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Der Abschied von Georg

Trotzdem der Prinz die Weiber nicht liebte, konnte er doch keine Stunde ohne sie sein; aber sie gewannen nie einen Einfluß über ihn. Nie sprach er in Geschäften mit einem Weibe, nie ließ er sie teilnehmen an seinen Sorgen und seinen Pflichten. Seine Mutter wäre die einzige gewesen, der er eine solche Teilnahme zugemutet hätte, sie aber wollte davon nichts wissen. »Ich werde alt, ich liebe die Ruhe,« pflegte sie zu sagen, »wozu mich in die Geschäfte mischen?« Dasselbe sagte sie allen, die da kamen, sie um Verwendung beim Regenten zu bitten, sie erfüllte kein einziges dieser Gesuche, daher gewöhnte sich der Schwarm von ihrer Schwelle weg, denn er wußte, dort war nichts zu finden.

Gleich nach dem Tode des Königs war sie nach St. Cyr zur Frau von Maintenon gegangen. »Ha! Was wollen Sie bei mir?« hatte die Frau gesagt bei ihrem Eintritt.

»Madame,« hatte sie erwidert, »nichts will ich, als meine Tränen mit den Ihrigen mischen, denn Ihnen ist ein Mann gestorben, den Sie geliebt haben.«

»O, was das betrifft,« rief die alte Dame, »so hat er Sie ebenfalls geliebt.«

»Er hat mir Gerechtigkeit widerfahren lassen, trotzdem man sich auf alle Weise bemüht hat, sein Herz gegen mich aufzubringen.«

»Es ist möglich, doch weiß ich davon nichts.«

»Genug! Über seiner Asche sei Friede. Ich reiche Ihnen die Hand zur Versöhnung, Madame.«

Sie reichte ihr die Hand. Frau von Maintenon gab ihr die ihrige, kalt und gleichgültig.

So trennten sich zwei Frauen, die einander dreißig Jahre hindurch redlich gehaßt hatten, und von denen die eine die stete Verfolgerin der andern gewesen war, um sich nie wiederzusehen. Frau von Maintenon verließ St. Cyr nicht, dort ist sie dann auch nach einigen Jahren gestorben. »Daß sie jetzt starb,« schrieb nach ihrem Tode die Herzogin an eine Freundin, »daran liegt nichts, aber sie hätte vor zwanzig Jahren sterben sollen, welch ein Unglück wäre dadurch Frankreich erspart worden!«

Noch einen herben Kummer hatte Frau von Maintenon zuvor erlebt: die vereitelte Verschwörung, die ihr Liebling, der Herzog von Maine, anzettelte, um den Regenten zu stürzen. Man sagt, dies sei der Grund ihres Todes gewesen, denn sie hatte gehofft, durch den Herzog von Maine, wenn er Regent geworden, wieder ans Ruder der Geschäfte zu gelangen; ein ehrgeiziger Plan, der sie nie verließ.

