Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

62
Der Tod der Herzogin von Berry

Wir haben bereits dem Leser von den männlichen Angewohnheiten und Liebhabereien der Herzogin von Chartres erzählt, der jüngern Schwester der Prinzessin von Berry. Sie war eben im Begriff, sich im Reiterkostüm einer Anzahl Kavaliere und Damen anzuschließen, die einen Ritt nach Meudon vorhatten, als ihr Vater in ihr Boudoir eintrat. Dieser Besuch war etwas Neues. Man hatte den Herzog wohl in den Gemächern des Fräuleins von Valois, ihrer Schwester, gesehen, noch nie aber bei ihr um diese Stunde. Die junge Herzogin war erst halb angekleidet. Nach den ersten freundlichen Bewillkommnungsworten übernahm der Herzog das Amt der Kammerfrau, die er wegschickte. Er ordnete den Stoff des Reitkleides und sagte einiges über die Garnitur von Spitzen, die ihr um den Hals lag. Die Herzogin ließ mit Erröten ihren Vater gewähren, dann setzte er sich, zog sie auf seinen Schoß und raubte ihrem Busen und ihren Wangen Küsse.

»Meine teure Tochter,« rief er, »tröste mich! Du siehst, in welche unglückliche Lage mich der Eigensinn deiner Schwester gestürzt hat!«

»Meiner Schwester?« fragte die Herzogin naiv. »Welcher?«

»Kind!« rief der Vater, »du weißt, daß ich von deiner ältesten Schwester spreche. O Himmel, welche Bekümmernisse treffen das Herz eines Vaters, der es redlich mit seiner Familie meint!«

Die Herzogin lächelte.

»Wie, du zweifelst, Aglaë? Du zweifelst daran, daß ich es redlich mit euch, mit dir meine? Abscheuliches Mädchen, weshalb zweifelst du? Siehe, ich könnte dich für die Beleidigung, die du mir antust, verwunden. Da, hier hast du einen Strich auf deinen Arm!«

»Aber, Vater! Sie verwunden mich, und ich soll heute den Arm bloß tragen.«

»Trage ihn nicht bloß! Trage ihn verhüllt, und wenn man dich fragt, so antworte seufzend: Ach, das hat die Hand der Liebe getan!«

»Das ist närrisch!« rief die junge Prinzessin lachend. »Der ganze Hof weiß, daß ich keinen Liebhaber habe!«

»Das ist wohl dein Stolz, übermütige Kleine!«

»Allerdings! Da ich sehe, daß um mich her die Liebe so viel Unruhe und Schrecken verursacht, bin ich zufrieden, nicht von ihr belästigt zu sein.«

»Da hast du noch einen Strich!« rief der Regent in gemachtem Zorne.

»Halt, nun ist's genug, Herr Herzog. Dergleichen verbitte ich mir.«

»Ich werde die Wunden, die ich schlage, selbst wieder heilen!« rief der Vater und drückte einen Kuß auf die Wunde. Die Prinzessin sprang von seinem Schoße auf.

»Wohin?« rief der Herzog. »Dein Kleid ist ja noch nicht angelegt.« Er hielt sie am Kleide zurück und duldete es, daß sie sich umwandte und ihm mit der einen Hand ins Haar fuhr.

»Papa! Wenn Sie mit Ihren Scherzen nicht aufhören, so werde ich mich über Sie beklagen.«

»Über mich? Ei, sieh doch! Und bei wem?«

»Bei – bei –«

»Bei der Mutter?«

»Nein, bei der Herzogin von Berry! Ich schwöre es Ihnen zu, das tue ich.«

»Du bist ein Kind! Ist es dir denn noch nie geschehen, daß ein Mann dich hübsch fand? Der junge Herzog von Richelieu? Ha! Frevelhafte du? Nicht wahr, das ist etwas für dich, kleine Minerva.«

»Der junge Herzog gibt mir Unterricht im Reiten, und ich ihm im Zubereiten von Feuerwerken! Das ist alles!« –

Der Herzog erwiderte nichts. Er hatte seine halb angekleidete Tochter wieder erfaßt; er hielt seinen Arm um ihre Taille geschlungen und sah sie zärtlich an.

