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Das Komplott Alberonis

Der Regent kam zu seiner Mutter, die er beschäftigt fand, die Nachlassenschaft der Äbtissin von Montbuisson zu ordnen, deren Tod viel Rechtsstreitigkeiten erregte, indem eine Menge Erben sich meldete, deren Ansprüche untersucht und berichtigt werden mußten. Nach den unregelmäßigen Tagebüchern und nach dem Briefwechsel, den die Dame geführt, mußte dies geschehen, und es kostete Mühe, es zustande zu bringen. Der strenge Ordnungssinn Charlottens, ihr Wunsch, sowohl für sich wie für ihre Angehörigen durchaus keine Schulden und Verbindlichkeiten nachzulassen, wurde hier durch eine systemartige Unordnung betrübt, die sich nicht allein auf die Person der alten Nonne beschränkte, sondern auch deren Eltern und Voreltern betraf. Es war ihr daher lieb, daß sie den Wust von Papieren beim Eintritt ihres Sohnes von sich schieben konnte, um von ihm nun einmal etwas anderes und Interessanteres zu hören.

Leider war der Beginn des Gespräches kein eben willkommener, denn der Regent hub an: »Ich komme, Ihnen eine Verschwörung zu enthüllen, Mutter, die, wenn die Vorsicht nicht über unserm Haupt gewacht hätte, leicht uns alle ins Verderben hätte stürzen können.«

»Mein Himmel, was hat es denn gegeben?« fragte sie.

»Hören Sie! Fürs erste muß ich Ihnen wiederum das Lob eines Menschen singen, den Sie nun einmal nicht leiden können, und der sich mir nützlich beweist.«

»Herr Dubois?«

»Derselbe.«

»Nun, was ist's mit ihm?«

»Sie wissen, daß ich ihn vor einiger Zeit nach England schickte, und daß er mir da sehr gute Dienste leistete. Vor einiger Zeit ging er nochmals hin, und jetzt ist's ihm gelungen, durch übernatürliche Anstrengungen, die er auf die Minister und Mätressen Ihres Vetters Georg angewendet, eine Quadrupelallianz zustandezubringen, was bis jetzt immer noch an dem hartnäckigen Widerstande König Georgs gescheitert war. Er reiste von hier ab, bepackt mit allem möglichen Modeputz, den er für die Herzogin von Kendal mitnahm, die Dame Georgs! Es kam darauf an, den Minister Pitt ebenfalls für uns zu gewinnen. Er hat dies bewirkt, indem er einen Diamanten, den der Minister verkaufen wollte, für zwei Millionen an sich brachte. Der Stein kam hier an, er ist wirklich bewundernswürdig und sechshundert Gran schwer. Ich zweifelte etwas, ob der Vertrag ebenso rasch nachfolgen würde, und siehe da, wenige Tage darauf erhielt ich ihn, in bester Form abgefaßt, die beabsichtigte Quadrupelallianz zwischen dem König von England, dem Kaiser, mir und Holland. Durch diesen Vertrag habe ich nun, was ich wünsche. Der Kaiser verzichtet auf seine Ansprüche auf Spanien, während Philipp seine Rechte und Ansprüche auf die italienischen Staaten und in den Niederlanden freigibt. Der Herzog von Savoyen gibt Sizilien dem Kaiser zurück und nimmt dafür Sardinien.«

»Ich wünsche dir Glück, mein Sohn!« rief die Herzogin. »Nur nimm dich mit König Georg in acht, er ist der zäheste und unzuverlässigste Geschäftsmann.«

»Deshalb sandte ich ihm einen viel zäheren und unzuverlässigeren, ja sogar spitzbübischen Unterhändler auf den Hals: dies war Dubois.«

»Der sich jetzt bei dir wieder festgesetzt hat, wenn er irgend jemals in Gefahr der Ungnade schwebte!« rief die Herzogin.

