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Die Krankheit des Königs

Herr Dubois verstand es, seine Beförderung bis auf den ihm erreichbaren Punkt zu treiben. Er wünschte, Erzbischof zu werden, er wollte Kardinal, er wollte endlich auch Papst werden. Das letztere wurde er jedoch nicht.

Der Bruder der obigen Dame, mit dem sie, dem Gerücht zufolge, in einem ärgerlichen Verhältnisse lebte, der Bischof von Tenzin, war nach Rom gegangen, um zu seinen Gunsten zu wirken. Dubois war, wie wir nachzuholen haben, Staatssekretär geworden; durch den Tod des Erzbischofs von Cambray, des Kardinals de la Tremouille, war der erzbischöfliche Sitz frei geworden. Dubois bewarb sich darum und ließ sich durch König Georg dem Regenten zum Erzbischof von Cambray vorschlagen. Der Regent, dem alles daran lag, sich dem König gefällig zu bezeigen, nahm die Empfehlung an und bestätigte das Gesuch seines Staatssekretärs, der hiermit Erzbischof von Cambray wurde. Bevor seine Weihe durch den Großalmosenier, Herrn von Tressan, vollzogen wurde, galt es noch eine Schwierigkeit zu überwinden, Dubois war nämlich verheiratet. Es fanden sich geschäftige Schmeichler, die die Dokumente dieser Heirat sowie die Frau selbst beiseiteschafften. Durch ein ziemlich hohes Jahresgehalt wurde die letztere zum Schweigen gebracht. Nachdem Herr Dubois die Weihen empfangen und die Salbung erhalten hatte, ging er seinen Weg weiter. Inzwischen starb Clemens XI., der zwanzig Jahre Papst gewesen, und der Wunsch, den Prinzen Conti zum Oberhaupte der Christenheit erwählt zu sehen, bewegte die französische Geistlichkeit. Tenzin und der Jesuit Lafitteau unterhandelten für Dubois in Rom, der Kardinal von Rohan reiste aus Paris ab, um Conti zum Papst und Herrn Dubois zum Kardinal vorzuschlagen. Was niemand vorausgesehen, gelang: zum allgemeinen ärgerlichen Staunen wurde Dubois Kardinal, nachdem Conti Papst geworden war. Passerini, der Beichtvater des neuen Papstes, überbrachte ihm den Hut, den der König ihm überreichte.

Als diese Feierlichkeit beendet war, brachte ihn der Regent zu seiner Mutter, indem er ihm empfahl, hübsch demütig aufzutreten. Doch diese Weisung war unnötig. Man kannte keinen Menschen, der überraschter war von der Würde, die ihm so plötzlich geworden, als dieser Kardinal, der nun kam, um bei Madame das Tabouret einzunehmen. Die Herzogin war nicht wenig neugierig, ihn zu sehen. Sie hatte sich gefaßt gemacht, seinen Stolz zu demütigen, aber sie entdeckte keinen. Er war der bescheidenste der Bescheidenen; er sprach von seiner geringen Geburt, wie ihn der Regent hervorgezogen, wie er alles, was er sei, lediglich der Gunst dieses Fürsten und seiner hohen Eltern zu danken habe. Er nahm das Tabouret an, aber er ließ sich nur auf einen Augenblick darauf nieder, im übrigen stand er vor der Fürstin, die nicht anders konnte, als seine Bescheidenheit und Anspruchlosigkeit rühmen. Alles, was sie ihm zu sagen beabsichtigt hatte, unterblieb, und die Strenge und die Kälte in ihrem Äußern nahmen, je länger der Herr Kardinal sprach, den Ausdruck eines fast sanften Wohlwollens an.

Die Erhebung Dubois' zum Kardinal und die Verheiratung des Fräuleins von Valois, der zweiten Tochter des Regenten, mit dem Herzog von Modena waren die zwei wichtigen Ereignisse, die der Krankheit des jungen Königs vorangingen.