»Was ist der Grund Ihres Besuches?« fragte diese endlich.

Eine Wolke von Schwermut glitt über die Stirn des Herzogs, und er erwiderte: »Ich sagte es dir schon, Kind! Deine Schwester, deine alberne, kranke, gereizte Schwester. Ach, sie ist lange nicht mehr so reizend, wie du bist. Ihr Busen hat keine Härte, keine Festigkeit mehr wie der deine.«

»Und was hat sie denn?« fragte die Prinzessin von neuem, indem es ihr gelang, sich aus dem Arme ihres Vaters loszumachen. »Nachdem der ärgerliche Auftritt, den sie im Kloster verursachte, vorüber ist?«

»Das heißt, seitdem sie wiederhergestellt worden!« rief der Vater. »Sie hat sich, um sich der Gerichtsbarkeit des Luxemburg und des Pfarrers von St. Sulpice zu entziehen, nach La Muette bringen lassen. Aber, liebes Kind, laß mir doch die Hand! Sieh, hier ist ein kleiner, schwarzer Fleck, das kommt vom Pulver. Willst du es auch so machen wie deine Schwester, Fräulein von Valois, die, um den Verführer Richelieu zu retten, sich dem hingab, der über sein Schicksal zu gebieten hatte? Willst du?« Diese Worte waren etwas schüchtern und mit leiser Stimme gesagt.

»Lieber Vater!« war die Antwort der Prinzessin, die offenbar den Sinn der Frage nicht verstanden hatte. »Der Herzog von Richelieu ist mir völlig gleichgültig, ich werde um ihn mich nicht im mindesten bemühen.«

»Gott sei Dank!« rief der Herzog. »So bist du wenigstens verschont geblieben. Dieser gefährliche Mann raubt mir alle meine Geliebten, alle meine Lieben, wollte ich sagen. Er muß fort, oder ich habe keine ruhige Stunde mehr.«

»Ist er die Ursache des neuen ärgerlichen Vorfalls mit meiner ältesten Schwester?« fragte die Prinzessin.

»Nicht so gerade er!« rief der Herzog. »Obgleich die Herzogin von Berry auch eine Zeit hatte, wo sie für ihn schwärmte. Jetzt ist's der junge Brion, für den sie Torheiten begeht, den sie um jeden Preis der Welt heiraten will. Ich bitte dich, bedenke diese Narrheit! Ihn heiraten? Bloß um seiner frischen Lippen wegen. Einen Menschen, den sie aus dem Staube zu sich emporgezogen, der durch sie Gardeoffizier, später Oberst geworden, und der, trotz der Uniform, mit der sie ihn behängt, immer noch der derbe Schweizerjunge geblieben ist, der er war. Der sie mit eifersüchtigen Vorwürfen überhäuft, der nicht dulden will, daß sie mich bei sich sieht! Gegen dieses Ungeheuer führe ich Krieg, wie ich vor vier Wochen gegen den Pfarrer von St. Sulpice Krieg führte! Das gottlose Weib, sie bekümmert sich nicht darum, daß sie mich unsäglich beleidigt! Ungescheut führt sie mich an der Nase herum und läßt mich alles tun und bewilligen, was sie wünscht.«

Die Herzogin hörte diese Klagen über ihre herrschsüchtige und stolze Schwester mit einiger Befriedigung an. Sie empfand dabei, was es hieß, eine Übermütige gedemütigt zu sehen.

»Was sagt Mama dazu?« fragte sie nach einer Pause.

»Ihr darf ich nicht mit meinen Klagen kommen!« rief der Vater. »Sie haßt deine Schwester und wünscht sie vor aller Welt durch diese schamlose Heirat kompromittiert zu sehen.«

»Und Großmama?« fragte die Prinzessin weiter.

