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Charlotte brachte ihre liebe Rätin aus deren Gemächern zu sich herüber. »Komm, liebes Mütterchen!« rief sie, »ich habe dir etwas zu sagen.«
Die Rätin folgte. Sie wußte, es war wieder eine Klage. Sie sah die Prinzessin an, sie war mit dunkler Glut bedeckt, ihr Busen arbeitete heftig: diesmal mußte es etwas Wichtiges sein.
Beide Frauen saßen sich gegenüber. Die Zimmertür war abgeschlossen.
»Sieh mich bereit, diesen Hof zu verlassen,« hub die Herzogin an.
Die Rätin tat, als hörte sie einen Scherz.
Die Fürstin wiederholte den vorigen Satz.
»Aber, liebes Lottchen, teures Prinzeßchen!« rief endlich kopfschüttelnd die Alte; »wie soll ich das verstehen? Verläßt man auch so mir nichts dir nichts einen Hof? Und wohin sollen wir uns wenden?«
»Gleichviel, wohin!« rief die Prinzessin in Tränen ausbrechend. »Zu meinen Eltern darf ich nicht, so laß uns denn zu meiner Tante ins Kloster.«
Die gute Frau schüttelte das Haupt. »Was ist denn vorgefallen?« fragte sie, mit besorgten Blicken in das Antlitz ihres geliebten Kindes schauend.
»Ich bin beschimpft!« rief die Gefragte, »beschimpft, wie man nur beschimpft werden kann.« Die Rätin fragte weiter und endlich, in Bruchstücken von Tränen und Verwünschungen unterbrochen, erfuhr sie die Geschichte der Nacht. Auch sie fand die ganz tollkühne, seltsame Unternehmung im höchsten Grade beschimpfend für die Ehre der Prinzessin, und es war ihr nur lieb, als sie vernahm, daß die Klugheit Charlotte bewogen hatte, den Prinzen nichts von dem merken zu lassen, was in ihr vorging.
»Aber, teures Kind,« hub sie nach einer Pause an, »bist du deiner Sache auch ganz gewiß?«
»Teure Mutter,« rief die Prinzessin unter Tränen, »ich war ja schon ganz bereit, die schimpfliche Zusammenkunft auf ein Spiel des Ungefährs zu schieben! Ich bat ihn ja um Verzeihung wegen des Stoßes, den ich ihm gegeben, da kam der Prinz, und das kurze Gespräch, das er mit dem jungen Wüstling hatte, und von dem er nicht ahnte, daß ich es anhörte, belehrte mich eines anderen. Also preisgegeben war ich! Hingeopfert dem Schelmenstück eines frechen Burschen von noch nicht ganz siebzehn Jahren! Es hätte gelingen können, was dann? Die Zügellosigkeit dieses Menschen ließ alles befürchten.«
»Da kenne ich Euch!« rief die Rätin. »Zwölf Männer bringen nichts bei Euch zuwege, sprecht nicht so! Ihr wollt mich nur ängstlich machen.« –
»Gut!« rief die Prinzessin. »Ich bin ein deutsches Mädchen! Es ist wahr! Ich weiß die Kräfte zu brauchen, die ich von der Natur erhalten. Du hast recht! Man hätte mich erst in Stücke reißen sollen, ehe ich um die Breite eines Haares gewichen wäre! Aber er! War es nicht sein Wille, seine Absicht, daß ich hätte weichen sollen?«
»Ich kann es mir nicht denken,« beschwichtigte die Rätin. »Das Ganze war ein Scherz! Und noch ist es zweifelhaft, ob er wirklich darum gewußt hat?«
»O, davon bringt mich niemand ab!« rief die Prinzessin.
