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Die Aktien des Mississippi

Von Law und seinem betrügerischen System wollen wir nur wenig sagen, da es eigentlich nicht hierhergehört.

Um der Finanznot zu steuern und bares Geld in die erschöpften Kassen zu leiten, war bald nach dem Tode des Königs das Edikt gegen die Steuerpächter erschienen, die sich durch Unterschleife bereichert hatten. Dieses Edikt war vom Volke mit Jubel empfangen worden, zeigte sich aber doch nicht so wirksam, wie man gehofft hatte. Eine große Anzahl dieser vollgesogenen Schelme wurde verhaftet und ihnen das Gold wieder entzogen, das sie eingeschlürft; eine nicht geringe Zahl fand aber bei dem betrügerischen Adel, der sich bereichern wollte, Schutz und Unterstützung, so daß ihr Fall und Sturz nur ein eingebildeter war und sie mit einer geringen Summe, die sie von ihrem unerlaubten Gewinne abließen, freikamen. Alsdann fand eine Umprägung des Geldes statt. Es wurde festgesetzt, daß vom Januar des Jahres 1716 die Louisdors zwanzig Livres, statt vierzehn, und die Taler fünf Livres, statt drei und einen halben, gelten sollten, dadurch gewann man eine Summe von zweiundsiebzig Millionen. Das Edikt gegen die Steuerpächter brachte hundertundsechzig Millionen ein. Wenn es in der beabsichtigten Form hätte durchgeführt werden können, würde es allerdings dreihundertsiebenundvierzig Millionen eingebracht haben.

Jetzt kam Law. Er war ein Engländer von Geburt, hatte sich schon unter dem vorigen König in Frankreich gezeigt, wo er eine Pharobank errichtete, den Leuten das Geld abgewann, dann, von der Polizei verfolgt, sich aus Frankreich nach Genf, Genua, Venedig, zuletzt nach Savoyen begab, wo er dem Herzog ein Finanzsystem vorlegte, das man jedoch abwies, weil man nicht das Geld hatte, es auszuführen. Von dort kam er wieder nach Frankreich, und der Regent nahm ihn und sein System auf. Dieses System hatte zwei Abteilungen: die Festsetzung einer Diskontobank und die Bildung einer Handelsgesellschaft, die Länder ausbeuten sollte, die als reich bekannt waren. Unter diese Landstrecken gehörte auch der Handel des Mississippi, und dieser Handel wurde unter der Firma »Westindische Kompanie« geführt. Law wurde Direktor dieser Kompanie. Jetzt fingen die Operationen an, die Frankreich an den Rand des Verderbens führen sollten. Das geprägte Gold und Silber verschwand: anstatt dessen kam eine Unzahl Bankbilletts zum Vorschein, von denen jeder sich welche verschaffte, weil sie, dem Edikt des Parlaments zufolge, unermeßlichen Gewinn versprachen. Es wurde verboten, mehr als fünfhundert Taler bares Geld im Hause zu haben. Alles schwamm der Bank zu: Paris und die Provinzen verarmten noch mehr, als sie es schon waren, indem sie sich bereichert wähnten. Um Sie Menge zu täuschen, wurden große Schenkungen gemacht, alles in Papieren; der Regent, der es verabscheute, sich zu bereichern, gab seinen Gewinn an die öffentlichen Anstalten. Das Haus des Direktors John Law in der Straße Quincampoix wurde belagert. Allein vom Januar bis zum April hatte Law, dem königlichen Edikte folgend, für zweiundsiebenzig Millionen Billette ausgegeben. Der Andrang war ungeheuer; selbst aus England, sogar aus Amerika kamen Leute, die das Aktienspiel mitspielen wollten. Law, seinem eigenen System oder dessen Erfolgen mißtrauend, die nun nicht mehr allein in seiner Hand lagen, sondern wie ein losgelassener Sturm weiter fortwüteten, setzte seine Gewinne in Güterkauf um. Er kaufte dem Grafen von Evreux für eine Million achtmalhunderttausend Livres die Grafschaft Troncarville in der Normandie ab, dem Prinzen von Carignan das Hotel von Soissons für eine Million viermalhunderttausend Livres, dem Herzog von Savoyen sein Marquisat von Rosny für eine Million siebenmalhunderttausend Livres, und so mehreres anderes. Indessen dauerte dieses betrügerische Spiel nicht lange; es nahte seinem Sturze. Die bis zu fünfhundert Livres ausgegebenen Aktien des Mississippi waren bis auf vierzehn- und fünfzehnhundert Livres gestiegen; man sah ein, daß ein weiteres Steigen unmöglich war. Die Anzahl der Billette überstieg zu zwei Dritteilen alles Gold- und Silbergeld. Ein Edikt erschien, das eine Herabsetzung der Bankbillette und der Aktien anbefahl. Jetzt war das Zeichen gegeben: die Aktien waren in Mißkredit. Der eingebildete Wert des Papieres war durch das Steigen der Aktien bis auf sechs Milliarden gestiegen, die wirkliche Summe bei der Ausgabe war zwei Milliarden sechshundert Millionen gewesen. Das gab durch ganz Frankreich einen unermeßlichen Verlust.

