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Die Schlachten bei Dünkirchen und Neerwinden waren die ersten Waffentaten des jungen Herzogs von Chartres, des Sohnes der Herzogin, der damals vierzehn Jahre alt zum erstenmal den Degen zog, um Frankreichs Ruhm und Ehre, was an seinem Teil lag, zu vermehren. Im Gewühl der Kriege, in welche die Monarchie Ludwigs XIV. verwickelt war, konnten diese Siege nur als ein kleiner Teil der Gefahren und der Triumphe des Königreiches gelten, immer aber waren sie doch bedeutend genug, um dem jungen Helden Mut und Selbstgefühl zu verleihen. Heimgekehrt vom Felde der Ehre, wurde er von seiner Mutter mit Jubel begrüßt. Dies war der erste Freudenstrahl in ihrem von den unangenehmsten Zufälligkeiten belasteten Leben. Sie liebte ihren Sohn grenzenlos, sie hing an ihm, wie eine Mutter nur an ihrem Kinde hängen kann, sie sah ihn mit bangen Zweifeln ausziehen, jetzt erblickte sie ihn wiederkehrend, siegreich und von den Höflingen des großen Monarchen mit Lob gepriesen.
Aber ihr glückseliges Gefühl sollte alsbald eine arge Demütigung erfahren. Man ging daran, den Sohn zu verheiraten: man ging daran! Da lag der ganze Quell des Übels! Nicht die Mutter wurde gefragt, die einzige, die über diesen wichtigen Schritt ihres Lieblings glaubte entscheiden zu müssen, man sagte ihr kein Wort, bis die Sache abgeschlossen war. Hierin lag die bittere, grausame Demütigung, die sich dicht neben der Freude über den siegreich zurückkehrenden Sohn stellte. Wie sich Elisabeth Charlotte dabei benahm, wird uns der Verfolg dieser unseligen Verhandlungen zeigen. Sie fingen damit an, daß Dubois öfters im geheimen bei Frau von Maintenon sich einfand, wo er fast immer den König und den Pater Lachaise fand. Anfangs war nur von dem Charakter des jungen Herzogs die Rede, von seinem Geschmack an Frauen, und man tadelte den Hofmeister, daß er dieser Neigung nicht Einhalt getan. Der Gescholtene entschuldigte sich mit der Unlenksamkeit seines Pflegebefohlenen.
»Unlenksam?« rief der König. »Also würde er auch wohl keine Frau nehmen, die ich ihm gäbe?«
»Sire,« entgegnete Dubois, »ich glaube, daß der junge Herzog eher eine Frau nehmen würde, die Eure Majestät ihm vorschlüge als eine, die sein Vater ihm gäbe.«
»So, ist er so sehr gegen die Befehle seines Vaters?« fragte der König.
»Das wage ich nicht zu behaupten,« bemerkte der Erzieher. »Er würde nur samt dem Vater nicht durchdringen bei seiner Mutter, der Herzogin. Diese würde jede Heirat, die nicht von Eurer Majestät ausginge, zunichte zu machen wissen. Es sei denn, daß diese Partie eben von ihr gebilligt wäre.«
»Und welches wäre eine solche?« fragte Ludwig.
»Es ist schwer zu sagen, auf welche der Prinzessinnen Frankreichs und Deutschlands die Frau Herzogin gerade ihr Augenmerk richtet,« bemerkte Dubois. »Jedenfalls müßte es eine Prinzessin von untadelhafter Abkunft sein.«
»So?« lachte der König. »Man sehe. Eine Prinzessin also, die ihre sechzehn Ahnen hat. Sie sehen, meine Liebe,« wandte er sich zu Frau von Maintenon, »wir unternehmen ein hartes Stückchen Arbeit. Ich fürchte, wir werden uns umsonst bemühen.«
»Eure Majestät scherzen!« rief die Dame lächelnd. »Was kann hier für ein Hindernis sein? Die Mutter wird nicht gefragt. Auf den Vater werden Eure Majestät wirken.«
»Was ist Ihre Ansicht?« fragte Ludwig den Beichtvater.