»So vergib es! Tu so, als wäre, was geschehen, ein kecker, unerlaubter Spaß gewesen. Es wird nicht wieder geschehen. Die Art, wie du dich benommen, ist die richtige gewesen,« rief die Rätin. »Die Drohung mit dem König war am Platze. Der Herzog fürchtet und respektiert den König wie einen Vater. Damit kannst du ihn im Zaum halten. Aber ich bitte dich, nichts vom Davongehen! Um Gotteswillen, nur das nicht! Wir armen Frauen müssen viel ertragen, und man muß uns erst viel bieten, ehe wir weichen. Ich könnte dir Geschichten erzählen, besonders von Ehemännern, die sie an ihren jungen Weibern probierten. Das Geschlecht ist zu wild und zu gewohnt zu herrschen. Wir kommen erst nach und nach, und indem wir immer dieselbe Tugend der Geduld und Klugheit üben, zur Herrschaft! Er weiß nun, was er an dir hat, daß du auf diese Weise nicht mit dir spielen läßt; er wird es fein bleiben lassen, dich zum zweiten Male in Zorn zu bringen. Auch der junge Mensch weiß es, denn eine Ohrfeige ist eine sehr deutliche Sprache.«
»Frechheit über Frechheit!« rief die Prinzessin. »Was hätte nun kommen sollen, wenn das Bubenstück gelungen wäre! Glaubte er mit einem Weibe leben zu können, das gleich so anfängt? Wollte er mich loswerden? Wollte er mich beim Könige verklagen? Gott weiß es! So viel aber ist mir klar: mit diesen Menschen muß man eine feste, sichere Sprache führen. Wenn ich an diesem Hofe bleibe, so soll man mich kennenlernen.«
»Da sage ich Amen dazu!« rief die Rätin. »Tu, was dir gut dünkt, es wird stets das Richtige sein, nur laß das Weggehn bis zuletzt, wenn alle Stricke reißen.« –
Es wurde an die Türe geklopft, die Rätin öffnete. Georg trat herein.
Die Prinzessin flog auf ihn zu. »Mein guter Georg!« rief sie, »was ist dir? Weshalb siehst du so aufgeregt aus?«
»Nichts von Bedeutung!« rief der junge Mensch. »Ich komme, um Euch um Erlaubnis zu bitten, zum Herzog zu gehen: er hat mich rufen lassen.«
»Zum Herzog? Nun, so geh!« rief die Prinzessin.
Der Jüngling stand einen Augenblick zweifelhaft, dann sagte er: »Ich will bekennen, es würde mir lieb sein, wenn Ihr es mir verbötet.«
»Wie kann ich das!« rief Charlotte. »Geh, mein Junge. Wer weiß, was mein Gemahl dir zu sagen hat?«
»Es ist nichts,« erwiderte der junge Graf, »und ich werde von einem wichtigen Gange abgehalten. Wahrlich, sagt, daß Ihr mich irgendwohin gesendet habt. Es wird Euch ja so leicht, und mir tut Ihr einen großen Gefallen.«
»Du hast einen Gang vor?« fragte die Prinzessin. »Was soll das bedeuten?«
»Nun denn, wenn ich es doch sagen muß, ich will dem eitlen Prahlhans, dem Chevalier von Lorraine, eine kleine Lehre geben, mit einem deutschen Degen!« rief Georg.
»Dem Chevalier von Lorraine?« fragte Charlotte erglühend, »warum gerade dem? Sprich, warum gerade diesem?«
»Weil er – weil er,« stotterte Georg, »weil er sich brüstet, von Euch eine Gunstbezeigung erhalten zu haben. Mir ist das Bürschchen zuwider.«
»Ach, Georg! Und das glaubst du?« rief die Prinzessin lachend. »Welch eine Torheit von dir, mein Freund! Nun geh und tu, was du willst!«
»Ich weiß, daß der Affe nur Lügen spricht!« sagte Georg; »aber diese Lüge soll niemand hier am Hofe von Euch sprechen! Niemand, solange ich lebe! Was wäre ich, wenn ich das litte! Ihr steht hier allein, sie sind Euch alle nicht wohlgeneigt! Ich habe es gemerkt, niemand ist, der Eure Partei nimmt. So will ich es sein. Vor meinem Degen soll jeder französische Hasenfuß sich fürchten, und wäre er selbst an den Stufen des Thrones geboren.«
Die Rätin machte eine erschreckte Gebärde und lauschte nach der Türe.
