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Die Geschichte der neueren Zeit bietet uns ein merkwürdiges und überzeugendes Beispiel des Gegensatzes zwischen deutschem und französischem Geist und Wesen in der Persönlichkeit der Kurprinzessin von der Pfalz, Elisabeth Charlotte, als Gemahlin Philipps von Orleans, des jüngeren Bruders Ludwigs XIV. von Frankreich. Es ist nicht nur ein Gegensatz zwischen zwei einzelnen Menschen, nicht nur eine Grundverschiedenheit zweier Charaktere, die uns das Leben dieser urdeutschen Fürstentochter am französischen Hofe vor Augen stellt – es ist der Gegensatz zwischen zwei Nationen, ja zwischen zwei Welten. Hier der deutsche Raum, aufgespaltet in unzählige kleine Gebiete und Gebieter, verwüstet und verarmt nach einem durch dreißig Jahre hingeschleppten Kriege, dort Frankreich, von einem zielbewußten Autokraten auf den Gipfel der Macht geführt. Hier der bescheidene Hof eines kleinen Fürsten, durch äußere Not zu sparsamster Haushaltung gezwungen – dort der glanzvolle, verschwenderische, von maßlosem Prunk und Dünkel erfüllte Hof des Sonnenkönigs. Und nun schließen sich zwei Vertreter dieser im innersten Kern entgegengesetzten Welten in der engsten Verbindung aneinander, die es zwischen Menschen geben kann – im Ehebunde.
Beide verkörpern die grundverschiedene Wesensart ihrer Herkunft in vollendeter Form – zum mindesten für die damalige Zeit. Und gilt es wirklich nur für die damalige Zeit? Es gibt da eine von einer Französin – A. Barine – geschriebene Biographie der Liselotte (»Madame, Mutter des Regenten«, Paris 1909), und sie stellt diese Frage und meint, das »damals« sei vielleicht zuviel gesagt, und gerade Madame, Liselotte, könne uns dazu verhelfen, in diesem Punkte klar zu sehen und zu erkennen, ob die Unversöhnlichkeit zwischen deutscher und französischer Art wirklich nur zufällig und zeitweilig sei. Zwischen Völkern, sagt sie kurz und bündig, ist es immer von Nutzen, genau zu wissen, bis zu welchem Punkte eines dem andern unleidlich ist. Aber lassen wir es getrost nur für die damalige Epoche gelten. Es hat sich auch in Frankreich in letzter Zeit vieles geändert. Die beiden Menschen Liselotte von der Pfalz und Philipp von Orleans stellen diese Unversöhnlichkeit in der denkbar deutlichsten und krassesten Form dar. Liselotte, die Deutscheste der Deutschen, wie man sie mit Recht genannt hat – grundehrlich, jeder Lüge und allem Falsch abhold, in keiner Weise für Intrigen und Kabalen zu brauchen, ihres Wertes bewußt und stolz auf ihr Deutschtum, eigensinnig, dickköpfig, in vieler Beziehung »stur«, wie wir heute gern sagen – Philipp von Orleans elegant aber leicht, wankelmütig, unaufrichtig, intrigant, oberflächlich, mißtrauisch, allen Einflüsterungen zugänglich. Liselotte derb, robust und gesund, massiv – nicht nur von Körper, ein Mannweib sozusagen – Philipp ein weibischer Mann, verzärtelt, verbuhlt und verspielt. Und endlich: sie ist keine Schönheit, sie gibt nichts auf ihr Äußeres, sie ist schnell fertig mit ihrer Kleidung, sie fragt nichts nach der Mode, sie sieht sich nicht gern im Spiegel – er bildet sich viel ein auf seine körperliche Erscheinung, er bringt ganze Stunden vor dem Spiegel zu, gibt Unsummen aus für kostbare Gewänder, schminkt und salbt sich und kennt keinen größeren Stolz, als für den schönsten Mann von Frankreich zu gelten.
Wie sollen zwei solche Menschen zueinander passen, wie sollen sie miteinander leben? Wie soll ein solches Menschenkind, herausgewachsen und aufgezogen in einer so völlig anderen Umwelt, bestehen in einer so argen Fremde? Immerhin hat sie die Last dieser Ehe dreißig Jahre lang ertragen – und volle fünfzig Jahre am Hofe von Frankreich zugebracht.
Es konnte nicht anders sein, als daß ein solches Leben ein beständiger Kampf sein mußte. Sie hat gekämpft um ihren Mann und gegen ihren Mann – um die Gunst des Königs und gegen die Günstlinge des Königs – um ihre eigene Stellung und Geltung, um ihre Kinder und um ihr Vaterland. Aber leider war sie keine Kämpferin bei aller Resolutheit ihres Wesens – und leider hat sie mit den untauglichsten Waffen gekämpft, mit ihrem dicken Kopf, mit ihrer unverstellten Art und mit ihrem unverblümten Mundwerk. Sie ist denn auch – kurze Zeitspannen vorübergehenden Triumphes abgerechnet – ihr Leben lang auf der ganzen Linie die Unterliegende geblieben. Den Männern und Frauen, die sie gegen sich hatte – Hofleuten, gewohnt, sich auf dem schlüpfrigen Parkett der französischen Königswelt zu bewegen, gerecht in allen Sätteln und mit allen Wassern gewaschen – war eine so aufrechte und aufrichtige Seele, ein so gerader, biederer, herzensguter Charakter nicht gewachsen. Schmeicheleien glitten an ihr ab, alles Ränkespiel war ihr zuwider, sie hatte keinen Ehrgeiz und für Politik kein Verständnis. Es war nun einmal ihre Art, kein Blatt vor den Mund zu nehmen und das Herz auf der Zunge zu tragen. Zu dem Grundsatz, daß dem Menschen die Sprache verliehen sei, um seine Gedanken zu verbergen, vermochte sie sich niemals zu bekehren. Sie sprach offen und unverhohlen aus, was sie dachte und wie sie dachte – und allzuoft in Formen, die es ihren glatten, geschniegelten Gegenspielern leicht machten, mit ihr fertig zu werden. Der eine Mann, der über allem stand, der König, ihr Abgott, von ihr geehrt, geliebt sogar, mehr als sie es sich selbst eingestand, war umsponnen von Tausenden von Polypen, umschwirrt von giftigem Geschmeiß. Hunderte von Schmarotzern schlichen sich an ihn heran, er steckte selber sozusagen mit halbem Leibe im Morast und konnte sich nicht immer so zeigen und geben, wie er dem Herzen nach wollte, er stützte sie, er hielt sie, er ließ sie fallen und nahm sie wieder auf, Gunst und Mißgunst wechselten, und so ging das Spiel durch die vielen Jahre hin auf und nieder, bis ganz zuletzt, an seinem Sterbebette, noch einmal das volle Licht seiner Gnade alle Schatten der Vergangenheit überstrahlte und seine letzten Worte sie erkennen ließen, was er immer von ihr gehalten und daß auch er, der große Mann, nur ein armer Mensch gewesen mit allem Widerspruch menschlicher Natur.
Wenn sie dieses Leben so lange ertragen konnte, so dankte sie dies nur ihrer seelischen Gediegenheit, ihrem gesunden Humor und der Treue zu sich selbst. Sie war am Ende dieselbe wie zu Anbeginn – und das will viel besagen, wenn man dieses Leben in seinen Einzelheiten betrachtet. Durch das bedrohliche Spiel von Politik und höfischer Feindseligkeit geht sie ihren geraden Weg, wohl drückt die Brandung sie nieder, zerschlägt sie, macht sie mürbe und müde – aber umwerfen läßt sie sich nicht, den festen Boden verliert sie nie, mit dem die Wurzeln ihres Wesens verwachsen sind – die reine Seele und das gute Gewissen. Am Himmelstore – sie glaubte allerdings nicht an ein jenseitiges Leben – hätte sie, so diese Worte zu ihren Lebzeiten geschrieben worden wären, wohl mit gutem Rechte sagen können:
Macht nicht so viel Federlesen,
laßt mich immer nur herein,
denn ich bin ein Mensch gewesen,
und das heißt ein Kämpfer sein!
Der Kampf begann schon in ihrer Jugendzeit – nicht erst am französischen Hofe. Sie hat keine schöne Kindheit gehabt, wenn sie auch später immer erklärt, sie habe sich zu Hause sehr wohl gefühlt. Sie kam am 27. Mai 1652 zur Welt als zweites Kind des Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz und seiner Gemahlin Charlotte, Kurfürstin von Hessen-Kassel. Die Eltern führten keine glückliche Ehe. Karl Ludwig war ohne Frage ein tüchtiger Mann, vielseitig begabt, aber ein kleiner Despot und von starker Sinnlichkeit. Zu seinem Unglück war seine Gattin eine gefühlskalte, seelisch arme Frau, die obendrein noch in anderer Hinsicht nicht zu ihm paßte. Er war durch die Zeitläufte und durch äußere Verhältnisse zu größter Sparsamkeit gezwungen, sie litt an Verschwendungssucht und sah in seiner notgedrungenen Kargheit nur Knauserei und bewußte Schikane.
Dabei war seine genaue Haushaltung im eigenen Bezirk wie in der Landesverwaltung nur ein Gebot staatsmännischer Klugheit. Sein Vater, Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz, den die Böhmen zum König gewählt, hatte nach der für ihn unglücklichen Schlacht am Weißen Berge bei Prag (8. November 1620) nicht nur seine neue böhmische Krone, sondern auch die Kurfürstenkrone der Pfalz verloren und ins Exil nach Holland flüchten müssen. Die Pfalz kam an Bayern und wurde erst im Westfälischen Frieden, der dem Dreißigjährigen Kriege ein Ende machte, seinem Sohne Karl Ludwig zurückgegeben. Er fand sie zerstört, verarmt und entvölkert und packte mit tapferem Entschluß und fester Hand das Werk des Wiederaufbaus an. Nur bei äußerstem Zusammenhalten aller Mittel und nach allen Seiten hin konnte es gelingen – aber es gelang. Im Verlaufe von zehn Jahren lebte die Pfalz wieder auf unter seiner strengen Hand und umsichtigen Verwaltung. Da konnte er keine Rücksicht nehmen auf die schrankenlosen Ansprüche einer prunksüchtigen Frau, hierin war er vollauf im Recht.