»Sie hat mir den Rat gegeben, den Brion aus dem Fenster zu werfen.«

»Und ich gebe Ihnen den Rat, Papa, ihn zu seinem Regiment nach Spanien zu schicken. Alle Obristen sind schon dahin aufgebrochen; hat er irgend Ehre im Leibe, so wird er eilen, seinen Kameraden nachzuziehen.«

»Auch das habe ich bereits versucht; aber deine Schwester wütet. Sie schwört mir zu, mit allen gotteslästerlichen Flüchen, daß sie mir nie wieder – ach, ich weiß nicht, wohin mich wenden! Alle diese Auftritte machen mich kalt gegen die arme Herzogin von Berry! Es ist unrecht, aber es ist so. Wenn ich schon ihre mageren Arme sehe, die sie über dem Kopf ringt, wenn ich dieses nicht mehr schöne Gesicht betrachte, wie es sich in die Falten des Zorns und der Leidenschaft legt und mir so zu drohen versucht, dann bemerke ich, daß ich außer ihr noch eine Tochter habe, die Mitleid mit mir hat, und die durch die Ausschweifungen noch nicht zugrunde gerichtet worden ist.«

»Mein teurer Vater, kommen Sie in Ihrem Schmerze nur zu mir! Es ist meine Pflicht, Sie zu trösten. Sie dauern mich unbeschreiblich.«

Der Herzog zog sie wieder auf seinen Schoß. »Angebetetes Kind!« rief er mit Enthusiasmus. »Ich wußte es wohl, du würdest mich trösten!« –

Die Herzogin sprang von seinem Schoße unwillig auf. Sie sagte nichts, aber der Blick, mit dem sie ihren Vater ansah, hatte etwas von dem Schmerz und dem Zorn einer Getäuschten, die sich verfolgt sieht. »Ich muß jetzt fort!« rief sie in einem ernsten Tone. »Geben Sie mir Ihren Arm, Vater, begleiten Sie mich die Treppe hinab.«

Der Herzog gab ihr gehorsam den Arm. Als sie das Vorgemach erreichten, das voller Leute war, richtete sich der Herzog wieder auf, nahm seine fürstliche Haltung an und legte mit lächelnder Miene die Hand seiner Tochter in die des Obermarschalls, der gekommen war, um die Prinzessin zum Pferde zu geleiten.

Mit einem gnädigen Lächeln grüßte der Herzog die Tochter, die sich ehrerbietig vor ihm verneigte, ehe sie das Pferd bestieg. Die ganze Gesellschaft, Herren und Damen, beurlaubte sich von dem Fürsten, der auf der Treppe stehenblieb, bis der blaue Federbusch seiner Tochter um die Straßenecke bog.

Gebeugten Herzens und voll niedergeschlagener Hoffnungen begab er sich zu der anderen Schwester, die ihn in La Muette erwartete. Er kam leise, da er fürchtete, daß die Kranke schlafe, und setzte sich an das Bett. Aber die großen, offenen Augen sahen ihn strafend und zürnend an.

»Du schläfst nicht! Du sollst schlafen, mein Kind.«

»Wann werde ich Brions Gemahlin?« fragte sie.

»Wenn du wieder gesund sein wirst,« tönte die Antwort.

»Sie sind gestern nicht bei mir gewesen! Weshalb? Ist der Weg vom Palais Royal bis zu La Muette so weit?«

»Liebes Kind, du weißt, daß eine Menge Geschäfte mich gerade jetzt aufhalten.«

Die Herzogin brach in Tränen aus, die so heftig waren, daß sie sich in ihrem Bette zusammenkrümmte und ihre gefährlichen Fieberanfälle sich erneuten.

Der Herzog sah mit einem gleichgültigen Blick vor sich hin.

»Sie lieben mich nicht mehr, Papa!« schluchzte die Kranke. »Ich weiß, wen Sie lieben; aber ich werde diese Begünstigte mit Dolch und Gift verfolgen. Der unterste Schoß der Hölle soll die Verräterin aufnehmen, und sollte sie mir auch noch so nahe stehen! O, ich kann entsetzlich sein. Alle Qualen der Verdammten habe ich in meiner Hand, und ich werde sie öffnen über Sie, mein Vater, und über jene Schändliche. Ich weiß, daß ich sterben muß. O, so werde ich mit einem Fluche über Ihr Haupt dahingehen! Verführer, der Sie sind! Abscheulicher, elender Henkersknecht der Hölle! Mein schuldloses, reines Blut komme über dich! Jämmerlicher! Ruchloser!«