»Still, still, lieber Georg!« rief die Fürstin.
»Darum bitte ich, gebt mir einen Auftrag, so daß ich vor dem Herzog nicht zu erscheinen brauche. Irgendetwas, es wird sich ja schon finden. Denkt etwas nach!«
»Nein, Georg!« sagte die Prinzessin ernst, »ich kann dir keinen Auftrag geben. Geh zum Herzog, er wird dich nicht lange aufhalten, und dann – wie gesagt, tu, was du willst. Du verstehst die Waffe zu führen; es ist mir um dich nicht bange.«
Georg ging, nachdem er ehrfurchtsvoll eine Verbeugung vor der Fürstin gemacht. »Siehst du wohl, die kleine Schlange hat bereits gezischt!« rief Charlotte.
»Es ist wenig daran gelegen, was solch ein junger Windbeutel plaudert!« rief die Rätin. »Wir wollen tun, als wüßten wir von der Sache nichts. Du wirst sehen, es wird ohne alles Gerede vorübergehen. An diesem Hofe scheint man diese Dinge wie Spielereien anzusehen.«
»Aber ich sehe sie nicht dafür an!« rief die Herzogin. »Es hat mich einen tiefen Blick in den Charakter des Herzogs tun lassen. Häßlich an Leib und Seele!«
»Er ist dein Mann!« rief die Rätin bedeutungsvoll.
Der Herzog wartete unterdessen in seinen Gemächern auf das Erscheinen Georgs. Er saß auf dem Stuhle vor dem Spiegel. Er hatte Putz angelegt und war eben beschäftigt, sich ein weibliches Armband umzubinden, dessen Steine und Fassung ihm gefielen. Georg war eingetreten. Er ließ ihn stehen und warten, weil das Armband ihn beschäftigte.
»Teufel!« rief er aufspringend, »dieser verdammte Stein hat seinen eigenen Kopf und will nicht! Kommt, lieber Freund, und helft mir die Schnalle zumachen.«
Georg sah sich um, ob jemand da war, dem dieser Ruf gelten konnte, da er niemand bemerkte, blieb er ruhig auf seiner Stelle stehen.
»Nun, Ihr – Herr Graf! – Habt Ihr mich nicht gehört?« fragte der Herzog, groß den Jüngling anstarrend. »Ich meine doch sehr laut gesprochen zu haben.«
»Verzeihung, gnädiger Herr,« erwiderte der Jüngling, »ich wußte nicht, daß ich zu solch einem Dienste herbeschieden war.«
»Ah, Herr Graf!« nahm der Herzog mit veränderter Stimme und höflich das Wort; »es ist an mir, um Verzeihung zu bitten. Sie sind bei meiner Gemahlin angestellt; ich weiß, daß ich Ihnen nichts zu befehlen habe. Also in aller Freundschaft, lieber junger Mann, kommen Sie und helfen Sie mir dieses verteufelte Armband befestigen.«
Georg kam und tat, was man von ihm wünschte. Während er an den goldenen Ketten arbeitete, benutzte der Herzog die Zeit, ihm das Haar zu ordnen und die Wangen zu streicheln.
»Es sitzt fest, gnädiger Herr!« sagte der junge Stallmeister zurücktretend.
»Nun werden Sie mir erlauben, daß ich Ihnen als Dank das andere Armband schenke, das ich soeben abgelegt habe. Es sind kostbare Steine darin. Kommen Sie, ich will es Ihnen umlegen.« Er nahm des Jünglings Arm und machte trotz dessen Widerstreben, und ungeachtet dieser behauptete, es nicht tragen zu können, da es ein Damenschmuck sei, das Band an dem Arme fest. »Es tut nichts,« entgegnete er, »diejenigen, die ich auszeichne, tragen alle solche Armbänder von mir. Sie können die Manschette darüber machen, so sieht es niemand.«
»Eure Hoheit sind zu gütig!« bemerkte Georg mit errötendem Gesicht.
