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Die jungfräuliche Blüte entwickelte sich, nicht ohne Sommervögel anzulocken, obgleich Charlotte keineswegs zu den Mädchen gehörte, deren Reiz den Männern in die Augen fällt und deren frühentwickelte Kunst zu gefallen sie auf sie aufmerksam macht. Im Gegenteil, man merkte es ihr an, daß ihr nichts an dem Beifall junger Männer gelegen war und daß sie gerne ihren Weg für sich ging. Die Unterredungen mit › ma tante‹ wurden jetzt häufig auf den bewußten Gegenstand gerichtet, der allen jungen Mädchen, wenn sie ein gewisses Alter erreicht haben, von den Müttern gepredigt wird; wieviel eher einer Prinzessin, der einzigen Tochter, dem Kinde, auf dessen Haupt die Politik ihre Rechte geltend machte.
Daß Charlotte nicht schön war, daß sie im Gegenteil etwas Mißgefälliges an sich haben konnte, wenn ihr Gegenstände nahe kamen, die sie nicht mochte, war etwas, das die Unterhandlungen bedeutend erschwerte. Sie besaß nichts von dem gefälligen, einschmeichelnden Sinne Sophie Dorothees, der Tochter der Französin. Wenn man sie hierüber zur Rede stellte, pflegte sie stets zu sagen: »Gut, dafür bin ich aber auch eine Prinzessin; das Schmeicheln und das Gefallenwollen habe ich nie gelernt!« Man sagte ihr, daß dies jedes Mädchen, ohne Unterschied des Standes, lernen müsse, sonst wäre sie für ihr ganzes Leben unglücklich; denn die liebenswürdigsten Männer seien zugleich diejenigen, auf die die Schmeichelei den größten Eindruck mache. Später, wenn man sich verheiratet hätte, könne man sich schon etwas erlauben und mit seinem wahren Charakter langsam hervorkommen.
»Nein, nein!« rief die Prinzessin ungestüm, »das verstehe ich nicht und will es auch nicht verstehen. Will mich einer haben, so wie ich bin, gut: etwas anderes vorstellen kann ich nicht, und dabei kommt auch meiner Ansicht nach nichts heraus, als daß ein armer Teufel geprellt wird und später, wenn er sieht was für ein Früchtchen er eingehandelt, völlig tückisch und böse wird und dann zu irgendeiner Mätresse überläuft.«
Man lachte über diese Äußerung und ließ die Sache fürs erste ihr Bewenden haben. –
Bald zeigte sich, daß Charlotte diese Ansichten ins Leben zu übersetzen verstand.
Es meldeten sich kurz nacheinander zwei Bewerber.
Dem einen war Charlotte gut, und sie hätte ihn genommen, wenn ihr ehrlicher, offener Charakter es hätte dulden können, in einer andern Frau Rechte zu treten. Der junge Prinz war der Erbprinz von Kurland, dessen Eltern diese Verbindung vorgeschlagen hatten, ohne den Sohn zu fragen, der eine heftige Liebe zu einer Tochter des Herzogs von Württemberg, Maria, gefaßt hatte. Der Herzog Ulrich wollte in der Sache keinen Schiedsrichter abgeben, hatte demnach seiner Tochter befohlen, nichts von ihrer Neigung zu dem Prinzen laut werden zu lassen. So schwiegen denn notgedrungen beide jungen Herzen, und auf Charlotte kam es an, den Bann zu lösen und die, die sich liebten, zu vereinen. Sie tat es mit der heitersten, anmutigsten Art.
Der junge Prinz, auf seiner Reise nach Frankreich, kam durch Hannover und hatte eine Unterredung mit dem Kurfürsten, dem er sich vorstellte, und der, von seinen Absichten in Kenntnis gesetzt, ihn zu seiner Nichte schickte.
Die Prinzessin empfing ihren Bewerber im Garten. Sie gingen auf und ab, anfangs stumm und beide verlegen. Keines konnte Worte finden. Der Prinz seufzte, und Charlotte sah ihn teilnehmend und auffordernd von der Seite an. Seine dunkeln Locken hingen ihm halb über die Stirn, das schöne Auge war mit Tränen gefüllt.