Die Volkswut richtete sich gegen Law. Man zerstörte sein Hotel, er konnte sich nirgends sehen lassen. Das Gedränge in der Straße Quincampoix war so groß, daß erstickte Personen hinweggetragen und ihre Leichen in dem Hofe des Palais Royal, wo der Regent wohnte, niedergelegt wurden. Man fürchtete einen Aufruhr in Paris. Der Regent lachte über diese Gefahren. Mit dem sichern Selbstbewußtsein, des man an ihm kannte, wo es galt, persönlich einer Gefahr entgegenzugehen, und das ihn keine Minute seines Lebens verließ, zeigte er sich überall öffentlich und traf Maßregeln, die Not des Volkes wenigstens soviel als möglich zu hemmen. Nicht so ruhig war seine Mutter. Sie hatte an diesem furchtbaren Tage, wo der Sturm aus allen Ecken herblies, ihre Wohnung nicht verlassen. Sie saß zitternd bei einigen anonymen Briefen, die sie erhalten hatte, und fürchtete für das Leben ihres Sohnes. Man hatte ihr geschrieben, daß sechshundert Flaschen vergifteten Weines für den Regenten bereit ständen, daß man mit Pulver gegen ihn einschreiten, daß man mit Dolchen ihn verfolgen wolle. Alle diese schändlichen Drohungen, die für den Herzog Gegenstände des Spottes waren, galten der bewegten und erschütterten Mutter für ebenso viele wirkliche, bereits in Tätigkeit gesetzte Mordversuche.

Die Herzogin von Chateauthierre, ihre erprobte, liebe Freundin, befand sich neben der geängstigten Mutter.

Man brachte ganze Züge zusammengepreßter und in Banden geschlossener Aufwiegler durch die Gassen. Es tönte fortwährend ein wahrer Höllenlärm und ein brüllendes Geschrei des Pöbels nach Geld und Brot hinauf. –

»Nach dem Palais Royal!« rief eine Stimme. »Zu ihm, er muß Brot schaffen! Er hat diesen Spitzbuben, diesen Law ins Land gebracht.«

Die Herzogin lehnte weit aus dem Fenster; sie wollte dem Manne erwidern, daß er sich irre, daß John Law ohne Zutun des Regenten gekommen sei. Zum Glück wurde sie nicht bemerkt. Man vermutete sie nicht in dem untern Stock, wohin sie sich auch nur geflüchtet hatte, weil man wußte, daß sie die oberen Zimmer bewohnte. Aber keine Drohung erscholl, die Züge gingen ruhig an dem Palast der Herzogin vorüber.

Sie ging leidenschaftlich im Zimmer auf und ab.

»Der verwünschte Law! Daß er dieses Unglück über uns bringt!« rief sie. »Ich habe immer gesagt, er ist ein Schwindler, die Mississippi-Papiere taugen nichts. Wir stürzen das Land ins Unglück! Jetzt ist es da. Niemand hat weder Heller noch Pfennig, aber, mit Verlaub zu sagen, auf gut pfälzisch, Wische von Papier genug!«

Die Freundin blickte hinaus; der große Auflauf hatte sich verzogen, die Straße war ruhig geworden.

