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Die Leibwache der Prinzessin

Die Herzogin von Berry war durch ihren Vater verwöhnt. Von Natur stolz und hochmütig im Übermaß, wurde sie es durch die verkehrten Erziehungsmaßregeln ihres Vaters nach Grundsätzen. Diese Erziehungsmaßregeln waren nichts als Galanterien eines Liebhabers, der seiner Schönen womöglich alle Schätze der Welt zu Füßen legen wollte. Gleichen Schritt mit ihrem Übermut ging ihre Vergnügungssucht und ihr Verlangen nach ausschweifenden Genüssen. In ihr lebte jene Julia wieder auf, deren Charakter einst die Sorge und die Verzweiflung ihres Vaters, des ehrlichen Augustus, gewesen war. Nur mit dem Unterschiede, daß Augustus seine Tochter liebte, aber nicht verliebt in sie war. Mit einem feinen, sylphenartigen Körper, dem jede Anstrengung zuviel schien, verübte doch die Prinzessin Ausschweifungen, die man höchstens einer derben Natur zutrauen mochte. Aber freilich war die Ausdehnung der Zeit, wo sie sich auf die Ausdauer und Genußfähigkeit ihrer Nerven verließ, nicht sehr weit gemessen; sie erlag bald einem Übel, zu dem der Keim bereits in ihrer Konstitution vorhanden war.

In der Zeit, von der wir sprechen, war die junge Herzogin das frischeste und reizendste Wesen, das man sehen konnte.

Die gewöhnlichen Auszeichnungen einer Tochter Frankreichs waren ihr nicht gut genug, sie strebte vor allen Dingen, ein Palais zu besitzen, dessen Lage gesondert war von den übrigen fürstlichen Wohnungen, von denen aus man sie belauschen konnte, sie bat daher ihren Vater, ihr den Palast Luxembourg zu geben, und nachdem sie diesen erhalten, richtete sie sich darin ein, völlig nach ihren Launen. Sie empfing, wen sie wollte, und empfing zu Zeiten, die ihr behagten. Die Nacht ward zum Tage gemacht. Alsdann strebte sie danach, eine eigene Leibwache zu besitzen. Dies war eine ungewöhnliche Bevorzugung, die nur gekrönten Häuptern zukam, und die eine Prinzessin in Frankreich noch nicht besessen hatte. Der Regent gewährte auch diesen Wunsch, doch gab er der Angelegenheit ein gewisses Ansehen von Ehrfurcht, indem er zugleich seiner Mutter ebenfalls eine Leibwache bewilligte. Die gute Frau wußte mit diesem kostbaren Möbel nicht viel anzufangen. Der geräuschvolle Pomp der Waffen war für sie nur unangenehmer Lärm, wenn sie ihr Lieblingsstündchen im Theater zubringen wollte, und die Befehle, die sie erteilen mußte, spannten ihre Aufmerksamkeit unnütz auf einen Gegenstand, der deren nicht wert war. Sie kam daher nur ein paarmal mit ihrer Leibwache zum Vorschein, später erhielt dieselbe Wache Befehl, sich zu der übrigen Besatzung von Paris zu gesellen und dort mit dieser die üblichen Manöver zu machen, nur daß sie den Namen Leibkompagnie der Frau Herzogin-Witwe zu führen die Ehre hatte. Ganz anders nutzte die Nichte die ihr zugeteilten Truppen. Fürs erste sorgte sie dafür, daß es die schönsten Männer waren, die sich auftreiben ließen, und zweitens setzte sie sie fortwährend in Atem. Bald hierhin, bald dorthin mußten sie vorangehen, bald hier, bald dort mit Parade und Lärm auftreten und die Blicke der Menge auf sich ziehen. Es wirkte sehr imposant, wenn ein langer Zug von berittenem Militär die Straßen hinaufzog im Schall kriegerischer Instrumente, alsdann der Wagen der Prinzessin folgte und dann wieder die behelmten und betreßten Reiter den Schluß machten. Es schien in der Ordnung zu sein, daß die höheren Offizierschargen zugleich die begünstigten Liebhaber der schönen Prinzessin waren, und so sehr der Vater gegen diese Verwendung der ihr bewilligten Militärmacht protestierte, es geschah doch, wenn auch heimlich. Ihre Hofdame, Frau von Pons, besorgte diesen Teil der Überwachung der Liebhaber vollkommen im Sinn der Prinzessin.

