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13
Die Freunde

Es pflegt in der Welt sich wohl zu ereignen, daß Charaktere, die sich anfangs gegenseitig abgestoßen, später sich ebenso lebhaft einer den andern anziehen, wie sie sich früher gemieden. So war es bei Olivier und Georg. Oft gaben zu diesen Annäherungen Zufälligkeiten die Veranlassung; aber diese geringen Anlässe würden nie imstande gewesen sein, eine nachhaltige Wirkung auszuüben, wenn nicht in den beiden bis jetzt noch voneinander abgewendeten Individualitäten bereits der Keim eines künftigen, innigen Aneinanderschließens gelegen hätte. Des jungen Schotten düstere Verschlossenheit, seine Vorliebe für die Einsamkeit, so gänzlich entgegen beides dem heiteren Sinne seines Genossen war, verfehlten doch nicht, anfangs dessen Neugier zu reizen, aus welcher dann eine lebhafte Teilnahme wurde. Hätte Georg, wie bisher, im Verkehr mit vielen Altersgenossen gelebt, hätte er die Wahl gehabt, welchem von diesen er sich zuwenden wolle, so wäre ohne Zweifel ein solcher Bund, wie wir ihn beschreiben wollen, nie oder auf sehr langsamem Wege zustande gekommen. So aber taten das stete Beisammensein und die Entfernung aller andern bestimmenden Elemente des Umganges das ihrige. Hatte Georg es einmal erreicht, die Lippen seines Genossen zu einem Gespräche, zu einer Mitteilung, zu einem Geständnis zu öffnen, so war die unausbleibliche Folge, daß das, was Olivier ihm vertraute, seine Aufmerksamkeit im hohen Grade rege machte. Die Weltanschauung des Einsamen hat immer Reiz für den weltlich Gesinnten, schon der Neuheit der Bilder, des Unerwarteten in der Reihenfolge der Betrachtungen und Urteile wegen. Wenn dies bei Männern der Fall ist, wie viel mehr bei der leicht erregten Jugend. Mit fünfzehn Jahren gibt es noch keine Menschenhasser. Olivier seinerseits fand sich unbewußt angetrieben, für seine Sinnesweise Anhänger zu gewinnen; die frische Lebendigkeit und Empfänglichkeit Georgs reizten ihn. Er gewöhnte sich, in dieser muntern Laune nicht mehr einen unbesiegbaren Feind zu sehen, und später gab er sich sogar der Hoffnung hin, in ihr einen Bundesgenossen zu seinen Bekehrungsplänen zu finden. Der Köhler, vor dem er keine Geheimnisse hatte, riet ihm lebhaft ab, sich dem jungen Deutschen anzuschließen. Als er jetzt auf seinem Willen bestand, mußte sich der Alte dazu verstehen, diesem Gelüste den Zügel schießen zu lassen. Olivier wählte jetzt die einsame Köhlerhütte, tief im waldigen Gebirge, zum Zielpunkte der Wanderungen, die er mit Georg antrat, und wo ihnen Antonius nicht folgen konnte, da ein hartnäckiges Übel ihn an das Krankenlager fesselte. Meister Ulrich, dem einstweilen die Pflicht zuerteilt wurde, die Jünglinge zu begleiten und zu beaufsichtigen, wußte sich von dieser lästigen Verbindlichkeit freizumachen.

»Hast du schon von unserer baldigen Aufnahme in den Orden etwas vernommen?« fragte Georg seinen schweigsamen Begleiter, als beide in der finstern Waldschlucht dahinwandelten.

»Nein, und ich zweifle, daß wir das geringste Wort früher erfahren, als bis der Tag und die Stunde da ist, wo diese Aufnahme stattfindet,« entgegnete der Gefragte.

»Wozu nur diese Geheimnisse?«

»Wozu? Kann das ein Jünger Loyolas fragen?«

»Loyola? Der war der Stifter der Jesuiten?« fragte Georg zweifelnd.

»Er war der Glückliche, der Gottgeliebte, dem wir hier dienen,« sagte der Jüngling mit schwärmerischem Blicke.

