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18
Der Amorettenmaler

Aus dem Krankenzimmer Georgs, der nach dem Unfall auf der Jagd bei der ganzen Hofgenossenschaft den Beinamen Adonis erhalten hatte, trat Charlotte heraus, um einem Boten zu folgen, der sie hinauf in das Arbeitszimmer ihres Vaters rief.

Der Kurfürst saß am Tisch, vor ihm lagen mehrere Bildnisse ausgebreitet; ein Mann von ernstem Ansehen, mit einem langen, schwarzen Bart und einer goldenen Gnadenkette, stand zur Seite und machte der eintretenden Prinzessin eine tiefe Verbeugung.

»Nimm Platz!« rief der Kurfürst, »und sieh dir diese Bildnisse an.«

Die Prinzessin blickte auf die Porträts und fand in allen hübsche Köpfe, aber mit einem gezierten Ausdruck und in einem märchenhaften, phantastischen Aufputze. Sie gestand dies ihrem Vater.

»Es ist dies die Mode,« entgegnete der Kurfürst, »man will alle Leute so und nicht anders geputzt sehen. Welcher Anzug würde dir am besten gefallen?« –

»O, Eure Liebden, kein einziger,« antwortete die Tochter. »Diese hier sieht wie verrückt aus mit ihrem kleinen Schäferhütchen, jene ist eine Göttin, von einer Wolke verschleiert, und man sieht nicht, wie sich's mit ihrem Kopfe und ihrer Frisur endigt, und hier, die Kleine hat Flügel an den Schultern.«

»Das ist die junge Herzogin von Duchaine,« erwiderte der Mann, »die Flügel sollen verdecken, daß sie auf einer Schulter einen Höcker hat.«

»Ei, weshalb hat man ihr nicht ihren Höcker gelassen?«

Der Kurfürst sah den Maler an und lächelte.

»Nun, so antworte,« sagte der Kurfürst von neuem, »in welchem Anzuge möchtest du dich am liebsten sehen?«

»In keinem, gnädiger Herr Vater, ich müßte ja glauben, daß alle, die mich so sähen, mich für nicht richtig im Kopfe hielten. Geht irgend jemand wohl mit einer Wolke auf dem Kopfe herum?«

»Du würdest also am liebsten dich so gekleidet sehen, wie du jetzt bist?« fragte der Fürst.

»So ziemlich, ja!« lautete die Antwort, »nur, wenn es sein müßte, würde ich einen Blumenkranz aufsetzen. Das ist einfach, natürlich und hübsch.«

»Was sagt Ihr dazu, Herr Chouan?«

»Jenun, es käme auf einen Versuch an,« entgegnete der Gefragte, »der Prinz hat zwar –«

»Pst!« winkte der Kurfürst.

Es herrschte eine kleine Pause, dann nahm der Fürst wieder das Wort und tat den Ausspruch: »Gut, es bleibe beim Blumenkranz; dazu ein passendes Kostüm, vielleicht das einer Schäferin?« –

»Vielleicht im Hintergrunde«, bemerkte der Maler, »einen Amor mit Pfeil und Bogen?«

»Einen Amor?« fragte Charlotte, »das ist ein kleiner, nackter Knabe mit Waffen? Nein, beileibe nicht, das deutet auf Liebe, das will ich nicht!« –

»Das wollen Euer Durchlaucht nicht?« fragte Chouan verwundert.

»Nein, das will ich nicht,« entgegnete die Prinzessin bestimmt. »Wer es sieht, könnte denken, ich ginge auf Liebeshändel aus! Es muß hübsch anständig sein, wie das Bild meiner Großmutter, der Königin, die sich auch als Schäferin hat malen lassen, aber damit niemand an Liebe denken soll, hat sie ein kleines Hündchen zur Seite, und auf der andern Seite ein Schäfchen, im Hintergrunde steht die Krone.«

»Es bleibt dabei,« rief der Kurfürst. »Wann fangen Sie an?«

»Morgen, wenn es der durchlauchtigste Herr so befehlen.«

Er packte seine Bilder zusammen und verließ das Zimmer.

Als er fort war, fragte Charlotte ihren Vater, für wen sie sich solle malen lassen.

»Für deinen Freier,« entgegnete er.

»Mein Himmel! Habe ich denn schon einen?«

»Du mußt einen bekommen,« entgegnete der Vater.

»Ach, Eure Liebden scherzen. Wenn einer da wäre, müßte ich's ja wissen. Oder sollte vielleicht mein allerliebster Herr Vater den armen Georg berücksichtigen?«

Der Kurfürst zog eine finstere Miene. »Georg kann nie dein Mann werden!« sagte er. –

»Der arme Junge!« seufzte Charlotte.

