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Der Pater Dutrévaux

Der Herzog von Orleans war in seinem Kabinett eingeschlossen und erwartete den Grafen von Soissons, statt dessen trat der Chevalier Lorraine ein. Der junge Mann hatte sich übel zugerichtet, er war in der Zeit weniger Jahre abgefallen und mager geworden. Die starke Schminke, die er auflegte, ersetzte die Jugend nicht, die sich von diesen Wangen abgewendet hatte. Noch nicht dreißig Jahre alt, hatte er das Ansehen eines Mannes nahe an vierzig. Dabei waren die Manieren, die Art, zu reden und sich zu halten, dieselben geblieben wie in früherer Zeit, dies gab ein nicht ganz angenehmes Gemisch von Vertraulichkeit und Härte. Die letztere, die infolge seiner Ausschweifungen sich über sein ganzes Äußere lagerte, glaubte der verwüstete Jüngling durch eine erhöhte Miene von Vertraulichkeit zu bekämpfen. Dies gelang ihm jedoch nicht. Das feine Auge des Prinzen, das für Schönheit der Formen so großen Sinn hatte, fand sich zurückgeschreckt durch das Fratzenhafte dieser Erscheinung, und er fragte deshalb ziemlich rauh: »Was steht zu Diensten, mein Herr? Wie kommen Sie in dieser Stunde hierher? Ich bin beschäftigt, entfernen Sie sich wieder!«

Aber Lorraine, weit entfernt, sich abschrecken zu lassen, blieb stehen und blickte den Prinzen mit zärtlichen Augen an.

»Nun, was soll das?« fragte der Prinz um vieles gütiger. »Sicherlich ist der Beutel leer, und ich soll ihn füllen?« –

Statt aller Antwort reichte der junge Mann dem Fürsten einen Zettel. Dieser sah hin und schrie auf: »Alle Teufel! Ist heute ein Tag für Gauner? Schon mein Intendant hat mich um fünfhundert Louisdor heute prellen wollen. Mein teures Herrchen, Sie bekommen nichts mehr von mir! Wie? Tausend Louisdor? Und am Anfang dieses Monats gab ich Ihnen dreihundert. Das ist zu stark! Geh, mein Freund, und stiehl dir das Geld, bei mir kannst du nichts bekommen.«

Ohne ein Wort zu erwidern, steckte der Chevalier den Zettel wieder zu sich.

»Wie, um deine Weiber zu mästen«, fuhr der Prinz zornig fort, »soll ich meine Schatulle ausschütten? Wegen deiner liederlichen Abende, wo du die berüchtigtsten Straßennymphen zusammenbittest, um mit ihnen Karten zu spielen, und ein paar Saufbolde dazu, soll ich mich zum armen Manne machen? Laß dir sagen, du allein hast mich mehr gekostet als ein ganzes Regiment Pagen! Ich war ein Narr, daß ich an deiner Nasenspitze hängenblieb! Ich bin gerade in der Laune, dich mit deiner ganzen Sippschaft fortzuschicken.«

»Eure königliche Hoheit«, rief Lorraine, »werden mich nicht meinen Feinden überantworten! Sie warten nur auf das leiseste Zeichen des Unwillens von seiten meines Herrn, um in Scharen über mich herzufallen.«

»So mäßige dich! Schränke deinen Haushalt ein!« rief der Prinz. »Schaffe deine Wagen und Pferde ab! Deine Dienerschaft bestiehlt dich, laß sie laufen. Die Grançai allein kostet dich über tausend Louisdor jährlich.«

»Ich habe sie von Ihnen bekommen!« rief der Favorit. »Ich hielt es für meine Pflicht, sie zu unterhalten.«

»Zum Teufel auch!« schrie der Herzog. »Laß sie betteln gehen.«

»Sie wird sich zu Madame verfügen und dieser alles erzählen, was zwischen uns vorgefallen ist.«

»Ei, laß sie doch!« rief der Herzog. »Madame ist verständig, sie wird sie nicht anhören. Um die Sache kurz zu machen: hier sind noch fünfhundert Louisdor! Sieh zu, wie du deine Angelegenheiten ordnest. Hörst du – komm mir nicht wieder mit solch einer unverschämten Bitte.«

In diesem Augenblicke trat der junge Graf von Soissons herein.

