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Die Familie Gervais

Georg hatte noch nicht Zeit gefunden, sich Paris zu besehen. Sein Dienst bei seiner Cousine verhinderte sein Ausgehen; jetzt hatte er einen halben Tag frei, und er beschloß, ihn dazu anzuwenden, Erkundigungen einzuziehen, ob noch irgendetwas von dem Etablissement des guten alten Jacques vorhanden war, oder ob alles, was ihn damals umgab, rettungslos in dem ewigen Umgestalten und Verschönern der Stadt verschwunden war. Er nahm sich vor, bei seinen Nachforschungen vorsichtig zu Werke zu gehen, denn er bedachte, daß er sowohl als seine ganze Umgebung sich völlig umgeformt hatten, und daß ein Erkennengeben von seiner Seite mit unangenehmen Folgen verbunden sein konnte.

Auf den Treppenstufen des Palais Royal, woselbst die Wohnung des Herzogs sich befand, entdeckte er einen träumerischen jungen Mann, der ihn anfangs fremd anblickte, dann lebhaft aufsprang und ihn auf das freundlichste begrüßte. Georg erkannte einen der Favoriten des Herzogs. »Ei, sieh da, Lafiat!« rief er, »was tun Sie hier? Ist Ihnen etwas Schlimmes begegnet?« –

»Durchaus nicht!« rief der junge Mann lebhaft, »und jetzt, da ich Sie sehe, halte ich den Tag für einen glücklichen. Wo wollen Sie hin? Darf ich Sie nicht begleiten?«

Georg war der Vorschlag nicht ganz angenehm. »Bedarf Ihrer der Herzog nicht?« fragte er, um anzuzeigen, daß die Begleitung ihm nicht gefiele.

»Nein!« rief der junge Mann mit einem trüben Blicke. »Lorraine ist bei ihm, und wenn der bei ihm ist, so hat er uns andere nicht nötig.«

Georg schwieg, und sie gingen beide die Treppe hinab.

»Welch einen schönen Degen Sie haben, mein Herr Graf,« hub sein Begleiter nach einer Weile an, indem er seine Hand an den Griff der Waffe legte, »es ist mir doch, als hätte ich ihn bereits gesehen. Hat nicht der Chevalier einen ähnlichen?«

»Es war früher der seine,« entgegnete Georg. »Wir haben die Waffen getauscht.«

»Ach, nun begreife ich!« rief der junge Mann, »und Sie haben ihm die schöne Waffe gegeben, mit der er jetzt herumgeht.«

»Die schöne?« bemerkte Georg lächelnd. »Sagen Sie das im Spott?«

»Sicherlich nicht. Es ist ein prachtvoller Smaragd am Knopfe oben. Dieser Stein allein ist über fünftausend Livres wert.«

»So hat er meinen Degen beiseitegestellt!« rief Georg. »Das sieht ihm ähnlich. Was sollte ein Zierbengel mit einem einfachen Eisen? Ich werde etwas Ähnliches mit dem seinen tun. Zudem liebe ich diese kostbaren Spielereien nicht.«

»Der Teufel soll meine Zunge holen!« rief Lafiat. »Es sieht bei meiner Treu so aus, als hätte ich da einen dummen Streich gespielt. Ich habe nicht gewußt, daß Sie die Waffe getauscht haben. Wie kann ich aber auch so einfältig sein! Ich muß Sie um Verzeihung bitten wegen meines Geschwätzes, Herr Graf.«

»Lieber Lafiat, wozu die Umstände!« rief Georg. »Was ich durch Sie erfahren habe, hätte ich auch ohnedies erfahren. Wir wollen von der Sache nicht weiter sprechen.«

»O; ich bitte sehr!« sagte der Jüngling schmeichelnd. »Es liegt mir alles daran, Ihre Freundschaft zu gewinnen, teurer Graf, und ich werde mir alle Mühe geben, Ihnen gefällig zu sein.«

»Sehr verbunden. Sie kennen den Chevalier?«

»Lorraine? O, sicherlich!« war die Antwort. »So weit man einen so buntscheckigen Burschen kennen kann. Es ist wahr, er ist ein sehr schöner Junge, aber weiter ist auch nichts an ihm, und Seine königliche Hoheit haben sich da ein hübsches Präsent gemacht.«