»Es ist aber schon lange her, daß er lebte. Wohl ein Jahrhundert ist darüber vergangen.«

»Mag es. Die Zeit ändert hier nichts.«

»Wie, sie ändert nichts? Wir denken und fühlen gewiß nicht mehr so, wie man damals dachte und fühlte. Und der Orden – er ist unterdessen – ganz etwas anderes geworden.«

»Er ist derselbe geblieben.«

»Den Beweis hiervon zu liefern, würde dir schwerfallen, Olivier. Alle Dinge ändern sich in der Welt, wie sollte es hier allein anders sein?«

»Dennoch ist es so. Daß die Jesuiten nie von ihrer Regel lassen, nie ihre Geheimnisse enthüllen, das macht sie zu der gewaltigsten Macht, die der Welt Gesetze vorschreibt.«

»Ach, ich glaube, die Welt ist dem Leitseil entwachsen.«

»Lästre nicht.«

»Haben wir nicht gesehen, wie die Welt sich den großen Wahrheiten, die Luther verkündete, zu ihrem Heile hingegeben hat?«

»Lange vorher schlummerten sie als Geheimnisse in dem Innern der Kirche.«

»Da sie nun aber einmal offenkundig geworden, so ist der Orden unnütz.«

»Der Orden wird nie unnütz sein. Während die alten Geheimnisse wie gereifte Früchte dem Markte des Lebens anheimgegeben werden, zeitigt er neue in seinem Schoße. Er ist der tief in der Erde wurzelnde Stamm, der seine Äste zum Himmel kehrt und an dessen Zweigen silberne Apfel in goldenen Schalen hängen. Aber Baum und Früchte hüllt ein undurchdringlicher Nebel ein, und die Wurzeln des Baumes dringen in die Tiefe durch gesprengte Gräber, und der Saft der Verwesung nährt sie.«

»Wie man mir gesagt, ist die Lehre Luthers dem Orden ein Greuel.«

»Sie ist ihm ein Ärgernis, weil sie unrichtig und halbverstanden ins Leben trug, was er lehrte. Dann ist sie eine hochmütige Doktrin, die sich über ihre eigene Lehrerin und Mutter stolz erhebt. Sie muß gezüchtigt und in ihre Schranken zurückgewiesen werden. Aber ich glaube, das sind Dinge, über die zu urteilen wir beide noch nicht berufen sind. Auf den Stufen des Tempels stehen wir, und noch nicht einmal die Pforte des äußern Einganges hat sich uns geöffnet – hat sich dir nicht geöffnet,« setzte er mit gedämpfter Stimme hinzu.

»Ich habe, obgleich du dich abgewendet, dennoch vernommen, was du sagtest. Mir traust du nicht so viel Kenntnis der geheimen Dinge zu als dir selbst!« sagte Georg mit einem Tone leichter Gereiztheit.

»Vergib, Freund. Ja so ist es auch. Aber ich habe einen Lehrer gehabt und habe ihn noch, der dir fehlte. Deshalb kann ich so sprechen, wie ich spreche. Achte es nicht als leere Prahlerei und kindischen Dünkel!«

»Wer ist dieser Lehrer?«

»Du sollst ihn kennenlernen. Dort wohnt er.«

»Ich sehe nichts als eine elende Köhlerhütte.«

»Und in dieser Hütte wohnt ein Märtyrer und Heiliger.«

Als die Jünglinge sich näherten, trat der Greis hervor mit einem Spaten in der Hand und einem Korbe am Arm, in welchem allerlei Waldkräuter lagen.

»Mein Vater,« sagte Olivier mit großer Demut, »du hast mir erlaubt, dir meinen Genossen und Bruder zuzuführen, hier ist er.«

»Er ist willkommen,« grüßte der Köhler den Jüngling.

Die drei gingen den Waldweg entlang. Der Greis in der Mitte, seine beiden Begleiter ihm zur Seite.

Georg betrachtete seine neue Bekanntschaft, und sie schien ihm nichts Außergewöhnliches an sich zu haben, er faßte daher Mut und fragte: »Vater Willi, wie lange glaubt Ihr wohl, daß uns der Wille des ehrwürdigen Schloßherrn hier zurückhalten wird?«

Olivier machte ihm ein Zeichen, daß diese Frage kühn und unüberlegt sei. Der Köhler zögerte mit der Antwort, dann sagte er rasch: »Ich weiß es nicht. Was geht mich überhaupt der Schloßherr an? Ich bin in seinem Dienste, das ist wahr, allein wenn ich ihm von dem Gewinn meiner Arbeit gebe, was ihm zukommt, so habe ich weiter nichts mit ihm zu tun.«

»Setze deine Worte, wie du willst,« hub Georg wieder an, »mich täuschest du nicht, Alter. Du hast mehr Einfluß auf den Grafen, als du eingestehen willst, und das ist ja auch ganz natürlich. In der Einsamkeit des Ortes können der Herr und sein Diener lange nicht so getrennt und geschieden voneinander leben, wie dies in der Welt der Fall ist, die groß genug ist, daß man leicht einander ausweichen kann, wenn man nicht zusammentreffen will.«

»Sind wir denn schon zusammengetroffen?« fragte der Köhler, dem die offene Sprache des Jünglings nicht zu mißfallen schien.