Indem wir diese Verschwörung später mitteilen wollen, nehmen wir jetzt Gelegenheit, von einem Ereignis zu sprechen, das damals Paris in Aufregung brachte; es war dies der Besuch des Zaren Peter. Schon bei dem verstorbenen König hatte sich dieser Fürst anmelden lassen, war aber mit Höflichkeit ferngehalten worden, weil Ludwigs Alter, wie auch die Zerrüttung seiner Verhältnisse und die Trübseligkeit des Hofes ihn verhinderten, mit dem gewohnten Glanze aufzutreten, um den Zaren von Rußland zu empfangen. Jetzt sollte dieser Besuch vor sich gehen. Peter, der gebildeten Welt bekannt durch seine Anstrengungen, seine Russen zu zivilisieren, durch sein eigenes arbeitsvolles Leben mit der Zimmermannsaxt in Holland, dann durch den Krieg mit Karl XII., war ein Gegenstand der Neugier geworden für die Pariser Damenwelt. Er kam und fand nur teilweise Beifall. Die meisten Damen begnügten sich, ihn anzustaunen, wie man ein fremdes Wunder aus entfernten Zonen anstaunt. Der Regent ließ ihm überall auf seiner Reise königliche Ehren erweisen und empfing ihn in Paris mit vieler Auszeichnung. Der Zar war ein großer, stark gebauter Mann mit ausdrucksvollen Zügen, die nur zuweilen den Ausdruck der Grausamkeit annahmen, wenn irgendetwas geschah, was gegen seinen Willen war. Erstaunt, daß so viel Besucher kamen, um ihn zu sehen, beachtete er sie sämtlich nicht, sondern gab seinen Wunsch zu erkennen, den König zu sehen. Er gab offen zu verstehen, daß er nicht eher ausgehen und sich Paris ansehen würde, als bis ihm Seine Majestät seinen Besuch gemacht hätte. Man zögerte nicht, seinen Wunsch zu erfüllen. Der siebenjährige König erschien, wurde vom Zaren empfangen, der ihm bis an den Hof entgegenkam und ihn durch tausend Liebkosungen überraschte. Am folgenden Tage erwiderte der Zar seinen Besuch. Es war ausgemacht, daß der König ihn empfangen sollte beim Aussteigen aus der Kutsche, allein kaum hatte der Zar das Kind in der Vorhalle der Tuilerien erblickt, als er hinzulief, es auf seine Arme nahm und hinauf in seine Gemächer trug. Der Verlauf der Visite war derselbe wie am vorigen Tage. Die Zimmerreihe im Louvre, die die Königin bewohnt hatte, war ihm eingeräumt, doch er hatte sie zu kostbar eingerichtet gefunden und war in einen Mietswagen gestiegen, um sich anderswo eine Wohnung auszusuchen.

Nachdem er sich Paris besehen, kam er auf den Einfall, sich auch St. Cyr zu betrachten. Man sagte ihm, daß die Bewohnerin dieser Räume, da es noch früh war, schlafe. Er drang dennoch ein und verfügte sich in das Schlafzimmer der Frau von Maintenon, die im Bette lag. Er lüftete die Vorhänge des Zimmers, zog die des Bettes auseinander und betrachtete die Dame, ohne ein Wort des Grußes oder der Entschuldigung zu sagen. Alsdann ließ er die Vorhänge wieder fallen und entfernte sich.

Das Grab des Kardinals Richelieu machte besonderen Eindruck auf ihn. Er küßte das marmorne Gesicht dieses berühmten Meisters und rief aus, daß er ihm die Hälfte seines Reiches geben würde, wenn er ihn lehren wolle, die andern zu regieren. In der Münze beschäftigte man sich, eine Medaille zu schlagen, die sein Bild mit einer passenden Unterschrift trug, eine ihm sehr angenehme Artigkeit. Zu den wenigen Damen, die er besuchte, gehörte auch die Herzogin. Dies hatte einen besonderen Grund. Mit dem Chevalier von Cregui, dem Oberstallmeister des Regenten, der beauftragt war, den Kaiser an der Grenze zu empfangen, war auch Georg bei seinem Eintritt in das Königreich gegenwärtig. Der Kaiser hatte sogleich eine große Zuneigung zu Georg an den Tag gelegt. In seinem gebrochenen Deutsch, das er zu sprechen pflegte, wenn er guter Laune war, hatte er zu ihm gesagt: »Du gefällst mir! Du bist ein guter General, willst du in meine Dienste treten?« Georg hatte auf diesen raschen Vorschlag ausweichend geantwortet und, als der Kaiser zudringlicher wurde, ihn an die Herzogin verwiesen als an diejenige Person, die hierin zu entscheiden habe. Peter hatte sich dies gemerkt, und als seine Visiten zu Ende waren, ließ er sich nochmals bei der Herzogin melden, zu der er, mit Georg an der Hand, eintrat. Charlotte empfing ihn etwas verwundert, ihn so eintreten zu sehen, und begrüßte ihn nochmals, da sie ihm schon eine förmliche Abschiedsaudienz gegeben hatte.

Der Kaiser war sehr guter Laune. Er eilte auf die Herzogin zu, schloß sie in seine Arme und rief: »Da siehst du mich noch einmal bei dir! Ha, willkommen! Was sagst du dazu? Ich komme, dich um etwas zu bitten! Ein Zar von Rußland bittet selten, es muß ihm also gewährt werden.«

»Was wünschen Eure Majestät von mir?« fragte die Herzogin.

