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Der Herzog hatte seinem Sohne befohlen, seine Vermählung mit dem Fräulein von Blois, seiner Mutter anzukündigen, mit der Bemerkung, daß dies allein sein Wunsch sei, und daß der Vater noch nichts davon wisse, daß er aber hoffte, diesen auf seine Seite zu bekommen. Der junge Mann hatte sich diesem Befehl in Gehorsam gefügt, zugleich aber bemerkt, daß dieses Verfahren gar keins oder wenigstens ein sehr mißgünstiges Resultat nach sich ziehen würde. Doch hatte der Herzog auf seinem Willen bestanden – und hielt sich nun zur Abreise bereit.
Unterdessen hatte Charlotte von den Damen ihrer Umgebung, besonders von der Herzogin von Chateauroux, die ihre Vertraute war, bereits von der Neigung sprechen hören, die ihr Sohn für die natürliche Tochter des Königs gefaßt, ebenso wie von deren Liebe zu dem jungen Prinzen. Da ihr aber von den betreffenden Personen nichts davon bekannt gemacht wurde, so beharrte sie vorläufig in Schweigen, bereit, mit ihrer Warnung hervorzutreten, wenn es an der Zeit wäre. Dieser Moment ließ nicht auf sich warten.
Charlotte pflegte besonders in den Nachmittagsstunden mit ihrem Sohne allein zu sein. Zuweilen waren die Herzogin und zuweilen auch die Rätin alsdann bei ihr. Sie ergötzte sich, die muntern Reden des jungen Prinzen, sein gesundes Urteil über die Personen seiner Umgebung und seine Scherze mit anzuhören, die er mit großem Freimut vorbrachte. Mutter und Sohn harmonierten vortrefflich. Charlotte konnte sich denken, wenn sie ihren Sohn betrachtete, daß, wenn das Schicksal ihren Lieblingswunsch hätte erfüllen wollen, sie ein Knabe geworden wäre, gerade in dieser Weise, wie ihr Sohn sich ihr zeigte: dieselbe Kühnheit, dieselbe Unerschrockenheit, dasselbe Lebensfeuer und die frische kräftige Jugendlust, wie sie in der Brust dieses Jünglings herrschten. Dabei war sein gesunder und fester Körperbau ein Erbteil, das sie ihm zugebracht, sowie das nicht gerade schöne, aber eigentümliche und charakteristische Gesicht, voll von strotzender Gesundheit und voll blitzender Lebensfrische. Nur die ihm innewohnende Verstellungsgabe war ein Geschenk des Vaters; aber sie hielt nicht lange an, immer von neuem trat die natürliche Offenheit und Geradheit seines Wesens an deren Stelle.
»Mama, ich habe Ihnen etwas mitzuteilen,« hub der junge Mann an, nachdem er einen beobachtenden Blick auf die zwei Damen gerichtet hatte, die beide beschäftigt waren, sich eine Neuigkeit des Hofes mitzuteilen.
Obgleich der junge Prinz schon Schlachten mitgemacht und einen ziemlich hohen militärischen Rang bekleidete, herrschte doch das alte mütterliche und kindliche Verhältnis zwischen beiden, wie es von früher her üblich gewesen.
»Was denn, mein Junge?« fragte die Herzogin, die gleichgültig die Maschen ihrer Stickerei überzählte, durchaus nicht vorbereitet auf das, was jetzt kommen würde.
»Ich bitte um Aufmerksamkeit!« rief der Jüngling, indem er den Zustand der Mutter beobachtete. »Das, was Sie jetzt hören werden, werden Sie nicht alle Tage vernehmen. Es ist etwas höchst Wichtiges und Einflußreiches.«
»Nun, da bin ich neugierig, mein Sohn!« sagte die Herzogin.
