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Der Tod des Königs

Der König zeigte gegen das Ende seines Lebens jenes ernste und kummervolle Gesicht, das der Hof bereits seit einigen Jahren an ihm kannte, und das so gänzlich verschieden war von dem heitern, ritterlichen, zu jedem Vergnügen aufgelegten Geiste, der ihn früher beseelte. Man schob diese Verödung der Frau von Maintenon zu; allein sie war zum größten Teil Sache der Natur. Ein reiches Leben lag hinter ihm; alle Erscheinungen hatten sich abgenutzt, die Schmeichelei hatte sich überboten, die falsche Bewunderung, der geheuchelte Glanz hatte ihn zum Spielwerk ausersehen, um ihn, den armen Sterblichen, glauben zu machen, er gehöre zu den unsterblichen Göttern. Die menschlichen Gesetze in ihrer Unvollkommenheit begünstigten die Richtung der Zeit, die sich für die Fürsten aussprach, sie tat alles, dieses Gewebe der Lüge in allen ihren Bestandteilen festzuhalten, und Ludwig hätte größer sein müssen, als er war, um einzusehen, wie die Zeitlaune mit ihm spielte. Er, der in seinem Stolz so weit ging zu behaupten: l'état c'est moi, war in der Tat ein schimmernder Titel Frankreichs geworden, das sich im Gepränge und in den rauschenden Bestandteilen der Macht gefiel. Unersprießliche, ja für die Nachwelt verderbliche Gesetze schreiben sich aus dieser Periode des fürstlichen Glanzes her, vor allem eines, das zu einer schweren Bedrückung der Völker und zur ernsten Gefährdung des Weltfriedens geworden ist, die Einführung der stehenden Heere, hat dieses Zeitalter Ludwigs geboren. Sie sind die Handhaben fürstlicher Willkür geworden und werden es bleiben, solang es Fürsten gibt.

In seinen Palast eingeschlossen, verträumte der gekrönte Greis seine Tage in unheilvollem Schweigen. Vergebens tat man ihm kund, daß der Mangel an Bewegung seinen Zustand verschlimmere, er war nicht zu überreden, die zerstreuenden und kräftigenden Spaziergänge und Fahrten, wie er früher gepflegt, zu unternehmen. Alles, wozu man ihn bringen konnte, waren auf dem Rollstuhle kleine Ausfahrten in die Baumgänge von Versailles.

Die Gefährtin seiner Einsamkeit war die Frau, in deren Gewalt er sich befand, und die ihn die Bitternis dieser Abgeschlossenheit mit Absicht fühlen ließ, weil sie mit ihm grollte, da er sich fortwährend weigerte, ihre Wünsche zu erfüllen. Von Tag zu Tag erwartete sie als Königin gekrönt zu werden, und von Tag zu Tag fühlte sie sich getäuscht. Zuletzt gab sie es auf und war nur bedacht, die Regentschaft für ihren Liebling, den Herzog von Maine, zu erwerben. Hierauf gingen jetzt alle ihre Künste, ihre Verdächtigungen, ihre Anklagen. Zuerst beschuldigte sie den Herzog von Orleans des Giftmordes und ließ dies so deutlich den König fühlen, daß sie dessen Herz von seinem Enkel abzog. Von ihr bezahlte Leute mußten überall, wo der Herzog öffentlich erschien, ihm diesen entsetzlichen Vorwurf entgegenhalten. Der Herzog, zu dessen Partei sämtliche Prinzen von Geblüt gehörten, faßte endlich den Entschluß, dem Gerede kräftig entgegenzutreten. Er begab sich zum König und forderte Untersuchung und Gerechtigkeit von ihm. Ludwig gab ihm ausweichende Antworten, und als er sich bereit erklärte, in die Bastille sich einkerkern zu lassen, bemerkte der König, er würde ihn dort lassen, wenn er hineinginge. Hierauf, durch diese kaltblütige, wegwerfende Rede empört, begab sich der Herzog an der Spitze seiner ganzen Partei nach St. Cloud. Herr von Pontchatrain, den wir schon einmal zugunsten des Prinzen haben auftreten sehen, ergriff auch hier seine Sache; er stellte dem König vor, wie übel es für den Ruf und das Wohlergehen des Prinzen sei, wenn durch das zweifelhafte Verhalten des Königs das Volk in seinem Glauben bestärkt werde, und er erreichte es von Ludwig, daß er den Herzog völlig von dem Verdachte des Mordes freisprach und den Chemiker Humbert, der sich in die Bastille begeben, freizulassen befahl. Die Partei, die sich diese schwarzen Anklagen erlaubt hatte, die Partei der Frau von Maintenon und des legitimierten Prinzen, war geschlagen und mußte schweigen.