»Nichts Geringeres als dieses Männchen!« erwiderte er. »Gib ihn mir, oder vielmehr erlaube, daß er mit mir zieht und mir in meinen Geschäften hilft.«

Georg lächelte zu dieser sonderbaren Bitte.

Charlotte sah ihren alten Freund mit Bekümmernis an. Sie sollte ihn also wieder verlieren, und zwar nach Rußland, einem Lande, von dem man so wenig wußte, dessen Herrscher zwar selbst darum bat, aber dieser Herrscher war eine so seltsame, fast närrische Erscheinung, daß er einer deutschen Prinzessin wenig Zutrauen einflößen konnte. Seit seinem letzten Aufenthalt in Hannover hatte Georg eine Reise nach Wien gemacht und sich dort, in Betreibung seiner Angelegenheit, lange Zeit aufgehalten. Aus seiner Anerkennung und Feststellung seines Ranges war indes nichts geworden, teils weil die Kriegsverhältnisse dazwischengetreten, teils auch weil der Minister, der die Angelegenheit in Händen hatte, gestorben war. Man hatte ihn auf den neuen Kaiser vertröstet, doch war es noch nicht gelungen, diesen für die Sache günstig zu stimmen. In diesem widrigen Zufallsspiel hatte sich Georg unmutig von Wien wieder nach Paris zurückgewendet und war jetzt ein Jahr hindurch wieder im Dienst seiner herzoglichen Cousine tätig. Doch sah man es ihm an, wie gern er auf eigenen Füßen zu stehen beabsichtigte, und wie daher der Vorschlag des Zaren ihm willkommen war. Derselbe fuhr fort die Herzogin auf seine Weise zur Einstimmung zu überreden.

»Du bist ein altes Mensch,« sagte er, indem er vertraulich die Hand der Fürstin faßte, »was willst du noch an irgend jemand besonders hängen, den du doch bald wirst verlassen müssen? Zar bittet, willst du ihn mit abschlägiger Antwort fortschicken? Sieh mal, der Graf soll es sehr gut bei mir haben! Der heilige Michael soll mich strafen, wenn ich dir nicht die Wahrheit sage, und wenn es ihm nicht gefällt, so läßt Zar ihn wieder gehen und gibt ihm auch Geld dazu. Meine Völker haben nötig deutsche Zuchtmeister, die sie brav zusammenprügeln, dann geht's gut; ein solcher soll der Prinz von der Pfalz sein.«

»Ach, dazu ist er gar nicht geschaffen!« rief Charlotte. »Zum Prügeln taugen unsere deutschen Fürsten überhaupt nicht.«

»Sage das nicht, sie lernen es!« rief der Zar. »Soll eins noch so weichmütig sein, kommt nach Rußland, prügelt! Ich will dir für deine Erlaubnis ein schön Kleid von Perlen schicken, das laß dir anziehen, wenn du dich begraben läßt. Da wirst du im Himmel große Freude machen. Nur mußt du Wachen bei deinem Sarge stellen, sonst kommen die Spitzbuben und stehlen dir das Kleid und lassen dich nackend liegen. So ist's meiner Mutter gegangen, die in Kasan beigesetzt wurde. Ich habe die Täter zu Tode knuten lassen. Nun, was meinst? Schneide doch kein solches Gesicht, wenn du Zar gegenübersitzest. Ich werde nicht eher von dir fortgehen, als bis du mir das Jawort gibst.«

»Der Graf von der Pfalz kann selbst entscheiden!« rief die Prinzessin. »Ich will ihm an seinem Glücke nicht hinderlich sein.«

»Nun, Männeken, entscheide!« rief der Kaiser und schlug Georg so herzhaft auf die Schultern, daß dieser unwillkürlich zusammenzuckte.