»Jetzt gehen die Strauchdiebe zu meinem Sohn! Gott, was wird, was kann er ihnen anbieten!«

»Vor einer halben Stunde«, rief die Vertraute, »kam eine Masse von dort her. Man hat ihn gesehen, wie er zwei Parlaments-Präsidenten bei sich empfing.«

»Gott sei Dank! Möchte er sich nur mit ihnen verständigen. Dann hört doch die Feindschaft mit dem Parlament auf. Er hat zu viel Feinde, mein armer Sohn! Und das Übelste ist, daß nichts ihn kümmert, daß er immer nur lacht, wo einem anderen die Haut schaudern würde. Er weiß nicht, was es heißt, Furcht haben. Und mit seinen Feinden, sobald sie nur Miene machen, ihr Unrecht einzusehen, ist er gleich wieder versöhnt. Den Richelieu hat er aus dem Gefängnis erlöst und ihn umarmt. Das ist ein so boshafter Vogel, wie es nur einen gibt. Was sehen Sie da, liebe Viktoire?«

»Eine Prozession der jungen Damen von St. Cyr zieht vorüber,« entgegnete die Freundin. »Es ist noch immer eine der gottesdienstlichen Handlungen, die die Maintenon bei ihrem Tode anbefohlen hat.«

»Und die sie keinen Schritt weiter zum Himmel bringen werden!« rief die Herzogin. »Daß die alte Zott jetzt erst verreckt ist und nicht zwanzig Jahre früher, wird Frankreich einst zu beklagen haben. Hat es jemals eine boshafte Kreatur gegeben, so war sie es. Nur tut es mir leid, daß mein Sohn ihr nicht den Vergiftungsprozeß gemacht hat, den sie über meinen Sohn verhängen wollte. Sie und ihr alter Kamerad, der Heuchler und alte Pudel Fagon, sie haben beide gut zusammengehalten. Das muß wahr sein! Kein treueres Pärchen konnte es geben. Auch Chirac, der meiner armen Nichte, der Herzogin von Berry, das Gift gegeben hat, gehörte zu der Genossenschaft.«

»Ich kann es nicht glauben!« rief Viktoire. »Die Herzogin hat zu übel gelebt.«

»Dennoch weiß ich's zu genau. Mein Sohn wollte einen anderen Arzt nehmen, der durch seine Wunderkuren sich Ruf gemacht hatte; kaum erfuhr das Chirac, als er der Prinzessin ein Tränkchen von seiner Kochkunst einflößte, das das Medikament des andern Doktors zunichte machte. Teuflisch lachend, wünschte er ihr darauf eine gute Reise. Ich sage dir, Viktoire, die Doktoren sind ein satanisches Gesindel: entweder es sind Dummköpfe, dann taugen sie zu nichts, oder es sind Schelme, dann morden sie wissentlich und willentlich.«

»Ha!« rief die Herzogin, »da kommt wieder ein heller Haufen, sie bringen einen Toten mit sich. Es ist eine Frau, die Kleider sind ihr halb vom Körper gerissen.«

»Ich weiß nicht, welch ein Teufel die Pariserinnen regiert!« rief Charlotte. »Was sie nur bei solchen Gelegenheiten wollen! Ich bliebe zu Hause! Sie aber müssen überall dabei sein. So ein altes, schwaches Weibchen wird dann hin und her getreten, das Kleid ihr vom Leibe gerissen, und zuletzt wird sie zu Tode gedrückt. Keine Gewalt der Erde brächte mich in solch einen Auflauf.«

»Früher, als das Einkaufen der Billette noch Mode war,« bemerkte die Freundin, »gab es die wunderlichsten Szenen. Law war nirgends zu sprechen, weil man ihn zu arg überlief. Nun rannten sie überall hin, wo sie ihn zu finden hofften. Zwei vornehme Frauen fanden ihn in seinem Hofe, wie er eben ein Geschäft vornehmen wollte. ›Meine Damen!‹ rief er ihnen zu, ›ich kann niemand sprechen, ich muß eben mein Wasser abschlagen.‹ – ›Gut!‹ riefen die Damen, ›tun Sie es und hören Sie uns zugleich an.‹ Eine andere Dame befahl ihrem Kutscher, vor der Haustür des Herrn Direktors umzuwerfen. Es geschah, er kam zuhilfe, und sogleich klammerte sich die Dame an seinen Rock, um ihn mit ihrem Gesuche zu behelligen.«

»Mich hat er nie bei sich gesehen!« bemerkte die Herzogin. »Es gab eine Zeit, wo ich nicht einmal das Wort Mississippi hören konnte, so verhaßt war mir der ganze Schwindel geworden.«

Die Rätin Rathmannshausen kam herein und meldete der Herzogin: »Eine junge Dame, Frau von Tenzin, sei draußen, und verlange hereinzukommen. Sie ist von dem Volkshaufen bedrängt worden und flüchtet hierher. Sie hat die Frau Herzogin am Fenster gesehen und hält Sie für eine Kammerfrau.«

»Laß sie nur herein!« rief Charlotte.

