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Nach einer Abwesenheit von einem Jahre trat Georg wieder in das Kabinett seiner Cousine. Die Pfalzgräfin war eben beschäftigt, ein Päckchen Briefe nach Deutschland zu senden. Sie begrüßte ihren Boten mit der größten Freude. »Georg, mein Georg,« rief sie, »bist du wieder da? Nun, was bringst du?«
»Nichts Gutes, Herzogin!« erwiderte der junge Mann. »Ich komme von den rauchenden Trümmern Ihres väterlichen Schlosses.«
»Georg, mein guter Junge! So hat also der Herr über mich entschieden! Hast du's brennen sehen?« fragte die Herzogin.
»Bis auf den letzten Augenblick war ich tätig, Unheil zu verhindern, aber es ist mir nicht gelungen. Die Burg Ihrer Väter, liebe Charlotte, liegt in Asche.« –
»O Gott, und ich lebe hier! Lebe hier in Fesseln! Kann nicht hin, nicht meine Tränen mit denen meiner lieben Pfälzer mischen!« jammerte die edle Frau. »So hat mich der elende Lorraine auch damit betrogen. Er versicherte mir, daß man die Burg schonen würde.«
»Gerade er brachte den Befehl Louvois, sie zu verbrennen!« rief Georg.
»Erzähle, mein Junge.«
»Nichts möchte ich Euch sagen,« rief der Aufgeforderte, »von den Landstraßen und den Dörfern und Flecken, die ich durchzogen, sie alle gaben mir das Bild der Verwüstung, so schrecklich, so entsetzlich, wie ich's mir nur denken konnte. Ich traf auf ganze Züge von Landleuten, die ihrer Habe beraubt, den Bettelstab ergriffen hatten. Die Herden waren fortgetrieben, die Frucht auf den Feldern zertreten, die Häuser verbrannt. Als sie mich erkannten, riefen die meisten der Leute mir Verwünschungen nach. Sie nannten auch Ihren Namen, Prinzessin, und zwar als Urheberin des Elends, das über sie gekommen. Die wenigsten hielten meinem Worte stand, und die mich anhörten, suchte ich von der Wahrheit der Verhältnisse zu überzeugen, daß Ihr völlig unschuldig seid, daß Ihr für sie gebeten habt, aber umsonst.«
»Tage habe ich durchweint, die Nächte nicht geschlafen!« rief die Prinzessin händeringend.
»Es fruchtete wenig, was ich auch sagen mochte,« fuhr Georg fort. »›Sie, sie ist an dem maßlosen Elend schuld!‹ riefen immer einige dazwischen. ›Weshalb hat sie geheiratet! Weshalb hat sie sich und ihr treues Land dem Fremden hingegeben!‹«
»Es ist wahr!« rief in dumpfen Schmerze Charlotte.
»Ich machte ihnen dagegen begreiflich, daß der Tod von Ihrem Bruder, der ohne Erben gestorben, das Land den Franzosen freigegeben! Daß der Kaiser sie aber nicht verlassen würde! Daß ganz Deutschland zu ihrem Schutze aufstehen werde. Ach, sie glaubten es nicht.«
»Und ich glaube es auch nicht!« rief Charlotte. »Wenn es schon so weit gekommen ist, was ist da noch zu retten? Es fehlt nur der französische Prinz, der sich ein neues Versailles auf den rauchenden Trümmern deutscher Herrlichkeit gründet. Und dieser Prinz wird bald gefunden sein! Oder der König gibt es Louvois, als ein Zeichen seiner Gunst, und ich – ich muß dem neuen Herzog von der Pfalz hier huldigen! Grausames, unerbittliches Geschick, wann wirst du aufhören mich und die Meinen zu verfolgen! Noch gestern habe ich den König gebeten, mich Hinreisen zu lassen. ›Wozu, Madame!‹ sagte er, ›es ist alles in Ordnung! Wie könnte ich's je verantworten, Sie dem Trotz und dem Übermut eines eroberten Landes preiszugeben?‹«
»Und es wäre auch nicht gut,« rief Georg, »wenn Sie jetzt kämen, Cousine! Die Aufregung ist zu groß! Eine Geschichte unter unzähligen! Sie kennen ja wohl noch den Prediger Hensel?«
»Er hat mir den ersten Religionsunterricht erteilt!« rief die Herzogin.