Eines Tages fanden sie in den inneren Hofräumen des Palais einen jungen Menschen von großer Schönheit bei einem Bündelchen mitgebrachter Sachen sitzen und weinen.

»Was fehlt dir, mein Sohn?« fragte die Prinzessin, die mit ihrer Hofdame unerkannt hier herumwandelte.

»Ach, Madame,« sagte der junge Bursche, indem er sich mit der Hand die Tränen von den Wangen trocknete, »dieses verfluchte Paris! Hätte ich es doch nie gesehen, und diese verfluchte Herzogin, die sich in das Glück der Familien eindrängt, wäre mir ihr Name nie genannt worden!«

»Ei!« rief Frau von Pons, »was fällt dir ein, Bursche, weshalb schiltst du auf die Prinzessin?«

»Weil sie an meinem Unglück schuld ist,« erwiderte der Rekrut.

»An deinem Unglück? Sprich, inwiefern?«

Der junge Bursche ließ sich nicht lange nötigen. Er erzählte den beiden Damen, wie er an der Grenze der Schweiz zuhause sei, wie er ein liebes Mütterle habe und es ihm ganz gut gegangen sei, da wäre der Werber erschienen und hätte ihn mit nach Paris genommen, wo sie ihm gesagt hätten, er werde sein Glück machen, weil er zur Leibwache der Prinzessin bestimmt sei.

»Da haben sie die Wahrheit gesagt!« rief Frau von Pons. »Sieh, hier ist das Palais der Prinzessin! Sie ist eine junge Frau, die dir nichts zuleide tun wird. Du wirst Kameraden haben, die dich liebhaben werden, und du wirst ein Leben führen wie der Herrgott in Frankreich.«

Der junge Mann sah die Sprechende mit seinen großen, dunkeln Augen forschend an, dann blickte er wieder zu Boden, indem er es nicht der Mühe für wert hielt, darauf zu antworten.

Die Prinzessin betrachtete unterdes mit Aufmerksamkeit seine Schönheit.

Plötzlich sah der Rekrut wieder in die Höhe, und sich an die Prinzessin wendend, fragte er mit Lächeln: »Sie, junges Ding, weiß Sie mir nicht zu sagen, wo ich ein gutes Gläschen bekommen kann? Mich dürstet.«

Frau von Pons eilte fort und kam bald wieder mit einer Flasche und einem Glase. Die Prinzessin goß ihm ein, und er trank das Glas leer. Als er es ihr zurückgab, faßte er ihre Hand und drückte sie gutmütig. »Was du für eine kleine, weiße Hand hast!« rief er. »Bei Gott, du bist ein hübsches Mädchen! Ach, wenn ich nur wieder frei wäre!«

»Ich will bei der Frau Prinzessin für dich bitten, sie wird alsdann befehlen, daß sie dich wieder ziehen lassen!« rief die Herzogin.

Er sprang auf, schloß sie in seine Arme, und indem er ihr einen herzhaften Kuß gab, rief er: »Goldmädchen! Wenn du es zustande brächtest, ich könnte dir auf deine ganze Lebenszeit gut sein!«

Die beiden Damen sahen sich um, ob die Szene keine Zuschauer hätte, allein zufällig erschien niemand in dem abgesonderten Winkel des Hofes.

»Ich will dir sagen,« hub Frau von Pons an, »geh selbst zur Prinzessin und trage ihr deine Bitte vor.«

»Ich? Zu ihr? Gott soll mich bewahren!« rief der Rekrut. »Wenn der Leutnant das erführe! Nein, dergleichen wage ich nicht.«

»Gut, wir werden uns schon wiedersehen!« bemerkte Frau von Pons. »Wie heißt du?«

»Augustin Brion.«

»Gut, Augustin, du sollst Nachricht von uns erhalten.«

Mit diesen Worten verschwanden die beiden Damen. Augustin war sehr zufrieden. War nun der gute Geschmack des Gläschens daran schuld, oder war es die Freundlichkeit und die Schönheit der jungen Person, die es ihm gegeben; er wußte es nicht. Aber er fühlte sich um vieles leichter, und Paris fing an ihm einen kleinen Beifall abzulocken.