»Aber eine Bedingung ist dabei!« rief der Herzog lächelnd.
Da Georg aufhorchte, sagte er: »Diejenigen, die das Armband haben, müssen Freunde sein und in Gefahr und Tod zusammenhalten! Das ist das Gesetz meiner Ordensstiftung.«
»Ich werde mich bemühen,« stotterte der neue Ritter.
»Nicht bemühen, gleich ausführen und halten!« rief der Fürst. »Ich will Ihnen dazu die Gelegenheit geben. Lorraine!«
Die Tür des Nebenzimmers öffnete sich, und der Gerufene erschien auf der Schwelle. Die beiden Jünglinge sahen sich finster und schweigend an. Der Herzog trat einen Schritt zurück und lächelte höhnisch, indem er die Blicke der beiden beobachtete; dann sagte er: »Mein Freund Lulu! Hier ist ein neuer Ritter! Zeige ihm, daß du dasselbe Zeichen trägst, dann umarmt euch als Freunde!« –
»Gnädiger Herr, Sie werden entschuldigen!« rief Georg und wollte eine Verbeugung machen und das Zimmer verlassen. »Der Befehl meiner Gebieterin ruft mich von dannen.«
»Sie wird einen Augenblick warten!« rief der Herzog.
Die Jünglinge blieben in derselben Stellung, den Rücken einander zugewendet. Der Herzog schritt auf sie zu, wendete sie um und führte sie lachend zusammen. »Wollt ihr euch wohl einer den andern ansehen, ihr kleinen Bestien! Muß man sich so viel Mühe geben um euch! Geschwind, ich habe nicht viel Zeit, umarmt euch! Wird's bald?«
»Herr Graf!« rief Lorraine.
»Herr Chevalier!« brachte nach einer Weile der gutmütige und leicht beschwichtigte Georg hervor. »Wenn ich wüßte, daß Sie jene Äußerungen, um die es sich hier handelt, und die ich als Diener meiner Prinzessin notwendig rächen müßte, nicht getan hätten –«
»Meine Gesinnung gegen Madame«, bemerkte Lorraine mit Blicken auf den Herzog, »ist vollkommen einer Dame von so hohem Stande und so seltenem Verdienste angemessen gewesen; dies behaupte ich und besiegle es jetzt mit meinem Ehrenwort.«
»Alsdann bin ich falsch berichtet worden!« nahm Georg das Wort, »und ich eile in Gegenwart Seiner Hoheit mein Unrecht wieder gutzumachen, indem ich Ihnen, Herr Chevalier, die Hand reiche.«
Er gab redlich und offen die Rechte hin. Der Chevalier schlug nicht ein, aber er legte beide Arme um Georgs Nacken und sah über dessen Schultern hinüber. Dies galt für eine Umarmung. Der Friede war geschlossen; von Georgs Seite mit guter und treuherziger Miene, von Lorraines Seite aber mit der ihm eigentümlichen Schlauheit und Verstocktheit.
»Es ist gut!« rief der Herzog, »und nun tauscht eure Degen gegeneinander aus. So will es die Ordenspflicht.«
»Ich muß bedauern,« rief Georg, »mein Degen ist sehr einfach, der Chevalier hat, wie ich sehe, einen sehr kostbaren!«
»Er wird erst kostbar«, entgegnete der neue Freund mit einer graziösen Verbeugung, »wenn er sich an Ihrer Seite befindet. Erlauben Sie, verehrter Graf, daß ich Ihnen selbst die Waffe umschnalle.« Er tat es, und Georg befestigte dagegen seine Waffe um die Hüften des Chevaliers. Der Herzog stand dabei und lächelte äußerst zufrieden. »So ist's recht, Herr Graf!« rief er, »das macht mir Freude. Ja, wahrhaftig, so ist's! Nichts Schöneres gibt es als die Freundschaft.« Er ging, und die Freunde folgten ihm Arm in Arm. –