Die Tür öffnete sich, und Frau von Tenzin schwebte herein. Sie war modisch geputzt, in einem eleganten Kleide, den Rock hoch aufgehoben, weil sie von der Straße kam und sich zu beschmutzen gefürchtet hatte. Die Herzogin saß im Schatten des Vorhanges am Fenster, mit einer weiblichen Arbeit beschäftigt. Frau von Tenzin, die die eine nicht sehen konnte und die andere nicht kannte, begrüßte sie leichthin als zum dienenden Personal der Herzogin gehörig.

»Guten Tag, meine Damen. Sie erlauben, daß ich hier etwas untertrete. Das Gedränge ist zu arg; man riskiert, so übel behandelt zu werden, daß man sich nirgends mehr sehen lassen kann.«

Die Herzogin von Chateauthierre nickte mit dem Kopfe und schob der Dame einen Stuhl hin. Die Rathmannshausen begab sich zur Herzogin, und beide sprachen miteinander.

»Mit Erlaubnis!« rief die Neuangekommene, »meine Frisur hat gelitten; ich will sie etwas in Ordnung bringen.« Sie stellte sich vor den Spiegel und ordnete ihre Locken.

Die Herzogin neigte ihr Haupt bei den Bemerkungen, die ihr die Rätin zuflüsterte, und begann nun die Frau zu mustern.

Diese sagte: »Sie sitzen hier ganz ruhig, meine Damen! Ich glaub's wohl, wenn man alt ist wie Sie, so hat man kein rechtes Interesse mehr für die Dinge der Außenwelt. Ihre Gebieterin dort über uns wird anders sprechen. Sie wird für das Leben ihres Sohnes zittern.«

»Sie glauben also, daß er in Gefahr ist?« fragte Frau von Chateauthierre.

»Ob ich es glaube? Ich, die ich seine Geliebte bin, muß es wohl wissen. Er zittert wie ein Blatt im Winde. Es ist auch keine Kleinigkeit: Paris in Aufruhr, und er der erste Machthaber!«

»Sie sind die Geliebte des Regenten?« fragte die Frau von Chateauthierre.

»Ich bin so glücklich,« erwiderte die junge, hübsche und frohe Dame. »Ich kam mit dieser Absicht nach Paris, und ich habe meine Absicht erreicht.«

Die Herzogin von Orleans erhob sich von ihrem Platz. Sie schritt geradeswegs auf Frau von Tenzin zu, die sie dadurch zwang, von ihrem Stuhl sich zu erheben, indem sie ausrief: »Mein Himmel, wenn mir recht ist, so sehe ich Ihre Königliche Hoheit vor mir.«

»Die sehen Sie!« rief die Herzogin, »und zwar zur unglücklichen Stunde. Sie wagen es, Madame, meinen Sohn einen Feigling zu nennen, während Sie zugleich bekennen, daß Sie seine Geliebte sind. Sie sollten sich solcher Äußerungen schämen. Ich kenne Sie und weiß, was mein Sohn Ihnen geantwortet hat. ›Ich liebe sehr die Huren,‹ sagte er, ›aber ich liebe nicht, mit ihnen von Politik zu sprechen.‹ So waren Sie von ihm abgefertigt und sind jetzt des Herrn Dubois Beischläferin. O pfui, schöne Dame, so zu lügen! Wie Sie im Kloster Montfleury in Grenoble waren, wohin Ihre Eltern Sie taten, lebten Sie mit Ihrem Beichtvater in unkeuschem Verhältnis. Durch seine Hilfe dem Kloster entflohen, lebten Sie in Paris mit Ihrem Herrn Bruder, dem Abbé Tenzin, in einem schmutzigen Liebeshandel, und da das alles nicht Schande genug über ihr Haupt brachte, kamen Sie hierher und gingen mit frechen Künsten meinen Sohn an, der Sie auf zwei Nächte zu sich nahm und Sie jetzt seinem Diener überläßt. Gehen Sie, verlassen Sie dieses Haus, das Sie durch Ihre Gegenwart entweihen!«

Mit diesen Worten hob sich die Hand der Sprechenden und zeigte zur Türe. Frau von Tenzin gehorchte, ohne auch nur ein Wort zu erwidern.

»Habe ich doch einer dieser Bestien die Wahrheit gesagt, die an meines Sohnes Gesundheit und Ruf zehren! Die kam mir gerade recht! Es war, als wenn sie selbst zur Richtstätte liefe.«

Diese Frau von Tenzin war die Mutter des berühmten d'Alembert, den sie außerehelich gebar.


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