»Was ist Ihnen, mein Herr?« fragte Charlotte, »weshalb weinen Sie?«
»O, meine teure Prinzessin, wenn ich Ihnen das sagen dürfte!«
»Weshalb nicht? Reden Sie, mein Herr! Durch gegenseitige Aufrichtigkeit und Offenheit gewinnt man viel im Leben.«
»Das ist wahr!« entgegnete er. »Und ich will es wagen zu sprechen, wenn ich auch Gefahr laufe, Ihren Zorn zu erregen.«
»Den erregen Sie nicht. Da sorgen Sie nicht. Ich kann mich über nichts ärgern, was ich nicht selbst verschuldet habe. Nur die eigenen Fehler sind es, die unsern gerechten Zorn erregen.«
»Alsdann fasse ich Mut; denn das, was ich Ihnen zu klagen habe, hängt von keinem von uns beiden ab, sondern ist lediglich ein Befehl anderer.« Hierbei sah er starr zu Boden, als suchte er da den Mut, so fortzufahren, wie er angefangen.
»Sie meinen unsere Heirat?« fragte die Prinzessin.
Der Prinz neigte leise bejahend das Haupt, schwieg aber fortwährend.
»Sie lieben bereits?« fragte die Prinzessin ihn weiter.
Der Prinz sah sie forschend an, schwieg jedoch hartnäckig.
»Ich weiß es, Sie lieben eine andere! Sprechen Sie; was soll daraus werden, wenn wir beide schweigen? Sie lieben und getrauen sich nicht, den Gegenstand Ihrer Neigung mir zu nennen, weil Sie fürchten, ich werde auf dem von Ihren Eltern mir gemachten Antrag bestehen,« bemerkte Charlotte; »aber vernehmen Sie mich! Ich bin so wenig mit dem Willen Ihrer Eltern einverstanden, daß ich Ihnen selbst erkläre, wie ich Sie willig Ihrer gezwungenen Zusage entbinde. Es wird für uns beide gut sein, ich behalte meine Freiheit und Sie Ihre heimliche Geliebte.«
Der Prinz küßte ihr feurig die Hand. »Gott vergelte Ihnen Ihren heldenmütigen Entschluß,« rief er höchst freudig. Jetzt berichtete er seiner Freundin, wie er die Prinzessin von diesem Augenblick nannte, sein Verhältnis zu der Württembergerin und erging sich in der Beschreibung ihrer Reize so ausführlich, daß die Prinzessin ihn mit Lachen darauf aufmerksam machte, daß er das, was er sagte, seiner ehemaligen Braut erzähle. Charlotte übernahm es, die Sache ihren Eltern auseinanderzusetzen, und der Prinz von Kurland reiste ab. Die Stunde Gespräch hatte zwei Glückliche gemacht. Charlotte lief sogleich zu ihrer lieben › ma tante‹ und berichtete ihr den Ausgang der Unterhandlung. Sophie lobte sie wegen ihres Freimuts, fügte indes kopfschüttelnd hinzu: »Ich weiß nicht, liebes Kind, wie wir dich werden unter die Haube bringen. Du bist glatt wie ein Aal, wenn es darauf ankommt, der Ehe zu entschlüpfen; und dennoch mußt du dran!« –
Der zweite Bewerber war ein Markgraf von Durlach, den ihr Bruder ihr ausgesucht hatte, der jedoch eine Eigenschaft an sich hatte, die ihn sogleich, ohne alle weitere Erforschung und Untersuchung für Charlotte unerträglich machte; er war nämlich ein Zierbengel von der abgeschmacktesten Art. Das derbe, natürliche Mädchen sollte mit einem unwissenden Stutzer durchs Leben gehen? Welche Zumutung! Das erste Zusammentreffen war entscheidend. Der Prinz war wie ein Papagei in alle Farben gekleidet, sein Gespräch war ebenfalls der Ausdrucksweise dieses Vogels abgeborgt und enthielt immer dieselben Worte, die er bald ernsthaft, bald lachend immer wieder anbrachte. Als er fort war, übernahm sein Leibarzt die Verhandlung und erklärte, daß der Prinz eigentlich auf den Wunsch seines Vaters eine Prinzessin von Holstein heiraten solle, daß aber seine Neigung sich für Charlotte entschieden hätte. Diese ergriff die Gelegenheit und schrieb an den Prinzen, indem sie ihn aufforderte, nur ja nicht seinem Vater ungehorsam zu sein. Er möchte die ihm bestimmte Braut heiraten, sie würde sich mit dem Gedanken trösten, ihn glücklich zu wissen.
So war auch dieser Angriff abgewendet. Charlotte machte ihrem Bruder Karl bemerkbar, wie sehr verdienstvoll für seinen Freund es sei, sich in die Wünsche seines Vaters zu fügen, und wie nichts den Kindern mehr Segen brächte, als gehorsam gegen ihre Eltern zu sein.
»Jetzt bin ich zwei Bewerber los!« sagte sie zu Frau Uffeln, »ich will nun sehen, ob sich ein dritter meldet, oder ob man mich meine Wege gehen läßt.«
Es meldete sich aber der dritte, und dieser mußte genommen werden.