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Mutter und Sohn

Im Kloster zum heiligen Joseph, das sie selbst gegründet, hatte sich die Marquise von Montespan eine Reihe fürstlich dekorierter Gemächer vorbehalten, in denen sie die Besuche des Hofes, ihrer Familie und der Würdenträger der Kirche und des Reiches empfing. Stolz wie eine Königin saß sie unter ihren fürstlichen Kindern, nichts war an ihrem Wesen bemerkbar, das auf Verminderung ihres Ansehens oder Zurücksetzung in ihrer Stellung deutete, denn noch war die Ungunst Ludwigs nicht erklärt, auch kein Schritt getan, der sie als abgesetzte Mätresse bezeichnete. Sie ahnte wohl ihr Schicksal, aber sie setzte alles daran, diese Ahnung Lügen zu strafen, indem sie die ganze Energie und Lebendigkeit ihres Charakters anwandte, die wenigen Zeichen der Gunst, die sie noch empfing, zu dem zu machen, was sie nicht waren, zu den Zeichen der Liebe und Ergebenheit des Königs. Sie empfing mit Stolz die Besuche der Äbtissin des Klosters, die fast jeden Morgen kam, sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, dann gab sie ihrem Almosenier den Befehl, diejenigen Summen, die sie für diesen Zweck beiseitegelegt, zu verteilen. Alsdann nahmen zwei Stunden des Tages ihre Zeit hin zu andächtigen Werken, in denen sie aufs äußerste gewissenhaft war. Die darauf folgende Zeit war zum Empfang der Besuche eingeteilt, die manchmal die Form von Huldigungen annahmen, wie sie sie einst gewohnt war. Ihre Töchter, als legitimierte Kinder des Königs, nahmen, wenn sie sie besuchten, Plätze ein, die ihrem Range zukamen, sie wußte sehr geschickt das Gefühl der Kinder des Hauses mit dem der Herzoginnen und Töchter Frankreichs zu verbinden. Den übrigen Teil des Tages brauchte sie, Fahrten zu machen, die sie oft weit hinaus in die Umgegend von Paris und den Lustschlössern führten. In allem diesem merkte man nichts von Abnahme oder Verminderung ihrer Stellung, außer daß sie sich nicht in der Nähe des Königs befand. Dies konnte jedoch auch ihr eigener momentaner Wunsch sein, so wie sie das öfters bewiesen hatte zur Zeit ihrer wohlgegründeten und anerkannten Herrschaft. Nur das schärfer blickende Auge erkannte einen Unterschied. Die Boten, die der König absendete, sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, kamen immer seltener und wurden immer ungeduldiger erwartet. Oft blieb die Frau von Montespan zu Hause, um einen solchen Boten zu erwarten, der nicht kam. Es wurde dies auf die Zerstreutheit und die Fülle der Geschäfte des Königs geschoben, aber die gut Unterrichteten wußten, daß für Ludwig nie Geschäfte oder eine Laune ein Hindernis waren, zu tun, wozu ihn sein Herz trieb. Und dann hatte die Abwesenheit der Dame von dem Könige nie so lange gedauert, als es jetzt der Fall war. Selbst im Kloster fiel dies auf, und die Äbtissin, obgleich die Untertänigkeit und der Gehorsam selbst gegen ihre durchlauchtige Kostgängerin, unterließ doch nicht, sie darauf aufmerksam zu machen, daß, seit der König seine Reise in die Bäder aufgegeben, er müßig in Paris sich befinde, und daß man nicht recht wisse, womit er die Zeit seiner Muße ausfülle. Die Marquise überhörte diese Bemerkungen, die ihr von allen Seiten her zukamen, später aber war es kaum möglich, sie unbeachtet zu lassen. Die Unruhe der Dame bewog sie, sich Gewißheit zu verschaffen, ob ihre geheimen Befürchtungen Grund hätten. Sie entschloß sich an den Hof zu gehen, gleichsam gegen oder vielmehr ohne die Erlaubnis des Königs, nur wollte sie diesen Entschluß so plötzlich ausführen, daß kein Widerspruch möglich war und keine Bedenklichkeit Platz finden konnte. –