»Inwiefern?«

»Wir wollen die Sachen ruhen lassen,« bemerkte Lafiat. »Da ich mit zu der Brüderschaft gehöre, so will es sich nicht schicken, wenn ich meine Zunge daransetzte, sie hübsch vor anderer Leute Augen herauszuputzen. Aber Lorraine ist, so jung er ist, der verderbteste unter uns. Er weiß alles, was in des Teufels Küche gebraut wird, und wo er es irgend machen kann, ist er auch der erste, der davon kostet. Kennen Sie die Gesellschaft der Müllerknechte?«

»Nein.«

»Da hinein sollen Sie, da lernen Sie Paris kennen, und besonders den Hof,« sagte Lafiat mit einem Tone der Würde, die seltsam zu seinem runden, frischen Gesicht stand. »Da gibt es Geschichten! Wenn wieder Vereinigungstag ist, werde ich es Ihnen kundtun. Da müssen Sie aber für eine gespickte Börse sorgen, denn in der Mühle wird hoch gespielt.«

Während dieses Gespräches waren die zwei rüstig vorwärts geschritten, und kamen jetzt in eine Gegend, wo mehrere kleine Wege sich kreuzten. Georg blieb stehen und sah sich um. Er machte Miene, den ersten besten anzusprechen. Lafiat bemerkte dies und sagte gefällig: »Was wollen Sie wissen? Fragen Sie mich, ich kenne so ziemlich diese Gegend.«

»Ich möchte wissen, wo die Straße Recolliet sich befindet,« fragte Georg.

»Diese Straße ist weiter rechts, aber es ist eine Winkelgasse, und niemand wohnt dort von unserer Bekanntschaft,« entgegnete Lafiat.

»Tut nichts, liebster Lafiat, vielleicht wohnt doch der Mann dort, den ich suche.«

»Ah, das ist möglich! Hier ist die Gasse.«

Gleich am Anfang der Straße lag das Gasthaus zu den drei brennenden Herzen, was Georg auch sehr wohl wußte. Er sah sich darnach um, fand es aber nicht; statt seiner stand ein großes Haus da mit den Fenstern nach dem Platze zu. »Hat hier nicht früher eine Schenke gestanden?« fragte er seinen Begleiter.

»Ja, zu den drei brennenden Herzen.«

»Ganz recht; wo ist die?«

»Sie hat aufgehört zu existieren,« erklärte der junge Page. »Der Wirt machte bankerott, das Seinige wurde ihm genommen, und eine reiche Witwe kaufte das Haus, ließ es ausbauen und bewohnt es nun.«

»Der arme Jacques Bertholet!« rief Georg.

»So hieß der Mann!« rief der Jüngling. »Sie werden ihn finden in dem kleinen Gäßchen der blinden Leute, drüben, jenseits des Flusses. Er hat einen kleinen Bücherladen von Skripturen, die er ehemals den Studenten abgenommen und die er jetzt verkauft. Mein Vater kennt ihn und hat manchen guten Handel mit ihm gemacht.«

»Ihr Herr Vater?« fragte Georg erstaunt.

»Er ist Arzt « entgegnete der junge Mann und setzte seufzend hinzu: »Aber leider mit keinem sehr guten Auskommen. Er hat eine große Familie zu ernähren, von der bis jetzt nur ich und eine Schwester versorgt sind. Meine Schwester, die um ein paar Jahre älter ist als ich, ist in Schloß Rambouillet bei der Dame des Hauses als Vorleserin angestellt.«

»In Schloß Rambouillet?« fragte Georg. »Das ist ja wohl der Ort, wo die modischen Schöngeister sich versammeln?« –

»Früher!« sagte der Page, »als die Frau von Sévigné dort lebte. Die jetzige Herrin von Schloß Rambouillet ist eine Freundin Racines und Corneilles, sie macht ebenfalls Verse, aber ich glaube nicht, daß sie sich einbildet, den Ruf, den das Schloß sich durch die Gegenwart der liebenswürdigsten Frau der Monarchie erworben, fortzusetzen oder vielmehr neu zu begründen. Sie heißt Ninon de Lenclos.«