Allein die andere Seite seines Ehelebens ist eine üble Angelegenheit. In den geldlichen Dingen wäre immerhin noch ein Friede oder doch ein leidliches Auskommen nebeneinander möglich gewesen. Das eigentliche Zerwürfnis, das zur unüberbrückbaren Trennung führte, entstand aus der Liebeskälte der Frau und der sinnlichen Veranlagung des Mannes.
Es steht nicht fest, wann sich ein Verhältnis zwischen Karl Ludwig und dem Hoffräulein seiner Gemahlin, Luise von Degenfeld, entspann. Sie war im Jahre 1650 an den Hof gekommen, aber erst 1655 machten sich Beziehungen zwischen ihm und ihr bemerkbar. Sie war schön – das war seine Frau auch – allein sie war vor allem sehr sanftmütig, offensichtlich dankbar, ein wenig schüchtern und angenehm zärtlich – Eigenschaften, die sowohl den Herrschersinn wie die Verliebtheit eines Mannes wie Karl Ludwig stark ansprachen. Es gefiel ihr, daß der hohe Herr sie allen anderen vorzog – es machte sie stolz, die Auserwählte des Allmächtigen von der Pfalz zu sein – sie wünschte sich nichts Schöneres. Aber sie war die Tochter eines alten, angesehenen Adelsgeschlechts und zudem von strenger Frömmigkeit. Seine Liebe nahm sie mit tausend Freuden an, doch weigerte sie sich, seine Mätresse zu sein, sie verlangte, daß er sie zur Gemahlin nehme und sich offiziell mit ihr trauen ließe. Er versuchte sie durch ein in seinen Verhältnissen großzügiges Angebot eigener Haushaltung in einem seiner Schlösser umzustimmen, sie blieb in aller Bescheidenheit und Demut unerbittlich – sehr konsequent für ihre neunzehn Jahre und sehr charaktervoll, denn sie liebte ihn, und es lag ihr viel daran, daß auch er sie lieb behielte. Aus staatsmännischen Rücksichten wollte er sich zunächst nicht scheiden lassen. Die Kurfürstin weigerte sich, den Platz zu räumen. Vielleicht hoffte sie im stillen noch immer, den Gatten zurückzugewinnen und die Nebenbuhlerin aus dem Sattel zu heben, zumal die Hofgesellschaft zum großen Teil auf ihrer Seite stand, das Verhalten des hohen Herrn mißbilligte und die Degenfeld schief ansah. So wohnten nun beide Frauen unter einem Dach – ein auf die Dauer unhaltbarer Zustand.
In diesem Dreiecksverhältnis wuchs die kleine Liselotte heran – ein Kind mit hellen Augen, wachen Sinnen und feinem Gefühl. Sie empfand unwillkürlich, daß der Mutter Unrecht geschehe, und wurde in dieser Auffassung noch bestärkt durch ihre Erzieherin, Fräulein von Uffeln, die kein Hehl machte aus ihrer Entrüstung über das Benehmen des Kurfürsten und aus ihrer Mißachtung seiner Geliebten. So zeigte auch Liselotte offen ihre Abneigung gegen die Degenfeld, was wiederum der Herr Papa ihr sehr übelnahm. Unter diesem Zwiespalt des Herzens hat die kleine Prinzessin gewiß schwer gelitten. Sie konnte nicht begreifen, weshalb die Eltern sich fortwährend zanken und anschreien mußten, weshalb sie sich haßten und mieden, und sie wußte nicht, wie sie sich verhalten sollte. Ging sie zur Mutter, so hörte sie Klagen und harte Worte über den Vater – ging sie zum Vater, gab es Vorwürfe und strenge Ermahnungen, sich gegen Fräulein von Degenfeld artig zu benehmen. Ihr armes Herzchen fand keinen Frieden. In ihren Augen war ja doch der Vater der Kurfürst, der Herr des Hauses und des Landes, dem Achtung und Gehorsam gebührten. Der Begriff der väterlichen und kurfürstlichen Gnade und Ungnade war auch für dieses Kind schon eine wichtige Sache. Aber die Frau, um die dies alles ging, war nun einmal ihre Mutter.
Karl Ludwig kümmerte sich um die Seelennot einer kleinen Tochter nicht, er kümmerte sich ebensowenig um die Meinung des Hofes und des Landes – ja die ganze Welt mochte denken, was sie wollte. Hier in seinem Lande war er der alleinige Gebieter, und übrigens machten es andere Fürsten nicht anders! Dabei war die Degenfeld nicht Mätresse – sie wollte seine Gemahlin sein, und sie sollte es werden. Eine Aussöhnung mit der Kurfürstin hielt er für unmöglich und überdies nutzlos – er wünschte sie auch nicht. Seine Liebe gehörte der anderen, er konnte nicht mehr ohne sie leben. Er hatte keine Lust, den Märtyrer der Bravheit und des Anstands zu spielen. So entschied er sich denn für die einfachste und bündigste Lösung: er zerschnitt den gordischen Knoten. Er setzte sich über die staatsmännischen Rücksichten hinweg, die ihm im Anfang seines Verhältnisses zur Degenfeld noch ein Zusammenbleiben mit der Frau ratsam erscheinen ließen, er verfügte kraft seines kurfürstlichen Rechts die Scheidung, erklärte in einem öffentlichen Erlaß seine Ehe mit Charlotte, Kurfürstin von Hessen-Kassel, für rechtmäßig aufgelöst und ließ sich – ein Geistlicher war für die Handlung leicht gewonnen – Luise von Degenfeld, der er gleichzeitig Rang und Titel einer Raugräfin der Pfalz verlieh, zur linken Hand antrauen.
Es war nur eine äußere Lösung – nur seine Beziehungen zur Degenfeld waren vor der Welt richtiggestellt – das häusliche Ungemach blieb, da die Kurfürstin blieb. Ja eigentlich waren die Dinge nur noch ärger geworden. Die eine Frau betrachtete sich noch als rechtmäßige Gemahlin, da sie die Ehescheidung nicht gelten ließ und ihren Platz behauptete – die andere erklärte der Kurfürst selbst als alleinige Gattin und verlangte, daß Hof und Volk sie als solche anerkannten und achteten. Es war an einem so kleinen Hofe nicht möglich, daß beide sich völlig aus dem Wege gingen, so sehr sich auch jede auf den ihr eingeräumten Teil des Schlosses zurückzog. Es kam doch zu unliebsamen Zusammenstößen. Die Degenfeld machte bei aller Sanftmut ihre Rechte geltend, Charlotte ihrerseits verlangte, noch als Kurfürstin und Souveränin angesehen zu werden. Karl Ludwig maß sein Urteil über alle ihm unterstellten Persönlichkeiten nur nach ihrem Verhalten gegen die Degenfeld ab. Wer die geringste Mißachtung gegen sie erkennen ließ, hatte bei ihm verspielt. Er war in seiner Liebe nicht nur ungerecht, sondern auch unklug. Dabei kann man nicht einmal sagen, daß ihn eine jener großen Leidenschaften beseelte, die im Menschen wie eine Naturkraft wirken und, wenn sie auch nicht alles rechtfertigen, so doch alles erklären. Er hatte gar nicht das Zeug zu einem leidenschaftlich Liebenden. Er war ein ältlicher Mann, den im Absinken der Kräfte noch immer eine heiße Sinnlichkeit beherrschte. Er liebte dieses jugendliche Weib, weil es ihm völlig zu Willen war. Seine Frau hatte ihm rundweg erklärt, daß sie keine Kinder mehr wünschte – zumal solche, wie sie bissig hinzusetzte, das Haushaltungsbudget zu stark belastet hätten. Luise von Degenfeld gebar ihm nacheinander vierzehn Kinder – und starb im Wochenbett des letzten. Sie hatte nie die leiseste Einrede erhoben, ihn nie bezweifeln lassen, daß seine Liebe sie glücklich machte. Und doch nahm er kurz nach ihrem Tode trotz seiner sechzig Jahre zum Ersatz eine »robuste Schweizerin« in sein kurfürstliches Bett. Nein, in dem allem ist wahrlich wenig Poesie oder Romantik.
Zu denen, die sich der Degenfeld wegen seine Ungnade zuzogen, zählte Liselottes Erzieherin, Fräulein von Uffeln – ein ehrenhafter, aufrechter Charakter. Sie konnte sich nicht dazu verstehen, seine offizielle Bigamie zu billigen, und machte kein Hehl aus ihrer Meinung. Unter ihrem Einfluß wandte Liselotte, die ihre Erzieherin liebte und ehrte, sich mehr und mehr von ihrem Vater und seiner zweiten Frau ab und zog sich damit seinen Zorn zu – er hat es ihr in der Tat sein Leben lang nicht verziehen. Es war bei Liselotte nicht allein ein gewisses Mitleid mit der Mutter, nicht allein der Glaube an die Unfehlbarkeit ihrer Gouvernante, es war da auch ein noch unbewußter Standesstolz im Spiele – sie hat später am französischen Hofe die Mätressenkinder des Königs nie für voll angesehen, sie nannte sie immer den »Mausdreck, der sich gern in den Pfeffer mischen wollte.« Nach solchen Erklärungen ihres feindseligen Verhaltens gegen die Degenfeld suchte indes ihr Vater nicht, ihm genügte die einfache Tatsache, ihr sein Herz zu entziehen. Das erste, wozu er sich entschloß, um hier reinen Tisch zu machen, war die Entlassung des Fräuleins von Uffeln, und er würde diesen törichten Schritt, der bei der allgemeinen Achtung, die Fräulein von Uffeln genoß, einen Skandal herbeigeführt hätte, sicherlich über kurz oder lang getan haben, wenn nicht ein glücklicher Zufall ihn in diesen kritischen Tagen aus seiner Verlegenheit befreit hätte.
Seine Schwester Sophie, die an den Herzog Ernst August von Braunschweig-Lüneburg verheiratet war, erbot sich, Liselotte auf ein paar Jahre zu sich zu nehmen, mit dem Versprechen, sie zu hegen und zu pflegen, als wäre sie ihr eigenes Kind. Diese Sophie war das jüngste und letzte der zwölf Kinder des unglücklichen Böhmenkönigs und pfälzischen Kurfürsten Friedrich und seiner Gemahlin Elisabeth Stuart, damals neunundzwanzig Jahre alt, weltklug, vorurteilsfrei, sehr verständig und nicht ohne Geist. Von der fatalen Veranlagung ihres mütterlichen Stammhauses hatte sie nichts geerbt. Frohsinn und gesunder, oft recht derber Humor ließen sie das Leben sorglos hinnehmen, wie es kam.