In diesen Tagen der Ungewißheit langte ein Brief der Frau von Maintenon an, der seltsamerweise auf alles und jedes einging, aber nicht ein Wort enthielt von einem Wunsche des Königs oder einem Befehl, daß sie sich wieder bei ihm einfinden solle. Die stolze Frau fand dies empörend, doppelt beleidigend von einer ihr untergebenen, von ihr emporgehobenen und unterstützten Frau, die jetzt im Tone völliger Gleichstellung an sie zu schreiben wagte. Gerade jetzt wollte sie reisen, sie fand es unziemlich, von hier aus eine Aufforderung oder einen Ruf abzuwarten. Sie besann sich, in welchen Ausdrücken sie mit dem König von dieser Witwe Scarron gesprochen, und plötzlich erschien sie ihr wieder so unbedeutend und so wenig Einfluß auf ihre Entschlüsse ausübend, daß sie sich wunderte, nur irgendein Wort der Zustimmung von dieser Unbedeutenden erwartet zu haben.

Der Befehl war gegeben, die notwendigen Sachen waren gepackt, als der Herzog von Maine anlangte. Dieser Günstling des Königs, sein »geliebter Sohn«, wie er ihn oft nannte, gab plötzlich der Angelegenheit eine andere Wendung. Er erschien ihr als der willkommene Bote, der da kam, sie im Triumphe abzuholen. In der Tat hatte die Miene und die Manier des Herzogs etwas von einem Glücksboten an sich. Freudestrahlend, mit dem Zuge der Güte und der Hinneigung, die der erfahrene Heuchler schon so frühzeitig seinem Gesichte einzuprägen verstand, erschien er vor seiner Mutter, die ihm entgegenflog und ungeduldig seinen Handkuß duldete. Da der Salon voll von besuchenden Damen und Herren war, geschahen die ersten Bewillkommnungsgrüße ganz in der Form, wie sie üblich war, und nichts entdeckte dem aufhorchenden Ohre und den lauschenden Augen die eigentliche Sendung des Herzogs. Erst als es ihm gelungen war, seine Mutter in ihr Kabinett zu ziehen, wohin niemand ihr folgte, kam der entehrende und für einen Sohn seiner Mutter gegenüber nichtswürdige Auftrag, zu dessen Überbringung der Herzog sich hinzugedrängt hatte, um dem König und der Frau von Maintenon sich gefällig zu beweisen. Das Gespräch zwischen den beiden war kurz, enthielt aber dabei alles, was es nur Beleidigendes und Durchbohrendes für die unglückliche Frau geben konnte.

»Sie machen Anstalten zur Reise?« fragte der Herzog.

»Wie Sie sehen, mein Sohn. Ich gehe zum Könige, der bereits sehr lange ohne mich ist.«

Des Herzogs Antlitz nahm einen Zug von heuchlerischer Freundlichkeit an. »Aber, meine teure Mutter,« entgegnete er, »sind Sie auch gewiß, daß der König Ihre Abwesenheit mit Unwillen bemerkt hat?«

Frau von Montespan entfärbte sich. In diesem Augenblick und bei dem Tone dieser Frage wurde ihr alles deutlich. Sie wußte nun, weshalb ihr eigener Sohn sich zu ihr bemüht hatte. Mit blitzenden Augen und mit geballter Faust, die sie auf den Tisch stützte, rief sie: »In welcher Absicht sind Sie hierhergekommen, Herr Herzog?«

»Meine teure Mutter!« rief dieser, sich auf die Hand niederbeugend, die ihm jedoch entzogen wurde. »Welch ein trauriger Dienst ist mir zuteil geworden! Ich hoffte, Sie gefaßter, ruhiger zu finden.«

»Sie sind ein Nichtswürdiger, mein Herr!«

»Mein Gott!« rief der junge Mann und richtete sein Auge gen Himmel. »Dieser Empfang eines Sohnes von seiten der Mutter.«

»War niemand anders da,« fuhr die Zürnende fort, indem der Unwille und die Verachtung eine Höhe bei ihr erstiegen, die sie fast sprachlos machten, »einen solchen schmutzigen Auftrag zu übernehmen? Mußte der eigene Sohn sich zum Büttel hergeben, um der Mutter Fesseln anzulegen? Ein schändlicher, ein erbärmlicher Verrat!«