»Ich gehe mit!« rief er. »Doch müssen mir Eure Majestät erlauben, meine Bedingungen besonders aufzuschreiben.«

»Schreibe, soviel du willst. Mein Kanzler wird es in seinen Reisesack stecken,« rief Peter. »Ich habe viele solche Skripturen bei mir. Und nun ernenne ich dich zu meinem General und hänge dir meinen Orden um.«

Mit diesen Worten löste sich der Fürst ein Ordenszeichen vom Halse und hing es Georg um, der ihm dafür die Hand küßte, vom Kaiser aber umarmt und auf beide Wangen geküßt wurde.

Die Herzogin lachte.

»Lache nicht, alte Närrin!« rief der Kaiser gutmütig. »Das ist eine heilige Handlung, die ich eben begehe, eine Ordensverleihung. Jetzt will ich mir auch bei dir bedanken, deutsche Fürstin,« fügte er hinzu, schloß die Herzogin in die Arme und drückte ihr einen Kuß auf die Wange.

»Eure Majestät werden erlauben, daß ich von meinem teuren Bruder und Landsmann noch besonders Abschied nehme,« rief die Herzogin. »Ich weiß nicht, ob ich ihn in diesem Leben noch wiedersehe.«

»Da hast du recht, Mütterchen! Ich will dir etwas sagen: komm mit!«

»Wie ginge das?« rief die Herzogin erschreckt und erstaunt.

»Warum sollte es nicht gehen?« bemerkte der Fürst empfindlich. »Glaubst du, daß es in Rußland nicht Paläste gibt? He! Ich will dir ein ganzes Dutzend bauen lassen und hundert Hofdamen sollst du haben. Hier bist du doch ein unnützes Möbel! Eine Frau ohne Mann, die keine Kinder mehr bekommen kann, ist zu nichts nütze. Dann bleibst du hübsch bei deinem Georg.«

»Und wo ließe ich meinen Sohn?« fragte Charlotte.

»Der Regent? He! Er wird schon ohne dich fertig werden. Glaubst du, daß ich mir viel aus meiner Frau Mama gemacht habe? Ins Kloster habe ich sie gesteckt! He, wie gefällt dir das?«

Da sein Vorschlag, die Herzogin zur Mitreise zu bewegen, nicht angenommen wurde, begnügte er sich, seinen Generalen, wie er Georg nannte, fürs erste allein fortzunehmen. Er ging, indem er zwei Russen von Ansehen zurückließ, die auf Georgs Befehl zu achten bestimmt waren. Die Abreise sollte jetzt eilig vor sich gehen, da Paris für ihn nun nichts mehr Sehenswertes bot.

Der Abschied von der Herzogin war so rührend, daß Georg sich halb bewogen fühlte, den ganzen Plan mit der Reise aufzugeben. »Wenn ich nur irgend sähe,« rief er, »daß ich hier zu etwas käme, und wenn mir die Franzosen nicht so sehr verhaßt wären, so würde ich noch bleiben, solange es Euch gefiele. Aber hier mit Widerwillen und ohne Zweck verharren, nach Wien ohne alle Aussicht zurückkehren – alles das ist meiner Natur so zuwider, daß ich nur die übelsten Folgen voraussehe, wenn ich bleibe. Mich verlangt nach einem Felde geregelter Tätigkeit, das bietet sich mir jetzt. Ergreife ich es nicht, wer weiß, ob es jemals wiederkommt. Der Kaiser ist eine rohe, aber ehrliche und brave Natur, er hat mich liebgewonnen, ohne daß ich gerade viel dazu getan habe, die Macht, mich ehrenvoll zu beschäftigen, hat er sicherlich, und – daß ich es nur offen gestehe – weit von Paris ist auch weit von meinem Mißgeschick, denn wie könnte ich jemals Euer Unglück, Cousine, das Ihr so männlich getragen habt, und das Unglück unseres beiderseitigen Vaterlandes, der armen Pfalz, vergessen!«

»Du guter Georg,« rief Charlotte, »ja, du hast recht! So ziehe denn hin. Treu bleiben werden wir einander immer, und die paar Jahre, die wir noch zu leben haben, werden wir uns auch nicht fremd werden, wenn wir uns auch nicht täglich sehen. Erwirb dir dort einen geachteten Namen, gewinne in der Kriegslotterie ein großes Los, das übrige wird sich dann von selbst finden.«

So zog denn Georg nach Rußland.


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