Lorraine machte ihm mit einem bitteren Lächeln Platz.

»Kleiner Narr! Weshalb so spät?« rief der Herzog, plötzlich sehr heiter und aufgeräumt. »Man muß euch träge Tagediebe mit Trommelschlag aus den Betten stören, wenn man euch sprechen will. Du darfst nicht so viel schlafen, Jüngelchen! Du bist erst siebzehn Jahre geworden! Wie ich so jung war wie du, habe ich früh aufstehen müssen. Mein Präzeptor litt es nicht, daß ich mich lange im Bette herumbewegte. Man erhält auf diese Weise allerhand schlechte Gewohnheiten. Hahaha! Aber wer ist denn da wieder im Vorgemach? Es ist heute ein Tag für Schelme und Diebe! Man muß sie nicht hereinlassen. Geh und schließe die Türe.«

Ehe der Graf den Befehl ausrichten konnte, hatte sich bereits die lange, dürre Gestalt des Paters Dutrévaux hineingeschoben.

»Um aller Heiligen willen!« rief der Herzog. »Heute ist ja nicht Ihr Tag, mein Vater!«

»Du erlaubst, mein Sohn!« sagte der Beichtvater, indem er einen trockenen, unverschämten Blick durch das Gemach gleiten und ihn alsdann auf dem jungen Grafen haften ließ. »Ein Weg in das Kloster der Nonnen zum geweihten Herzen führte mich hier vorbei, und da ich morgen nicht werde kommen können, indem ich einer Prozession beiwohnen muß, so erlaubte ich mir heute, bei dir einzutreten. Aber ich sehe, daß ich störe, du hast Gesellschaft!« –

»Meinen Pagen, sonst niemand!« rief der Herzog mit einem verächtlichen Blick auf den jungen Menschen, der an der Türe stehenblieb, jeden Augenblick den Wink erwartend, um hinauszuschlüpfen.

»Noch nicht hinausgehen, mein Kind!« rief der Abbé mit seinen großen, hervorstechenden Augen, den Knaben vom Kopf bis zu den Zehen betrachtend. »Wo bist du her, mein Söhnchen?«

»Mein Vater ist der Graf von Soissons,« antwortete der junge Mensch, »der Seiner Majestät unserm König in zehn Schlachten gedient hat.«

»Und du dienst seinem Bruder, indem du ihm Wasser auf die Hände gießt?« sagte der Abbé mit einem trockenen Husten. »Das ist eine saubere Fortsetzung des Sohnes von der Berühmtheit des Vaters. Weiß dein Vater, daß du hier bist?«

»Er hat selbst um die Gnade nachgesucht, mich bei Monsieur anstellen zu dürfen!« sagte der junge Mann, der bei diesen Fragen rot wurde wie das jüngste Mädchen.

»So, selbst nachgesucht!« rief der Abbé.

Der Herzog, der in peinlicher Verlegenheit diesem Examen beigewohnt, rief jetzt halb bittend, halb befehlend: »Aber, mein Herr, wie kommen Sie dazu, sich so genau um das Geschick meiner Pagen zu kümmern?«

»Das will ich Ihnen sagen, Herr Herzog!« rief der Geistliche, nachdem er dem jungen Menschen sich zu entfernen gewinkt hatte. »Weil die Stadt allerlei munkelt und klatscht, was Ihrem Rufe Schaden bringen könnte.«

»Meinem Rufe?« rief der Prinz, den Empfindlichen spielend.

»Ja, Ihrem Rufe! Ich drücke mich weltlich aus, in geistlicher Hinsicht würde ich anders sprechen. Die Fürsten haben auch einen Ruf. Man kann ihnen mit dem Gesetze nicht beikommen, um so mehr kommt man ihnen mit der Gewalt der öffentlichen Meinung bei. Und da ist die Menge unerbittlich. Über Sie, mein Herr, hat sie sich ebenfalls hören lassen, und das, was sie sagt, ist beachtenswert.«

»Ich kümmere mich nicht darum, Herr Abbé, und wünsche lebhaft, daß Sie es auch nicht tun!« –

»O, gehorsamer Diener! Das werde ich wohl bleiben lassen!« rief der Priester, indem er hustete und die Augen weit aufriß. »Welch ein Seelsorger wäre ich alsdann, und ich will durchaus nicht irgend jemand nachstehen in der Sorge für Ihre Seele, mein Prinz.«