Sie war im Jahre 1650 aus Holland zu ihrem Bruder Karl Ludwig nach Heidelberg gezogen, um dieselbe Zeit etwa, da die Degenfeld an den Hof gekommen war. Als dort das Leben zwischen den zwei gegnerischen Frauen unerträglich wurde, nahm sie – denn sie liebte vor allem die Ruhe – den Braunschweiger Heiratsantrag ohne Bedenken an und dachte auch nicht daran zurückzutreten, als sie statt des Bräutigams dessen Bruder nehmen sollte. Sie fand ihn liebenswürdig und war willens, einträchtig mit ihm zu leben. Am 18. Oktober 1658 wurde sie seine Gemahlin.
Von ihrem Bruder schied sie in gutem Einvernehmen. Ihm wegen seiner Bigamie Vorwürfe zu machen oder sich sonst irgendwie in seine Angelegenheiten einzumischen, lag ihr fern. Ihr war nur um das Kind Liselotte zu tun, das zwischen einer nur noch geduldeten Mutter und einer bevorzugten Stiefmutter auf allzu gefährlichem Boden leben mußte. Karl Ludwig freute sich herzlich des schwesterlichen Antrags, nur anstandshalber ließ er noch eine kleine Frist verstreichen, ehe er zustimmte. Am 9. Juni 1659 durfte Liselotte abreisen. Wie es bei einem Kinde nicht anders sein kann, vergoß sie Tränen beim Abschied, aber schon einige Stunden später gab sie sich mit voller Freude den kleinen Überraschungen ihrer ersten Reise hin. In Kassel nahm man kurzen Aufenthalt, um der Frau Großmama einen Besuch abzustatten. Diesen Herzenswunsch glaubte Karl Ludwig der Kurfürstin erfüllen zu müssen. Warum auch nicht? Obwohl er seiner Tochter wegen ihrer Bockbeinigkeit der Degenfeld gegenüber zürnte, sie war doch ein liebes, gutes Kind, er brauchte sich ihrer nicht zu schämen. Und wie die Frau Schwiegermutter über ihn selbst urteilte, war ihm gleichgültig. Sie hatte ihn vor seiner Verheiratung gewarnt, ihre Tochter zur Frau zu nehmen, und wunderte sich wahrscheinlich nicht sehr über den unglücklichen Verlauf dieser Ehe. Immerhin herrschte in Kassel großer Kummer über die Zustände in Heidelberg, und es waren für die kleine Liselotte ein paar tränenvolle Tage, die jedoch bald darauf in der Lebenslust des Hofes von Hannover rasch überwunden und vergessen wurden. Die neue Umgebung, in der es niemals so unerquickliche Auftritte gab wie zu Hause, der frohe Sinn der Tante, die ihren Schützling liebte und die so völlig anders war als die zänkische, vergrämte Mutter, die beiden Oheime, die sich weit gemütlicher und zugänglicher zeigten als der gestrenge Vater – dies alles wirkte befreiend, beglückend und erlösend auf ihr kindliches Gemüt. Sie lebte auf, sie durfte sich gehen lassen, die ihr eingeborene Lebenslust fühlte sich nicht mehr nach allen Seiten hin gehemmt und unterdrückt. Welch ein Glück nach allem, was hinter ihr lag!
Unter dem Einfluß ihrer freisinnigen Tante scheint sie auch eine andere Auffassung vom Charakter ihrer Mutter gewonnen zu haben. Denn Herzogin Sophie hatte auch einigen Grund, mit ihrem Gatten nicht ganz zufrieden zu sein. Aber sie zeigte ihm keine Eifersucht, sie sah über seine Liebeleien großzügig hinweg und spielte nie die Märtyrerin. – Wozu sich grämen über Dinge, die man nicht ändern kann? Es kommt doch alles, wie es bestimmt ist, und man lebt nur einmal auf der Welt. Das war so ungefähr ihre Lebensrichtschnur. Sie und ihr Gemahl sind beide dabei gut zurechtgekommen.
Liselotte hat sich die Grundsätze der Tante für die Dauer ihres Lebens zu eigen gemacht. Am französischen Hofe freilich waren die Verhältnisse doch zu verzwickt, als daß diese Lebensklugheit in allen Fällen hätte Stich halten können, immerhin hat sie der späteren Herzogin von Orleans auch dort gute Dienste getan und ihr in vielen Stürmen der Intrige und der offenen Feindseligkeit Halt gegeben. Zunächst kam sie damit über den Heidelberger Kummer hinweg. Sie hat der Mutter nur einmal auf einen Brief geantwortet, nachher erhielt die schmerzensreiche Frau kein Lebenszeichen mehr von ihrer Tochter und mußte sich damit abfinden, daß ihr undankbares Kind sie ganz vergessen habe. In den zahlreichen Briefen, die Liselotte von Frankreich aus an Verwandte und Bekannte geschrieben hat, wird sie kaum erwähnt. Der Meinung der klugen, in ihren Augen vorbildlichen Tante, die ihre Schwägerin närrisch und überspannt nannte und sie als einen Popanz blöder Eifersucht betrachtete, scheint sie sich angeschlossen zu haben.
Als in späterer Zeit, um das Jahr 1680 herum, Tante Sophie einmal die Meinung äußerte, die Mama könnte doch eigentlich zu ihrer Tochter ziehen, sie würde es in Frankreich gewiß besser haben als in Kassel, winkte Liselotte ziemlich energisch ab, sie hatte kein Verlangen nach einem Wiedersehen und schon gar nicht nach einem Zusammenleben mit der Mutter. Sie stellte die Zustände am französischen Hofe in so abschreckenden Farben dar, daß man den Vorschlag einer Übersiedlung der Mutter fallen ließ.
Die Jahre des Aufenthalts in Hannover wurden durch eine Reise nach dem Haag unterbrochen, wo die Großmutter väterlicherseits in Verbitterung und Einsamkeit ihren Lebensabend verbrachte. Elisabeth Stuart, die Gemahlin des unglücklichen Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz, seit 1632 verwitwet, hielt ihren königlichen Stolz auch in dürftigen Verhältnissen aufrecht und umgab sich noch immer mit dem Schein einer Hofhaltung.
Ihre zahlreichen Kinder hatten sich in alle Winde zerstreut. Von den Söhnen war nur der älteste, Karl Ludwig, seßhaft geworden. Prinz Rupert gelangte zu seemännischem Ruhme und starb als englischer Admiral. Prinz Moritz, mehr Seeräuber als Seemann, fand bei einem Schiffbruch den Tod. Prinz Eduard wandte sich nach Frankreich, trat zum Katholizismus über und führte ein ziemlich unscheinbares Leben als Gemahl der mantuanischen Prinzessin Anna de Gonzaga, die, in Frankreich unter dem Namen La Palatine allgemein bekannt, in den Jahren der Fronde eine nicht unbedeutende Rolle spielte und nachher als Heiratsvermittlerin zwischen Pfalz und Frankreich in Liselottes Schicksal eingriff. Prinz Philipp fiel nach unstetem Dasein in französischem Kriegsdienst. Unter den Töchtern der Elisabeth Stuart zeichnete sich Prinzessin Elisabeth durch Schönheit, Begabung und hohe Bildung aus, sie hatte sich, mit der Aussicht, einmal Äbtissin zu werden, in das lutherische Kloster zu Herford zurückgezogen. Prinzessin Luise Hollandine fand nach zahlreichen stürmischen Liebeshändeln, und nachdem auch sie den katholischen Glauben angenommen hatte, Ruhe und Frieden als Vorsteherin des Klosters Maubuisson. So war nur Karl Ludwig in der Lage, die Mutter zu unterstützen, aber er gab nicht viel her, denn er war in Geldsachen sehr zugeknöpft, und zudem hatte er zwei Frauen zu unterhalten.
Der kurze Besuch des Enkelkindes warf einen Sonnenstrahl in das verdüsterte Leben der Königinwitwe. Sie fand Gefallen an Liselotte, ihr vereistes Herz taute auf, sie vergaß in diesen Tagen sogar ihre Äffchen und Hündchen, die ihre Lieblingsgefährten geworden waren. Am meisten erfreute es sie, daß die kleine Prinzessin ganz ihrem Vater nachzuarten schien und keinerlei Anzeichen des mütterlichen Wesens erkennen ließ, denn der Gattin des Kurfürsten war auch sie nicht hold. Trotz allem mögen Liselotte und Sophie, die sich an diesem Spottbild eines Hofes begreiflicherweise nicht wohl fühlen konnten, aufgeatmet haben, als die Stunde des Abschieds schlug. Das Versprechen, bald wiederzukommen, ist denn auch nicht erfüllt worden, Liselotte hat ihre Großmutter nie wiedergesehen. Elisabeth fand später Zuflucht bei ihrem Bruder, dem König Karl II. von England, und ist dort 1662 gestorben, zwei Jahre nach diesem Besuche ihrer Enkelin.
Bald schlug für Liselotte eine schwerere Abschiedsstunde. In Heidelberg war die Luft jetzt rein. Die Kurfürstin hatte die Zwecklosigkeit ihres starrsinnigen Verbleibens endlich eingesehen und sich in ihr Elternhaus nach Kassel begeben. Karl Ludwig wünschte die Rückkehr seiner Tochter und gab den entsprechenden Befehl, denn bei ihm kam ja alles auf Befehlen und Gehorchen hinaus. Liselotte hatte so viel von der Weltklugheit und Vorurteilsfreiheit der Tante in sich aufgenommen, daß sie entschlossen war, der Frau Mama nicht nachzutrauern und der Stiefmutter keine Feindschaft zu zeigen. Der Vater seinerseits war willens, der Tochter wieder seine Gnade zuteil werden zu lassen, freilich unter der Voraussetzung, daß sie seine zweite Frau als ihre zweite Mutter anerkenne und behandle. Allein Liselotte hatte nicht nur von der Großmutter Elisabeth allen königlichen Stolz des Stuartgeschlechts geerbt, sondern auch vom Vater unbeugsame Willensstärke. So zeigte sie nun gegen die Degenfeld eine Zurückhaltung, die den Vater enttäuschte, und das erhoffte volle Einvernehmen stellte sich auch jetzt nicht ein. Wenn es auch keine heftigen Gewitter mehr gab, seit Charlotte das Feld geräumt hatte, so herrschte doch immer eine dumpfe Spannung, die Karl Ludwigs Gemüt schwer bedrückte. Die Hartnäckigkeit der Tochter mußte ihn um so mehr erbittern, als es ihm doch gelungen war, aus seinem Sohne, Liselottes älterem Bruder, ganz das zu machen, was ihm als Ideal der väterlichen Zucht erschien: ein willenloses, keines Widerspruchs fähiges, blind gefügiges Wesen. Er war mit Prinzessin Wilhelmine Ernestine, der Tochter des Königs Friedrich III. von Dänemark, verheiratet, einer geistlosen, ebenso hochmütigen wie beschränkten Frau, die dem armen Kurprinzen das Leben vollends zur Hölle machte. Nach des Vaters Tode hat er nur fünf Jahre lang den Thron der Kurpfalz innegehabt, am 26. Mai 1685 ist er gestorben.