»In seinem Hause wohnte ich,« sagte Georg, »solange der Unglückliche noch ein Haus hatte. Er ist über siebzig Jahre alt; sein Sohn ist Prediger in Neckarsteinach, war damals gerade mit seiner Familie in Heidelberg. Die Franzosen, heißt es, stürmen die Stadt! Man wollte es nicht glauben, weil tags vorher ein Parlamentarier ins französische Lager geschickt worden war und gute Nachrichten gebracht hatte. Wir sitzen, ich und der ehrwürdige Greis, eben beim Schach, als es heißt, der Feind ist da. Schüsse fallen, Tumult in den Straßen. Ich eile zu der Abteilung Soldaten, die ich mir ausgebeten und die ich befehligte. Wir besetzen die Straße. Ein französischer Anführer dringt auf mich ein. ›Freund oder Feind?‹ fragte er. ›Diener der Frau Herzogin von Orleans!‹ rufe ich. ›So schließen Sie sich uns an!‹ entgegnete er. ›Ich stehe auf seiten der Städtischen!‹ rufe ich. ›Ihren Degen, mein Herr!‹ herrscht mir der Mann zu, und zu gleicher Zeit umzingelt man meine Leute, die sich anfangen zu wehren. ›Wie?‹ rufe ich, ›was soll das? Der Magistrat hat das Recht, sich Söldner zu halten, um Unordnungen in der Stadt zu verhüten!‹ – ›Es gibt keinen Magistrat mehr!‹ ruft er. ›Der Befehl ist gegeben, die Stadt für erobertes Eigentum zu erklären.‹ Entsetzt, verwirrt, gab ich meinen Degen. Von meinen Soldaten verlassen, stehe ich da ohne Waffen. ›Landsmann!‹ ruft der Offizier leise, ›als einen Diener der Herzogin bin ich Ihnen Achtung schuldig. Nehmen Sie hier Ihren Degen, aber geben Sie es auf, für die Stadt etwas zu tun, sie ist verloren.‹
Mit diesen Worten erhoben die Sturmglocken ihren Lärm! Alles stürzt aus den Häusern; der Tumult, der Lärm auf den Gassen wächst.
Ich eile zu dem Hause, das ich vor einer Stunde verlassen! Himmel, wie finde ich's wieder! Soldaten schleppten eben gefesselt den alten Hensel mir entgegen. ›Retten Sie meine Kinder, meine Enkel!‹ ruft der ehrwürdige Greis und verschwindet. Ich breche mir Bahn ins Haus, da sehe ich eben zwei Grenadiere mit der Frau und der Tochter ringen, deren Kräfte bereits schwinden. ›Zurück!‹ rufe ich und stoße die Frechen fort. Die junge Frau, die Schwiegertochter des alten Hensel fällt mir um den Hals, nennt mich ihren Retter, eben dasselbe tut die jüngste Tochter, ein Mädchen von ungefähr zwanzig Jahren.
›Kommen Sie! Folgen Sie mir!‹ rufe ich ihnen zu. ›Die Gartentür ist offen, wir flüchten dort hinaus! Wo ist Ihr Mann?‹
›Beim Magistrat!‹ rief mir die Frau zu. ›Er ist mit einem der Stadtverordneten verwandt.‹
Wir eilen durch den Garten. Das jüngste Kind der Mutter ist auf ihrem Schoße, das ältere Mädchen führt sie an der Hand, ich habe den Jungen an der meinigen.«
So gelangen wir bei anbrechendem Abend glücklich nach Handschuhheim. Bei einer befreundeten Familie finden die Flüchtlinge Platz, ich eile wieder fort, um mich nach dem Geschick des Vaters und des Sohnes zu erkundigen. Ich hatte einen französischen Orden angelegt; man machte mir überall Platz. Ich erkundigte mich nach dem Prediger Hensel, man weist mich zu einer Gruppe Gefangener, die abgeführt werden sollen. Das Gesicht eines alten Mannes, der halb von mir abgewendet an einem Baume steht, kommt mir bekannt vor. Ich suche zu ihm zu dringen; in dem Augenblick sieht er sich um, es ist ein gänzlich Fremder! Mein Freund,‹ spreche ich ihn an, ›haben Sie nichts von dem Prediger Hensel gehört?‹ – ›Dort ist er!‹ spricht er, zeigt kalt auf einen Haufen Toter. ›Der Kolbenschlag eines Soldaten hat ihn getötet. O, brächte er auch mir den Tod! Ich habe die Meinigen zu meinen Füßen sterben sehen.‹