»Sie können sich denken, daß ich ihm erkenntlich bin,« rief der Sohn. »Jetzt gibt ihm der Zufall auch noch eine Entdeckung in die Hände, die geradezu meine Existenz bedroht. Hören Sie den teuflischen Plan, den Herr von Maine mit einem italienischen Schuft zusammen ausgesonnen und, es fehlte wenig, auch ins Werk gerichtet hätte.«

»Also der saubere Bastard!« rief die Herzogin. »Ja, ich glaube es, er wird nicht ruhig sein! Die alte Hexe lebt noch. Für beide wäre es eine Seligkeit, dich vom Thron zu stoßen und dir alles drei- und vierfach zu vergelten, was du ihnen getan hast.«

»Er ist nicht sowohl der Hauptheld dieser albernen Tragödie,« bemerkte der Herzog, »als vielmehr seine Frau! Der kleine Buckel wirft täglich Gift und Galle aus, daß sie und ihr Eheliebster in Sceaux sitzen müssen. Dieses monströse, verwachsene Geschöpf ist viel mehr und viel wirksamer Teufel als der Mann, der nichts kann als boshaft klatschen und verleumden – wenn das nicht hilft, so sitzt er da wie ein Soldat, der sein Pulver verschossen hat. Hören Sie, was diese beiden sich ausgesonnen haben. Dem Herrn Vetter in Spanien, dem schwachen Philipp V., haben schon seit einem Dutzend von Jahren Jesuiten, Mätressen und Minister auf dem Halse gesessen, um ihn zu bearbeiten. Er, ein Prinz von Geblüt, ein direkter Enkel Ludwigs XIV., dünkt sich weit über mich erhaben, und man braucht ihm nur ein Wörtchen ins Ohr zu flüstern, so ist er erbötig, seine Hand nach der Krone Frankreichs auszustrecken. Daß der König jetzt gerade ein krankes, schwächliches Kind ist, das wirft Wasser auf seine Mühle. Mit mir gedenkt Seine Majestät schon fertig zu werden. Dazu bieten jetzt saubere Helfershelfer ihre Dienste an. Da ist ein Makkaroni-Koch aus Parma, ein gewisser Alberoni, ein unternehmender Spitzbube, der durch Vendôme, der damals in Italien unsere Armeen führte, sein Glück gemacht hat.«

»Ich kenne die Geschichte,« rief die Herzogin. »Vendôme, der die halbe Zeit seines Lebens auf dem Nachtstuhle zugebracht, empfing auch gewöhnlich seine Besuche darauf. Der Herzog von Parma schickte einen Bischof an ihn ab. Der Bischof bekomplimentierte sich mit dem Herzog, und infolge eines Scherzes, wie sie der Herzog liebte, zeigte er ihm die Kehrseite. Der Bischof geht empfindlich fort, schickt aber einen jungen Abbé, um mit dem Herzog zu unterhandeln. Dieser, von den Liebhabereien des Herzogs unterrichtet, führte sich ganz anders auf. Als der Herzog wieder dasselbe Manöver macht, ruft er begeistert aus: › Ah, quel cul d'ange!‹ Der Herzog, dem dieser Ausdruck gefiel, behielt den Abbé bei sich und brachte ihn bald darauf, da ihm der Befehl wurde, nach Spanien zu gehen, dorthin.«

»Ganz recht. In Spanien machte er nun sein Glück!« ergänzte der Regent die Erzählung seiner Mutter. »Die Herzogin von Ursinus, die allgewaltige Mätresse von Vetter Philipp, nahm sich des jungen, schönen Makkaroni-Kochs an, und er wurde Minister. Später, bei dem Tode der Königin, brachte er die Tochter seines frühern Herrn, des Herzogs von Parma, nach Spanien. Durch diese Heirat, die der Ursinus, die sich von Alberoni täuschen ließ und von der jungen Königin eine solche Kühnheit nicht erwartet hatte, ihre Stelle und ihre Freiheit kostete, wurde er erster Minister und allmächtiger Würdenträger in Spanien. Eine seiner Hauptaufgaben, sich in der Gunst seines Herrn festzusetzen, war nun, den geheimen Plan des Königs auf die französische Krone zu begünstigen. Das Werk wurde ziemlich schlau ausgedacht. Alberoni war der Träger der ganzen Intrige. Durch die Briefe der Herzogin von Maine angefeuert, sollte jetzt der Zeitpunkt gewählt werden, wo man losschlagen wollte. Es sollte damit beginnen, daß man mich gefänglich einzog und in die Zitadelle von Toledo sperrte, darauf würde dem Herzog von Maine die Regentschaft übergeben, Frankreich von der Quadrupelallianz abgetrennt und der Prätendent Jakob III. mit einer französischen Flotte nach England expediert. Mit Schweden, Rußland und Preußen sollte nunmehr eine Allianz geschlossen werden. Deutschland sollte den Kampf benutzen, um Neapel und Sizilien wieder zu nehmen, die ihm verloren gegangen waren. Das Großherzogtum Toscana bekam der zweite Sohn des Königs von Spanien, Sardinien erhielt wieder zum Herrn den Herzog von Savoyen, Mantua bekamen die Venetianer. Auf diese Weise schloß er ein großes Bündnis des Südens gegen den Osten, und wenn der König Ludwig XV. starb, so bekam Philipp V. die Krone Frankreichs zusamt der Herrschaft der halben Welt.«