Unterdessen war Befehl gegeben, Augustin Brion ganz besonders gut zu behandeln. Frei kam er indessen nicht.

Der Unteroffizier machte es sich zur Pflicht, ihm die hohen Herren und Damen des Hofes zu zeigen, damit er nicht verfehle, vor ihnen zu salutieren, wenn er einen Posten inne hatte. Als der Regent ihm gezeigt wurde, rief er: »Den kenne ich schon, der hat den Stern, den kein anderer tragen darf.«

Als man ihm seinen Chef, die Prinzessin, zeigte, wurde er nachdenklich.

»Was ist dir, Brion?« fragte der Korporal.

»Ich glaube diese Dame auch schon gesehen zu haben,« erwiderte der junge Soldat respektvoll. Er sagte aber nicht, wo.

Die junge Dame, als sie ihn in Reih und Glied stehen sah, betrachtete ihn mit besonders freundlichen Augen. »Aha,« dachte Brion, »sie ist's! Ich habe die Ehre gehabt, von einer Tochter Frankreichs ein Gläschen Brienzer Wasser erhalten zu haben. Das ist ein guter Anfang.«

Obgleich Augustin Brion nicht freikam, so diente er doch mit Freuden, denn er wußte, daß die Prinzessin sich seiner erinnerte, und daß sie ihm gut war. Eines Tages stand er Posten an einem Seiteneingang. Der Korporal hatte ihm gesagt, er solle jeden einlassen, der mit dem Schnupftuche in der rechten Hand ankäme. Es war dies ein Zeichen, wie es sehr viele damals gab, denn die hohen Herren hatten mancherlei Gründe, Personen bei sich einzulassen, die durch ein Zeichen, das sonst niemand anders verstand, kenntlich wurden. Der Soldat hatte nacheinander vier Personen eingelassen, die ihm alle in einer gewissen Beziehung verdächtig vorkamen. Es war der Fähnrich, dann der Leutnant, alsdann der Kapitän der Leibwache. Sie alle waren hübsche Männer! Man begriff nicht recht, was sie bei der Prinzessin zu suchen hatten. Zuletzt kam ein Mann mit einem zerstreuten Ansehen, der kein Schnupftuch hatte. Er trug einen einfachen blauen Rock. Der Soldat ließ ihn nicht ein.

Der Mann lachte. »Was fällt dir ein!« rief er. »Weißt du nicht, daß ich hierhergehöre?«

»Ich weiß nur,« entgegnete Brion, bereits übler Laune gemacht durch die Vorgänger des Mannes, »daß Ihr das gehörige Zeichen nicht habt, um hier durchpassieren zu können.«

Der Mann sah den jungen Soldaten nachdenklich an, endlich griff er in die Tasche und hielt sein Tuch: »Ist's so recht?«

»Nein.«

»Wie? Nicht? Du bist ja des Teufels, Junge!«

»Herr, erlaube Er sich nicht, hier zu schimpfen, oder ich arretiere Ihn!«

»Mich willst du arretieren?« rief der Mann und lachte aus vollem Halse. »Ist's so recht?« rief er und nahm das Taschentuch in die andere Hand.

Augustin ließ ihn ein.

Als seine Stunden vorüber waren, kam ein Diener des Schlosses und beschied ihn zur Prinzessin. Sie war in einem zierlichen, mit aller Bequemlichkeit ausgestatteten Gemach, saß auf dem Sofa und las. Als Brion eintrat, stand sie auf, näherte sich ihm und lächelte auf dieselbe Weise, womit sie das erstemal Brions Herz erobert hatte. Aber jetzt ließ er sich nichts merken, er stand gerade und steif vor ihr, wie einem Soldaten geziemt, wenn der Chef mit ihm spricht.

»Brion, du hast heute einen Mann nicht eingelassen, der zu mir gehörte.«

»Befehlen königliche Hoheit.«

»Warum hast du das getan?«

»Weil es ein miserabler Wicht war,« rief Brion, »der keinen guten Rock auf dem Leibe hatte und dabei gegen mich grob wurde. Auch besann er sich nicht auf das Zeichen.«

»Der Mann war mein Vater!« rief die Prinzessin lachend.

