand. So kam das Ende dieser berühmten Frau heran.

Was den Chevalier von Lorraine betraf, so gelang es ihm, sich bei Hofe zu halten, allein verachtet vom Herzog und unbemerkt von der Herzogin. Er suchte um die Gunst des Herzogs von Chartres nach, doch er erhielt sie nicht. In seinem zügellosen Leben, in welchem er sich mit allen Lastern umgab, nutzte es ihm nichts, daß er Reichtümer sammelte; selbst die Erbschaft seines Onkels, die ihm zufiel, machte ihm keine Freude. Er starb plötzlich, vom Schlage getroffen, geschmäht, gelästert und verachtet von seiner Umgebung und bestohlen von seiner Dienerschaft, gerade in dem Moment, wo ein Prozeß gegen ihn anhängig gemacht wurde, der ihn der Teilnahme an verschiedenen Giftmorden beschuldigte.

Das Unglück, das den großen König inmitten seiner Familie traf, verfolgte ihn auch außerhalb seines Hauses. Der Krieg wurde mit entschiedenem Mißgeschick geführt. Es sei hier genug, nur anzudeuten, welche Verluste Frankreich trafen. Wilhelm III., der sich in den Besitz des englischen Thrones gesetzt, war darauf gestorben, indem er noch sterbend seinem Feinde Ludwig XIV. ein feindliches Bündnis entgegensetzte: es war dies die »große Allianz«. Der Zweck derselben war, den Erzherzog Karl auf den spanischen Thron zu setzen. Um hierzu zu gelangen, ward Holland verpflichtet, hunderttausend Mann zu stellen, England dagegen stellte zweimalhunderttausend Mann, der Kaiser neunzigtausend. Portugal und Savoyen wurden als Bundesgenossen aufgenommen. Ludwig XIV. hatte infolge des ausbrechenden Krieges die Schlachten von Blenheim, Ramilles, Turin und Malplaquet verloren. Die Schlacht von Blenheim hatte Frankreich eine treffliche Armee, die ganze Strecke zwischen der Donau und dem Rhein, und dem ihm verbündeten Hause Bayern sein Erbteil gekostet. Die Niederlage von Ramilles kostete Frankreich ganz Flandern, das Mißgeschick bei Turin kostete Frankreich die Besitzungen in Italien. Der Sieg bei Malplaquet, der blutigste in diesem Kriege, trieb die Franzosen von den Ufern der Sambre bis nach Valenciennes zurück. Im Dienste Frankreichs kämpften zwei berühmte Feldherren, der Herzog von Vendôme in Italien und Villeroi in Flandern. Da man in Versailles mit beiden unzufrieden zu sein Grund zu haben glaubte, schickte der König den Herzog von Orleans an Vendômes Stelle. Er hatte als Gegner den berühmten Prinzen Eugen und den Herzog von Savoyen. Auch der Herzog von Chartres kämpfte unglücklich. Frankreich verlor im Zeitraum weniger Monate Mailand, Mantua, Piemont und endlich auch das Königreich Neapel. Bei seiner Rückkunft erhielt der junge Herzog das Generalkommando in Spanien, mit einer Vollmacht, die, wenn sie ihm in Italien in dieser Art geworden wäre, wahrscheinlich Frankreich die italienischen Provinzen erhalten hätte. In Spanien angelangt, nahm er Lerida und wollte zur Belagerung von Tortosa schreiten, aber die bereits zu weit gediehene Jahreszeit erlaubte dies nicht. Als er nach Paris zurückkehrte, empfing ihn der König ehrenvoll, indem er ihm seinen Glückwunsch machte, dort gesiegt zu haben, wo der große Condé sich unverrichteter Sache zurückgezogen hatte. Das andere Jahr von neuem nach Spanien gesendet, war ihm die dort herrschende Hungersnot und zugleich das Intrigenspiel der Frau von Maintenon entgegen, die behauptete, er verlasse den Hof von Madrid nicht, weil er in die Königin verliebt sei. Trotz dieser Hindernisse nahm er Ginestar und stürmte Tortosa, dessen Besatzung kapitulierte. Mit seiner Heimkehr nach Paris hatte den König von Spanien sein guter Genius verlassen. Von dem Bunde wurde der Erzherzog Karl zum König erklärt, und Vauban machte dem König Ludwig den Vorschlag, seinen Enkel, den König von Spanien, nach Amerika zu schaffen. Inzwischen aber zog dieser es vor, nach Pampelona zu entfliehen. Erzherzog Karl sah bei seiner Ankunft in Madrid bald ein, daß hier seines Bleibens nicht sei, daß es ihm nie gelingen werde, sich die Liebe der Spanier, die an Philipp V. hingen, zu erwerben. Alle Stände waren gegen ihn. Die verzweifelte Lage des Königs bewirkte, daß die Widersacher desselben den Herzog von Orleans angingen, sich als König ausrufen zu lassen, eine kecke Tat, die jedoch ihre Begründung hatte in dem Umstande, daß der Herzog Enkel Annas von Österreich war. Der Herzog willigte nicht ein, schlug aber zugleich den angeregten Plan nicht ganz von sich ab. Dies gab seiner Feindin, der Herzogin von Ursinns, Veranlassung, diesen Verrat, noch ehe er begangen war, der Frau von Maintenon zu melden, die ihn begierig auffaßte und den König davon in Kenntnis setzte. Der König, im höchsten Grade erzürnt, befahl dem Kanzler Pontchartrain, den Prinzen zu verhaften und seinen Prozeß einzuleiten. Der Kanzler erwiderte unerschrocken, daß dies nicht wohl zu tun sei, daß der Prinz, wenn er sich in Spanien vergangen, dort gerichtet werden müsse, daß Frankreich nicht der Ort sei, ihn für etwas zu strafen, was er außerhalb der Landesgrenzen verbrochen habe. Ludwig hörte auf diesen Rat, und die Sache unterblieb.