Dieser neigte das Haupt und murmelte vor sich hin: »Daß der junge Fürst bei diesem wichtigen Schritt geleitet werden muß, ist außer allem Zweifel, darum ist meine Ansicht: man leite ihn.«
»Nun gut, so wollen wir's versuchen. Suchen Sie, mein Herr,« sagte er, zu Dubois gewendet, »seine Ansicht zum Beispiel über das Fräulein von Blois zu erforschen. Wir geben Ihnen hier einen Auftrag, der den geschickten Mann verlangt. Verstanden? Nur seine Ansicht will ich wissen.«
Dubois verneigte sich.
Als der König ihn entließ, begab sich der schlaue Mann zu seinem Zögling, den er umgeben von jungen Damen fand, die ihm schmeichelten.
Eine Reihe von Späßchen mußte erst geduldet und abgemacht werden, ehe der unterwürfige Erzieher seine Stimme erheben konnte, um Monseigneur zu bitten, ihm auf ein paar Minuten Gehör zu schenken.
Die Damen entfernten sich. Die meisten gingen zu der Herzogin Mutter.
»Nun, was ist's?« fragte der Prinz ungeduldig.
»Nur ein bißchen Fassung, ein wenig Sammlung!« bat der Erzieher. »Es betrifft Ihr zeitliches und ewiges Glück, mein Prinz.«
»Narr! Willst du mich an der Nase herumziehen? Mein zeitliches und ewiges Glück! Das ist eine Reminiszenz aus deinem Brevier!« rief der junge, übermütige Prinz. »Was soll es denn? Bringst du mir einen Gruß von meiner angebeteten Sery?«
»Nicht doch, mein Prinz! Lassen Sie, ich bitte, alle diese Gedanken aus dem Spiele! Es ist von nichts geringerem als von Ihrer Verheiratung die Rede.«
»Von meiner Verheiratung?«
»Man trägt sich höhern Orts mit gewissen Plänen.«
»Höhern Orts? Das ist bei meiner Frau Mama?«
Der gefällige Mann machte eine stumme Verbeugung.
»Nun, und welche Dame schlägt man mir vor?«
»Dürfte ich bitten zu raten!«
»Die Prinzessin von Württemberg, die Närrin?«
Der Hofmeister machte eine stumme, verneinende Bewegung.
»Nun, wen denn? Ich wüßte wahrlich nicht! In Bayern ist eine, die zu alt ist, und eine, die zu jung ist. Rede, Väterchen, rede! Ich bin nicht aufgelegt zum Raten.«
»Das Fräulein von Blois.«
Der Abbé mußte den Namen nochmals wiederholen; alsdann brach der Prinz, anstatt aller Antwort, in ein unauslöschliches Gelächter aus.
Herr Dubois, den dieser Empfang seiner Neuigkeit aus der Fassung gebracht, sah erst bei allen Türen nach, ob auch niemand sie behorchte, und dann bat er den Prinzen sehr ernstlich, die Sache in reifliche Überlegung zu ziehen.
»Und das schlägt mir meine Mutter vor?« rief der junge Mann, immer noch lachend.
»Ich habe das gerade nicht gesagt!« erwiderte der Abbé.