Ihre dunkeln Augen waren auf den Sohn gerichtet, der alles, nur nicht diesen Wutanfall vermutet zu haben schien, und der nicht wußte, wohin er sich vor den Flammen, die ihm entgegenwehten, retten sollte. »Als ich Sie dem Hofe gebar«, fuhr sie fort, »wußte ich, daß ich Sie der Schlechtigkeit, dem Verrate, dem Treubruch schenkte, aber ich wußte nicht, daß Sie selbst das Schlimmste dazu tun würden, um sich in diese stinkende Atmosphäre hineinzuarbeiten. Ich habe einem nichtswürdigen, elenden Feigling das Leben gegeben, der es dazu braucht, seiner Mutter, auf Befehl der schädlichen Kreaturen dieses Hofes, die Kehle zuzuschnüren. Gehen Sie, mein Herr! Wo Sie auch sein mögen, und säßen Sie bis an die Zähne im Purpur, Sie werden immer der schmutzige, gemeine Gassenjunge bleiben, der Sie sind. Fort aus meinen Augen! Ich werde mir Mühe geben zu vergessen, daß jemals ein so widerlicher Schandfleck mein Gewand berührt hat, wie Sie sind.«

»Ich bitte um ein wenig Gehör für einen Auftrag,« sagte der junge Herzog, bleich wie eine Leiche und mit ungewiß schwankender Stimme.

»So reden Sie!«

»Der König will jedes Verhältnis mit Ihnen, Madame, gelöst sehen; er will Sie nicht wiedersehen. Sein Befehl ist sogar, Sie zu hindern, vor ihm zu erscheinen. Dies seine Worte. Was Frau von Maintenon betrifft, so ist sie untröstlich.« –

»Genug!« rief Frau von Montespan, und eine gebieterische Würde zeigte dem Überbringer so übler Nachrichten die Türe, die dieser auch nicht verfehlte so rasch wie möglich zu erreichen. »Sagen Sie dem Könige – doch nein, sagen Sie ihm nichts. Gehen Sie und bringen Sie meinen Gehorsam an den Thron.«

Auf der Schwelle stillstehend, warf der Herzog von Maine noch einen fragenden Blick zurück auf seine Mutter. In diesem Augenblick schien es, als begriffe er erst das volle Gewicht seiner Sendung. Eine Anwandlung von Reue überschlich ihn, und das bessere Gefühl des Sohnes, der mit Verrat und schwerem Undank die Gefühle derer lohnte, deren Herz einst für ihn geschlagen, überkam ihn. Er war im Begriff umzukehren, allein der Blick, den er suchte, war von ihm abgewendet. Streng und kalt stand die beleidigte Frau inmitten ihres Gemaches, nur allein die Schmach überdenkend, die diese bittere Minute ihres Daseins über sie brachte. Sie übersah den Glanz ihrer Stellung und jetzt das jammervolle Ende, und ein unbeschreibliches Gefühl der Verachtung aller irdischen Größe, alles dessen, was für Menschen Wert hat, erfüllte ihre Seele. Abgeschlossen und beendet war für sie das Schauspiel der Eitelkeit, in dem sie so lange einem niedrigen, hohnlachenden Publikum gegenüber die Hauptrolle gespielt, und sie schauderte vor dem Gedanken, daß es nun etwa, durch ihre flehende Bitte angeregt, aufs neue beginnen sollte. Sie beachtete nicht, daß der Überbringer dieser trostlosen Nachrichten noch dastand, auf einen milderen Schluß der heftigen Szene wartend; er ging, sie hatte sich nicht nach ihm umgesehen. Und einst! Wie hatte sie ihn geliebt! Wie glücklich war sie auf dem Gipfelpunkte ihres Glanzes gewesen, als Mutter, als Frau, und jetzt – was war sie jetzt? Eine Mutter, von der die eigenen Kinder sich abwendeten, eine Frau, die der eigene Mann verstieß!

Sie verschloß ihr Antlitz mit den Händen. Es war ihr, als meldeten sich Tränen, aber das Auge blieb trocken. Tränen wären ein Labsal für den Schmerz einer ehrlosen Frau, die den Verlust dessen beweint, was sie einst ihr Eigentum genannt, was sie mit Stolz vor aller Welt an ihre Brust gedrückt, der verstoßenen Mätresse gebührt keine Träne.