Jetzt begann die Bemühung, jene Früchte doppelten Ehebruchs, jene außer der Ehe erzeugten Prinzen so hoch zu heben, daß sie mit den legitimen Kindern von Frankreich gleichen Rang hatten. Auch dies wurde erreicht, ja der König, halb schon sterbend, unterschrieb ein Testament, in welchem er den Herzog von Maine zum Regenten an Stelle des Herzogs von Orleans festsetzte. Dieses wichtige Papier übergab er dem Generalprokurator und befahl ihm, es beim Parlament versiegelt niederzulegen.

So nahte der Festtag des heiligen Ludwig. Der König hatte sich von Marly nach Versailles begeben. Es war ein Fest bei Hofe angesagt, allein mitten im Verlauf der Feier schwieg die Musik, und das Befinden des Königs wurde mit einem Male derart besorgniserregend, daß man nach den heiligen Orten sendete und der Kardinal Rohan in eigener Person sich beeilte, die Sterbesakramente zu holen, während der Pater Letellier des Königs Beichte hörte. Frau von Maintenon und noch eine kleine Anzahl Personen umgaben das Bett des Königs, der vollkommen bei freiem Bewußtsein während der letzten Augenblicke handelte und sprach. Er ließ sich durch den Herzog von Villeroi den kleinen Thronerben bringen, umarmte das Kind und segnete es. Dann wandte er sich zum Herzog von Orleans, ließ ihn zu sich niederknien und sprach lange leise mit ihm, so daß die Gegenwärtigen, die sich auf seinen Wunsch etwas zurückgezogen hatten, nicht verstehen konnten, was er sagte. Der Herzog behauptete, er habe ihn für den künftigen König Frankreichs erklärt, im Fall der kleine Dauphin sterben sollte. Eine Behauptung, der die Gegenpartei widersprach, denn dasselbe Versprechen hatte der Herzog von Maine von ihm. Zu der Herzogin wandte er sich und sagte ihr besonders freundliche Worte, die diese mit Tränen erwiderte. Frau von Maintenon, die diese Traurigkeit bemerkte, rief laut: »Weinen Sie nicht, Madame, Sie regen dadurch den König auf und schaden ihm.« Die Herzogin erwiderte nichts auf diese harten und unpassenden Worte. Sie hatte vom König selbst das Zeugnis erhalten, daß er ihren redlichen Willen anerkannte, daß er sie achtete und daß alles boshafte Geschwätz, durch welches man sie aus seinem Herzen zu entfernen trachtete, ihn gleichgültig ließ.

Als er allein mit Frau von Maintenon war, sagte er zu ihr: »Madame, wir sehen uns bald wieder!«

Frau von Maintenon erhob sich und ging fort, ohne eine Silbe zu antworten. Als sie in ihren Gemächern angelangt war, rief sie: »Und ist das nunmehr alles? Soll mich dieses alberne Rendezvous trösten? Soll ich etwa dort oben auch mit diesem langweiligen alten Manne allein sitzen? Mein Himmel! Man hat mich schön zum besten gehabt. Ich war jung und konnte auf Vergnügen Anspruch machen! Was hat man mir gegeben? Langeweile! Immer mußte ich mit diesem alten Manne und seinem ebenso alten Ministerium zusammen sein, während ich junge Leute um mich sehen wollte, um die Tage meiner Jugend zu genießen, so wie ich sie alle Welt um mich genießen sah! Man sehe doch! Das ist das Ende der Posse.«

Mit diesen Worten stieg Frau von Maintenon in den Wagen und fuhr ab, ehe noch der König seinen letzten Atemzug getan hatte. Er fragte nach ihr, doch niemand wußte, wo sie geblieben war. Der Marschall von Villeroi sagte endlich aus, daß er sie nach St. Cyr habe fahren sehen.

In St. Cyr angekommen, merkte die allmächtige Frau die Ordnung der Verhältnisse, die unterdessen sich gestaltet hatten. Die Äbtissin von St. Cyr weigerte sich, ihre erhabene Kostgängerin aufzunehmen. »Wird es Seine königliche Hoheit, der Regent, auch gestatten, daß ich diese Frau bei mir beherberge?« fragte sie den Herrn von Convoye, dem die Dame dorthin gefolgt war.

Der 1. September 1715 war der Todestag des Königs, im siebenundsiebzigsten Lebensjahre und im zweiundsechzigsten seiner Regierung.


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