»Schade, daß Brion dich nicht hört, arme Kranke.«

»O, nichts von ihm! Sein und dein Name dürfen nicht zusammen genannt werden. Er ist ein armer Junge, den ich verführt habe mit der Kunstfertigkeit, die ich von dir gelernt! Es ist trostlos, daß er verbotene Früchte pflücken soll, wo er herrschen und regieren könnte. Und er soll es! Er soll mein Mann werden. Ich werde vor den Richter treten und ihm zurufen: Sieh hier, ich Sünderin habe dir diese reine Seele erhalten, indem ich mich ihr zu Füßen warf und sein Weib wurde.«

»Bedenke!« rief der Vater. »Du, früher die Stolze, die übermütige, die Herrschende genannt! Von dem Volke für die Königin der Prinzessinnen gehalten! Du willst dich erniedrigen, eines einfachen Offiziers Frau zu werden!«

»Ich will es! Und Sie, mein Vater, sollen mir dazu verhelfen!« –

Der Herzog blickte sich um, ob niemand hinter der Tür lauschte, und als er sich überzeugt hatte, daß er und seine unglückliche Tochter allein waren, rief er: »Du sollst alles von mir erhalten, wenn du erst gesund sein wirst. Jetzt, Ruhe! Ich höre eben meine Mutter kommen! Bezwinge dich! Laß sie nichts von dem merken, was in deiner Seele vorgeht. Sie wird nicht lange bleiben.«

»Um Gottes und der Heiligen willen! Jetzt nicht! Ich kann sie jetzt nicht sehen!« rief die Prinzessin, indem sie ihre Hände vor das Gesicht preßte.

»Bezwinge dich!« rief der Vater leise aber mit fester Stimme.

»Führe sie fort! Ich kann sie jetzt nicht sehen!« schluchzte die Kranke.

Auf der Schwelle der Tür stand die Herzogin.

Der Prinz war ihr entgegengeeilt, küßte ihre Hand und führte sie zum Bette der Tochter.

»Ich habe gehört,« sagte die Herzogin, »deine Tochter ist besonders unwohl, und ich hielt es für meine Pflicht zu kommen, um mich nach ihrem Befinden zu erkundigen.«

Die Herzogin stand vor dem Bette, in welchem die Prinzessin lag, zusammengekrümmt und gegen die Wand gekehrt. Der Herzog faßte sie leise an beiden Schultern und wendete sie mit dem Gesicht zur Herzogin. Kaum traf einer der durchdringenden Blicke der Dame das Antlitz der Leidenden, als auch plötzlich alle Energie in ihr wach wurde. Sie tat, als sähe sie erst jetzt die Herzogin, faßte schmeichelnd nach ihrer Hand, drückte einen Kuß darauf und sagte dann in einem unterwürfigen Tone: »Eure Hoheit sind allzu gütig, an dem Bette einer Todkranken sich einzufinden.«

»Meine Pflicht!« entgegnete die Fürstin mit kalter Stimme und unbeweglichem Antlitz. Sie setzte sich nieder, und ihre Blicke blieben unverwandt auf dem Antlitz der Kranken haften. Der Herzog sah, wie seine Tochter unter diesem eisigen, vernichtenden Blicke litt.

Eine lange Pause herrschte, in der niemand sprach.

»Das Übel sitzt Ihnen wieder in den Füßen?« hub die Herzogin an. »Zeigen Sie sie mir!« –

Der Herzog hob die Umhüllung von den Füßen der Kranken, sie zeigten sich hoch geschwollen, und mit einer fast durchsichtigen Haut bekleidet, der man ansah, welche Fortschritte die Wassersucht gemacht hatte. Die Herzogin zuckte die Achseln, die Füße wurden wieder bedeckt.

»Sie empfinden Schmerzen?«

»Die entsetzlichsten von der Welt!« rief die Kranke mit fast weinender Stimme.

»Hat Ihre Tochter gebeichtet?« fragte die Herzogin leise den Vater.

Die Kranke richtete sich auf, sah die Herzogin starr an und erwiderte auf ihre Frage: »Sie hat soeben gebeichtet.«

»Ich bin keinem Priester begegnet,« rief die Herzogin.

