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6
Das Abenteuer im Walde

Wenn der Hof sich in dem Lustschlosse Herrnhausen befand, so war die Etikette aufgehoben, und es war erlaubt für die jungen Damen, allein oder in Begleitung Spaziergänge zu machen, allerdings nur im engern Bezirk des Gartens und der Anlagen. Elisabeth Charlotte jedoch erklärte in ihrem Sinne diese Anlagen für sehr ausgedehnt, und so geschah es denn öfters, daß sie in Gesellschaft ihrer zwei Lieblingshunde, die sie großgezogen und die ihr auf das treueste anhingen, bis weit über das nächste Dorf hinaus sich am Ufer des Flusses, und weiter hinaus bis in das Innere einer Waldung verlor, die die Südseite des fürstlichen Lustschlosses umgab.

Es war an einem heißen Julitage, als die Prinzessin, die weit über die Mittagstunde hinaus herumgestrichen war, Hunger zu empfinden anfing und sich somit nach einer Wohnung umsah, wo sie für Geld und gute Worte ein ländliches Mittagsmahl einzunehmen hoffen konnte. Das Dorf hatte sie bereits hinter sich gelassen, dahin umzukehren schien ihr nicht tunlich, sie hoffte an der Grenze der Waldung eine Köhlerhütte anzutreffen und schritt deshalb der frischen Kühlung der Baumschatten zu. Im Walde angelangt, sah sie zwei Wege vor sich, es fragte sich, welchem von diesen sie sich vertrauen sollte. Der eine war breit, ausgefahren und schien in irgendeine Besitzung zu führen, die jenseits des Waldes, also sehr weit entfernt lag, der andere war klein, eng und schien ein Fußweg für Wanderer zu sein. Diesen wählte die Fürstin und wandelte nun gemächlich, umrauscht von hohen Fichten und Erlenbäumen, mit ihren zwei Hunden auf dem Pfade immer tiefer in den Wald hinein. Bald war sie so weit gekommen, daß, entfernt von jeder menschlichen Wohnung, nur die Einsamkeit des Forstes sie einschloß. Die Sonne fing an zu sinken, die Prinzessin wanderte noch immer.

Endlich blieb sie stehen und blickte sich um. Rings Waldesschatten und das ferne Klingen und Rauschen jener geheimnisvollen Töne, die man oft im Walde hört, ohne sich erklären zu können, von wo sie kämen. Die Sonne warf ein Streiflicht durch eine Gruppe alter Fichten, die am Wege standen, und beleuchtete einen Baumstamm, der am Boden lag und gleichsam eine natürliche Bank bildete, auf der die Fürstin sich niederließ. Ihre Hunde lagen zu ihren Füßen, sie sang mit heller Stimme eines jener kleinen Lieder, die sie noch aus der Kinderstube kannte, und die in einfachster Weise die Schönheit einer lieblichen Gegend priesen. Sie hatte den dritten Vers kaum begonnen, als ein Geräusch in ihrer Nähe hörbar wurde. Die Hunde schlugen an, und sie wandte sich, um zu sehen, was es sei.

Ein Mann, in einem einfachen, grauen Rock, stand nicht weit an einem Baum und hörte ihr zu. Das Gesicht dieses Mannes übte eine besondere Anziehungskraft auf das überraschte Mädchen; es war ernst, würdig, und im Schmucke der ergrauten Haarlocken und Brauen konnte es dem Bilde eines jener Eremiten, die ehemals sich in Wäldern niederließen, zum Muster dienen. Aber die Kleidung war nicht die eines Einsiedlers; sie zeigte Spuren von der Arbeit eines Handwerkers. Ein großes Schurzfell machte sich über dem grauen Rock breit, und im Gürtel sah man einen Hammer und eine Zange stecken.

Er blickte unverwandt auf die Sängerin, die längst aufgehört hatte zu singen, und nickte mit dem Kopfe wie jemand, der zufrieden war mit dem, was er gehört hatte.

»Mein Kind, wo hast du dieses Lied her?« fragte er, indem er dabei ein wenig seine Mütze zum Gruße lüftete.

Die vertrauliche Art der Ansprache befremdete die Prinzessin, doch nahm sie sich zusammen und sagte kurzweg: »Von meiner Amme.«

»Alsdann muß deine Amme aus Schwaben oder aus der Pfalz sein.«

»So ist es auch.«

»Denn hierzulande«, fuhr er fort, »singt man diese Weisen nicht. Bist du aus Schwaben?«

»Aus der Pfalz,« erwiderte die Prinzessin.

»Die Gegend?« fragte er weiter.