»Das wäre ohne Zweifel mit der Zeit geschehen,« bemerkte Georg. »Wenn ich angefangen hätte den Forst nach dieser Gegend hin zu durchstreifen, was ich mir schon lange vorgenommen, so wäre ich notwendig auf Euch gestoßen. Es ist aber besser, daß ich Eure Bekanntschaft auf diese Weise mache. Olivier hat Euch mir gerühmt, und Olivier rühmt und preist nicht leicht jemand. Wenigstens habe ich ihn viel öfter tadeln als loben hören.«

»Mein Sohn, wer die Welt kennt, findet auch wenig an ihr zu loben.«

»Was mich betrifft, ich habe sie sehr belustigend gefunden, und ich sehne mich, zu ihr zurückzukehren.« –

Olivier näherte sich hier dem Greise und flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr.

»Noch nicht!« entgegnete dieser abwehrend.

Sie gingen den Waldpfad weiter bis er auf einen freien Platz mitten im dichten Forst ausmündete. Auf diesem Platze lag ein Trümmerhaufen; es schienen hier die Reste eines uralten Bauwerkes sich dem Beobachter darzustellen, anziehend genug, um einige Augenblicke zu verweilen. Die drei Wanderer nahmen einen Rasensitz ein, der sich in der Nähe dieser merkwürdigen alten Steine befand.

»Dies war ein heidnischer Opferaltar,« erklärte der Greis, »und auf dieser Stelle floß einst das Blut von Menschenopfern. O Freunde, wir leben auf einem merkwürdigen Platze der Erde. Dieser Boden ist gleichsam mit Geheimnissen bedeckt. Geh, Olivier, und öffne den verborgenen Eingang.«

Der Befehl wurde ausgerichtet. Hinter einem der Trümmerhaufen wurde eine morsche Falltür sichtbar, und nachdem man sich mit einer kleinen Blendlaterne ausgerüstet hatte, ermahnte der Köhler die jungen Leute, vorsichtig die Stufen hinabzusteigen, und folgte ihnen. Der Gang war gewölbt und niedrig und führte tief unter die Erde. Ein Toben und Tosen, wie von verschlossenen unterirdischen Wassern, füllte das Ohr und erzeugte in der Seele undeutliche Vorstellungen von nahen Schrecken und von drohender Gefahr.

»Folge mir nur kecklich,« sagte Olivier, indem er die Hand des Gefährten an sich zog. »Ich bin diesen Weg schon oft gegangen.«

Der Köhler blieb auf einem Vorsprunge stehn, Olivier hob die Leuchte, als wollte er den Zögernden zur Eile mahnen; doch jener rührte sich nicht. Die Jünglinge gingen noch einige Stufen hinab, dann blieben sie wieder stehen und schauten sich nach ihrem Begleiter um. Die graue Gestalt stand oben unbeweglich. Jetzt eilten sie zurück, und wie sie mit der Kerze hinleuchteten, sahen sie zu ihrem Schrecken daß das, was sie für die Gestalt des Köhlers gehalten, ein Teil der grauen Felswand war. Der Greis war verschwunden. Zu gleicher Zeit war der Ausgang verschlossen worden.

»Er hat uns hier allein gelassen, der Alte!« sagte Olivier mit einem leichten Schauder zu seinem Gefährten.

»Allein? In dieser grausenvollen Höhle?« sagte Georg.

»Es ist nicht so schlimm!« bemerkte der Freund. »Komm, folge mir; ich weiß hier Bescheid. Du bist doch nicht furchtsam?«

»Furcht?« sagte Georg, im feuchten Gange weitertappend, »Furcht gerade fühle ich nicht! Aber ich möchte über den Alten zürnen, daß er sich erlaubt hat, mit uns seinen Scherz zu treiben.«

»Du kennst ihn schlecht, wenn du ihm dergleichen zutraust, Georg. Er handelt bei seinem geringsten Tun und Lassen nach den Gesetzen, die ihm die tiefste und erhabenste Weisheit vorschreibt. Wenn du ihm nähertreten willst, so mußt du ihm blind gehorchen und ohne Rückhalt ihm vertrauen. So bin ich sein Schüler geworden, und ich bereue es nicht.«

»Halte mich hier!« rief Georg, »mir schwindelt. Was ist das für eine dunkle Tiefe, in die wir hinabschauen?« –

»Das ist der See Genezareth.«

»Ein See?« –

»Dessen Tiefe noch kein Senkblei ermessen hat.«

»Wie grausenvoll! Welch eine Stille, kein Laut regt sich! Alles schwarz, alles ohne Klang und Farbe! Hier könnte ich nicht lange aushalten.«

»Was die Nacht liebt, findet sich auch hier zurecht!« sagte Olivier, und seine Stimme klang leise und geheimnisvoll. Dennoch weckte diese gedämpfte Stimme ein Echo, und es war, als sprächen drüben über dem See einige umherwandelnde Personen.