»Also aus deinem Kopfe kommt das, Schelmenabbéchen? Vielleicht ist etwas Einfluß und Einflüsterung von einer gewissen Seite dabei? Das nennst du höhern Orts? Ich würde das niedern Orts oder vielmehr niedrigsten Orts nennen!« bemerkte der junge Herzog. »O Gott, wie dumm! Und dazu sollen ein Vater und eine Mutter ihre Einwilligung geben? Weißt du, wie meine Mutter die Kinder der Montespan nennt? Hurenkinder des Königs!«
Damit wandte sich der Prinz ab, ergriff das Queue eines Billards und fing an in größter Ruhe die Bälle zum Spiel zu ordnen, dann ging er an die Tür, öffnete sie und rief: »Ist der Graf da? Ruft ihn, ich will spielen.« Während er die Billardkugeln ordnete, lachte er vor sich hin, indem er einmal übers andere ausrief: »Fräulein von Blois! Das ist gerade die, die Seiner Majestät am wenigsten gelungen ist: sie hat eine rote Nasenspitze und säuft wie ein Grenadier der Wache. Ein allerliebstes Prinzeßchen das!«
Der Abbé entschlüpfte und brachte diese Nachricht, gemildert und in andern Worten, als er sie empfangen, der Frau von Maintenon. Diese empfing sie ziemlich gleichgültig. Die Dame hatte mit ihren eigenen Angelegenheiten zu tun. »Es ist schon gut,« entgegnete sie, »man wird das schon machen ohne den Prinzen. Tun Sie nur das Ihrige!« Sie verabschiedete den Abbé.
Durch den Herzog von Maine ließ sie seine Schwester, Mademoiselle von Blois, zu sich rufen. Die junge Dame verfehlte nicht, sich rasch einzufinden. Um dies tun zu können, hatte sie ihre Toilette nur halb vollendet, zu der sie immer sechs Stunden brauchte. Doch gerade diese Eile, dieser halbvollendete Anzug gefiel der Frau von Maintenon. Sie begrüßte die Prinzessin mit Freundlichkeit.
»Schon in der Messe gewesen?« fragte die strenge, gebietende Dame.
»Ich habe Dispensation wegen meines Unwohlseins!« entgegnete die Gefragte.
Frau von Maintenon kam jetzt rasch auf den Gegenstand; sie berührte den Ruhm und das Ansehen, das der Prinz von Chartres sich durch seine Kriegstaten, obgleich in sehr jugendlichem Alter stehend, erworben, und fragte alsdann am Ende ihrer Lobsprüche, ob Fräulein von Blois sich entschließen könnte, den jungen Mann zu heiraten.
Das Fräulein war wie aus den Wolken gefallen. Sie hörte zum erstenmal von diesem Plan, und obgleich sie zu indifferent war, um sich besondere Grillen über die Wahl eines Mannes in den Kopf zu setzen, so war ihr dieser Vorschlag doch etwas zu sehr vom Zaune gebrochen. Sie erwiderte also errötend, sie werde sich dies überlegen.
»Es ist nichts zu überlegen!« nahm Frau von Maintenon wieder das Wort. »Seine Majestät wünscht es.«
»Alsdann«, bemerkte das Fräulein, »bin ich zu seinem Befehl.«
»Sie werden Ihr Betragen darnach einrichten, besonders gegen den Prinzen, der ein trotziger Wildfang ist, wie er denn nicht anders sein kann, da er der Sohn einer solchen Mutter ist!« bemerkte die Frau von Maintenon.