»Aus Heidelberg.«

»Ach!« rief er, »da wünsche ich dir Glück, mein Kind. Nirgends wohnt sich's besser als in der uralten Stadt, deren Namen du eben genannt hast und die der schöne, prächtige Neckar durchfließt. Einst durfte ich auch dort wohnen und zählte viele Bekannte und Freunde. Wo ist jetzt der Herr der schönen Feste, oben auf dem Berge? Der kurfürstliche Stuhl war einige Zeit unbesetzt.«

»Du sprichst von früheren Zeiten, Alter!« rief Charlotte plötzlich lebhaft, »jetzt ist der gnädige Herr Karl Ludwig Herr des Landes und auch der Feste. Gar herrlich wohnt sich's da, dessen kannst du versichert sein, und ich hätte an deiner Stelle das schöne Land nicht aufgegeben.«

»Verhältnisse!« erwiderte er trocken und sah vor sich hin.

»Wer bist du?« fragte die Prinzessin.

Er sah sie an und nach einer Weile antwortete er: »Ich bin der Waldschmied; meine Wohnung liegt nicht weit von hier.«

»So erlaubst du, daß ich mit dir gehe,« rief das ermüdete Mädchen. »Mich hungert und du hast vielleicht etwas Eßbares bei dir zu Hause.«

»Gewiß habe ich das,« erwiderte er lächelnd. »Ihr Stadtjungfern seid alle etwas verwöhnt, es fragt sich nur, ob das, was ich dir biete, dir genügt.«

»Es wird schon; bringe mich nur in deine Behausung.«

Sie erhob sich, faßte den Arm des Schmiedes, und beide machten sich auf den Weg. Die Hunde folgten. »Also du kennst Heidelberg, Alterchen?« fragte Charlotte im Gehen.

Der Schmied antwortete nur durch ein stummes Nicken mit dem Kopfe; er schien es nicht zu lieben, während des Gehens zu sprechen. Er sah sich öfters nach den Hunden um: »Werden sie sich auch mit meinem Roland vertragen?« fragte er halb für sich. »Ich liebe nicht, daß Menschen oder Tiere sich innerhalb meiner Wohnung beißen und zanken. Ich habe oft genug, als ich noch in der Welt lebte, den Versöhner spielen müssen und möchte es jetzt nicht wiederholen.«

»Wenn der Roland nur halb so artig ist wie sein Herr, so macht er willig den beiden Fremdlingen Platz, die bescheiden und friedfertig sind,« bemerkte Charlotte.

»Du weißt dein Wort hübsch zu setzen!« sagte der Mann mit Wohlgefallen. »Aber das lernt man bei euch, ich weiß das. Sieh, da liegt mein Besitztum; es ist hübsch, nicht wahr?«

Als man um den Vorsprung einiger dichter Bäume hervortrat, sah man eine niedrige Hütte vor sich liegen, umgeben von zwei Häusern ähnlicher Bauart. Die Fenster des Gebäudes waren mit wildem Wein fast ganz überwachsen, ebenso die Tür, die offen stand und wo auf einer Bank ein Knabe saß und Netze strickte. Seitwärts war eine aus wenigen Stämmen gebildete Vorkehrung getroffen, um Pferde daran zu binden, die beschlagen werden sollten. Es stand gerade eines daran, das ein breitschultriger Knecht mit neuen Eisen versah.

»Also du bist wirklich nichts als ein Schmied!« sagte der Gast mit einiger Entmutigung. »Ich glaubte immer dein Schurzfell sei nur Maske.«

»Hier gibt es keine Masken!« sagte der Mann plötzlich verdrießlich. »Wenn du mein Gast sein willst, so laß den Plunder, von dem du kommst, weit hinter dir.«

»Den Plunder?« rief die Prinzessin. »Seht doch, ich komme vom kurfürstlichen Hofe.«

»Und kämst du vom Kaiser,« entgegnete der mißgestimmte Schmied. »Für mich ist alles Plunder. Setze dich auf diese Bank, ich bringe dir etwas. Zu deinem Glück ist Roland nicht zu Hause, sondern mit meinem Knecht im Forste. Hier ist Käse, hier ist Brot! Was willst du mehr?«

Charlotte dankte. Der Diener hatte unterdessen seine Arbeit vollendet und brachte das Pferd in den Stall.

»Das ist ein schöner Fuchs,« bemerkte die Prinzessin. »Gehört er dir?«

»Er gehört dem Manne, der hier seine Pferde beschlagen läßt.«

»Ist er vom Hofe?«

»Es mag sein. Ich frage die Leute nicht, woher sie sind,« entgegnete der Schmied.