»Und dort ist Ihre Schwester, Lafiat?«

»Dort ist sie! Ach!« –

»Worüber seufzen Sie?««

»Obgleich wir beide scheinbar sehr gut untergebracht sind,« bemerkte der junge Mann mit einem trüben Blicke, »so wissen wir doch beide nur gar zu wohl, wo uns der Schuh drückt. Doch wieder auf Jacques Bertholet zu kommen. Sie kennen ihn also?«

»Ich? Nein!« erwiderte Georg rasch. »Ein junger Mann meiner Bekanntschaft aus Deutschland hat mich gebeten, mich nach ihm zu erkundigen.«

»Das können Sie am besten tun, wenn Sie hier im Hause der Witwe den Herrn Paraclet Bonhomme zu sprechen suchen. Er war einer von den Stammgästen des guten alten Bertholet und war dabei, als die Schenke verkauft und niedergerissen wurde.«

»Paraclet!« rief Georg stürmisch. »Wo – wo ist er?«

»Wir brauchen nur hier an der Glocke zu ziehen, so wird man uns aufmachen. Ohne Zweifel wird man nicht darauf gefaßt sein, so vornehmen Besuch zu beherbergen.« Er streckte die Hand nach dem Glockenzuge aus, als Georg ihn verhinderte, indem er sagte: »Ein andermal, lieber Lafiat, ein andermal! Was ich mit dem Herrn Bonhomme zu sprechen habe, hat Zeit. Was sagten Sie, ist Ihr Herr Vater? Arzt?«

»Ja,« erwiderte der junge Mann und blickte Georg zweifelnd von der Seite an. »Haben Sie einen nötig?« setzte er dann verlegen lächelnd hinzu. »Dazu wird aber mein Vater sich nicht hergeben, er ist sehr eigen und rechtlich.«

»Nicht doch!« rief Georg lachend, »was sollte mir fehlen, und wodurch sollte ich in den Fall kommen, einen Äskulap um seine Pillen zu bemühen?«

»O, das ist sehr leicht hier in Paris!« entgegnete Lafiat.

»Meine Gebieterin sucht einen!« rief Georg. »Sie hat zwar ihre eigene Ansicht über die Kunst der Ärzte, und unter uns gesagt, sie hält wenig davon. Allein man hat ihr vorgestellt, daß ihr Haus eines Arztes bedürfe, und da hat sie sich entschlossen, einen zu wählen, der womöglich in Deutschland seine Studien gemacht hat.«

»Das trifft sich ja vortrefflich!« rief der junge Lafiat erfreut. »Mein Vater hat sich in Heidelberg einschreiben lassen und ist ein halbes Jahr daselbst geblieben, dann ist er auch in Wittenberg gewesen, wo er aber bald, einer Schlägerei wegen, hat das Feld räumen müssen. Sie werden den Vater kennenlernen, werter Herr Graf; erlauben Sie, daß ich Sie ihm vorstelle.«

»Das ist mein Wunsch!« rief Georg. »Lassen Sie uns unsere freie Zeit benutzen und gleich zu ihm gehen.«

»So sei es!« rief der junge Lafiat.

Sie gingen noch ein paar Straßen, dann kamen sie an ein großes ärztliches Institut für Kranke; dort erkundigte sich der Sohn, und man wies ihn in ein Zimmer. Von dort zurückgekommen, rief er seinem Gefährten zu: »Wir wollen ihn im Hause aufsuchen, wo er jetzt ist.« Eine Wohnung im Nachbarhause war die des Arztes. Herr Lafiat Gervais befand sich gerade in seinem Studierzimmer, als ihm sein Sohn mit einem fremden Herrn vom Hofe gemeldet wurde. Der Arzt trat aus seinem Zimmer, und nachdem er seinem Sohne freundlich die Hand gereicht, sah er sich mit einer Miene von Mißtrauen den fremden Jüngling an, ehe er dessen Gruß erwiderte. »Mein Vater,« begann der junge Lafiat, »hier ist der Herr Graf von der Pfalz, der mit unserer neuen Herzogin aus Deutschland gekommen ist und dich kennenlernen möchte, aus keinem anderen Grunde, als weil er von mir gehört, daß du in Heidelberg und Wittenberg studiert hast.«

»Wie?« sagte der Vater, »hast du dem Herrn Grafen gesagt, daß ich in jenen beiden Städten studiert habe? Ich habe daselbst nichts weiter getan, als in dem ersten einem jungen Manne meiner Bekanntschaft eine Wunde verbunden, und in dem zweiten habe ich mir selbst eine Wunde schlagen lassen. Nennt man das studieren?« –

Die Weise, in der Herr Lafiat Gervais dies sagte, war so komisch, daß Georg laut auflachen mußte und freimütig entgegnete, daß man das allerdings nicht studieren nennen könnte.