Unter den wiederum recht unerquicklichen Verhältnissen im Heidelberger Schlosse konnte es nicht wundernehmen, daß den Kurfürsten die übereilte Rückberufung der Tochter gereute.
Von neuem wünschte er daher, sich ihrer zu entledigen, und diesmal konnte es nur durch ihre Verheiratung geschehen. Aber auch im Punkte der Liebe zeigte sich Liselotte eigenwillig und ließ sich nicht beeinflussen. Dem ersten Freier, der sich ihr im Haag, bei der Großmutter Elisabeth, schüchtern genähert hatte, einem Prinzen von Oranien, war ein Korb zuteil geworden. Auch der Plan, sie mit dem Kurprinzen von Brandenburg zu vermählen, zerschlug sich rasch. Ein Prinz von Kurland sagte ihr ebensowenig zu. Der nächste Bewerber war ein Markgraf von Baden-Durlach, und er hätte vielleicht das Ziel erreicht, da der Kurfürst nun selber ernstlich dem spröden Verhalten der Tochter ein Ende zu bereiten wünschte. Da machte ein dummer Zwischenfall einen Strich durch die Rechnung. Ein paar lothringische Offiziere hatten in Pfälzer Dörfern Pferde requiriert, das heißt geraubt; entrüstete Bauern, die ihnen nachgesetzt waren, hielten irrtümlicherweise den Markgrafen und seinen Vater, die sich auf dem Wege nach Heidelberg befanden, für die Pferdediebe, nahmen ihnen ihre Gäule weg und verprügelten obendrein noch die hohen Herren. Der Durlacher vermutete in dem leidigen Zufall einen ihm mit Absicht vom Pfälzer Hof gespielten Possen, kehrte heim und heiratete schleunigst eine andere.
Liselotte freute sich herzlich über diesen Ausgang, ihr Vater aber war des Spiels ebenso herzlich müde. Da kam ihm ein neuer Heiratsplan höchst erwünscht, und diesmal war es ein Plan, der ernster zu nehmen war als alle bisherigen, ein Plan, der auf keinen Fall scheitern durfte. Liselotte hatte wohl im Grunde das richtige Gefühl, wenn sie später einmal in ihren Briefen schrieb: »Papa hatte mich auf dem Halse, war bange, ich möchte ein alt Jüngferchen werden, hat mich also fortgeschafft, so geschwind er gekonnt hat. Das hat so sein sollen, war mein Verhängnis.« Aber noch schwerer wogen bei dem neuen Antrag staatsmännische Rücksichten, denn es handelte sich um nichts Geringeres als um den Familienanschluß an das französische Königshaus.
Die erwähnte Prinzessin Anna de Gonzaga, eine der zahlreichen Tanten Liselottes, eine geistvolle, energische Dame, die gern die behenden Finger in Dinge der hohen Politik steckte, befand sich um diese Zeit, im Jahre 1670, auf einer Reise nach Deutschland, um bei ihrem großen Verwandtenkreise einige Besuche abzustatten. In Frankfurt am Main erhielt sie die Nachricht, daß die Gemahlin Philipps von Orleans, Henriette Anna, eine Schwester König Karls II. von England, eines jähen Todes gestorben sei. Sie erfuhr zur gleichen Zeit, es ginge am französischen Hofe das Gerede, der Gemahl habe sie vergiften lassen. Die kluge Prinzeß erriet sofort, daß der König und sein Bruder alles nur Mögliche tun müßten und würden, um dieses Gerücht Lügen zu strafen, und daß sie in einer raschen Wiederverheiratung des Verdächtigten das sicherste und wirksamste Mittel erblicken mochten. Tatsächlich hatte denn auch der König seinem Bruder schon wenige Tage nach dem Ableben seiner Frau den Vorschlag gemacht, die Herzogin von Montpensier, die man in Frankreich die »grande mademoiselle« nannte, zur Gemahlin zu nehmen. Aber die noch immer streitfertige Dame, die vor achtzehn Jahren, eine zweite Johanna d'Arc, im Kampfe des rebellischen Adels gegen den um die Alleinherrschaft ringenden König Orleans im Sturm genommen hatte, dankte für den weichlichen Philipp. In ihrem kriegerischen Herzen herrschte Lauzun, der schöne, schneidige Gardeoberst Ludwigs XIV. Auch Philipp hegte wohl ein geheimes Grausen vor dieser Heldin aus den Tagen der Fronde und weigerte sich heftig, auf seines Bruders Wunsch einzugehen. So ließ auch der König davon ab.
Anna de Gonzaga ersah die günstige Gelegenheit zu einem politischen Spiel ersten Ranges. Nach beiden Seiten hin streckte sie behutsam die Fühler aus, und bald war die Sache im besten Fahrwasser. Ludwig XIV. erklärte sich einverstanden, Philipp hatte nichts dagegen, und Karl Ludwig war Feuer und Flamme dafür. Liselotte Herzogin von Orleans, Schwägerin des französischen Königs, »Madame« von Frankreich – so hoch hatten sich seine Pläne noch nicht verstiegen. Welche Vorteile boten sich da! Er brachte die ihm unliebsame Tochter aufs glänzendste unter die Haube, die großzügigen Bewerber ließen ihm sagen, die Ausstattung der Prinzessin sei Nebensache – ein Anerbieten, das ihm sehr zusagte – und vor allem, was in staatsmännischer Hinsicht das Wichtigste war – die Pfalz kam durch die Verwandtschaft mit dem französischen Königshause unter den unmittelbaren Schutz des derzeit mächtigsten Reiches. Er wußte genau, wie wenig beliebt er unter den deutschen Fürsten und besonders bei seinen Grenznachbarn war; als Schwager eines Ludwig XIV. brauchte er keinen von ihnen mehr zu fürchten.
Es gab nur eine Schwierigkeit: Liselotte mußte zum katholischen Glauben übertreten. Aber sollte einer solchen Belanglosigkeit wegen der große Plan etwa scheitern? Er war ein Freigeist. Sein Land hatte er längst den Anhängern aller christlichen Bekenntnisse und Sekten geöffnet. Unter seinem Zepter mochte ein jeder nach seiner Art selig werden. Ein Ausweg war leicht gefunden, und Liselotte wurde nicht um ihre Meinung gefragt, sie hatte zu gehorchen. Er schrieb wohl an die mantuanische Vermittlerin, die in Fragen der Religion nicht so oberflächlich war wie er, Liselotte scheine Einwendungen zu machen, allein bei seiner Selbstherrlichkeit ist kaum anzunehmen, daß er die Tochter ernsthaft darüber ins Gebet genommen habe. Er gab seinem katholischen Sekretär Urbain Chevreau den Auftrag, sie in den Hauptsätzen der christlichen Dogmen zu unterweisen, und damit war diese Angelegenheit für ihn abgetan. Es galt nur noch, sich den protestantischen Reichsfürsten gegenüber den Rücken zu decken. Zu diesem Zwecke kam man dahin überein, daß Liselotte erst in Metz den Übertritt zum Katholizismus vollziehen solle, und daß also er getrost erklären dürfe, es sei dies ohne sein Wissen geschehen, man habe ihm von der Notwendigkeit eines Glaubenswechsels vorher überhaupt nichts gesagt. Mochten dann die protestantischen Herren im Reich diese fadenscheinige Ausrede durchschauen oder nicht, sie mußten sie jedenfalls hinnehmen.
Nun verlief alles rasch und glatt. Liselotte, wie gesagt, wurde nicht um ihre Meinung gefragt, Prinzessinnen durften in Heiratsangelegenheiten keine eigene Meinung haben, hier entschied allein die sogenannte Staatsräson. Heiratslustig war sie nicht. Von sich aus wäre sie weit lieber ledig und unabhängig geblieben. Sie war frei von jeglicher Gefühlsduselei. Mit der Liebe, hat sie einmal gesagt, ist es wie mit dem Tau, er fällt genau so gut auf einen Kuhfladen wie auf ein Rosenblatt. Zu leidenschaftlicher Verliebtheit hatte sie gar keine Anlage. Sie konnte nicht begreifen, wie ein Mädchen in einen Mann, wie immer er beschaffen sei, vernarrt sein könne. Es war für ihr Empfinden geradezu ein Unsinn, wenn ein Frauenzimmer sich einbildete, ohne ein bestimmtes Mannsbild nicht leben zu können, und von Liebesheiraten hatte sie überhaupt eine sehr geringe Meinung. Nach ihrer Überzeugung war es eine sehr seltene Ausnahme, wenn sich daraus einmal eine glückliche Ehe ergab. Um dies hier vorwegzunehmen – sie hatte auch keine Lust, dem Vorbild ihrer Stiefmutter, der Degenfeld, nachzueifern. Sie war nicht für Kinderreichtum begeistert. Neun Monate lang sich an vorgeschriebene Lebensregeln zu halten und allerlei Rücksichten zu nehmen, behagte ihr nicht, sie wollte körperlich frei und unbehindert sein. Was die Liebe anbetrifft, so lief sie von vornherein keine Gefahr, jemals zu den enttäuschten Frauen zu zählen.