»Was ist das?« fragte der Vater verstimmt. »Hat er denn jemals etwas derartiges geäußert?«

»O nein, nein!« rief sie lebhaft. »Wie sollte er auch? Er ist ja noch so jung.«

»Das wäre kein Grund dagegen. Oder hast du jemals an eine Heirat mit ihm gedacht?«

Charlotte stand wie mit Blut übergossen; aber ihr treuherziges, offenes Auge sah bald wieder vom Boden auf und in das Auge des Vaters; dann sah sie wieder zur Erde und kaum hörbar sagte sie: »Gedacht habe ich schon!« Dann rasch darauf: »Aber wie gesagt, ich will nicht heiraten. Frei sein ist das beste, und somit schlage ich alle derlei Gedanken in den Wind.«

Er zog sie an sich, legte seine Hand auf ihr Haupt und sagte dann langsam und traurig: »Lotte, meine Tochter, du warst so fest und ernsthaft, als du die beiden Prinzen neulich ausgeschlagen, ohne daß ich ein Wort dazwischen zu sprechen hatte, wie bist du denn jetzt? So hat dir der blonde Bube das Herz gestohlen? Ich will's nicht hoffen.«

»Sicherlich nicht, mein Vater,« erwiderte sie, und die Tränen waren ihr nahe. »Ich dachte nur: ein arm fürstlich Mädchen, dem es an Ländereien und großem Namen gebricht, die sich so herumwinden und kriechen muß, wenn jemand von etwas Hohem sich um sie kümmern soll, tut am besten, sie wählt sich einen armen Jungen von ihrer Art zum Begleiter durchs Leben.«

»Wer sagt dir,« rief der Kurfürst, »daß du ein armes deutsches Fürstenkind bist? Das Haus Pfalz ist hochgeachtet im deutschen Fürstenbunde, und hat dein Großvater sich die Frau vom Throne der drei Kronen geholt, so sehe ich nicht ein, weshalb ich mit dir niedriger hinaus soll? Zudem erhältst du einen namhaften Ehepfennig mit, nach dem schon mancher Königssohn lüstern sein soll. Ich will nicht hoffen, daß du niedriger von dir denkst, als es dir zukommt?«

Charlotte schwieg.

Das Gespräch war beendet. Es kamen Herren, die von Geschäften sprechen wollten, und die Tochter entfernte sich. Sie schlich durch die Dämmerung in den alten Fürstensaal. Der Mond war soeben aufgegangen und warf sein Licht durch die hohen Fenster. Da drüben an der Wand hingen die Bilder ihrer Ahnen. Sie hatte sie oft beobachtet, jetzt plötzlich kamen sie ihr in einem anderen Sinne vor; sie erblickte sich in ihrer Mitte. Dabei fiel ihr das trübe Geschick ihres Stammes ein, die vielfachen Hemmnisse und traurigen Schicksale, die ihre nächsten Vorfahren erlitten, und es erschien ihr zum ersten Male ihr Los als streng und unerbittlich. Es war, als ließe sich ein Vorhang nieder vor ihre Kindheit, die sie unschuldsvoll und heiter in Hannover und hier zugebracht, und schnitte sie plötzlich von allem ab, was Heimat und Freude war. Das Geschick der Fürstinnen ging drohend an ihr vorüber, sie kannte gar viele unglückliche Frauen darunter, manche Märtyrerinnen und manche elend um jede Lebensfreude Betrogenen. Sie sah sich selbst im dunkeln Trauerflore und hinter sich eine brennende Stadt. Eine Stimme rief: »Das wird dein Los sein!«

Ängstlich fuhr sie zusammen. Die Schatten des Saales hatten sie nach und nach eingehüllt, die Mondlichter waren kalt und schneidend, es war ein schauerlicher Aufenthalt, sie eilte, ihm zu entfliehen. Als sie die Türe öffnete, stand die Raugräfin auf der Schwelle. Sie stürzte sich in ihre Arme, und Luise umschloß sie sanft. »Sieh da,« rief sie, »dein Kranker kann schon sein Zimmer verlassen, er folgt mir! Da ist er.«

Und dem Diener, der Lichter brachte, folgte Georg, bleich, aber ohne den Arm seines Führers. Er grüßte freundlich die beiden Frauen.

»Mein liebes Vetterchen!« rief Charlotte. »Ach, du armes Käuzchen, was wird aus uns beiden werden?«

»Keine Jäger fürs erste!« rief die Raugräfin, »denn wer sich nicht vor der Sau zu schützen weiß, soll sich ihr nicht in den Weg stellen.« –

»Erst recht, Tantchen!« rief Georg. »Jetzt will ich mein Lebtag nichts als jagen. Ich will meinen Unfall auslöschen vor dem Angedenken der Menschen. Ach, wenn Paraclet das gesehen hätte; er, der mich immer schalt, weil ich ihm zu weibisch war.«

»Wer war Paraclet?« fragte die Raugräfin.

»Nichts!« entgegnete Georg zerstreut und unwillig, »es ist nur eine Erinnerung aus dem Kloster. Darf ich hinauf zu Seiner Liebden gehen?« fragte er Charlotten.

»Jetzt nicht,« erwiderte diese. »Der Vater hat Besuch; es sind Herren da, mit denen er sich eifrig unterhält. Sie sind heute nachmittag gekommen. Wir wollen später beide zusammen hinaufgehen. Ich muß ihm doch meinen Kranken, nunmehr Gesunden, vorstellen.«

In dem Augenblick ward die Saaltür aufgerissen. Es wurden mehrere Lichter gebracht, und der Kurfürst trat mit zwei Herren herein, die er der Raugräfin vorstellte. Der eine, ein nicht mehr ganz junger Mann, war elegant und vornehm gewachsen, er hatte einen dunklen Blick und sah sich damit überall forschend um. Er wurde als Gaston, Marquis von Rohan, genannt; der ihm folgte, war ungefähr von demselben Alter.

Charlotte glitt unbemerkt aus dem Saale. Georg folgte ihr.

Vor der Tür flüsterten sie miteinander.

»Was sie nur wollen?« fragte Georg.

»Ich weiß es nicht!« entgegnete Charlotte, aber sie zitterte so heftig, daß sie sich auf Georgs Schultern stützen mußte.


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