»Aber ich achte die deutsche Kunst, und ihre Jünger haben mir Respekt eingeflößt! Das ist wahr, und diese Wahrheit bin ich überall zu beteuern erbötig!« sagte der Arzt. »Wollte der Himmel, man könnte dasselbe von unseren Ärzten sagen. Doch dies unter uns, mein junger Herr und Freund. Man macht sich eben keine Freunde, wenn man seine Herren Mitbürger verlästert. Paris hat große Ärzte, wer wollte dies leugnen, und es hat in schwierigen Fällen noch immer seinen Mann gewiesen. Arthur, du wirst deine Schwester heute bedeutend besser finden; geh hin, mein Sohn, besuche sie und frage, ob wir auch kommen dürfen.«

Der Jüngling entfernte sich, und die beiden Zurückbleibenden vertieften sich in eine Untersuchung über die Vorzüge und Mängel einer großen Stadt wie Paris. Georg gewann den Mann lieb, der einfach und natürlich, nicht ohne Beimischung einer unschuldigen Satire, sich aussprach, und er war eben daran, ihm das Wahre und die Eigentümlichkeit einer deutschen Stadt im Vergleich zu Paris zu schildern, als Artur zurückkam und versicherte, Madeleine würde sich sehr freuen, in ihrer Krankenstube den Vater mit seinem Gaste zu sehen.

»So lassen Sie uns denn gehen!« sagte der Arzt, und schob Georg vor sich hin. Der Page folgte. Sie traten in ein helles, luftiges, reinliches Zimmer, wo zwei junge Mädchen in sittsam bürgerlicher Kleidung, mit Schürzen und Häubchen versehen, ihnen bewillkommnend entgegentraten. »Dies ist meine Tochter Madeleine,« rief der Arzt, ein blondes, blauäugiges, siebzehnjähriges Mädchen Georg vorstellend, »und diese da ist ein kleiner Unhold, ein böser Kobold mit Namen Susanne, und scheinbar eine Freundin Madeleines, eigentlich aber ihr und unser aller Ruhestörerin und Hausfreundin.«

Das junge Mädchen, das so vorgestellt wurde, machte eine empfindliche Miene und drohte dem Arzte mit dem Finger, worüber die andern alle lachten. Sie war kleiner als die Tochter, schwarz von Haar und Augen, mit einem hübschen Mündchen und wundervollen Zähnen, die sie nicht verfehlte bei jedem Worte zu zeigen, bei dem sich ein Lachen als Begleiter anbringen ließ.

»Wenn ich böse bin,« rief sie, »so habt Ihr mich dazu gemacht; denn keinem menschlichen Geschöpfe wird so übel mitgespielt wie mir. Schon öfters habe ich ernstlich daran gedacht, dieses Haus aus der Reihe meiner Bekanntschaften auszustreichen, immer aber fiel mir ein, daß es die Stätte sei, in welcher meine beste Freundin lebt, und da habe ich es stets wieder sein lassen.«

»So ist's recht!« rief Herr Gervais mit Lachen. »Tat doch der liebe Gott nicht anders, als er damit umging, eine verhaßte Stadt samt ihren Einwohnern von der Erde zu vertilgen; er ließ sich zuvörderst die herausholen, die ihm gefielen. So hoffe ich, daß, wenn Fräulein Susanne Paris den Flammen übergibt, sie zuerst mich, meine Frau, meine Tochter und vielleicht auch meinen Sohn herausführen lassen wird, oder darf ich diesen freundlichen Wunsch auch auf unseren Freund hier« –er wies auf Georg – »ausdehnen?«

Susanne stand mit Erröten dem Genannten gegenüber. »Es ist möglich,« sagte sie, »daß Monsieur sich so artig beträgt, daß er den Beweis führt von seinem Rechte zur Ausnahme. Fürs erste weiß ich's noch nicht.«

»Da haben wir's!« rief der Arzt. »Sie gibt nichts zu. O, Susanne, Susanne, wo ist ein Kraut gewachsen für deinen Starrsinn und Eigensinn?« –

