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Da der Regent im sechzehnten Jahre geheiratet hatte, so besaß er jetzt schon eine Familie von vier Töchtern. Die älteste war die Herzogin von Berry, die schon seit drei Jahren Witwe war. Dieses junge Geschöpf war die Anmut selbst, aber auch zugleich von der heftigsten Laune geplagt. Sie führte beständig Krieg mit ihrer Mutter und ihrem Vater, den sie doch über alles liebte, und von dem auch sie schwärmerisch geliebt wurde. Sie war groß, schlank, und ihre Hautfarbe war das durchsichtigste Weiß, das man sehen konnte. Als ein Kind von sieben Jahren wurde sie von einer heftigen Krankheit befallen, die die Ärzte so sehr in Verlegenheit setzte, daß sie an ihrem Aufkommen zweifelten. Da nahm der Vater die Kleine zu sich, pflegte sie aufs beste, kurierte sie mit Medikamenten, die er selbst bereitete, und hatte das Vergnügen, sie genesen zu sehen. Als ein Werk seiner Geschicklichkeit und Kunst liebte er jetzt das kleine Mädchen mit einer so unvorsichtigen Neigung, daß der verderbte Hof daraus Beweise zog, daß bei dieser Liebe sich nicht alles so verhalte, wie es bei der Liebe eines Vaters zu seiner Tochter zu geschehen pflege. Die junge Herzogin kümmerte sich um dieses Gerede nicht, sie lebte fortwährend in der vertraulichsten Gemeinschaft mit ihrem Vater, sie speisten zusammen, bei welcher Gelegenheit ein Fräulein Vienne, die ihrerseits eine mit allen Künsten der Verderbnis vertraute Person war, ihnen Gesellschaft leistete, wo diese Gesellschaft nötig befunden wurde. Man hat aus dieser Zeit noch ein Gedicht, zu dem der Herzog die Worte wie die Musik selbst geschaffen hatte, das im Feuer der zärtlichsten Neigung ganz dazu geeignet war, die Gerüchte zu bestätigen, die in Beziehung dieses Verhältnisses im Publikum umliefen. St. Simon entwirft von ihr ein Porträt, das nicht wohl in schwärzerem Schatten gemalt werden könnte. Er nennt sie eine Meisterin in jedem Laster, von einer um so verderblicheren Meisterschaft, da sie äußerlich mit allem Glanz der feinen und geübten Sitte erschien.
Die zweite Schwester, Luise Adelaide von Chartres, war nicht minder schön als die Herzogin, ihre Schwester. Sie tanzte und sang zum Bewundern, übrigens beschäftigte sie sich mit den männlichen Fähigkeiten und Kunstfertigkeiten, die sie ihren Vater üben sah. Sie liebte die Gewehre, sie machte sich bekannt mit der Dressur von Pferden und Hunden, sie half dem Vater in seinem chemischen Laboratorium arbeiten; sie fertigte Feuerwerke und legte sich eine Waffensammlung an.
Ihre Schwester, Fräulein von Valois, war nicht so hübsch wie die beiden ältesten; doch hatte sie prachtvolles Haar. Ihre Nase war groß, der Kopf steckte ihr zu sehr zwischen den Schultern, sie hatte einen hervorstehenden Zahn, der sich stets bemerkbar machte.
Jetzt kam in der Zeitfolge ein Sohn; er war der einzige legitime, den der Herzog hatte, es war Ludwig von Orleans, der 1703 geboren wurde. Dann kamen noch zwei Töchter, von denen aber hier noch nicht die Rede sein kann.