»Sind wir nicht allein hier?« fragte Georg.

»Ein Eingeweihter ist nie allein,« entgegnete der Gefragte. »Wenn ihn nicht die lebenden Genossen umgeben, so tun dies die verstorbenen. Gib mir die Hand und folge mir diese engen Stufen hinab, die uns zum Ufer des Sees führen. Fasse mit der andern Hand das Seil, das an der Felswand angebracht ist, doch greife daran so leicht wie möglich, es ist naß und sein Anschlagen an die Steine bringt an diesem Orte der Stille ein dumpfes Donnern hervor.«

Als sie unten angelangt waren, bestiegen sie einen Nachen, und Olivier setzte ein Ruder in Bewegung. Die Leuchte wurde mitten in den Kahn gesetzt, und zwar so sicher geschützt, daß sie nicht umfallen und auslöschen konnte; denn die Gefahr wäre groß gewesen, wäre dies geschehen. Auf dem dunkeln Gewässer dahinfahrend, war es Georg, als sähe er darauf Phantome seltsamer Art schwimmen. Bald waren es bleiche Totenantlitze, die mit geschlossenen Augen aus der dunkeln Flut tauchten und aufgerichtet dahinglitten, bald waren es blutige Hände, die aus der Tiefe heraufgriffen. Der einsame und spärliche Lichtstrahl gab nur ungewisse Umrisse dieser Schrecknisse zu erkennen. Das Niedertauchen der Ruderstange und das Abfallen der Tropfen von der gehobenen Schaufel verursachte ein Geräusch, als flüsterten und wimmerten Stimmen aus der Nacht herüber. Endlich gelangte der Nachen an ein steiniges Ufer, und die Jünglinge stiegen aus. Olivier befestigte das Fahrzeug. Ein roh gearbeitetes Portal zeigte sich, einige Stufen führten in die Höhe, und eine mit Eisen beschlagene Pforte, auf der eine Inschrift angebracht war, gab den Blicken einen neuen Gegenstand der Beachtung. Olivier bückte sich zu Boden, einen Gegenstand suchend; er fand ihn, es war ein Schlüssel, mit dem er die Pforte öffnete. Ein kalter Zugwind, vermischt mit Moderdüften, wehte ihnen entgegen. Eine Halle, von sechs Säulen getragen, bot ihren mit regelrechten Steintafeln gepflasterten Boden den Eintretenden. Seltsam hallten die Tritte wider, doch war der Schall hier begrenzter, und es ließ sich deutlich unterscheiden, daß ein geschlossener Raum sie erzeugte.

»Hier«, sagte Olivier, indem er sich an eine Säule lehnte, »siehst du den uralten Bau der Templer, wie ihn Hugo von Payens, der Gründer und erste Meister des schottischen Ordens, gebaut hat. Mit Robert Bruce durchs Land ziehend, fand er hier an dem äußersten Ende Schottlands, unter den Felsen, die das Meer bespült und die Nacht in Schrecken einhüllt, die passende Stätte, um den Brüdern der Nacht zu entgehen, die ihm nachstellten. Hierher rettete er den Kern des Ordens, die wenigen Getreuen, die ihm anhingen, und hierher brachte er auch die heiligen Symbole, die die Weisheit der Brahminen als ein kostbares Erbe uns hinterlassen hat. Der Orden der Templer ist aufgelöst, wenigstens ist das, was in der Welt noch dafür gilt, ein elendes Gaukelspiel, ein armseliges Scheinbild: der echte wahre Orden existiert jedoch noch hier. Hier sind seine Schätze, seine Trophäen, seine Gesetzestafeln. Alle zehn Jahre, stets im ersten wachsenden Monat der zweiten Jahreshälfte, kommen aus allen Teilen der Erde, aus Nord und Süd, von Aufgang und Niedergang die Brüder, die alten, ehrwürdigen Templer, um hier ihr Gelübde zu erneuen. Denn wisse, der Sarkophag, den ich dir gleich zeigen werde, enthält die Asche eines edlen Märtyrers, ein treuer Bote brachte sie uns, von dem Holzstoß gesammelt, auf dem die Wüteriche ihn gerichtet. Diese teuren Überreste ruhen neben denen Hugo von Payens, des Stifters des Ordens. Diesen Sitz haben die Jesuiten für sich umgeschaffen.«

Als Olivier diese Worte gesprochen, trat er in eine Seitenhalle, und seinen Genossen mit sich fortziehend, schritten beide über ein aus Marmor gearbeitetes, riesiges menschliches Skelett, das auf dem Boden lag.