So war gleich beim Beginn der neuen Bekanntschaft durch Herrn Gervais' munteres Wesen eine gewisse Zutraulichkeit eingeleitet, die sich durch Erzählungen und Gespräche anmutig fortsetzte. Madeleine war, gegen ihre Freundin gehalten, still, aber man sah ihr an, daß sie dem Geplauder mit Aufmerksamkeit folgte und kein Wort von dem, was die anderen sprachen, verlor. Als eine Pause entstand, wandte sie sich zu ihrem Bruder und fragte nach Babet, der älteren Schwester, die bei Fräulein von Lenclos sich befand. »Ich habe sie seit einer Woche nicht gesehen, und alles, was sie mir Freundliches erwiesen und geschickt, erhielt ich durch eine ihrer Freundinnen, die hier in der Nähe in einem Putzladen beschäftigt ist.«

»Du mußt sie entschuldigen,« antwortete der Bruder. »Fräulein Lenclos ändert ihr Quartier, sie zieht in das Faubourg St. Germain, und da hat Babet alle Hände voll zu tun, ihr behilflich zu sein. Sie hat uns in diesen Tagen, im Namen ihrer Dame einladen lassen, die neue Wohnung zu besehen. Was mich betrifft, ich werde nicht verfehlen hinzugehen! Schon um alle die Bewohnerinnen des Schlosses Rambouillet beisammen zu sehen und ihren glänzenden Unsinn anzuhören, ist es nötig, sich hinzubegeben.«

»Lieber Freund,« sagte Madeleine, »du spottest nach der Weise der jungen Herren über Dinge, die du nicht verstehst. Die jungen Damen sind voll Kenntnis und haben den feinsten Geschmack, wie man ihn bei Hofe nicht einmal kennt.«

»Oho, bei Hofe!« rief der Bruder. »Ich möchte wissen, wo die Prüden und Preziösen das herhaben, wenn nicht vom Hofe? Nur was bei uns sich im Sinne einer edlen Einfachheit und wahrer Würde entwickelt hat, haben sie übertrieben und daraus ein Zerrbild gemacht.«

»Gleichviel,« rief die Schwester empfindlich, »Fräulein Lenclos ist keine Prüde.«

»Ja, weiß Gott,« riefen Vater und Sohn, »das ist sie nicht.«

»Und auch keine Preziöse!« setzte Susanne hinzu. »Sie ist eine artige, schöne, reiche Weltdame, die alle Welt bei sich sieht, folglich auch die Bewohnerinnen des Schlosses Rambouillet.«

»Wir wollen alle hingehen, da uns Babet einladet!« rief der Vater Gervais. »Man muß jedes Ding in der Welt selbst betrachten und seine Vorzüge und Mängel kennenlernen, und sollte dieses Wesen auch so widerhaariger Natur sein, als es Mademoiselle Susanne ist.«

»Ei, seht doch, mein Herr! Ich will mich aber nicht betrachten und untersuchen lassen!« rief die Aufgezogene munter. »Ich habe allen Respekt vor Ihren Salbentöpfen und getrockneten Eidechsen. Hu, man sehe nur in das Laboratorium eines Chemisten! Was brodelt, kocht und vermischt sich nicht alles daselbst. Eine ganze Küche des Teufels. Nein, nur keinen Arzt, habe ich immer meiner Mutter geantwortet, wenn sie das endlose Thema vom Heiraten begann.«

»Und Sie werden doch einen Arzt heiraten, Susanne!« rief Artur, sie vom Rücken aus plötzlich umarmend und ihr einen Kuß raubend. »Die Ärzte wissen recht gut, was jung und hübsch ist, gerade weil sie immer mit etwas Trockenem und Veraltetem zu tun haben.«

So spielte sich der lustige Auftritt noch eine Weile weiter. Georg war nach Verlauf der ersten Stunde in diesem Familienkreise so bekannt, als wäre er darin aufgewachsen. Er entfernte sich mit dem Versprechen, bald wiederzukommen. Im Nachhausegehen dankte er Lafiat für das Vergnügen, das er ihm verschafft. Noch hatte er Herrn Lafiat Gervais nichts von dem Wunsche der Prinzessin gesagt; er nahm sich vor, dies beim nächsten Besuche zu tun.


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