Während das Fräulein fortging, fast taumelnd unter der Neuheit und dem Unerwarteten, das sie soeben gehört, und sich bedenkend, wie sie mit guter Manier dem jungen Prinzen eine überraschte Liebende, eine sich mit Hoffnungen im geheimen Tragende würde darstellen können, sagte Frau von Maintenon zum Prinzen von Maine: »Welche Anstalt, welche Mühe ein so unbedeutendes Ereignis kostet! Sollte man nicht glauben, es wäre eine Tat der Wichtigkeit, eine Entscheidung, auf die etwas ankommt? Und es ist nichts weiter als eine Heirat zwischen zwei Leuten, die sich nehmen müssen.«
Fräulein von Blois war das dritte Kind, das der König von der Marquise von Montespan erhalten hatte. Sie war durch ihre Liebe zur Bequemlichkeit, durch ihr wenig vorteilhaftes Äußere und durch ihren Hang, ihr Leben auf dem Sofa liegend zuzubringen, der Gegenstand der Spötterei ihrer Geschwister geworden. Fräulein von Nantes und der Herzog von Maine stichelten beständig auf dieses junge Mädchen, das zu ihren andern übeln Eigenschaften auch noch die übermäßige Liebe für eine gute Tafel und ein Glas Wein hinzufügte. Dabei war sie erst sechzehn Jahre alt. Der junge Prinz von Chartres, als sie wußte, daß sie ihm bestimmt war, fing an der Gegenstand ihrer Beobachtungen zu werden, und er gewann von Tag zu Tag bei ihr. Sie entdeckte eine Menge lobenswerter Eigenschaften an ihm und machte dies ihren Gespielinnen bekannt. Das kam dem Prinzen zu Ohren und schmeichelte seiner Eitelkeit. Er seinerseits begann nun das Fräulein einer näheren Prüfung zu unterwerfen, und auch sie hatte das Glück, daß sie ihm, wenn auch nicht gefiel, so doch weniger Kaltsinn einflößte, als es ohne diese Umstände geschehen wäre. Auch des Abbé Dubois Bemühungen blieben nicht ganz ohne Erfolg. Der Prinz war gewohnt, in dem Abbé den Teilnehmer oder Anstifter aller seiner geheimen Vergnügungen zu sehen, deshalb war ihm ein Wink von demselben stets beachtenswert, wenn er auch nicht die Miene annahm, als wolle er sich danach richten.
So standen die Sachen, als dem Könige zu verstehen gegeben wurde, daß alles jetzt auf ein Gespräch mit ihm und dem Vater des Prinzen ankäme. Hier war der König so ziemlich seines Erfolges sicher; er kannte seinen Bruder, er wußte, inwieweit Schmeicheleien bei ihm eindrangen, und er übernahm es, zur Abwechslung diesmal den Schmeichler zu spielen, eine ihm völlig ungewohnte Rolle. Er ließ den Herzog zu sich bitten, zu einer Zeit, wo dieser eine Einladung nicht erwartete und darum um so mehr eilte, sich einzufinden. Er trat in das Kabinett des Königs in gespannter Erwartung, was man ihm mitteilen würde. Die Röte seines Gesichts, seit ein paar Jahren stehend geworden auf diesen bleichen Wangen, war auffallend lebhaft und schmolz mit der Nase zusammen, die besonders heute in glühendem Kolorit stand. Die Augen des Herzogs blitzten, und sein übermäßig kleiner Mund war in die graziösesten Falten gelegt, die man sehen konnte. Er war ganz in Schwarz gekleidet, doch hatte sein Anzug eine Menge kleiner Koketterien aufzuweisen, die nur den Augen der Frauen, für die sie bestimmt waren, bemerkbar wurden. So hatte er jede einzelne schwarze Atlaspuffe und Schleife seines Wamses mit schwarzem Schmelz belegen lassen, und Streifen dieses blitzenden Schmuckes liefen die Beinkleider hinab und vereinigten sich mit den diamantbesetzten Kniebändern. Die Strümpfe waren violet mit ganz feinen gelben Streifen, die sich hinaufzogen und die etwas zu volle Wade mit Zierlichkeit einfaßten. Eine braune Perücke deckte den dicken Kopf, der zwischen den Schultern etwas tief einsaß, so daß es das Ansehen hatte, als ob dem Herzog das Seitwärtsblicken oder das Kopfwenden fast ein Ding der Unmöglichkeit wäre. Der König, als der Herzog eingetreten, schien einen Augenblick damit beschäftigt, seine Gestalt mit der seines Bruders zu vergleichen, und diese Vergleichung fiel offenbar zu seinen Gunsten aus. Der König, obgleich nahe den Fünfzigen, war eher mager als fett, war stattlich und auch gut gewachsen und trug in seinen Zügen noch die volle Bedeutsamkeit und Frische der zweiten Jugend. Seine Wangen waren eingefallen, allein sie waren nicht vertrocknet, sie überzogen sich noch mit einem frischen Braungelb, sein Mund, dem die Zähne nicht fehlten, hatte noch die Wölbung, die Eleganz, die ihn zum Hauptreiz dieses ritterlichen und schönen Gesichts machten. Die Augen, nie sehr groß und lange nicht von so blitzendem Schwarz, wie es Monsieurs Augen waren, hatten dennoch mehr den Charakter eines frischen, muntern und kräftigen Sinnes. Mit einem Wort, der König, obgleich älter als sein Bruder, sah bedeutend jünger aus, und er schien dies auch zu wissen. Er schritt festen Trittes auf den Eintretenden zu, der sich ihm mit trippelndem Gange näherte.