Brion schwieg. Diese Neuigkeit kam ihm zu überraschend. Auch hatte er bei dem Regenten diesmal den wohlbekannten Stern nicht bemerkt. Ins Gesicht hatte er ihm wohl gesehen, aber nicht viel bemerken können, weil der Mann den Hut tief in die Augen gedrückt hatte.

»Nun, was sagst du dazu, Brion?« fragte die Prinzessin, immer in der besten Laune. »Du sprichst ja kein Wort.«

»Ich weiß mich nicht zu entschuldigen,« erwiderte der Soldat. »Wenn es in der Tat Seine königliche Hoheit waren, muß ich meine Strafe erdulden.«

»Er hat dir verziehen; er hat sogar für dich etwas bei mir abgegeben,« rief die Prinzessin. »Setze dich, laß uns miteinander plaudern. Erzähle mir etwas von deinem Vaterlande. Du weißt, wir kennen uns schon.« Die Prinzessin machte dabei Augen voll so liebenswürdiger Schalkheit, daß dem Soldaten wieder das Herz aufging und er nicht bedachte wo er war.

»Ach ja,« sagte er, »Sie waren es, königliche Frau, die mir das abscheuliche Paris zum ersten Male ordentlich lieb machte. Ich dachte mir, könntest du doch dieses hübsche, engelgute Mädchen zu deiner Mutter bringen und sie bitten, sie liebzuhaben.«

»Das ist ein Beweis deines guten Herzens, Brion!« rief die Prinzessin.

»Nur eins gefällt mir nicht,« rief der Soldat.

»Was ist dies?«

»Daß Ihr so viel Gesellschaft um Euch seht. Ihr solltet ganz allein sitzen, und wenn Ihr doch jemand um Euch seht, so sollte dieser jemand – nun ja doch! – so sollte ich das sein!« –

»Ach, du bist eifersüchtig.«

»Ja,« sagte Brion treuherzig.

»Das darfst du nicht sein, Augustin. Sieh, Paris ist so groß, da gibt es viele Menschen, die lieben und hassen sich durcheinander, wollte nun einer anfangen immer an die sich zu hängen, die er sich einmal ausgesucht, da gäbe es ein langweiliges Leben.«

»Gerade solch ein Leben liebe ich,« rief der junge Soldat. »Du und ich, die ganze übrige Welt möge getrost zum Teufel gehen, besonders die Herren mit den Schnupftüchern in der rechten Hand. Pfui, ein Papa, der auch mit den anderen läuft! Kann der nicht anständig bei Tageslicht zu seiner Tochter kommen? Muß er wie ein erhitzter Spaßmacher, mit Gelächter und groben Späßen zu seiner Tochter schleichen? Das gefällt mir nicht.«

»Das tut mir leid! Dann mußt du mich aufgeben, Augustin,« rief die Prinzessin. »Denn anders bekommst du mich nicht zu sehen. Sieh einmal, der grobe Wicht hat dir hier ein Geschenk gemacht.« Sie zog eine Rolle von fünfzig Dukaten hervor und legte sie vor Augustin nieder. »Und seine Tochter, deine gehorsame Dienerin, legt noch etwas hinzu.« Dies sagend, legte sie zu den fünfzig noch zwanzig. »Ist das nicht ein hübsches Geschenk?«

»Ach, Eure königliche Hoheit sind sehr gütig!« rief Augustin freudig, »aber sein Geld kann ich nicht nehmen. Wofür denn das? Dafür, daß ich ihn einließ? Das war meine Pflicht. Aber die zwanzig werde ich nehmen und sie meiner Mutter schicken. Ach, herzliebes Mädchen, jetzt, da wir allein sind, ist's erlaubt, dich am Kopfe zu nehmen und recht herzlich abzuküssen? Hole der Teufel alle Fähnrichs und Leutnants, sie mögen das ihrige bekommen, es bleibt noch genug für mich übrig!«

Und Augustin nahm sich das, was für ihn übriggeblieben war.


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