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Ankunft in St. Germain

Auf dem ganzen Wege waren Neugierige verteilt, die das Gerücht herbeigerufen hatte, daß eine deutsche Prinzessin käme, um sich mit Monsieur, dem Bruder des Königs, zu vermählen. Man war neugierig, sie zu sehen. Charlotte, die das wußte, aber keine Lust hatte, den neugierigen Blicken standzuhalten, hatte sich in die Tiefe der Kutsche zurückgezogen und überließ den ihr zukommenden Platz der princesse palatine, die ihn mit allem Stolz und aller Würde einer königlichen Braut ausfüllte, manchmal aber doch etwas zu hören bekam, was ihr nicht ganz wohl behagte.

»Ei, man sehe«, rief eine alte Frau ziemlich nahe an der Kutsche, »wie diese Prinzessin alt ist! Diese soll noch nicht zwanzig Jahre sein? Nimmermehr! Sie ist über vierzig.«

»Die Unglückliche!« rief eine heisere Stimme ganz in der Nähe, »da geht sie hin, und was wird ihr Los sein? Ach, der Giftbecher! Es ist kein Glück für die deutschen Fürstentöchter auf dem Boden Frankreichs.«

»Teufel, wie sie alt ist!« rief ein junger Bursche, fast unwillig und beleidigt, und bewirkte dadurch das zeitweise Verschwinden der Dame vom Kutschenfenster.

Charlotte bog sich in ihrer Ecke zusammen, um das Lachen zu verbeißen.

»Hast du bemerkt,« rief ein junges Mädchen ihrer Gefährtin zu, »es ist noch eine bei ihr, ein junges Ding; sie liegt in der Tiefe des Wagens, ob die wohl die deutsche Kammerjungfer ist? Wenn ich an des Prinzen Stelle wäre, ich schickte beide zurück nach Hause.«

Die Bemerkungen wurden immer leiser und immer spärlicher, je näher die Kutsche und ihre Umgebung der Stadt kam, zuletzt hörten sie gänzlich auf und machten den Beifallsrufen Platz, die von allen Seiten erschollen.

»Das ist Frankreichs Erde!« rief die princesse palatine begeistert. »Himmel, wie glücklich sind alle diese Menschen! Wie selig muß es sein, unter ihnen zu leben und hier zu sterben! O, glückliche Cousine! Womit haben Sie all diesen Schimmer, diesen Glanz verdient?«

»Mit nichts!« entgegnete diese trocken, »und Gott weiß es, ich würde ihm herzlich danken, wenn der Wagen umkehrte und ich mein geliebtes Heidelberg wiedersähe.«

»Dieses Nest!« rief die Prinzeß verächtlich. »O nein, sprechen wir in diesem Augenblick nicht von jenen Armseligkeiten!«

Der Wagen fuhr in das Palasttor von St. Germain ein. »Da sind wir!« schrie die Prinzeß mit Entzücken.

»Da sind wir,« seufzte die arme Charlotte.

»Hier wird die Vermählung gefeiert,« bemerkte die Prinzeß weiter, »und von hier werden wir nach Versailles gehen. Da ist der Oberkammerherr des Prinzen, er wird uns in unsere Gemächer führen. Der einfältige Georg, was er sich nur einbildet, als könnte er hier nur irgendetwas vorstellen! Er ist überall; allen Leuten rennt er in den Weg.«

»Mein guter Georg!« sprach die Prinzessin leise.

Die Prinzessin stieg an der Hand des Oberkammerherrn aus. Georg schob sich dazwischen, indem er rief: »Exzellenz verzeihen, dort ist die Prinzessin Braut!«

Der Mann ließ die Hand der Dame los und griff nach der Charlottes. Die Prinzessin warf dem Jüngling einen wütenden Blick zu.