Unfähig, seinen Schmerz zu teilen, eile ich auf die Leiche zu. Da liegt der würdige Greis, seine Kleider sind von Blut gerötet! ›Vielleicht ist noch Leben in ihm!‹ rufe ich und ziehe ihn mit Anstrengung unter den ihn überdeckenden hervor. Ach, umsonst: er hat vollendet! Ich trage ihn mit einem Soldaten in ein leerstehendes Haus. In diesem Augenblicke wird der Schwiegersohn vorbeigeführt. Er erkennt uns und eilt zu uns. Sein Führer widersetzt sich, ein kurzes Gedränge entsteht, und unwillig hierüber, versetzt ihm der eine Soldat einen Hieb auf den Kopf. Er taumelt und fällt. ›Tot?‹ ruft der Soldat, ›der hugenottische Hund, ist er tot?‹ Ich springe hinzu und reiße dem Soldaten die Waffe aus der Hand. Er weicht zurück, und ich schreie ihm zu, daß der Unglückliche ein Freund von mir ist! Es gelingt mir, den Armen betäubt in dasselbe Haus zu führen, wo der Vater als Leiche liegt. Er dankt mir unter Tränen und bittet mich, nach seinem Weibe, seinen Kindern zu sehen. Ich verspreche es ihm, wähle zwei Soldaten, die ich als Posten vor die Tür stelle und eile fort.
Aber ehe ich das bekannte Haus in Handschuhheim erreiche, übermannt mich die Müdigkeit! Ich hatte allerdings an diesem schrecklichen Tage meinem Körper zuviel zugemutet, er verlangte, daß ich ihm Ruhe gönnte. In eine ehemalige Schenke trete ich ein und werfe mich auf einen Sessel nieder. Das Zimmer ist voller Mönche, die sich aus dem Kloster hierher geflüchtet haben. Die Soldaten erweisen ihnen Ehrfurcht, und ich sehe, wie sie ihr Amt versehen bei einigen Verwundeten und Sterbenden, die man ihnen zuträgt. Einer darunter ruft ganz laut: ›Sieger! Sage der neuen Regierung, sie wird den hugenottischen Kurfürsten hinausbringen; wir werden wieder, was wir längst wünschten, in den Schoß der allein seligmachenden Kirche versammelt werden.‹
›Hund von einem Papisten!‹ schrie ein derber pfälzischer Bauer, der mit verwundetem Arm hier lag. ›Willst du schweigen! Waren wir nicht glücklich unter dem Pfalzgrafen, dem Vater der Herzogin? Bist du nicht selbst unter ihm zu Haus und Hof gekommen? Und jetzt sprichst du so!‹
Er holte mit einer Hacke aus, die neben ihm lag; die Mönche hielten seinen Arm. Der Gescholtene lachte!
Ich raffte mich auf und ging weiter. Das Haus im Dorfe war bald gefunden, aber es stand leer. Plünderer hatten hier gehaust; Blutspuren überall sichtbar. Mein Entsetzen war groß, ich wagte kaum einen Schritt in den Garten zu tun! Himmel, was sah ich dort! An einen Baum geknüpft, mit Wunden bedeckt, schwankten die Leichen der beiden Weiber vor mir, zu ihren Füßen lagen die Kinder mit zerschellten Köpfen. Der Knabe fehlte. Als ich weiterging, hörte ich etwas stöhnen, ich bleibe still, da kriecht das Knäbchen hervor– mit halb zerspaltenem Gehirn, aber noch lebend, bittet es mich um den Tod. Ich stehe und sehe mit Entsetzen den armen kleinen Zusammengehauenen an. Es fehlt ihm ein Arm, der Schädel war gespalten! Ich nehme ihn in den Arm, unter erbarmungswürdigem Gewinsel stirbt der Kleine!«
»O Himmel!« rief die Herzogin, und hielt sich die Hände vors Gesicht.
»Was soll ich noch sagen?« nahm Georg wieder das Wort. »Darf ich auch von dem Schicksal des einzig übriggebliebenen Mannes sprechen? Muß ich nicht fürchten, Euch zu sehr zu erschüttern?