»Du wohnst schon lange hier?« fragte sie.

Der Mann sah auf, machte ein finsteres Gesicht, das sich jedoch bald wieder glättete, und rief, indem er das Messer erhob, drohend: »Kleiner Naseweis!«

»Das ist zum erstenmal, daß ich so genannt werde,« sagte die Prinzessin scherzend. »Wenn ich das Mutter Uffeln erzähle, wird sie lachen. Nun, alter, spaßhafter Mann, was bin ich dir schuldig für deine Butter und den Käse? Mehr als einen halben Taler darfst du nicht fordern, denn mehr habe ich nicht bei mir.«

»Ich will nichts!« entgegnete er bestimmt. »Du sollst mir nur jenes Lied nochmals singen, das ich dich im Walde singen hörte.«

»Gern.« Und sie setzte sich wieder hin und sang mit heller Stimme das kleine, kindische Liedchen. Es lag so viel Natur und Einfachheit, so viel Frische und kindlicher, froher Sinn in dem Klang und der Weise der Sängerin, daß es jedermann erfreuen mußte, der es hörte. Unvermutet sang der alte Mann mit, und er führte das Lied endlich ganz zu Ende; sogar wußte er die Strophen, die Charlotte vergessen hatte.

»Alter Graubart!« rief sie, »wie du prächtig singen kannst.«

Er sah sie an und lachte.

»Jetzt muß ich gehen; sonst komme ich nicht vor Dunkelwerden nach Hause, und Frau Uffeln bekommt meinetwegen Schelte. Daß ich wiederkommen kann, erlaubst du doch?«

»Ja, aber nur Freitag und Sonnabend nicht, da würdest du mich nicht finden,« sagte der alte Mann, der in diesem Augenblicke wie ein alter Herr aussah, so prächtig, so stattlich, mit einem so würdigen Ausdruck im Gesicht. Charlotte konnte nicht umhin, ihm ihren wahren Stand zu nennen. »Weißt du auch, Alterchen, wer ich bin?« sagte sie, »ich bin die Tochter des Mannes, der jetzt im Heidelberger Schlosse und im ganzen pfälzischen Lande herrscht.«

»So?« erwiderte er trocken.

Charlotte, die gemeint hatte, er würde außer sich vor Entzücken sein, eine Prinzessin bewirtet zu haben, fand dieses »So?« sehr unverschämt, und sie wendete sich von ihm mit Widerwillen ab. Als er Miene machte, sie zu begleiten, rief sie herrisch: »Bleib, alter Flegel! Ich werde mich schon allein fortfinden.«

Und so ging sie den Pfad, den sie gekommen und der sie wohlbehalten bis an das Dorf führte, das dem Lustschlosse zunächst lag. Dort fand sie schon die Prinzen Georg und Max, die beide auf sie warteten und sie mit Freuden begrüßten. Tante Sophie war böse und sagte, sie solle nie wieder allein ausgehen; aber Charlotte wußte, daß es nicht so gemeint war. Sie erzählte von dem Waffenschmied, und man schien sich eben nicht sehr über diese Erscheinung zu wundern. Der Schmied Hubert war seit Jahren in der Gegend bekannt, obgleich er nie an den Hof gekommen war und nur selten die Waldgrenze überschritten hatte.

Nach Verlauf von zwei Wochen, als die Gesellschaft sich wieder bereit machte, das Lustschloß zu verlassen, schlich sich Charlotte nochmals in den Wald. Sie hatte ihre Hunde zu Hause gelassen und kam leise an die Wohnung heran, in deren Umkreis sie alles öde fand. Schon wollte sie umkehren, als sie plötzlich den Schmied bemerkte, im Gespräche mit – ihrem Onkel, dem Kurfürsten. Beide Männer hatten ihr den Rücken gekehrt. Der Kurfürst schien sehr vertraulich mit dem Schmied zu sein, und dieser gleichfalls mit dem Herrn. Als sie voneinander Abschied nahmen, umarmten sie sich, und sie hörte den Schmied sagen: »Lebe wohl, Bruder! Gottes Segen über dich und dein Haus!«

Sie war höchlich verwundert über das Erschaute und Gehörte; sie hielt es für einen Traum, so unwahrscheinlich kam es ihr vor, daß ihr stolzer Onkel dem einfachen Mann im Walde auf solche Weise begegnete. Als sie sich nach Hause schlich, um der Tante das Geschehene mitzuteilen, sagte diese lächelnd: »Du wirst dich geirrt haben. Seine Liebden sind den ganzen Tag nicht aus dem Hause gewesen, sie sind in ihrem Kabinett und unwohl.«


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