Nach ihren Erfahrungen im Elternhause konnte sie schließlich keine rosige Ansicht vom Eheleben hegen, und auch von Hannover her wußte sie, daß nicht alles, was glänzt, Gold ist. Sie kannte den ihr zum Manne und Gebieter bestimmten Herrn nicht, sie hatte ihn nie gesehen, sie wußte nur vom Hörensagen um den Glanz und die Pracht des französischen Hofes. Dem ihr eingeborenen Stolze und Standesgefühl schmeichelte wohl die Aussicht, an diesem Hofe die erste Dame nächst der Königin zu werden. Den Heidelberger Verhältnissen zu entrinnen, wünschte auch sie, so sehr es sie auch schmerzte, von der geliebten Heimat Abschied nehmen zu müssen. Die traurigen Folgen, die sich später aus dem verwandtschaftlichen Bunde zwischen ihrem Vaterlande und Frankreich entspinnen sollten, konnte sie nicht ahnen. Der Kurfürst, wenn er überhaupt mit ihr darüber gesprochen hat, kann ihr ja nur die Vorteile dargestellt haben, die er sich davon versprach. Und schließlich: es hieß eben gehorchen – also blieb ihr nichts anderes übrig, als dazu ja und amen zu sagen und sich mit dem Gedanken zu trösten, daß es, wenn sie nun einmal heiraten mußte – und das wäre ihr über kurz oder lang ja doch nicht erspart geblieben – im weiten Kreise der europäischen Fürstenhäuser kaum eine glänzendere Partie für sie gegeben hätte.
Die notwendigen Vereinbarungen und Formalitäten waren erledigt, der Heiratskontrakt beiderseits unterzeichnet, am 21. Oktober 1671 trat Liselotte die Reise in ihre neue Heimat an. Der Vater gab ihr an Bargeld 64 000 Franken mit, dazu Schmuck, Wäsche und Kleidung im Werte von etwa 10 000 Franken. Das war wenig für eine deutsche Prinzessin – so gut wie nichts aber für eine, die den Herzog von Orleans heiraten sollte, dessen Einkünfte sich auf eine Million im Jahre beliefen.
Die übrige vertragsmäßig zugesagte Mitgift blieb Karl Ludwig lange schuldig. Es ärgerte ihn, daß Liselotte ihre Stellung zum König von Frankreich nicht im mindesten dazu ausnützte, für ihren Vater irgendwelche Vorteile herauszuschlagen, und es verbitterte ihn vollends, als dann später zur Zeit der Reunionskammern ganz im Gegenteil Ludwig XIV. noch Geld von der Pfalz erpressen ließ. Da hielt er den Geldbeutel erst recht verschlossen und rückte die Mitgift nur tropfenweise und auf nachdrückliche Mahnungen heraus. Seine Schäbigkeit, die am verschwenderischen Hofe von Frankreich natürlich bespöttelt wurde, brachte Liselotte in eine peinliche Lage ihrem Manne gegenüber.
Denn Philipp und auch der König hatten sich großzügig gezeigt. An Edelsteinen und Schmucksachen schenkte ihr Monsieur einen Gesamtwert von 150 000 Livres. Als Wittum überschrieb er ihr 40 000 Livres für das Jahr. Außerdem bekam sie als Brautgabe Schloß Montargis mit vollständigem Mobiliar. Der König schenkte ihr 30 000 Louisd'ors – das war ungefähr das halbe Jahreseinkommen ihres Herrn Vaters. Die Königin ließ ihr eine Rose aus Diamanten überreichen, die 40 000 Taler wert war. Außerdem gewährte der König dem herzoglichen Paare eine Zulage von 250 000 Livres zur jährlichen Apanage. Da hatte Liselotte freilich einigen Grund, sich der väterlichen Knauserigkeit zu schämen.
Bis nach Straßburg begleiteten mit großem Gefolge Vater und Tante Sophie die Braut. Schon auf der ganzen Fahrt hatte sie viel geweint, jetzt flossen ihre Tränen unaufhaltsam. Ihr Schmerz war echt – aber nach ihrer gesunden und frischen Art bald überwunden. In Metz wurden Glaubensübertritt und Trauung vollzogen. Bei der Vermählungsfeierlichkeit hatte Herzog von Plessis-Praslin den Bräutigam zu vertreten. Von der Abschwörung berichtet Liselotte später in einem ihrer Briefe: »Mir las man nur etwas vor, wozu ich ja oder nein sagen sollte, was ich auch nach meinem Sinne getan und ein paar Mal nein gesagt, wo man wollte, daß ich ja sagen sollte, es ging aber durch, mußte in mich selber darüber lachen.« Sie war also, wie es scheint, schon hier wieder guten Mutes. Inmitten der prunkvollen Hochzeitsfeierlichkeiten, umgeben von einem Glanz und einer Prachtentfaltung, derengleichen ihr jugendliches Auge noch nie geschaut, ihre Phantasie sich nicht hätte vorstellen können, betäubt von einem jubelnden Empfange, der nach tränenreicher Fahrt eitel Freude zu verheißen schien, hatte sie weder Gelegenheit noch Anlaß, traurig zu sein oder Angst vor der Zukunft zu hegen. Es war auch nicht ihre Art, sich den Kopf mit Dingen schwer zu machen, an denen nichts zu ändern war, und so unterschrieb sie auch ohne Bedenken den in französischer Sprache bereits fertig geschriebenen Brief, worin dem Kurfürsten seine Ahnungslosigkeit in Betreff des Glaubensübertritts seiner Tochter bescheinigt wurde: »Monseigneur, es wird Eure Kurfürstliche Hoheit gewiß überraschen zu hören, daß ich soeben das Bekenntnis zum römisch-katholischen Glauben abgelegt habe. Ich bitte Sie indes demütig, mir zu glauben, daß ich nicht gewagt habe, Ihnen die Absicht mitzuteilen, ehe ich Sie verließ, einzig und allein, weil ich befürchtete, Ihnen zu mißfallen. Keine Vorteile der Welt würden mich zu diesem Entschluß gebracht haben, wenn ich nicht mein Seelenheil darin erblickt hätte.«
Es blieb ihr auch nichts anderes übrig, selbst wenn sie in diesen Tagen zur Besinnung, zu innerer Einkehr hätte kommen können. Sie schwamm in einem Strome, gegen den es kein Ankämpfen gab. Der Befehl des Vaters und des französischen Königs, das Wohl des Staates – was hatten dagegen ihre Wünsche, ihr Wille, ihre Bedenken zu sagen? Nichts. Also gebot sie ihnen Schweigen und ging den ihr vorgeschriebenen Weg.
Der Kampf im Elternhause war abgeschlossen. Sie hatte sich zu behaupten versucht und schließlich doch klein beigeben müssen. Von den Kämpfen, die ihr am französischen Hofe bevorstanden, ahnte sie noch nichts. Vorerst nahm alles einen guten Verlauf, sie fand sich vortrefflich in ihre neue Umwelt. Anna de Gonzaga konnte mit ihrem Werke zufrieden sein, der Anfang war durchaus verheißungsvoll. »Man hat Liselotte königliche Ehren zuteil werden lassen«, berichtete sie voller Stolz an Karl Ludwig. »Sie hat sich auch in jeder Weise so gut benommen, daß ich nicht daran zweifle, sie wird sich bald das Herz ihres Gemahls erobern und die Achtung des Königs erringen.«
Diese Vorhersage der Ehevermittlerin ging zunächst auch wirklich in Erfüllung. Der König war entzückt von seiner neuen Schwägerin. Ihr natürliches, aufrechtes Wesen, ihre Unbefangenheit, ihre ungezwungene Art, zu sprechen und sich zu geben, ihr offenes Auge, das ein Herz ohne Falsch erkennen ließ – das alles war für diesen an Schmeichler und Kriecher gewöhnten Herrscher etwas Neues. Solche Naturkinder ohne Lack und Schminke wuchsen nicht auf dem Boden des französischen Hofes. Zum ersten Mal im Leben begegnete ihm eine reine Seele, die unmittelbar aus Gottes Hand zu kommen schien. Die wichtigste Prüfung, von der zunächst alles abhing, hatte die deutsche Prinzessin bestanden, sie hatte volle Gnade gefunden vor den Augen des Königs.
Sie gefiel auch dem Herrn Gemahl, der sich im übrigen ganz nach dem Urteil seines Bruders zu richten pflegte. So gewann sie zwar nicht, wie Anna de Gonzaga prophezeit hatte, sein Herz, denn er hatte nur einen Herzmuskel in der Brust, aber er war zufrieden mit der Wahl, die man für ihn getroffen hatte. An sich wäre es ihm gleichgültig gewesen, mit welcher Frau man ihn verheiratet hätte, sofern nur die Ansprüche des Geblüts erfüllt waren – allein es hätte ihn doch arg verdrossen, wenn sein königlicher Bruder sie mit scheeler Miene empfangen hätte. Nun durfte auch er kein Hehl daraus machen, daß er sich angenehm enttäuscht fühlte. Ihr burschikoses Auftreten, ihr ungekünsteltes Benehmen mag ihm wohl aufgefallen sein und ihn im stillen entsetzt haben, denn er hielt sehr auf höfischen Firnis und elegante Anmut, allein da den König gerade diese unverbogene Art zu bestricken schien, so konnte ihm das alles nur recht sein. Daß sie keine Schönheit war, ließ ihn kalt; es gab schöne Weiber genug am Hofe, und er machte sich nicht einmal viel aus ihnen. Er war nicht besonders empfänglich für Frauenliebe. Seiner Eitelkeit als schönstem Manne von Frankreich schmeichelte es sehr, daß seine neue Gemahlin ihn offenbar herzlich lieb hatte, und in der ersten Zeit bemühte er sich, so gut er konnte, darauf einzugehen. Später aber fiel ihm ihre Zärtlichkeit auf die Nerven, er verbat sie sich rundweg, und sobald es anging, ließ er getrennte Schlafzimmer einrichten. Zu dieser Zeit freilich war auch ihre Zuneigung schon stark abgekühlt. Sie hatte ihn erkannt und gab sich keinerlei Illusionen über seinen Charakter hin. Sie empfand bitter, wie sehr sie mit ihrer grundsätzlichen Abneigung gegen jede Heirat recht gehabt, wieviel gescheiter sie getan hätte, ledig zu bleiben. Aber das läßt sie nur in ihren Briefen an vertraute Seelen laut werden. Sie hat es sich nie ihm und ihrer Umgebung gegenüber merken lassen, auch nicht in den langen Jahren geistiger und leiblicher Trennung. Allzeit hat sie ihre Pflichten als Gattin erfüllt, er blieb für sie immer der Gemahl und Herr.