»Komm, komm!« rief der Jüngling, »erschrick nicht! Was du siehst, diente rohen, wilden Jahrhunderten zu notwendigen Prüfungen. Ein Templer mußte mit den Schrecknissen des Grabes so vertraut sein wie mit der Zelle, in der er täglich arbeitet und schläft.«

Auf einem Würfel von schwarzem Basalt erhob sich der Sarkophag, von dem Olivier eben gesprochen hatte.

Sechs verhüllte weibliche Gestalten saßen auf den Stufen desselben. Olivier drückte auf eine Feder, die sechs Figuren versanken in den Boden, und statt ihrer erschienen ebenso viele geharnischte Männer, zugleich hob sich langsam der Deckel des Sarkophags, und eine Gestalt, in lange Gewänder gehüllt, erstand aus der Tiefe der nächtlichen Behausung.

Olivier beugte sein Haupt. Georg stand da und wußte nicht, ob er seinen Augen trauen sollte. Langsam verschwanden die Gebilde wieder, und das Grab nahm seine frühere Gestalt wieder an. »Erkläre mir alles das!« flüsterte Georg, doch ein bedeutsamer Wink und das ernste Auge des Gefährten hießen ihn seine Neugier aufgeben. Beide traten jetzt in eine zweite, größere Halle, und diese war augenscheinlich zu Zusammenkünften eingerichtet. Auf einem Altar thronte ein Gegenstand, der sorgsam verhüllt war. Die Sitze aus Stein, in einem Halbkreise um den Altar, schienen jeden Augenblick gewärtig, eine ehrwürdige Schar nächtlicher Pilger in sich aufzunehmen. Grabesstille herrschte auch hier. An den Wänden standen kolossale Steinbilder, aber auch sie waren verhüllt.

»Du hast jetzt erschaut, was du erschauen darfst,« sagte Olivier, »laß uns jetzt den Rückweg antreten. Vielleicht kehrst du bald wieder hierher zurück, aber dann in anderer Gesellschaft als der meinigen.«

»Den Rückweg, Olivier?« fragte Georg. »Wie willst du den finden?«

»Folge mir getrost. Wie gerne hätte ich dir noch mehr gezeigt, aber ich darf nicht. Hast du nicht bemerkt, wie er das Haupt verneinend schüttelte, als ich ihn im geheimen fragte?«

»Du hast mir schon genug des Wunderbaren gezeigt!« rief Georg. »Mein Himmel, nie hätte ich mir früher träumen lassen, daß es dergleichen gebe! Welch eine Welt ist das! Wieviel Erhabenes, Großes und zugleich wieviel Schrecken! Es war doch eine große Zeit, die der unseren vorherging!«

»Wir sind geschaffen, sie wieder herbeizuführen!« rief der Jüngling begeistert. »Gib mir die Hand drauf, daß du mit mir arbeiten willst, die Zeit der edlen Helden, der starken Märtyrer neu hervorzurufen! Schwöre mir das, hier beim Grabe Hugo von Payens!«

»Ich schwöre es dir,« rief Georg. »Wir wollen unserer Väter würdig sein.«

»Es ist genug!« sagte Olivier. »Wir sind jetzt verbunden in Leben und Tod. Wie sich auch unsere Lebenspfade wenden, wir bleiben einig. Am Grabe der Bekenner haben wir es beschworen.«

Mit diesen Worten wendete er sich rasch zur Seite, öffnete eine niedrige Pforte, und hier zeigte sich eine enge Wendelstiege, die aufwärts führte, doch gelangte sie nicht im Walde zur Oberwelt, sondern durch eine enge Felsenschlucht, in der Nähe des Weges, der zum Schlosse führte.

Beide Jünglinge trennten sich mit dem gegenseitig abgelegten Gelöbnis, niemand etwas von dem zu vertrauen, was sie an diesem Tage erlebt hatten. Ein baldiger Besuch bei dem Köhler wurde verabredet.


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