Jetzt war der König zu der unglücklichsten Periode seiner Regierung gekommen. Das Mißgeschick schien sich an seine Fersen zu ketten. Alle seine Unternehmungen mißlangen, überall hatte er Feinde. Die Bedingungen, die er vorschlug und einzugehen willens war, zeigten ihn in seiner ganzen trostlosen Blöße. Er war erbötig, Spanien dem Erzherzoge zu überlassen und die Besitzungen der Neuen Welt noch hinzuzufügen, unter der Bedingung, daß Philipp V. Neapel, Sizilien, die spanischen Besitzungen in Italien und Sardinien behalten sollte. Nach den Unglücksfällen des Jahres 1709 gab er die ganze spanische Monarchie auf, die Häfen von Toskana, Mailand, die Niederlande, die amerikanischen Besitzungen und behielt sich nur Neapel, Sizilien und Sardinien vor. Um die Holländer für sich zu gewinnen, gab er ihnen vier Festungen als Bürgschaft, er entsagte der Souveränität des Elsasses, gab Straßburg und Breisach hin, versprach, alle Festungen von Basel und Philippsburg schleifen zu lassen, und überließ den Generalstaaten eine Menge Städte. Hiermit noch nicht genug, verlangten die Alliierten, die während der Verhandlungen Siege bei Bethune und Saragossa gewannen, daß er selbst seinen eigenen Enkel aus Spanien verjagen sollte.

Bis hierher hatte das entschiedenste Unglück alle Schritte des alten Königs verfolgt, jetzt wendete sich die Angelegenheit zum bessern. Der Herzog von Vendôme erschien in Spanien, und mit ihm siegten die königlichen Waffen. Der König bezog wieder Madrid. Der Sturz Marlboroughs stimmte England für Frankreich, der Tod des Kaisers in Deutschland ließ den Bund bedenken, daß, wenn er gegen die Vergrößerung Frankreichs wirken wolle, er ebenso gegen die Machterhöhung Deutschlands gerüstet sein müsse.

Im Jahre 1713, im Utrechter Frieden, konnte Ludwig nach dem Siege bei Denin folgende günstige Bedingungen mit den Mächten abschließen, nachdem die Entsagung Philipps V. auf die Krone Frankreichs sowie die des jetzigen Dauphins auf die von Spanien erfolgt war. Der Herzog von Savoyen erhielt die königliche Würde und die Anwartschaft auf die spanische Krone im Fall des Erlöschens des Hauses Philipps V. Holland erhielt die österreichische Oberhoheit der spanischen Niederlande. An den Kaiser wurde das Königreich Neapel und Sardinien abgetreten, ein Teil des spanischen Flandern und die Häfen der toskanischen Küste nebst einem Anteil an der Lombardei. England bekam seine Forderung erfüllt: die Zerstörung des Hafens von Dünkirchen; es behielt Gibraltar und Minorka und in Amerika die Hudsonbai, die Inseln Neufundland und Neuschottland, die früher französisches Eigentum gewesen. Endlich wurden auf Englands Verlangen alle Hugenotten befreit, die sich noch in den Gefängnissen befanden. Der Kurfürst von Brandenburg bekam den Königstitel, dazu Obergeldern und das Fürstentum Neufchatel. Frankreich erhielt von dem König von Preußen das Fürstentum Oranien und die beiden Herrschaften Chalons und Chatel-Belin in Burgund. Der Marschall von Villars und der berühmte Eugen unterhandelten in den Vergleichen, die stürmischer Natur waren.

Beim Schlusse dieser Angelegenheiten zählte der König sechsundsiebzig Jahre, sechzig Jahre hatte er die Krone getragen. –


 << zurück weiter >>