»Dort steht er!« rief die Prinzessin, auf ihren Vater zeigend, der in einiger Entfernung vom Bett sich hingestellt hatte. »Er weiß um meine Sünden! Bin ich verloren, so ist er es auch!« Diese Worte wurden mit einem schreckenerregenden Ausdruck gesprochen.

Die Herzogin sah ihren Sohn an.

»Sie phantasiert seit heute morgen,« sagte der Regent, indem er die Hand auf das fiebernde Haupt der Tochter legte. »Nur Ruhe! Ruhe allein ist nötig.«

»Lassen Sie den Aderlaß wiederholen!« bemerkte die Herzogin, sich erhebend. »Ist irgend Rettung möglich, so ist's durch Aderlaß.« Sie machte der Kranken eine Verbeugung, und an der Hand des Sohnes schritt sie aus dem Zimmer. Als sie fort war, weinte oder schrie vielmehr die Prinzessin vor Schmerz und Kummer. »Wo ist Brion? Ich will von ihm Abschied nehmen!«

»Er ist nicht hier,« antwortete der Vater. »Er ist nach Spanien abgereist. Ich habe ihm verboten, sich vor dir sehen zu lassen!«

»Ha, du!« schrie die Prinzessin – »mordest dein Kind, nachdem du es der Hölle geopfert! Zittre vor mir, wenn ich dich vor dem Richterstuhle Gottes wiederfinde!«

Der Priester mit dem Sterbesakrament trat ein. Der Herzog winkte ihm, näher zu kommen.

»Nur her damit!« rief die Sterbende. »Öffnet die Türen. Alle Welt soll mich sterben sehen und soll bekennen, daß ich eine reumütige Christin bin.«

»Du wirst dich wieder erholen!« flüsterte der Vater. »Schon zweimal hast du das Abendmahl genommen und bist wieder genesen.«

Die Türen waren geöffnet. Frau von Mouchy, die Kammerfrau, trat herein. »Für dich habe ich dieses Geschenk!« rief die Sterbende, ein kleines Kästchen mit kostbaren Ringen ihr hinreichend. Jetzt empfing sie das heilige Abendmahl, indem alle, die im Vorzimmer waren, sich aufs Knie niederließen. Es war, als wenn eine Königin kommunizierte. Die Herzogin von Orleans hatte sich eingefunden und stand unter den übrigen Hofleuten. Der Herzog blieb am Bette und wagte nicht, die Sterbende zu verlassen; erst als die Lähmung eingetreten war und die Kranke die Sprache verloren hatte, ließ er sich vom Herzog von St. Simon ins Nebenkabinett führen, wo er mehrere Minuten lang in einem stummen Schmerze verharrte. Als er das Sterbehaus verlassen wollte kehrte er noch einmal an das Bett der Toten zurück. Er sah sie liegen, stumm, bleich, regungslos, und über ihren Körper gebeugt, vergoß er schmerzliche Tränen. Als er fort war, übernahm der Herzog von St. Simon die Anordnungen der Trauerfeierlichkeit.

Der Befund der Leichenöffnung blieb ein Geheimnis.

Brion erhielt den Befehl, nicht wieder nach Paris zu kommen. Der arme Junge war untröstlich. Er hatte wirklich die Herzogin geliebt; es war ihm ein heiliger Ernst damit gewesen, sie zu bekehren, er hatte nicht darauf gerechnet, öffentlich als ihr Gemahl zu gelten, nur wollte er, daß das heilige Sakrament seinen Bund mit ihr heimlich einsegne, dann gedachte er, wenn er die Herzogin glücklich und beruhigt sah, zurück in seine Berge zu gehen. Er ging auch jetzt dahin, aber gebrochenen Herzens. Es war ein schöner, aber unglücklich endender Traum für den armen Menschen. Paris sah er nie wieder.

Nicht lange nach dem Tode der Herzogin von Berry trat ihre Schwester, die Herzogin von Chartres, in das Kloster der barmherzigen Schwestern zu Chelles. Ein Jahr nach ihrem Eintritt ließ sie sich zur Äbtissin des Klosters wählen. Niemand begriff den Entschluß des jungen Mädchens, sich in die Mauern eines Klosters zurückzuziehen. Das schreckliche Ende der Herzogin von Berry hatte dies bewirkt.


 << zurück weiter >>