Der Herzog von Richelieu, der schon zwei Töchtern des Regenten gefährlich geworden war, drohte es auch dieser zu werden, deshalb beeilte sich der Herzog, sie zu verheiraten. Zuerst sollte sie einen Prinzen von Piemont nehmen; aber Madame widerstritt diesem Plane. Sie schrieb an die Königin von Sizilien, mit der sie korrespondierte: »Ich liebe Sie zu sehr, als daß ich Ihnen ein so schlechtes Geschenk machen werde.« Fräulein von Valois war diejenige ihrer Enkeltöchter, die die Herzogin am wenigsten mochte. Der Herzog von Modena war bekannt wegen Neigungen, die der Herzog von Vendôme, der Herzog von Valentinois und eine große Anzahl der vornehmen Herren damals hatten und ungescheut eingestanden; der Prinzessin konnte es also nicht gleichgültig sein, eine Ehe einzugehen, deren Gegenstück sie in ihrer eigenen Familie vom Hörensagen kennengelernt hatte. Dennoch wurde im Februar 1720 dieser Ehekontrakt bei dem König unterzeichnet. Die Mutter brachte selbst die Tochter zu der Herzogin. Die Prinzessin küßte die Hände der Großmutter, die ihr kalt ihren Segen gab.

Den einunddreißigsten Juli erschreckte eine üble Nachricht den Hof und ganz Paris. Der König befand sich gefährlich unwohl. Er hatte Kopf- und Halsweh, und beides steigerte sich gegen Mittag bis zu einem fast unerträglichen Grade, indem Fieber sich dazugesellte. Herr von St. Simon, dem es sein Rang und seine Stellung erlaubte, drang in das Zimmer des Kranken; er fand es leer, nur den Herzog von Orleans entdeckte er darin, wie er stumm in der Ecke des Kamins saß. Frau von Laferté, die Schwester der Frau Herzogin von Ventadour, trat ein, und ohne den Herzog von Orleans zu sehen, rief sie: »Herr von St. Simon, der König ist vergiftet!«

Sie schwieg, als sie den Regenten erblickte.

Die Ärzte des Hofes und die berühmtesten der Stadt wurden herbeigerufen. Sie waren alle uneinig. Ein Aderlaß am Fuße wurde vorgeschlagen: man stritt dagegen, Herr Helvetius, der jüngste der herbeigerufenen Ärzte, der Vater des später bekannten Philosophen und Weltmannes, bestand jedoch darauf. Der Aderlaß fand statt und hatte günstigen Erfolg. Am zweiten Tage war der König bereits so wohl, daß er das Bett verlassen konnte. Paris feierte diese Genesung mit hohen Festen.

Man ging jetzt daran, dem König seine Vermählung zu melden. Niemand hatte mit dem elfjährigen Knaben noch davon gesprochen, obgleich die Angelegenheit bereits so weit gediehen war, wie Vermählungssachen nur gedeihen können ohne Wissen und Einwilligung des Bräutigams. Philipp V. schlug seine Tochter, ein Mädchen von drei Jahren, zur Braut vor. Das Ganze hatte etwas Komisches, und man fühlte dies, deshalb suchte man durch Übermaß von Prunk und Festlichkeit Würde hineinzubringen. Um den König zu diesem Schritt zu bewegen, an dessen Gelingen der Regent unfehlbar sein Interesse hatte, da zugleich seine Tochter, Mademoiselle von Montpensier, den Prinzen von Asturien erhalten sollte, wählte er sich zwei Vertraute, die gegen den ihm feindlich gesinnten militärischen Erzieher des Königs, Marschall von Villeroi, der gegen diese Heirat Einspruch tun konnte, wirken sollten. Die Vertrauten waren Herr le Duc, der Oberaufseher der königlichen Erziehung, und Herr von Frejus, der geistliche Erzieher des Königs. Beide wurden durch die vertraulichen Mitteilungen, die der Regent ihnen machte, gewonnen. Anfangs schien der Plan mißglücken zu wollen, denn nichts war imstande, den König zu irgendeiner Willensmeinung zu bringen, er beharrte auf einem undurchdringlichen Schweigen; dann endlich, in einer Sitzung des Regentschaftsrates, erklärte er seine Einwilligung, die kleine Infantin zu heiraten. Sogleich nach diesem mit Mühe erhaltenen Konsens erschien der Herzog von St. Simon am Hofe zu Madrid, um in aller Form um die Prinzessin anzuhalten, die ihm bewilligt wurde. Frau von Ventadour erhielt die Stelle der Erzieherin der jungen Prinzessin und wurde gleichfalls nach Madrid geschickt, um sie von dort abzuholen. Zu gleicher Zeit überschritten beide Prinzessinnen die Bidossoa-Brücke, bekanntlich die Grenzscheide von Frankreich und Spanien, die kleine Infantin kam nach Frankreich, die Prinzessin von Montpensier ging nach Spanien.


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