»Mein teurer Philipp!« redete er ihn an, »darf ich Wohl deine Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen?«
Der Herzog riß die Augen auf, als er diesen gütigen Ton vernahm. Er setzte sich und erwiderte in demselben Tone: »Was steht Eurer Majestät zu Diensten?«
»Nicht Majestät und nicht Sire!« rief der König. »Wir Brüder sprechen mit einem Du; da haben die zufälligen Rangstufen der Gesellschaft nichts zu tun. Es handelt sich um das Glück deines Sohnes.«
Der Herzog war von neuem enttäuscht. Er hatte gehofft, der König werde ihm über die Kleidung, die er beim Feste des Ordens der Maltheser getragen, einiges Schmeichelhafte sagen, statt dessen kamen Familienangelegenheiten zur Entscheidung. Der König, der die Miene der Enttäuschung an seinem Bruder merkte, fragte ihn um den Grund derselben, und der Herzog erwiderte lächelnd: »Es ist nichts, liebster Herr Bruder, ich war der Ansicht, das Gespräch sollte über meine Schuhschnallen stattfinden, die ich von Orange genommen hatte, anstatt sie von Kirschrot herstellen zu lassen. Allein ich kann beweisen, daß das Bild eines Ritters, das ich besitze und das aus den Zeiten Franz des Ersten stammt, den Zierat auf den Schuhen in dieser Farbe hat. Das nur beiläufig. Was wollten mir Eure Majestät über meinen Sohn sagen?«
»Wir haben uns noch nicht so ohne Zeugen über die glorreichen Waffentaten des jungen Mannes besprochen,« hub der König an und ergriff die Hand seines Bruders, die er drückte. »Von wem sollte er diesen Mut, diese edle Tapferkeit, dieses treffliche Betragen anders haben als von seinem edlen Vater!«
»O, zu gütig!« rief der Herzog geschmeichelt. »Mir hat das Schicksal, neben einem solchen Bruder stehend, nur wenig Raum für glänzende Waffentaten gelassen.«
»Ich zögerte anfangs,« fuhr der König huldreich fort, »ob ich den Wunsch, den mir Euer Liebden durch die Herzogin mitteilen ließ, gewähren sollte, indem mir das Alter des fast knabenhaften Jünglings zu wenig der Beachtung würdig schien, um ihn neben einen meiner erprobtesten Feldherren zu stellen. Aber der Erfolg hat bewiesen, wie sehr ich mich getäuscht. Nun aber, lieber Bruder, nun müssen wir daran denken, dem jungen Helden eine ihm würdige Gefährtin zu geben. Die Huld Amors begründe und befestige das Werk des Mars!«
»Allerdings!« rief der Herzog.
»Wie wäre es,« nahm der König wieder das Wort, »wenn ich mich herbeiließe, eine meiner Töchter –«
»Ach!« schrie der Herzog, vor Erstaunen und Verwunderung fast sprachlos.
»Eine meiner Töchter –« wiederholte der König.
»Meinem einzigen Sohne? Ach, Eure Majestät –« rief der Herzog nochmals.