Sie schritt auf und ab. Nie war ihr die Einsamkeit so verhaßt gewesen. Sie sehnte sich, eine Brust zu finden, mit der sie die Klagen, mit der sie die Treulosigkeit und den Undank der Welt verachten könne. Niemand aus ihrer Umgebung taugte zu diesem Posten. Sie alle waren tief unter dem Schmerze, der jetzt ihre Brust durchwühlte. Es hätte ein Herz sein müssen, das in den Flammen geprüfter Freundschaft für sie brannte, und ein solches Herz hatte sie nicht in ihrer Nähe, hatte sie nie gesucht sich zu erwerben in den Tagen ihres Glückes. –

Das Gewühl in ihren Gemächern zeigte ihr an, daß die Personen, die gekommen waren, sie zu begrüßen, sich nunmehr eilig und mit ungeschickter Hast entfernten. Die Nachricht von ihrer Ungnade war bekannt geworden! Die Geschöpfe des Hofes verließen die Wohnung einer in die Verlassenheit Gestürzten. Man eilte so sehr, daß man sogar vergaß, sich in der gehörigen Form zu empfehlen. Wozu auch bei einer Verlassenen Rücksichten? Nur der Graf von Toulouse, ihr jüngster Sohn, war geblieben und erwartete die Mutter. Als sie erschien, lief der Knabe zu ihr, klammerte sich an sie an und rief: »Aber, meine teure Mama, was geht hier vor? Warum laufen diese Leute alle fort? Selbst die Schwestern sind mit dem Schwarme weggezogen!«

»Dies bedeutet«, entgegnete Frau von Montespan mit einem bitteren Lächeln, »daß mein Reich zu Ende ist. Auch Sie, Herr Graf, werden gehen und werden nur wieder zu mir kommen, wenn Seine Majestät der König es Ihnen erlaubt.«

»Was ist das? Mir erlaubt?« rief der Knabe. »Braucht er mir zu erlauben, zu Ihnen zu kommen?«

»Von jetzt an, ja,« erwiderte die Mutter. »Er ist Ihr Herr und Ihr Vater, Sie werden ihm gehorchen!«

»Wenn es nicht auch Ihr Wille ist, daß ich mich entfernen soll?« stotterte der kleine Graf.

»Nun denn, ja! Es ist auch mein Wille. Gehen Sie! Folgen Sie den anderen! Wir werden uns schon wiedersehen.« Sie schob den Kleinen mit Gewalt fort, der in Tränen ausbrach und sich an ihr Gewand kettete. Erst als er in der Kutsche saß und diese mit ihm fortrollte, streckte die arme Verstoßene ihre Hand verlangend nach ihm aus. –

Was sie auch verbrochen, dieser Augenblick versöhnte vieles.

Um diese Zeit fuhr eine andere Mutter, auch keine Glückliche, aber glücklich in der Liebe zu ihrem Sohne und in der dankbaren Neigung desselben zu ihr, in das Karmeliter-Kloster, um dort eine Darstellung der Kinder, die die Geschichten aus der Passion gaben, mitanzusehen. Die Jesuiten richteten diese theatralischen Versuche ein, und die vornehme Welt von Paris drängte sich in das Kloster, um die Kleinen spielen zu sehen. Auch die Herzogin von Orleans kam in der Gesellschaft der Äbtissin von Monbouisson, um ihre beiden Kinder hier im Kostüm der heiligen Jungfrau und des Engels Gabriel zu sehen. Es war das letzte Mal, daß der achtjährige Prinz mitspielte, und er tat es auf eine Weise, die da zeigte, daß es ihm nicht um die Rolle zu tun war, die er übernommen, sondern nur um seiner Mutter eine Freude zu machen, die, wie er wußte, diese theatralischen Darstellungen aus ihrer eigenen Jugend liebte und es gern hörte, daß der schöne Knabe in der Kleidung des Engels von einigen ihrer Bekannten aus den Hofzirkeln bewundert wurde. Bei dem Erscheinen der Mutter war er gegenwärtig halb im Gewände des Engels, die schöngeformten Beine in Trikots gezwängt, Schuhe von weißem Atlas und darüber die Uniform, in der er gekommen. Das Haar war in Popilloten gewickelt.

»Endlich kommen Sie, Madame!« rief er. »Es ist schon zum drittenmal geblasen worden. Adam und Eva stehen schon auf der Bühne.«

Die Herzogin winkte ihrem Sohne, der Äbtissin seine Verbeugung zu machen. Der Prinz flog auf die Dame zu und küßte ihr die Hand. Die beiden Frauen wurden von dem père decorateur empfangen und in die für sie bestimmte Loge geführt.