Diese Kinder wurden von der Herzogin, da sie nicht ihre Einwilligung aus freien Stücken dazu gegeben hatte, daß sie erschienen, mit gleichgültigem Auge angesehen. Sie konnte es nie vergessen, daß Fräulein von Blois, die Tochter ihrer Feindin, eine ihr aufgezwungene Schwiegertochter war, und ging mit ihr um, wie man mit einer fremden Person umgeht. Sie besuchten einander zu Mittag, bei welchen Gelegenheiten die Herzogin streng darauf sah, daß die Schwiegertochter in der passenden Kleidung vor ihr erschien, das heißt in dem festgeschnürten Leibstück, das die ganze Taille prall und eng zusammenpreßte, kein Hin- und Herschwanken, kein Anlehnen oder Zurückbiegen zuließ, sondern die in diesem Panzer befindliche Person zwang, gerade und steif wie ein Stock dazusitzen. Dieses streng förmliche Kleidungsstück, das schon längst in dem Rufe stand, altmodisch zu sein, war bei dem jungen Hofe fast gänzlich abgeschafft, und nur von hohen Anstandsdamen, die in ein gewisses Alter getreten waren, wurde es noch getragen. So von der Herzogin. Sie erschien nie ohne den Panzer, der, je nach der Würde und dem Range der Personen, die zu ihr kamen, oder bei denen sie erschien, von Gold- oder Silberstoff, mit Spitzen oder Diamanten bedeckt war. Die neueste Mode wurde von den jungen Damen getragen und bestand aus den robes ballants, sogenannten Flügelkleidern, die vorn auseinanderschlugen und nur ein kleines, biegsames Leibstück hatten. Diese hatte sich die junge Herzogin auserwählt, weil die Tracht ihr am besten zusagte, ihrer Trägheit und ihrem steten Müßiggange, ihrer Vorliebe, auf Bettsesseln oder coucheuses herumzuliegen, Vorschub tat. Diese Art Kleidung war jedoch der Herzogin ein Greuel. Sie erlaubte nicht, daß irgendeine Dame, sie mochte so vornehm sein, wie sie immer wollte, und niemand war bei dem jetzigen Hofe vornehmer als Madame, in dieser Kleidung bei ihr erschien. Die junge Herzogin hatte also immer die Qual, ihr altes abgelegtes Leibstück anzupassen, wenn sie im Palais-Royal bei ihrer Frau Mama zu Mittag speiste. Sie ließ sich daher entschuldigen und schickte eine oder zwei ihrer Töchter. Die Herzogin dagegen kam regelmäßig an den Tagen, die sie dazu festgesetzt hatte, zu ihrer Schwiegertochter und brachte dort zwei bis drei zeremoniöse Stunden zu. Ein zweites Hindernis, weshalb die junge Herzogin nicht bei ihrer Schwiegermutter erscheinen wollte, war das Tabouret, das ihr selbst angeboten wurde und von dem die Herzogin durchaus nicht abging. Die arme Frau, die nie anders gewohnt war zu speisen als liegend, die den ganzen Tag lag, mußte hier auf einem Stuhle mehrere Stunden sitzen. Dies war eine Rache, die zu nehmen die Herzogin sich erlaubte. Kam sie jedoch zur Schwiegertochter, so litt sie, daß diese zu Tische lag, denn es hieß, daß sie krank sei, und kranken Personen wurde Freiheit gestattet.
Auch in die Erziehung der Enkeltöchter mischte sich die Herzogin nicht. Sie waren so, wie sie waren; es kümmerte sie nicht. Sie behandelte sie wie völlig fremde Mädchen. Diese jedoch vergaßen nie, auf das allergenaueste das Zeremoniell und die Rücksichten zu beobachten, in denen ihre Pflichten gegen die Großmutter bestanden. Auch das ärgerliche Gerücht, das inbetreff der ersten Enkeltochter und dem Vater bestand, hatte sie wohl gehört, beachtete es aber nicht, und nie kam ein Wort, dahin zielend, über ihre Lippen. Sonst sprach sie gern über die Liebeshändel ihres Sohnes mit ihm, und er erzählte ihr alles, was er für gut fand ihr mitzuteilen. Sie lachten und plauderten miteinander oft mehrere Stunden. Jedesmal schloß eine solche vertrauliche Mitteilung mit dem respektvollen Handkuß und dem üblichen Abschiedsgruß des Sohnes.