Der Hof verfiel selbstverständlich in untertänige Bewunderung. Vom König offensichtlich ausgezeichnet und bevorzugt, war Madame der vergötterte, angestaunte, umworbene Mittelpunkt der ganzen vielgestaltigen Gesellschaft. Man klatschte Beifall zu allem, was sie tat – und sie fragte so wenig nach Beifall. Man buhlte um ihre Gunst – und sie kam sich selbst so wenig wichtig vor. Sie hatte gar keine Anlage, Vorteile auszunützen, nach Einfluß zu streben. Sie freute sich der Freundschaft des Königs, der Zuneigung ihres Mannes, der allgemeinen Beliebtheit, allein irgendwelche Nebenabsichten damit zu betreiben oder Hintergedanken daraus zu ziehen, das lag ihrer grundehrlichen Seele völlig fern.
So blieb sie auch, als die Zeit kam, da sie kämpfen mußte, kämpfen um die Freundschaft des Königs, um das Einvernehmen mit ihrem Manne, um das Wohl ihrer Kinder – und sie tat es immer mit offenem Visier, auf geradem Wege, ohne Hinterlist. Und diese Zeit kam nur zu bald, die Jahre des Glücks waren von kurzer Dauer. Der Neider gab es zu viele, und die Feinde hatten gegen eine Persönlichkeit wie Liselotte ein leichtes Spiel. Ein Mensch, der in seiner Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit die anderen für ehrlich und aufrichtig hält, der, selber zu nichts Schlechtem fähig, auch den andern keine Schlechtigkeit zutraut, der ist leicht aufs Glatteis zu führen, dem kann man bald eine Falle stellen, von der er nichts ahnt, zumal wenn er obendrein, wie diese Liselotte, so herzlich wenig auf die Meinung seiner Umgebung gibt und so unbeirrt bei seiner eigenen Meinung bleibt, sie so offen bekennt, auch wenn sie ihm schaden kann, und ohne eigennützige Rücksichten an seinen Grundsätzen festhält.
Sie kämpfte um ihren Mann, solange sie noch hoffen konnte, die guten Saiten seiner Natur zum Klingen zu bringen, und auch hier hatte sie eine Gegnerschaft, der sie nicht gewachsen war. Er zählte, als Liselotte ihn heiratete, einunddreißig Jahre. Nach einer zeitgenössischen Schilderung war er wohlbeleibt, von Gestalt klein, so daß er Schuhe mit sehr hohen Absätzen trug, immer geputzt wie eine Frau, überladen mit Ringen, Armbändern und anderem Schmuck, auf dem Haupt eine lange, gepuderte Perücke, geschminkt und parfümiert, immer nach der allerneuesten Mode gekleidet, immer wie aus dem Ei geschält und voller kostbarer Bänder und Schleifen – das Gesicht schmal und lang, der Mund klein und hübsch, die Augen groß und schön, die Nase etwas zu lang. Er war kein bösartiger Mensch. Zu Unrecht hatte man ihn verdächtigt, seine erste Frau vergiftet zu haben, er war gewiß einer solchen Missetat unfähig, der König selbst hat ihn gegen diese Nachrede verteidigt und Liselotte hoch und heilig versichert, daß daran kein wahres Wort sei. Von Geburt schien er begabter zu sein als sein älterer Bruder, diesem aber gebührte nach dem Gesetz der Dynastie die Thronfolge, und es durfte nicht geduldet werden, daß der jüngere etwa ihn an Fähigkeiten übertreffe. Deshalb gab man ihm eine Erziehung, die von Anfang an alle guten Eigenschaften unterdrückte und verderbte. Durch eine bis ins kleinste ausgeklügelte Methode, die wohl auch einen stärkeren Charakter in Entartung getrieben hätte, machte man aus ihm einen Weichling, der sich schließlich zu keinem Streben, zu keinerlei Tätigkeit aufzuraffen vermochte und für nichts Sinn hatte als für gutes Essen und Trinken, ja für wüste Völlerei, für Putz und Spiel.
In der Tat hatten die Sachwalter der dynastischen Grundsätze nicht ganz unrecht, wenn sie ihm eine solche Erziehung zuteil werden ließen. Zweimal in seinem Leben hat er bewiesen, daß Anlagen zur Tüchtigkeit, ja zur Größe in ihm schlummerten. Das erste Mal zeigte es sich, als Ludwig XIV. im Namen seiner Gemahlin Maria Theresia nach dem Tode ihres Bruders, des Königs Philipp II. von Spanien, Erbansprüche auf die spanischen Niederlande erhob und nach Ablehnung dieser Ansprüche den Krieg erklärte, um sich sein vermeintliches Recht mit Waffengewalt zu verschaffen. Im Frühjahr 1667 begann dieser Feldzug, und Ludwig XIV. entschloß sich – wer weiß, aus welchem Grunde – Philipp ein Kommando zu übertragen. Bisher hatte er noch nie daran gedacht, ihn irgendwie zu verwenden, es mag ihm wohl auch niemand die Fähigkeit zu einer ernsten Beschäftigung zugetraut haben. Zum allgemeinen Erstaunen fiel der merkwürdige Versuch ganz anders aus, als man erwartet hatte. Wie der Phönix aus der Asche trat das wahre Wesen Philipps ans Licht. Man hat zuerst gewiß gelächelt über diese wunderliche Erscheinung. Der kleine Mann, den man immer nur in überladener Tracht gesehen hatte, steckte in einem Panzer, die sonst von Ringen funkelnde Hand schwang das Schwert, das sonst sorgfältig geschminkte Antlitz war geschwärzt von Straßenstaub und Qualm der Brandstätten, er duftete nicht mehr nach Patschuli, er roch nach Roß und Pulver. Und welche Wandlung! Der Tänzer und Spieler stürmte an der Spitze seiner Truppe, er setzte sein Leben ein, die weiche, zarte Stimme kommandierte! Die Offiziere neigten sich achtungsvoll vor seiner wahrhaft heldischen Führung. Die Soldaten jubelten ihm zu, das Volk bewunderte ihn als würdigen Enkel des großen Heinrich IV. Der König zog ein saures Gesicht dazu, ein Versagen des Bruders wäre ihm erwünschter gewesen als dieser jähe Ruhm, er fühlte sich überstrahlt und gefährdet.
Zu seiner Beruhigung vergaß Philipp nach seiner Heimkehr Ruhm und Ehren und nahm sein früheres Leben wieder auf, als wäre es niemals unterbrochen worden. Vielleicht erwartete hiernach der König kein zweites Erwachen seiner Tüchtigkeit, als er ihn drei Jahre später abermals gegen Holland ins Feld ziehen ließ. Man weiß nicht, was ihn dazu bewogen hat, und ob es etwa auf ausdrücklichen Wunsch aus Offizierskreisen geschehen ist. Philipp selbst mag kaum darum gebeten haben, denn er war junger Ehemann und fühlte sich damals noch recht wohl bei seiner neuen Frau. Jedenfalls wiederholte sich das Wunder von 1667. Tausende von Soldaten sind Zeugen seiner Kaltblütigkeit und Unerschrockenheit im ärgsten Kampfgewühl gewesen, und sein persönlicher Einsatz in der Schlacht bei Kassel am 11. April 1677 hat viel zum Siege der Franzosen über Wilhelm von Oranien beigetragen.
Doch auch die andere Umwandlung wiederholte sich – kaum heimgekehrt, ward aus dem Heros wie im Handumdrehen das Püppchen von ehedem. Und diesmal war Liselotte Zeugin dieses traurigen Spiels – Liselotte, die stolz auf ihren heldischen Gemahl war, so sehr sie sich auch um ihn sorgte, solang er im Felde war, und gerade seiner Tapferkeit wegen. Nun, als gäbe er nicht das Geringste auf Ruhm und Ehre und auf die trefflichen Eigenschaften, die er gezeigt hatte, sah sie ihn wieder stundenlang vorm Spiegel stehen, sich putzen und schminken, die Nächte hindurch am Spieltisch sitzen, schlemmen und trinken und mit nichts anderem beschäftigt als mit Festlichkeiten im Kreise seines Gesindels von Günstlingen.
Sie tat ihr Bestes, ihn diesem Treiben zu entziehen. Es gelang ihr anfangs, weil auch ihn das Neue an ihr entzückte, und weil er, da sie dem König gefiel, nicht ihr und damit sein Mißfallen erregen wollte. Es gelang ihr, weil damals der Schlimmste unter seinem schlimmen Anhang, der berüchtigte Chevalier de Lorraine, vom Hofe verbannt war. Dieser abgründige Schandbube beherrschte ihn völlig. Man weiß nicht, was eigentlich diese beide Menschen, den durch Erziehung Entarteten und den von Natur Entarteten, so innig verband. Fest steht, daß Monsieur – der Herzog von Orleans – geheult hat wie ein Kind, gerast wie ein Verrückter und dann tagelang gemault wie ein Blöder, als der König den Bannspruch gefällt hatte. Und ebenso steht fest, daß, als der König den Chevalier an den Hof zurückrief, Monsieur in Freudentränen ausbrach, vor seinem Bruder in die Knie fiel und ihm die Hände küßte. Weshalb aber rief der König ihn zurück, obgleich er wußte, daß er damit seiner neuen Schwägerin viel Kummer bereiten würde? Auf dringendes Bitten der ersten Gemahlin Philipps hatte er Lorraine weggeschickt. Erkannte er den guten Einfluß der zweiten Frau – fürchtete er ihn – fürchtete er, sie würde ihn umwandeln und die Früchte der Erziehung zunichte machen – und sah er etwa in Lorraine das beste Werkzeug, dem entgegenzuarbeiten? Von dem Tage an jedenfalls, da Lorraine wieder da war, entglitt Philipp seiner Gemahlin und ihrem Einfluß. Hoffnungslos versank er wieder in dem Morast, dem sie ihn zu entziehen strebte. Der Chevalier und seine Helfershelfer waren allesamt viel zu abgefeimte, viel zu raffinierte Schurken, als daß eine Liselotte auf die Dauer etwas gegen sie vermocht hätte. Und er sehnte sich auch selber zurück in dieses Leben, das ihm lieber war als alle Bravheit, zu der die zweite Frau ihn bekehren wollte.