Die Herzogin war die Vornehmste des Hofes, die gegenwärtig war; sowie sie erschien, ging das Spiel an. Die beiden Frauen belustigten sich, die Vorgänge auf der Bühne eine Weile ruhig mitanzusehen; alsdann fingen sie an zu plaudern, und die lebhafte Äbtissin vergaß ganz den heiligen Ort, wo sie sich befand, und erzählte aus ihrer Jugend Geschichten, die überall anders wohin, nur nicht hier, zur Aufführung der Geburt Christi und unter die unschuldige Jugend, paßten.

»Ihr Sohn ist sehr niedlich,« sagte sie zur Herzogin, »und ich prophezeie ihm große Erfolge in der Welt. Ach, ich hatte einen ähnlichen Sohn, ein Kind der Liebe! Der Vater war Tambour bei der flandrischen Garde! Welch ein Vater war das, und welch ein Sohn!«

»Aber, ma tante!« rief Charlotte, »sprechen wir etwas leiser.«

»Sie haben recht, ma cousine! Obgleich wir in der Loge allein sitzen, könnte man uns von drüben und von der Seite doch hören. Wissen Sie etwas, wollen wir deutsch sprechen! Ich will sehen, ob ich noch so viel Phrasen zusammenlesen kann, wie zu einem komischen Bericht über ein komisches Leben gehört. Denn in der Tat, komisch war mein Leben! Das wird niemand leugnen können! Vierzehn uneheliche Kinder zu haben, und dann als Äbtissin zu sterben, das ist es, was mir eine andere nachmachen soll.«

»Sie galten aber auch für eine außerordentliche Schönheit, ma tante!« rief die Herzogin. »Ich besinne mich, daß mein Vater von Ihnen sprach als von einem Wunder!«

»Schön und verliebt!« rief die Äbtissin seufzend. »Ja, das war ich.«

»Daß Ihnen nur glückte, alle Ihre kleinen faux pas zu verbergen!« rief die Prinzessin.

»Das will ich Ihnen sagen, ma cousine!« rief die alte, heitere Dame. »Ich zog viel in der Welt umher. Suchte man mich hier, so war ich dort! Fing hier eine ärgerliche Klatscherei an, so saß ich unterdes bereits am andern Ende der Provinz. Und dann,« lachte die Äbtissin heimlich und zischelte der Prinzessin ins Ohr, »sehr viele meiner kleinen Streiche hat die Welt nicht erfahren. Ich hatte eine Kammerfrau, eine ehrliche Seele, diese kam für mich nieder und auf deren Namen wurden meine kleinen Impromptüs getauft. Sechs meiner Kinder tragen ihren Namen. Hahaha! Ja, man muß sich nur in der Welt zu helfen wissen. Eine Hand wäscht die andere. Ich gab ihr dafür manches an Kostbarkeiten, was mir entbehrlich war. Jetzt ist sie im Himmel. Als ich mit meinem kleinen Antonius niederkam, wollte ich auf alte Weise das Kindlein ihr in die Schuhe schieben. ›Wessen ist das Kind?‹ fragte man mich. ›Ach,‹ rief ich, ›von der guten Madame Brumaire, sie war hier und ist damit vor drei Wochen ungefähr niedergekommen.‹ – ›Ha!‹ rief der alte Pfarrer, ›und vor zwei Monaten ist Madame Brumaire gestorben!‹ – ›Sapperlot, das habe ich nicht gewußt.‹ – ›Madame,‹ rief der alte Priester verdrießlich, ›fragen Sie nach, ob die Leute, denen man Kinder aufbürdet, auch noch am Leben sind! Was hätten wir da für eine schöne Geschichte gemacht!‹ – ›Nun, was weiter!‹ rief ich, ›so taufen wir das Kind unter einem andern Namen.‹ Dieser kleine Antonius dient unter dem Prinzen Eugen und ist diesem unentbehrlich. Ich habe Nachricht von ihm!« bemerkte die fromme Dame mit großer Selbstzufriedenheit. »O, ma cousine, wie ist das Leben schön, wenn man es nur recht zu gebrauchen versteht! Sie, meine Teure, halten es mit der Tugend, gut, ich habe nichts dagegen! Hat man kaltes Blut und langweilen einen die Männer, so ist das allerdings der beste Ausweg! Denn unter uns gesagt, ganz frei von Klatschereien bleibt man doch nicht. So ist's mir gegangen, und ich habe nur gesiegt, indem ich offen eingestand, was sich doch nicht verheimlichen ließ. Bei einer Streitsache in Aachen sagte ich einmal dem Mandatarius: ›Wissen Sie, mein Herr, worauf ich schwöre? Das fällt Ihnen gewiß nicht bei. Ich schwöre auf diesen Leib, der vierzehn Kinder zur Welt gebracht hat.‹ Ha, war das nicht eine Antwort? ›Ich wünsche Ihnen Glück, mein Fräulein,‹ erwiderte er darauf lächelnd, ›das ist allerdings ein seltener Fall?‹ – ›Nicht so selten,‹ rief ich, ›nur daß ich's eingestehe, ist selten.‹«