»Ich wünsche mich zu verheiraten.«
»So!«
»Die Zeit ist dazu da, wie ich meinen sollte. Ich bin nahe an achtzehn Jahre. In dieser Zeit hat der Dauphin geheiratet, und er ist jetzt bereits Vater; er hat zwei Söhne und wird das dritte Kind baldigst erhalten.«
»Zu was soll das?«
»Zu was? Das sollen Sie sogleich hören,« rief der Prinz. »Der Abbé Dubois hat mir versichert, daß ich sehr viel Neigung zu Frauenzimmern habe; selbst kann man das nicht so genau wissen. Zwar ich bekenne es, hier und da gefällt mir ein Gesicht, aber es ist immer vorübergehend.«
Die Herzogin verhielt sich ruhig. Sie wartete auf ein Bekenntnis.
»Nun habe ich mein Auge hierhin, dorthin geworfen. Überall nichts von Bedeutung! Nichts von Geltung! Nichts Außerordentliches!«
»Kind, du treibst Possen!« rief jetzt die Herzogin böse. »Du ermüdest mich! Sprich geradeheraus, du weißt, das liebe ich.«
»Gut! Ich werde heiraten und bitte Sie um Ihren mütterlichen Segen.«
»Wo ist die Braut?«
»Des Königs natürliche Tochter, Mademoiselle von Blois.«
Kaum war der Name heraus, als die Herzogin aufsprang, ihren Sohn an der Schulter faßte und ihm eine derbe Ohrfeige gab. »Unterstehe dich,« rief sie, »schlechter Bub, mir mit solchen Späßchen zu kommen!«
Der Herzog hielt die geschlagene Wange und war nahe daran, vor Zorn und Ärger in Tränen auszubrechen.
Der Vorfall hatte die beiden ältlichen Damen aufgeschreckt; sie kamen herbei und suchten die Herzogin zu beschwichtigen, die noch rot vor Zorn und Aufregung dicht neben dem Sohne stand.
»Es ist abscheulich,« sagte sie, »was der elende Junge mich ärgert!«
»Madame!« rief der junge Mann, zitternd vor Wut. »Sie haben einen Neffen von Seiner Majestät dem Könige, Sie haben einen Sohn von Frankreich geschlagen, Sie sehen mich nie wieder!«
Er ging, die Herzogin rang die Hände und brach in Tränen aus. Die Rätin umfaßte sie und hielt ihr ein Fläschchen mit flüchtigem Salze vor. Die Chateauroux eilte dem Prinzen nach, um ihn zurückzuführen.
»Also doch wahr!« rief Charlotte, »also doch wahr, Philipp! Wo ist der Junge?« –
Die Herzogin von Chateauroux hatte ihn um den Leib gefaßt und zerrte ihn in das Zimmer hinein. Die Herzogin stürzte von neuem auf ihn los. Beide Frauen warfen sich zwischen Mutter und Sohn.
»Sprich!« rief die Mutter. »Von wem hast du dieses erbärmliche Schelmenstück? Aus deinem eigenen Kopfe ist es gewiß nicht gekommen, darauf wollte ich wetten.«
Der Herzog wandte sich ab und antwortete nicht.
»So sprich, Bube!« schrie Charlotte, außer sich vor Wut. »Willst du sprechen, oder soll ich dir nochmals die Zunge lösen?«
»Um Gottes willen, beste, edelste Freundin!« rief die Herzogin von Chateauroux, »nur nicht diese schreckliche Szene wiederholen! Und Sie, mein Prinz, bedenken Sie, daß Ihre Mutter zu Ihnen spricht, der Sie Gehorsam schuldig sind. Reden Sie, machen Sie durch Unterwürfigkeit, durch Aufmerksamkeit auf die Wünsche Ihrer Frau Mutter alles wieder gut.«
»Meine Ehre ist verletzt!« rief der Prinz.
»Nicht doch, mein Prinz!« rief die Herzogin. »Niemand hat diesen Auftritt erlebt als die Rätin und ich, und auf uns beide können Sie sich verlassen, daß wir nichts wiedersagen werden.«
»Nun, werde ich endlich eine Antwort bekommen?« fragte die Herzogin.