So gab sie bald den Kampf auf und ließ ihn gewähren. Sie hielt nur noch darauf, so gut wie möglich mit ihm auszukommen. Das allein war schwer genug, da die Gegenpartei alles aufbot, ein gutes Einvernehmen zu untergraben, was ihr bei Philipp nur zu oft und nur zu leicht gelang. Nur die Gunst des Königs half ihr über diese Niederträchtigkeiten und Zerwürfnisse hinweg und war ihr Trost und Rückhalt. Solange der König zu ihr hielt, konnte sie die anderen getrost ihr boshaftes Spiel treiben lassen, es focht sie nicht an. Die Gleichgültigkeit des Gemahls war ihr nicht einmal unlieb. Solange sie mit dem König ausreiten und zur Jagd fahren durfte, war sie glücklich und zufrieden. Der König freute sich an ihrer mannhaften Art, zu Pferde zu sitzen und mit ihm jedes Hindernis im Galopp zu nehmen. Als sie eines Tages einen schweren Sturz erlitt, war er untröstlich, gab sich die Schuld, sie zu solcher Verwegenheit verlockt zu haben, sorgte für ihre Bergung und nahm selbst teil an der Krankenpflege. Er war die Sonne. Wenn ihre Strahlen ausblieben, war sie wie eine Blume, die aus Mangel an Licht einzugehen drohte. Das leiseste freundliche Lächeln, das kleinste liebe Wort aus seinem Munde ließ sie wieder aufblühen.
Allein es kam auch die Zeit, da sie um seine Gnade zu kämpfen hatte. Seine Günstlinge, von ihr überschattet, putschten gegen sie. Ihr eigener Mann warf Steine zwischen sie und die Majestät. Meistens sah Ludwig wohl sein Unrecht ein, versöhnte sich wieder mit ihr oder machte durch liebenswürdiges Geplauder die Angelegenheit vergessen, denn er verstand liebenswürdig zu sein, wenn er wollte, es gab in Frankreich kaum einen zweiten Menschen, der in so gewinnender, unauffälliger, vornehmer Weise galant sein konnte wie dieser strenge, selbstbewußte, selbstherrliche Monarch. Leider aber war er auch überaus launisch und allen Einflüsterungen zugänglich. Und eine Liselotte verstand sich schlecht auf die Behandlung einer so empfindlichen, erhabenen Natur. Sie redete, wie ihr der Schnabel gewachsen war, auch dem König gegenüber, und damit schadete sie sich selbst oft noch mehr, als ihre Feinde ihr geschadet hatten.
Am schlimmsten zeigte sich das zu der Zeit, da die Marquise von Maintenon am Hofe die erste Rolle spielte. Im Kampfe gegen diese Frau hat Liselotte völlig versagt, ja noch mehr, sie hat sich auch ins Unrecht gesetzt. Eine Frau, die es fertig bringt, in einer so gefährlichen und schwierigen Welt wie dem französischen Königshofe jener Zeit sich aus ganz kleinen, niedrigen Anfängen zur allerhöchsten Stufe emporzuschwingen und – als Beherrscherin des Königs – mächtiger noch zu werden als er selbst – eine solche Person kann nicht nur »eine alte Zott«, »eine alte Rompompel«, wie Liselotte sie zu nennen pflegte, gewesen sein. Man findet nicht leicht ein Gegenstück zu der Zielbewußtheit, mit der diese Frau ihres Weges ging – langsam, sicher, jede günstige Gelegenheit ausnützend, umsichtig, unheimlich gescheit und mit unbeirrbarer Menschenkenntnis. Sie war 1635 in einem Gefängnis zur Welt gekommen und nach einem Leben in Armut und Bedrängnis die Frau des Komödienschreibers Scarron geworden, der sie bei seinem Tode, 1660, mittellos und hilflos zurückließ. Im Hause Scarrons, wo eine Zeitlang die geistige Welt von Paris verkehrte, war ein Hofherr auf sie aufmerksam geworden, der sie der Marquise von Montespan als Erzieherin der Kinder, die sie vom König hatte, empfahl, und die Montespan, damals die bevorzugte Mätresse Ludwigs XIV., ging zu ihrem Unheil auf diesen Vorschlag ein. Ganz allmählich, fast ohne daß sie es merkte, wurde sie von der Witwe Scarron verdrängt. Mit ihrer erzieherischen Tätigkeit war sie sehr zufrieden, der König, der die Kinder aus seinem Verhältnis zur Montespan besonders ins Herz geschlossen hatte, wurde aufmerksam aus diese vorzügliche Pädagogin – und so näherten sich beide, von einem unentrinnbaren Schicksal zueinander geführt. Sie war nicht mehr jung zu jener Zeit, wohl noch ansehnlich, aber gewiß keine Schönheit für einen so verwöhnten König, aber sie wußte recht gut, daß es darauf nicht mehr ankam. Er war abgelebt, körperliche Reize lockten ihn nicht mehr, er war des Weibes satt. Um ihn zu gewinnen, Einfluß über ihn zu erlangen, mußten andere Mittel angewendet werden – und welche am besten dazu dienen konnten, das hatte ihr Spürsinn bald entdeckt. So faßte sie ihn denn bei seiner schwächsten Seite, bei seinem Aberglauben. Sie setzte ihm den Gewissenswurm ein. Zuerst sträubte er sich, seine Sünden zu sehen, bald aber begann die Sorge um sein Seelenheil, die Angst vor dem Fegfeuer, die Reue über, ach, so viele Missetaten in seiner von diesem nimmer rastenden Wurme angebohrten, armen Menschenseele um sich zu greifen, und endlich sank er überwältigt und in voller Bußwilligkeit an den ältlichen Busen der Betschwester.
Für Liselotte war der König der »große Mann« gewesen, eine Idealgestalt menschlicher Hoheit. Es schmerzte, es empörte sie, ihn so kläglich verwandelt zu sehen. Selber ein Freigeist und kein Freund des Pfaffentums, verachtete sie alles, was pfäffisch roch und anmutete, haßte begreiflicherweise das Weib, das in ihren Augen eine verkappte Bundesgenossin der Jesuiten war, und das allein die Schuld trug an der elenden Vermanschung dieser stolzen, edlen Seele. Auch hier verdarb sie alles durch ihre hagebuchene Art, während ihre Gegnerin niemals aus der Rolle fiel. Schließlich mußte Liselotte sogar, auf Verlangen des Königs, klein beigeben, sozusagen um Verzeihung bitten und sich mit der Maintenon aussöhnen. Es war nur eine äußerliche Angelegenheit für beide Teile, sie wußten, was sie voneinander zu halten hatten, und sind sich feind geblieben – Liselotte noch über das Grab der Maintenon hinaus. Aber man darf ihr die Unmäßigkeit ihres Zornes nicht schwer anrechnen. Stuartblut floß in ihren Adern, und es gibt kein stolzeres in der Geschichte der Königsgeschlechter. Ihr Haß gegen diese Frau ist um so mehr zu begreifen, als die Maintenon, im sicheren Besitz der vollen Macht über den König, mit einem Plan hervortrat, der für Liselottes Empfinden eine Ungeheuerlichkeit war. Sie schlug Ludwig XIV. vor, eine Tochter von ihm und der Montespan mit dem Sohne Philipps von Orleans und Liselottes zu vermählen – ein Plan, der dem König bei seiner Vorliebe für die Kinder der Montespan sehr sympathisch war.
Man mußte von vornherein mit dem heftigsten Widerstand von seiten Madames rechnen. Man kannte ihre Gesinnung in diesem Punkte. Für sie waren Bastarde, auch wenn sie von dem König selbst stammten, Bastarde – Mausdreck, der nicht in den Pfeffer gehörte – und für diese Tochter der Montespan, ein ihr widerwärtiges Ding, war ihr der Sohn, von dem sie viel hielt und erwartete, wahrhaftig zu schade. Allein sie hatte alle Beteiligten gegen sich, zuvörderst den König, der es ablehnte, seine Tochter einer solchen Verbindung unwürdig zu erachten, sodann ihren Gemahl, der grundsätzlich dem König nicht widersprach, ihren Sohn, der sich nicht zu wehren wagte, und endlich die allmächtige Maintenon. Sie nahm den Kampf auf – sie rang um ihren Sohn wie eine Löwin um ihr Junges. Sie richtete einen Appell an das Ehrgefühl des Königs, ohne Rücksicht darauf, daß sie es auf lange Zeit hin völlig mit ihm verdarb, sie machte ihrem Gatten furchtbare Szenen, sie gab ihrem Sohn vor versammeltem Hofe eine schallende Ohrfeige – es war alles umsonst. Die Heirat war beschlossen und wurde vollzogen. Liselotte fühlte sich geschändet bis in das Blut ihres ganzen Geschlechts. Sie hatte die schmerzlichste Niederlage ihres Lebens erlitten und mit ihrem ingrimmigen Widerstande nichts weiter erreicht, als daß sie um sich her alles in Scherben geschlagen hatte. Der König zürnte ihr, der Gemahl wandte sich ganz von ihr ab, der Sohn wollte nichts mehr von ihr wissen, die Schwiegertochter zeigte ihr höhnische Verachtung, der Hof wies ihr die kalte Schulter – und die Maintenon triumphierte. Liselotte zog sich in Einsamkeit zurück und nahm ihre Zuflucht, wie schon so oft zuvor, zu ihren Briefen, in denen sie ihrem Zorn und ihrem Schmerz Luft machte.