»Haben Sie, mein Bruder, noch einen Sohn außer diesem?« rief der König mit einem spitzigen Lächeln, »oder hoffen Sie noch einen zu bekommen?«
Dem Herzog fielen bei diesen Fragen die unmenschlichen Anstrengungen ein, die es ihn gekostet, diesen Erben ins Leben zu rufen, so daß er zusammenbebte bei der Frage, ob vielleicht ein zweiter Sohn unterwegs sei.
»Nein, Euer Majestät,« erwiderte er, »mein Ausruf bezog sich nur auf einen einzigen Sohn, dessen Schicksal man doppelt bedenken müsse, ehe man über dasselbe entscheide.«
»Da habt Ihr recht, geliebter Herr Bruder. Was das Bedenken betrifft, so sind wir soeben dabei. Ich gebe meiner Tochter eine Ausstattung, wie sie nur ein König seiner Tochter geben kann. Sie ist eine Tochter Frankreichs, als wenn sie im rechtmäßigen Ehebett erzeugt wäre.«
Der Herzog sagte hierzu nichts, sondern machte nur eine Miene, die halb wie Bewunderung, halb wie Geringschätzung aussah. Der Bruder kannte dieses Gesicht: es war noch nicht genug der Schmeichelkunst aufgetragen worden, er fuhr also weiter fort.
»Der Prinz bleibt Prinz! Er ist Ihr Sohn und der Sohn einer der ersten Fürstentöchter. Ich habe die größte Achtung vor dieser Verbindung. Auch möchte ich nicht, daß man mir vorwürfe, daß ich ohne die geringste Schonung in diesem schwierigen Punkte verfahren sei. Allein die ausgesprochene Neigung, die die beiden jungen Leute füreinander haben, bezeugt die Richtigkeit meines Scharfblicks in derlei Verhältnissen und läßt mich kühner handeln, als ich sonst gehandelt hätte, wenn dieser Plan nur aus meinem Haupt entsprungen wäre.«
»Die ausgesprochene Neigung?« wiederholte der Herzog. »Davon ist mir in der Tat nichts bekannt.«
»Weil Sie nie auf dergleichen Achtung geben!« rief der König mit übler Laune. »Ich weiß nicht, wo Sie Ihre Augen haben, allein auf die wirklichen Dinge in der Welt sind sie niemals gerichtet.«
»Ei, das wäre!« bemerkte der Prinz.
»Eine Schuhschleife hat mehr Interesse für Sie als das Herz Ihres Kindes.«
»Ich muß um Entschuldigung bitten –«
»Nun denn! Eingeschlagen! Wozu die lange Beratung!« rief der König, indem er sich erhob und den Herzog mit sich vom Stuhle zog. »Wir beide halten das Schwert in Händen, an uns ist's zuzuschlagen!«
»Ich habe nicht gewußt,« bemerkte der Herzog, »daß eine Ehe eine Art Hinrichtung sei.«
»Du übernimmst es, lieber Bruder Philipp, deiner Frau Gemahlin meine – deine Willenserklärung zu bringen.«
Der Herzog fuhr bei diesen Worten zusammen, als würde ein Schlag nach seinem Haupte geführt. »Meiner Gemahlin, der Herzogin von Orleans, soll ich diese Ehe bekanntmachen?«
»Wer sonst?« rief der König, indem er sich emporrichtete und den Bruder lächelnd ansah. »Seid Ihr nicht der Herr? Ist sie nicht die Frau? Wird sie zögern, Euern Willen zu tun?« –
»Ich werde ihr ankündigen, daß dieser Befehl von Ihnen, mein Bruder, stammt, und daß ich mich darein gefügt habe.« –
Der König zuckte die Achseln und sah verächtlich zur Seite.