»Wenn Sie in diesem Tone fragen, kein Wort!« entgegnete der junge Prinz und sah mit stolzem, festem Blick seine Mutter an.
In atemlosen Erstaunen betrachtete ihn diese.
»Die Söhne Frankreichs sind nur dem Könige Gehorsam schuldig. Ich eile zum König und werde mir seine Befehle erbitten.«
»Geh, Undankbarer!« rief die Herzogin, »und komme mir nie wieder vor Augen.«
Sie fühlte sich schwach werden und wurde von den Frauen zu einem Sitze geleitet. Dieser Anblick änderte in dem raschblütigen Jüngling die Stimmung. Er näherte sich seiner Mutter, erfaßte ihre Hand und sah sie mit einem bittenden und zärtlichen Ausdruck an.
Sie entzog ihm die Hand und winkte ihm zu, daß er gehen sollte.
»Mama, ich kann nicht mit einer Lüge von Ihnen gehen,« rief der Prinz, »wir sehen uns vielleicht niemals wieder! Erfahren Sie denn –«
In diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen, und der Herzog trat ein.
Charlotte erhob sich und grüßte ihn ehrerbietig.
Der Herzog war willens gewesen abzureisen, war aber nicht gereist, sondern hatte sich in den Hinterhalt gelegt, um den Ausgang der ganzen Angelegenheit zu beobachten. Jetzt, da er vernahm, daß sein Sohn nahe daran war, seinen Namen zu nennen, fand er es für gut, ihm zu Hilfe zu eilen.
Er stand mitten im Zimmer, rot, aufgedunsen, mit dem gedrungenen Lächeln auf der Lippe, das ihm eigentümlich war, wenn er in Verlegenheit sich befand, was immer der Fall war, wenn man ihn mit irgendeiner Zumutung oder Antwort überraschte.
»Hahaha! Was gibt es?« fragte er. »Die Damen scheinen in Aufregung. Was gibt es, Philipp? Rede, mein Sohn, was ist vorgefallen?«
Alle schwiegen.
»Nun?« rief der Herzog, immer lachend, »was soll ich davon denken? Ist's ein Geheimnis für mich?«
»Durchaus nicht, mein Herr!« entgegnete Charlotte. »Der Prinz hat mir soeben erklärt, daß er meine Einwilligung zu einer Verheiratung mit dem Fräulein von Blois, mit des Königs natürlicher Tochter, verlangt. Sind Sie davon unterrichtet, mein Herr?«
Diese Frage war überaus gefährlich. Sie geschah so plötzlich und so unmittelbar, daß der Herzog nicht wußte, was er in der Geschwindigkeit antworten sollte. Er wiegte daher den Kopf, sah bald auf den Sohn, bald auf die Mutter und antwortete dann: »Es ist seltsam, denselben Wunsch hat er mir heute morgen vorgetragen.«
»Und Sie haben darauf geantwortet?«
»Nichts, meine teure Herzogin, nichts! Ich habe geforscht, wo die Sache ihren Anfang genommen hat, und da hat man mir Wunderdinge berichtet.«
»Die ich zu hören wünsche.«
»Der König –«
»Ach, da haben wir's!« rief die Herzogin, plötzlich wieder vollkommen gefaßt. »Also von dort her kommt der Schlag! Ich habe meinem armen Jungen umsonst weh getan. Komm, mein Bub, wir wollen zusammen denken und überlegen, wie wir das Netz zerreißen, das die verräterische Spinne dir und mir um die Beine gewickelt hat. Ihr hättet beide nichts zugeben sollen! Ihr seid beide Männer, wie sie nicht sein sollen.«
Die Herzogin von Chateauroux und die Rätin hatten sich entfernt, als der Herzog eingetreten war.
Der Herzog hatte den letzten Teil der Rede überhört. Er war ans Fenster getreten und sah zerstreut sich die rote und gelbe Decke an, die man auf die Stufen der großen Treppe gebreitet hatte, wegen des Regenwetters, da der König ausfahren wollte.