»Wenn Sie sich in diese Angelegenheit mischen,« rief der Prinz wütend, »so werden Sie mich zwingen, meine Wahl auf einen anderen Geistlichen zu richten.«

»Ganz wie Ihnen beliebt, mein Sohn! Ganz wie Ihnen beliebt! Ich werde dann in die Einsamkeit, in mein Dörfchen in der Bretagne zurückkehren, und der gerechte Gott wird mich trösten, indem er mir das Bewußtsein schenkt, als ehrlicher Diener den Großen gedient zu haben.« Er faßte hier seinen Hut und wollte sich entfernen.

Der Prinz hielt ihn zurück, indem er rief: »Aber, mein Vater, wie kann man so leicht verletzt sein! Ist es recht, die Stimme eines Freundes so mißzuverstehen?«

»Eure Hoheit haben recht, daß Sie einen anderen Beichtvater nehmen wollen!« bemerkte der Abbé, noch immer auf seinem Trotze beharrend. »Und ich habe erwidert, daß ich damit vollkommen einverstanden bin. War es nicht so?«

»Still!« rief der Prinz und hielt ihm den Mund zu.

»Glauben Sie, daß es eine leichte Sache ist, den Fürsten die Wahrheit sagen zu müssen?« brauste der Pater hinter der ihm vorgehaltenen Hand. »Ich sage Ihnen, mein Herr Herzog, daß es eine verdammt schwere Sache ist!« –

»Wie nennt man mich denn im Volke?« fragte der Prinz.

»Man nennt Sie einen zweiten Heinrich III.«

»Ach!« rief der Herzog. »Tut man das?«

»Man fügt hinzu: Seht ihr nicht, daß er ebenso schwammig, so dickleibig, so kurzatmig ist wie jener lasterhafte Prinz? Wird er nicht ebenso endigen wie jener?«

»Das ist offenbar zu weit gegangen!« bemerkte der Herzog. »Was geht mich das Ende Heinrichs III. an? Schwammig, dickleibig? Das bin ich auch nicht! Ich habe noch eine vortreffliche Taille, und Sie sollten mich tanzen sehen. Wie ich da den Fuß setze! Aber was weiß der dumme Haufe davon? Genug, mein Vater, ich will Ihnen fürder keinen Grund zur Klage geben. Ich werde einige meiner jungen Freunde abschaffen, bis auf drei, die ich unbedingt haben muß. Ist's so recht?«

»Die drei auch, mein Sohn, die drei auch!«

»Unmöglich, mein Vater. Ich kann mich doch nicht von alten Knasterbärten bedienen lassen! Ich habe Sinn für Schönheit; ich will Schönheit und Jugend um mich sehen! Ist darin etwas Verwerfenswertes? Wie handelt man um mich her? Wie, frage ich? Ist es lauter Tugend, was ich um mich sehe? Bin ich da mit meiner Leidenschaft nicht noch einer von den Reinen?« –

»Wenn die ganze Welt um uns gottlos ist, so wollen wir dem Herrn dienen!« rief der Priester streng.

»Fangen Sie doch von oben an!« bemerkte der Prinz. »Wie lebt Seine Majestät?«

»Auch er hat der Sünde entsagt. Die schöne Bettgenossin ist verstoßen, der Teufel hat zurückgenommen, was er zum Ärger der Frommen hergeliehen.«

Der Herzog hatte so lange gesprochen, daß ihm jetzt der Atem fehlte, noch etwas hinzuzusetzen. Er ließ sich in einen Lehnstuhl fallen, kreuzte die Arme übereinander und schaute düster vor sich hin. Der Pater, der da glaubte, seiner Gewissenspflicht fürs erste Genüge geleistet zu haben, hörte eine kurze Beichte seines Beichtkindes an, erteilte ihm die übliche Absolution und entfernte sich.

Der Prinz sah ihm giftig nach. »Wo bin ich hingeraten?« rief er. »Was nimmt der Mann sich heraus? Er wird ja täglich unleidlicher! Es herrscht eine ganz andere Luft hier bei Hofe! Doch ich werde mich hüten, ihm zu gehorchen, und einen anderen wähle ich auch nicht, denn welche Mühe gäbe es, sich auf alle die Sünden zu besinnen, die dieser schon weiß.«


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