Die Herzogin, die während des Geplauders das Auge nicht von der Bühne abgewendet hatte, rief jetzt: »Sehen Sie, Madame, wie finden Sie meinen Jungen? Nicht wahr, das ist eine Art grand-seigneur von einem Engel, der sich herabläßt, einem kleinen Mädchen einen Gruß zu bringen!« –

»Vortrefflich « rief die Äbtissin, »wie er dasteht! Es fehlt nur die Reitpeitsche in seine Hand, mit der er sich auf die Beine klatscht. Der Junge muß doch gar nichts von der Rolle begriffen haben, die er gibt, oder die guten Patres haben nie einen englischen Gruß geträumt!«

In diesem Augenblick hörte man den jungen Prinzen die Worte sagen: »Madame, notre Seigneur vous salue.« –

Die Gestalt des Knaben, sein weißes Oberkleid, die groben goldenen Flügel, der dreiste, kecke Blick, mit dem er sich im gedrängt vollen Saale umschaute – alles gefiel ungemein. Die Mutter dankte, von ihrer Loge aus, dem Beifallsgeklatsch aus den anderen Logen.

Die Herzogin von Ducage, an deren Seite Ninon de Lenclos saß, tadelte etwas an dem Kostüme der kleinen Jungfrau. »Lassen Sie sie,« rief Ninon, »sie ist die einzige im ganzen Saal, der ein frommer Gedanke in der Seele lebt. Alles übrige ist verderbt oder ist Puppe.«

»Die kleine Prinzessin ist überhaupt ein sehr wohlerzogenes Mädchen,« bemerkte die Herzogin.

»Nennen Sie sie nicht so!« rief das Fräulein. »Sie ist unendlich viel mehr als wohlerzogen. Darunter verstehe ich die Dressur des Lebens; sie aber hat die Wohlerzogenheit einer schönen Seele. Das Mädchen ist so rein und demütig, daß man nicht begreift, wie sie in solche Sphäre gekommen ist.«

»Rechnen Sie die Mutter für nichts?« fragte die ältliche Dame.

»Nun denn!« bemerkte Ninon. »So ist es das deutsche Blut, das wir hier sehen.«

Die Äbtissin warf der kleinen Prinzessin ein Kußhändchen zu, indem sie rief: » Charmant, ma petite! Charmant! Und der kleine Geck muß auch ein Wörtchen des Lobes hören!« setzte sie hinzu und klatschte Beifall dem Engel Gabriel.

Das Schlußtableau fesselte die Aufmerksamkeit der Zuschauer. Der ganze Himmel war sichtbar, und durch die erhellte durchsichtige Gaze bemerkte man eine Reihe Engelsköpfchen dicht nebeneinander, was einen schönen Eindruck machte. Jetzt begann eine geistliche Musik. »Das habe ich in meinem Kloster auch!« rief die Äbtissin, »lassen Sie uns gehen.«

»Ich sehe ein paar Damen, denen ich im Vorübergehen einen Gruß geben möchte!« rief die Herzogin. »Wollen Sie indessen voraus in den Wagen steigen, ich komme Ihnen nach.«

Die alte Dame, auf ihren Stock gestützt, winkte ihren Begleitern und ließ sich von da zum Wagen führen. Auf dem Gange vor der Loge kam der junge Prinz, begleitet von dem Abbé Dubois, ihr entgegen. Die Herzogin schloß ihn in ihre Arme. Jetzt kam auch die Prinzessin mit ihren Damen, auch sie wurde von der zärtlich gerührten Mutter herzlich begrüßt.


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