»Ich setze mich sonst der Gefahr aus,« fuhr der Herzog, in heftige Aufregung geratend, fort, »daß sie Erde und Himmel über mein Haupt zusammenbeschwört. Sie kennen sie nicht, mein Bruder! Ihr ist die Ehe ihres einzigen Sohnes alles in allem, und ehe ich sie dahin bringe, daß sie diese Heirat zugibt, eher kann ich hoffen, sie auf einem Schiebkarren auf die Turmspitze von Notredame zu bringen.«
»Eine Heirat mit meiner Tochter!« rief der König, nun ebenfalls in Zorn geratend, »ich kenne Madame nicht wieder in dieser unnatürlichen Weigerung. Es ist nicht möglich! Sie sehen diese Sache zu schwierig an. Ich wüßte keinen Fürsten Europas, der eine Heirat mit meiner Tochter nicht willig annähme.«
»Denken Sie an den König Wilhelm, und was er Ihnen antwortete, als er noch Prinz von Oranien war,« rief der Herzog. »Die hohen Herren denken über diesen Punkt ganz besonders schwierig. Die Genealogie ist eine Sache, mit der sich nicht spaßen läßt. Was heute ein lebender Herrscher befiehlt, morgen, wenn er tot ist, macht ein anderer etwas anderes daraus. Man kennt das! – Dies sage ich nicht, als sollte es eine Weigerung von meiner Seite bedeuten. Ich gebe die Heirat zu, obwohl seufzend, indem ich sie als Strafe für meine Sünden betrachte. Auch wird mein Sohn nie König von Frankreich werden, da stehen zuviel gesegnete Häupter zwischen ihm und dieser kühnen Hoffnung, ich teile solche Bemerkungen nur Euch, meinem Bruder, mit, um an die Hinfälligkeit aller irdischen Macht und alsdann auch an die Protestation der armen, zärtlichen Mutter zu mahnen, der wir beide soeben das Messer in die Brust stoßen wollen.«
Der König schien diesen ehrenwerten Widerstand bei seinem Bruder nicht erwartet zu haben. Er schwankte einen Augenblick, dann sagte er: »Wir wollen den Knaben den ersten Schritt machen lassen. Befehlen Sie ihm, daß er seiner Mutter seine Heirat ankündige und dabei hinzufüge, daß es Ihr Wille sei. Wir wollen sehen, wie sie es aufnimmt.«
»Der arme Junge!« rief der Herzog. »Doch er hat Dreistigkeit genug, es mit dem Teufel aufzunehmen. Ich werde unterdessen eine kleine Reise unternehmen.«
»Tun Euer Liebden das!« rief der König. »Sie wird in ihrer Wut zuerst, wenn sie Sie nicht findet, zu mir kommen. Sie möge kommen.« –
Die beiden Brüder trennten sich, gegenseitig ausnehmend zufrieden mit der Weise, wie sie sich gegeneinander betragen hatten. Dem Herzog kam es nicht in den Sinn, daß er von seinem Bruder überlistet worden sei, er fand nur, daß er sich in einer schwierigen Lage mit Anstand benommen habe, und der König wünschte sich Glück, seinen Plan mit so geringer Mühe gelingen zu sehen. Freilich konnte er der Zustimmung seines Bruders gewiß sein, doch er hatte gefürchtet, daß dieser sie sich mit großer Gefälligkeit von seiten des Königs würde bezahlen lassen. Er war gefaßt, die Abtretung von einigen Herrschaften, die seit längerer Zeit schon ein Gegenstand des Streites zwischen den Brüdern waren, vollziehen zu müssen. Allein der Herzog dachte zu edel, um persönliche Vorteile mit in die Verhandlung zu ziehen; er war hierin seinem Bruder überlegen, der gern überall, wo es sich nur irgend tun ließ, Ländererwerb für erlaubt hielt. Damit war eine ungleiche und unglückliche Ehe beschlossen, nur fragte es sich, was die Herzogin dazu sagen würde, doch war jedenfalls auf ihren Widerspruch der König vorbereitet.