Jetzt war der Moment gekommen, wo beide Verlobte sich von Angesicht zu Angesicht sehen sollten. Beide hatten die betreffenden Porträts bei sich. Nach der Sitte der damaligen Zeit sollte das Zusammentreffen in die Form eines Spiels eingekleidet werden, das der Prinz angab und das › l'attraction joyeuse‹ genannt wurde. Es bestand darin, daß dreißig Herren aus der Umgebung des Prinzen mit dreißig Damen aus der Nähe der Prinzessin sich in zwei Abteilungen teilten und auf folgende Weise gegeneinander tanzten oder spielten. Der Saal war in eine Art Wäldchen verwandelt mit zwei Taxuswänden von der Höhe, daß sie einen Menschen verdeckten. Der Kreis der Herren, die einander an der Hand gefaßt hatten, befand sich hinter der Taxuswand, die Damen waren, ebenfalls zu einem Kreise geschlossen, vor derselben. In der Wand befand sich eine Tür oder ein Eingang, gerade so groß, daß eine Person davor sichtbar wurde. Jetzt begann ein Lied nach einer einfachen Melodie, in welches sämtliche Herren und Damen einstimmten, und das daher einen hübschen Effekt hervorbrachte. Die Kreise fingen sich nun an zu drehen, aber ein jeder nach der entgegengesetzten Richtung. Erschien nun ein Herr an der Öffnung, so wurde er von der Dame, die ihm gerade gegenüberstand, mit den Worten begrüßt: »Er ist schön: aber er ist nicht der Schönste!« Darauf bewegten sich wieder die Kreise, bis der zweite Herr an die Reihe kam, dem die zweite Dame gegenüberstand, wobei die Dame denselben Spruch aussprach, worauf mit Lachen und Scherzen die Kreise sich wieder in Bewegung setzten. Es war dies ursprünglich ein alter Hochzeitsscherz aus der Normandie: damals war er in Paris Mode geworden, und der fröhliche Charakter des Prinzen, der ein Vergnügen daran fand, alte Gebräuche, wenn sie ihm zusagten, wieder aufzufrischen, hatte sich diesen ausgesucht, um dadurch sein Zusammentreffen mit der ihm Bestimmten zu feiern. Zusätze, die ursprünglich zu diesem alten Tanze gehörten, aber etwas bäurisch anstößiger Natur waren, hatte man weggelassen. Das Lied war von dem Prinzen selbst komponiert und der alten Weise auf das beste angepaßt. Der letzte der Herren war der Prinz, die letzte der Damen die Prinzessin. Hatte also dreißigmal der Spruch sich wiederholt, so erschien am einunddreißigsten Male der Prinz selbst vor der Öffnung und wurde von der Prinzessin mit dem Spruche begrüßt: »Dies ist der Schönste!« Worauf der Prinz niederkniete und ausrief: »Hier ist die schönste der Schönen.« Beide begrüßten sich auf das zierlichste, und jetzt wurde bunte Menge gemacht. Jeder Kavalier wählte sich seine Dame, die Musik ging in eine lebhafte Weise über, und der Prinz mit der Prinzessin an der Spitze führte den ihnen nachfolgenden Zug durch alle Gänge des Lokals, wobei gelacht und gescherzt wurde und der Saal sich nach und nach mit Zuschauern füllte, die dem Prinzen und der Prinzessin ihre Glückwünsche darbrachten.

Dieses kleine ländliche Vergnügen sollte über das Lästige der förmlichen Zusammenkunft hinwegleiten und die beiden Verlobten sogleich in ein freundschaftliches, vertrauliches Verhältnis bringen. Dies geschah auch. Was beide übereinander dachten, blieb versteckt und ward erst später laut gegen ihre beiderseitigen Vertrauten.

Am andern Tage gingen die Vermählungsfeierlichkeiten vor sich. Sie wurden nach aller Form abgehalten. Die Neuvermählten wurden vom König begrüßt, der mit dem Kronprinzen, einem Knaben von zehn Jahren, erschienen war, um seine Glückwünsche abzustatten und Madame, welchen Titel sie jetzt führte, der Königin vorzustellen.

Von St. Germain fuhren die Kutschen nach Versailles.


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