Er wandte sich jetzt zu seiner Gemahlin und sagte: »Ihr tut der Frau von Maintenon unrecht, wenn Ihr sie allein verantwortlich macht für das, was geschehen ist. Sie ist nicht schuld an diesem Heiratsplan, das ist der König allein, der sich's nicht nehmen läßt, über das Schicksal seiner Kinder Bestimmungen zu treffen.«
»Er hat mit Ihnen darüber gesprochen?« fragte die Herzogin.
»Er hat es getan,« erwiderte der Herzog, »und daraus habe ich gesehen, daß es recht eigentlich sein Wille ist. Darum werden wir gar nichts dagegen ausrichten, wenn wir auch auftreten wollten.«
Die Herzogin schwieg.
»Bedenket selbst«, fuhr der Herzog fort, »wie wir hier am Hofe gestellt sind. So nahe ich dem Könige stehe, so gewiß ist's auch, daß ihm über mich alle Macht gegeben ist, die nur irgend dem Chef eines Hauses zusteht. Ich bin sein Eigentum, er kann über mich verfügen, wie er will, und ich habe keine andere Rettung als offene Empörung. Es aber dazu kommen zu lassen, davor sollen mich der Himmel und seine Heiligen bewahren. Er ist mein vielgeliebter Bruder, und ich hänge an ihm wie mit Banden der innigsten Zärtlichkeit. Als er mir den Plan mitteilte, erschrak ich, denn mir fiel sogleich Ihre Opposition ein! Im Grunde gefragt, worauf beruht denn diese Opposition? Sie wollen, daß unser Sohn eine ebenbürtige Prinzessin heiratet? Wo ist jetzt eine solche zu haben, mit der uns zu alliieren Frankreich Ruhm oder Nutzen brächte? Und dann wäre es wieder eine Fremde, und der Grundsatz des Königs geht dahinaus, die Einheit seines Hauses und seiner Familie so wenig wie möglich zu zersplittern. Hier findet sich nun ein Fall, wo er seiner Ansicht nach ohne Gefahr handeln kann, denn mein Sohn ist so gut wie sein Sohn. Die legitimierte Prinzessin ist kein uneheliches Kind mehr, und die Aussteuer, die er der Tochter, gibt, wird sich höher belaufen, als irgendein anderer Fürst geben kann.«
»Frau von Maintenon hat ihm diesen Plan eingegeben!« rief die Herzogin.
»Glauben Sie doch das nicht!« rief der Herzog. »So wie ich meinen Bruder kenne, ist das ein Ding der Unmöglichkeit. Frau von Maintenon mag darin eingestimmt haben, weil sie wußte, daß sie Sie dadurch kränken und beleidigen kann, allein den König dazu bewogen hat sie sicherlich nicht. Auch hat sie mit ihren eigenen Angelegenheiten zu tun.«
»Ich werde den König selbst sprechen.«
»Tun Sie das! Sie werden bestätigt finden, was ich Ihnen sage,« rief der Herzog. »Nichts wird durch eine solche Unterredung erreicht werden, als daß der König kühl gegen Sie wird, und die Heirat wird dennoch zustande kommen.«
Er entfernte sich bei diesen Worten und ließ die Herzogin mit ihrem Sohne allein. Sie ging im Zimmer auf und ab und blieb endlich vor dem Prinzen stehen.
»Also auch dich soll ich hingeben, mein Sohn! Auch du sollst das Schicksal der Mutter teilen, daß der Geier Politik dir das Leben wegfrißt! Auch als Mutter fällt die Furie mich an, die mir schon den Brautkranz als eine Last aufs Haupt drückte, die mir mein Heimatland verwüstete, hier raubt man mir den Sohn aus den Armen, um ihn an ihrem Altare zu opfern! O, Frankreich, Frankreich! Du Nagel zu meinem Sarge!« –
Sie zerfloß in Tränen.
Der Prinz hielt sie umschlossen und legte sein Haupt auf ihre Schulter.