»Ein artiges Stück Arbeit für den kleinen Sudelkoch!« rief die Herzogin.

»Erfahren Sie nur, wie das Komplott entdeckt wurde!« fuhr der Herzog fort. »Ein armseliger Schreiber bei der Bibliothek und die Wirtin eines Hauses öffentlicher Dirnen sind diejenigen, denen wir das Scheitern der sauberen Anschläge danken; eigentlich aber danken wir's der Schlauheit meines kleinen spiritus familiaris Dubois. Der Schreiber Buvat erhält vom Geschäftsunterhändler des Prinzen von Cellamare, der sich Prinz von Listhney nannte und nichts mehr und nichts weniger als ein Kammerdiener des benannten spanischen Gesandten war, ein Päckchen Schriftsachen, die er abschreiben soll. In diesem Päckchen befindet sich ein Zettel, auf dem unter dem Titel: Vertrauliche Mitteilung, der ganze Plan der Verschwörung enthalten ist. Buvat, der ein Mensch von sehr mittelmäßigem Verstande ist, beurteilt dieses eingelegte Schreiben anfangs ziemlich oberflächlich und ist schon bereit, nachdem er es abgeschrieben, es wieder an seine Stelle zu legen, als es ihm auffällt, mit welcher Sorgfalt man Truppeneinteilungen überall hinverlegt, wo sie den Aufrührern von Nutzen sein können. Da er selbst aus der Normandie stammt, staunt er darüber, daß nach Corentan ein Regiment hinpostiert worden ist. Er sieht das Billett daraufhin genauer an und beschließt, damit zu Dubois zu gehen. Er bringt das wichtige Dokument in die Kanzlei meines Staatsrates, wo gerade Dubois beschäftigt ist, der es mit großem Interesse empfängt und es sogleich zu würdigen versteht. Er bringt es mir. Ich gebe Buvat den Befehl, eine Abschrift des Billetts an den Prinzen Listhney zu bringen, wie es abgemacht war, sich übrigens ruhig zu verhalten. Den Tag darauf erscheint Madame Tillion. Bei ihr hatte sich ein junger Mann eingefunden, der mit einer ihrer Kostgängerinnen ein Stelldichein verabredet hatte. Statt um acht Uhr zu kommen, erschien er erst um zwölf und hatte als Grund der Verzögerung angeführt, daß der Abbé von Porto-Carrero nach Spanien ginge, mit wichtigen Depeschen des Gesandten versehen, und ihn noch mit einer Arbeit aufgehalten habe. Sie hätte dieses Gespräch mitangehört und käme jetzt, davon Mitteilung zu machen. Dubois ließ sofort dem Porto-Carrero nachsetzen, holte ihn ein und bemächtigte sich seines Gepäckes. Gestern, wie ich aus der Oper komme, bringt mir Dubois die angenehme Bescherung. Der geöffnete Koffer lieferte mir den Beweis des Bubenstücks.«

»Welch ein Glücksfall für den Spitzbuben!« rief die Herzogin.

»Sie sehen, wozu ich meine Leute brauche!« bemerkte der Regent. »Ein ehrlicher Mann hätte sich nie dazu hergegeben, sich das Zutrauen und die Verbindlichkeit eines Schreibers und einer Hurenwirtin zu erwerben! Das Geld, das man diesen Leuten gibt, muß mit der guten Art, sie zu fangen und zu Diensten dieser Art herbeizuziehen, zusammentreffen.«

»Was wirst du nun tun?«

»Zuerst den Herrn Prinzen von Cellamare verhaften lassen. Er wird sich ohne Zweifel beim Kriegsminister melden und um die Freigabe seines Schützlings Porto-Carrero bitten. Dann muß Dubois auftreten und ihm die Briefe der Schuldigen vorweisen.«

»Welch eine Unmasse von Verhaftungen und Beschuldigungen wird das geben!« rief die Herzogin.