Das tat sie in einer Form, die an Derbheit nichts zu wünschen läßt. Gerade die Ausbrüche gegen die Maintenon kennzeichnen am deutlichsten ihre robuste Art, aber auch ihren Mangel an Weltklugheit und Selbstbeherrschung. So schreibt sie, um nur einige Beispiele anzuführen: »Ich glaube nicht, daß ein böserer Teufel in der Welt kann gefunden werden, als die Maintenon ist mit all ihrer Devotion und Heuchelei, befinde, daß sie das alte teutsche Sprichwort wohl wahr macht, nämlich: Wo der Teufel nicht hinkommen kann, da schickt er ein alt Weib hin. Alles Unheil kommt von dieser Zott.« Oder: »Ob ich schon nicht jung mehr bin, so ist doch die alte Zott älter als ich, hoffe also, daß ich noch vor meinem End den Spaß haben werde, den alten Teufel bersten zu sehen.« Und ein andermal: »Welch ein Henker uns unsere alte Rompompel hier wollte wegnehmen, sollte ich wohl vor einen ehrlichen Mann halten und gern vor ihn bitten, daß er möchte geadelt werden.« Und weiter: »Sie ist kapabel von allem in der Welt und stellt sich doch an, als wenn sie gar gottesfürchtig wäre. Der König fürchtet den Teufel erschrecklich, ist ignorant in der Religion und glaubt nichts, als was das Weib ihm weis macht. Es ist wohl sicher, daß das Weib weder Gott noch Teufel glaubt, sonsten würde sie nicht so boshaft sein, allen Menschen Übels zu tun und die Leute zu vergiften.«
Man könnte diese Blütenlese fortsetzen, es ist immer der gleiche Ton. Auch wenn sie über ein freundlicheres Benehmen der Maintenon berichtet, vermutet sie dahinter nur die Einleitung zu einer neuen Bosheit. Es gibt keine Schändlichkeit, die sie ihr nicht zutraut. Dabei hat sie genau gewußt, daß ihre Briefe meistens geöffnet wurden und die Maintenon sie zu Gesicht bekam. Es ist schwer zu verstehen, daß sie sich scheute, ihr Auge in Auge böse Worte zu sagen, und doch auf dem Papier die Schale maßlosen Grolls über sie ausschüttet. Die Maintenon dagegen hat sich niemals zu Ausfällen auch nur ähnlicher Art hinreißen lassen, obwohl sie dank ihrer tiefen Menschenkenntnis und dank der vom sogenannten »Schwarzen Kabinett« durchgeführten Überprüfung des Schriftwechsels aller bei Hofe weilenden Personen die niedlichen Kosenamen kannte, die Liselotte ihr beilegte, und obgleich es ihr bei ihrer Machtstellung nicht schwergefallen wäre, sich zu rächen. Anderseits ist wohl zu begreifen, daß Madame ihre Ohnmacht gegenüber der »Allmächtigen« bitter empfinden mußte. Sie eine Frau aus edelstem königlichem Geblüt – jene kaum mehr als ein Kind von der Straße – und nun überflügelt, in den Schatten gestellt, dem Manne verhaßt gemacht, um die Gunst des Königs bestohlen und durch die von der Erzfeindin eingefädelte Mißheirat des Sohnes in den heiligsten Gefühlen verletzt. Sie hatte wahrlich Grund genug, diesen weiblichen Emporkömmling zu hassen – allein sie hatte zu wenig Geschick, gegen ihn zu kämpfen. Es hat im Verlauf der vielen Jahre nicht immer auf Messerschneide zwischen ihnen gestanden, es gab auch Zeiten der Ruhe, des leidlichen Einvernehmens, ja des Friedens. Eine dauernde Versöhnung war nicht möglich, zumal die Hauptperson, von der vor allem die häusliche Eintracht abhing, Monsieur selbst, für die Hetzereien der Gegenpartei nur zu leicht zu gewinnen war und auch der König allen seiner Schwägerin abgünstigen Einflüsterungen ein williges Ohr lieh.
Erst viel später, kurz vor ihrem Tode (Philipp starb 1701, Ludwig 1715), fanden beide zu ihr zurück und erkannten, was sie an dieser Frau gehabt. Philipp, bevor ein Schlaganfall ihn hinwegraffte, hatte seinem sündhaften Unwesen Valet gesagt und sich herzlich mit ihr ausgesöhnt. Der König richtete auf seinem Sterbebette aufrichtige Worte der Achtung und Freundschaft an sie, die sie bis an das Ende ihrer Tage nicht vergaß. Und der Sohn, als er dann für den unmündigen Thronfolger die Regentschaft übernahm, erzeigte ihr Liebe und Ehrfurcht. Aber es war doch nur ein schwacher Trost, er kam zu spät, sie war all dieses Treibens müde geworden.
Zuvor hatte sie noch einen anderen großen Schmerz, und wohl den allertiefsten ihres Lebens, hinnehmen müssen, das Unglück ihrer Heimat. Noch zu Lebzeiten ihres Vaters, als Kaiser Leopold, das Oberhaupt des Römischen Reiches Deutscher Nation, Frankreich den Krieg erklärte, ließ Ludwig XIV. seine Truppen unter Marschall Turenne in die Pfalz einrücken. Er verübelte es dem kurfürstlichen Schwager, daß er ein Bündnis mit Frankreich ablehnte und sich für Neutralität entschied. Die verwandtschaftlichen Beziehungen, von denen Karl Ludwig bei der Verheiratung seiner Tochter sichersten Schutz für sein Land im Kriegsfalle erhofft hatte, blieben ohne allen Einfluß. Des Königs Soldaten hausten arg in dem armen Lande, viele Dörfer wurden verwüstet. Liselotte entzog sich nicht dem väterlichen Hilferuf, auch ihr Mann stand ihr diesmal zur Seite, aber sie erreichten beim König nichts. Erst der Friedensschluß von Nymwegen machte dem Unheil ein Ende. Kurz danach aber folgte die unselige Zeit der sogenannten französischen Reunionen, und abermals hatte die Pfalz unter unrechtmäßigen Gewalttätigkeiten Frankreichs zu leiden. Das Schlimmste indes geschah erst nach dem Tode des Kurfürsten Karl, des Bruders der Liselotte, der im Jahre 1685 starb. Mit ihm erlosch die Linie Pfalz-Simmern, das Land fiel an die Linie Pfalz-Neuburg. Frankreich erkannte diese Thronfolge nicht an, Ludwig XIV. erhob im Namen seiner Schwägerin Elisabeth Charlotte, obgleich sie im Ehevertrag ausdrücklich auf ihr Erbrecht verzichtet hatte, Anspruch auf »alle Städte, Dörfer und Plätze, die ihr Vater und Bruder im Besitz gehabt hatten«, das heißt, auf die ganze Pfalz – eine ebenso willkürliche und unrechtmäßige Forderung wie die seiner Reunionskammern, allein diktiert von Machthunger und Ländergier.
Drei Jahre verstrichen über Verhandlungen. Schon glaubte Liselotte an keine Gefahr mehr für ihre Heimat, zumal der König sich mit einem Male wieder sehr freundlich gegen sie zeigte. Offenbar wollte er sie nur über seine wahren Absichten täuschen. Im Jahre 1688 ließ er die Maske fallen, er gab den Befehl zum Einmarsch in die Pfalz. Mit tiefem Schmerz erkannte Liselotte, daß alle ihre Versuche, den ihr so liebenswürdig entgegentretenden König umzustimmen, vergeblich geblieben waren, und mit Grausen vernahm sie die furchtbaren Nachrichten, die bald darauf eintrafen. Sie war außer sich, geschahen doch all diese Untaten unter ihrem Namen. Ihre guten Pfälzer durften also mit Recht in ihr die Hauptschuldige erblicken, und obendrein sollte sie noch bei Hofe Freude zeigen, da angeblich nur ihr Interesse verfochten wurde. Dieser offenkundige Raubkrieg, dessen Scheußlichkeiten in der Geschichte kaum ein Gegenstück finden, ist ein untilgbarer Schandfleck für das Zeitalter Ludwigs XIV., dieses »allerchristlichsten Königs.« Die Schreckensjahre 1688, 1689, in denen die Pfalz mit Feuer und Schwert brutal verwüstet und entvölkert wurde, haben an Liselotte, dem unglücklichen Opfer dieser Ironie des Schicksals, arg gezehrt, sie ist niemals ganz darüber hinweggekommen.
Gegen Ende ihres Lebens wurde ihr dann noch die Freude zuteil, ihren Sohn auf dem Throne Frankreichs zu sehen, als Regenten für den unmündigen Enkel des verstorbenen Königs. Wenn auch das überschwengliche Lob, das sie seiner Klugheit, Umsicht und Staatskunst zollt, nicht mit den geschichtlichen Tatsachen voll übereinstimmt, wer möchte es ihrem Mutterherzen verargen, daß sie ihn über alles lobt und keinen Tadel an ihm findet? Schon einmal, in den Unglücksjahren des Spanischen Erbfolgekrieges, jubelte ihr mütterlicher Stolz über seine großen Gaben als Heerführer und Feldherr. Gewiß, tapfer benahm er sich, er führte persönlich seine Truppen zum Sturm und wurde schwer verwundet. Als Stratege aber versagte er – freilich hatte er einen Prinz Eugen zum Gegner. Nun war sie über Nacht die erste Frau in Frankreich geworden, man drängte sich an sie heran, man warb um ihre Gunst, aber gelassen erklärte sie allen Schmeichlern und Krummbucklern, sie mische sich in nichts, Frankreich sei lange genug von Weibern beherrscht worden, es sei hohe Zeit, daß einmal ein Mann regiere, und ihr Sohn sei der Mann dazu und würde allein fertig.
Sie blieb im Hintergrunde, immer sich selber treu, auch als Regentenmutter. Sie widmete sich wieder ganz ihrem umfangreichen Briefwechsel. In diesen unzähligen Briefen schüttet sie ihr Herz aus, gesteht ohne Hehl, daß sie sich in der französischen Welt im Grunde doch immer fremd gefühlt hat, erinnert sich mit Wehmut und Sehnsucht ihrer Jugend, spricht in ihrer derben Ausdrucksweise von den Gegensätzen zwischen ihrer zweiten Heimat und ihrem Vaterlande, stellt die höheren Werte und die Vorzüge des Deutschtums und der deutschen Welt ins Licht, warnt vor Überschätzung der französischen Kultur, zeigt sich weit davon entfernt, Paris der deutschen Jugend als Schule zu empfehlen, ruft zur Pflege und zum Gebrauch der deutschen Sprache auf und ermahnt die Fürsten, sich deutsch zu fühlen, sich zu hüten vor einer Nachäffung französischen Wesens.
1722 begann sie zu kränkeln. Am 8. Dezember entschlief sie nach kurzem Krankenlager, während dessen ihr Sohn unverweilt an ihrem Bette wachte. Er allein beweinte sie. Die Hofwelt vergaß sie schnell. Deutschland hat sie bis heute nicht vergessen und bewahrt mit Recht ihr Andenken als das eines aufrechten Menschen von echtem Schrot und Korn, einer Frau, in der edler Fürstenstolz mit schlichtem, gesundem Bürgersinn harmonisch vereint war, und vor allem einer urdeutschen Charaktergestalt, die uns in ihrer unbestechlichen Liebe und Treue zur großen Heimat noch heute Beispiel und Vorbild sein darf.
Walter Heichen