»Soviel ich die Schriften habe durchfliegen können,« erwiderte der Sohn, »sind außer unserm vortrefflichen Paar, dem Herzoge und der Herzogin von Maine, der Prinz von Cellamare, der Herzog von Richelieu, der Marquis von Pompadour, der Graf Oydie, Herr von Magny, ein Abbé Brigaud und der Abbé Mesnil dabei beteiligt.«

Der Prinz warf sich erschöpft auf einen Stuhl. Seine Mutter mit einem Lächeln ansehend, rief er: »Was sagen Sie, Mutter? Ist es nun bequem, der Verwalter für des Königs Schätze zu sein? Kann man nicht manches Mal auf die Idee kommen, den ganzen Bettel gegen die Wand zu werfen? Doch eins ist mir hierbei lieb, ich mache mit einem Gewaltstreiche dem Herumkriechen des Ungeziefers ein Ende! Also darum sammelte die Frau Herzogin von Maine einen Hof um sich in Sceaux von all den Dichtern und Philosophen, damit es hieße, sie sei viel zu sehr mit der Literatur beschäftigt, um sich in die Politik zu mischen. Darum protegierte sie den erbärmlichen Poeten, Herrn Lagrange Chancel, der insgeheim gegen mich konspirierte, deshalb sah sie den jungen Menschen, den Herrn Arouet von Voltaire, und befeuerte ihn, ein Stück gegen mich zu schreiben, den Ödipus! Ich habe das alles mit meinem gewohnten Gleichmut mit angesehen, nicht ahnend, daß sich die gnädige Dame allen Ernstes damit beschäftigte, mich zu entthronen.«

»Traue diesen giftigen Schlangen doch niemals!« rief die Herzogin. »Dein Fehler ist die äußerste Sorglosigkeit. Glaube mir, ich lege mich nie zu Bette, ohne daß ich für dein Leben fürchte. Es ist dies keine kindische Angst! Du hast zu viel Feinde, die alle auf dein Verderben sinnen.«

»Ich bin Fatalist, Mama!« rief der Regent. »Soll ich untergehen, so rettet mich niemand! Es scheint aber, daß ich nicht untergehen soll. Mein Hauptgeschäft ist jetzt, der Nation den König zu geben, gesund und ungefährdet, damit man sieht: so handelt der Giftmischer. Wenn irgendetwas den zügellosen Pariser Pöbel demütigen kann, so sind es Tatsachen. Man würde mir nimmermehr glauben, wenn ich den Himmel herabschwören und beteuern wollte, daß ich unschuldig sei, aber hier – der König – aus meinen Händen unversehrt hervorgehend – das spricht für mich. Geben Sie acht, Mutter, dieses eine Zeugnis meiner Unschuld wäscht mich im Augenblick von allen Sünden frei. Diese Verschwörung, die ich zu meinen Gunsten auszubeuten verstehen werde, und dann der gesunde, frische Knabe, den ich der Nation übergebe. O, du sollst sehen, mit welchem Glanze ich abtrete!«

»Wollte Gott!« seufzte die Mutter. »Wirst du die Maines verhaften lassen?«

»Der Befehl dazu ist schon gegeben!« entgegnete der Prinz. »Lavillarderie ist beauftragt, ihn in Sceaux zu verhaften, und ich will ihn nach dem Schlosse Deulens in der Pikardie bringen lassen. Frau von Maine fällt dem Herzog von Ancenis, dem Kapitän der Leibwachen, zu, und das Schloß Dijon ist für sie bestimmt.«

»Welch ein Schlag für Frau von Maintenon!« triumphierte die Herzogin. »So mußte es kommen. Mit ihrem Liebling stürzt sie selbst auf immer in das Dunkel hinab.«

Zwei Parlamentsräte kamen, um den Herzog zu sprechen. Er nahm von seiner Mutter Abschied und entfernte sich dann mit ihnen.


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