Bejammernswerte, unglückselige Stadt! Kaum habe ich mich von dieser Szene des Schreckens losgerissen und eile über die Brücke, so sehe ich den Himmel sich röten. Wolkenmassen von Rauch wirbeln in die Höhe und mit allmächtigem Glanze, wie der Krater eines feuerspeienden Berges, erheben sich die Flammensäulen aus der Höhe des Schlosses gen Himmel. ›Das Schloß brennt!‹ rufen einige Stimmen. ›Unmöglich!‹ erwiderten andere. ›Die Unantastbarkeit des Juwels in der Pfalz ist ja verbrieft und beschworen!‹ – ›Was ist denn das?‹ fragen die ersten Stimmen, ›die Flammen steigen aus den Gemächern des Schlosses!‹ Alles bleibt stehen und starrt empor. Da durchzuckt ein wilder Schrei die Lüfte! Ganze Scharen Fliehender stürzen sich den Weg hinab, sie kommen vom Schlosse. ›Sprecht!‹ rufen wir ihnen entgegen, ›was ist das? Wo brennt es?‹ – ›Der Otto-Heinrichsbau!‹ ist die Antwort. ›Die Nichtswürdigen! Sie brechen jeden Vertrag, sie haben Feuerbrände in den uralt heiligen Bau geworfen! Es ist aus mit Heidelberg!‹ – ›Die Rasenden!‹ rufen wir. ›Führt man so Krieg? Mordbrenner sind es! Auf, rettet die alte Burg unseres Herrn!‹
Ich rufe es, mit mir zieht eine Anzahl beherzter Männer, die mit hinaufstürmen. Der gewöhnliche Weg ist versperrt! Die Steine des Bodens sind aufgerissen und daraus eine Abwehr gebildet, die den Fuß der Stürmenden hemmt! Wir, nicht einen Augenblick unentschieden, wählen den steilen Pfad, der zwischen Häusern, zum Teil über diese hinüber, hinaufführt. Die Flammen schlagen uns entgegen! Tumult, Geschrei, Schießen, wilder Beifallsruf und knirschendes Wutgeheul vermischen sich miteinander. Schnell sind wir oben. Da stürzen die herrlichen Steinbilder soeben von ihren Gestellen. Der ehrwürdige Saal, zum Empfange der Fürsten eingerichtet, mit den Gemälden des Stammsitzes der pfälzischen Familie geziert, er steht noch unversehrt. Wir dringen ein, es gelingt uns, an der Südseite eine Verbindungswand niederzureißen. Mit dem wenigen Wasser das der Schloßbrunnen, die zwei andern sind verschüttet, liefert, versehen wir uns und richten es gegen die brennenden Balken des Nachbarbaues. Eine Weile gelingt es, den schönen Saal zu retten; doch umsonst, die Flammen sind zu gewaltig. Dort, wo der Saal durch eine Galerie mit dem nördlichen Teile des Schlosses zusammenhängt, gelingt es der Flamme, sich Bahn zu brechen. Mit entsetzlicher Schnelligkeit ergreift sie die gemalten Decken des Ganges, und sich an den hölzernen Pfeilern anklammernd, überschwemmt sie bald die Giebel des Saales, die er stolz emporstreckt. Von den brennenden Giebeln bis zur Überhandnahme im Saale ist nur ein Schritt; er wird vom Feuer rasch getan. Wir, die wir an den verschiedensten Teilen des Baues beschäftigt sind, sehen kaum die Gefahr die uns droht, bis die brechenden Gerüste, auf denen wir stehen, sie uns zeigen. Wir sind wieder im Saal vereinigt! ›Jetzt gilt's zu fliehen,‹ rufen ein paar der Genossen, ›es ist alles verloren! Kommt, ich führe euch zu einer Treppe, die ich weiß.‹ Wir dringen dahin: sie ist verschüttet. In diesem Augenblick stürzt die Decke des Saales nieder und hüllt uns in einen dichten Schleier von schwarzem Staube. Die Flamme ist erstickt. Wir erklimmen die Balken und nach wenigen Momenten gefahrvollen Kletterns gewinnen wir die große Steintreppe, die von Flammen umwogt wird, selbst aber unversehrt ist. über diese Stufen retten wir uns; ich der letzte. Meine Blicke hängen noch an den teuern Überresten, die von dem Elemente verzehrt werden! Da ergreift mich ein Arm und eine Stimme ruft: ›Um Gottes willen, fort! Siehst du nicht den Turm, der brennend und sich senkend auf uns hinzustürzen droht?‹ Es war dem so! Der schöne Bau, auf dem Ihr Herr Vater, Cousine, und Sie selbst in mondhellen Nächten oft geweilt, und die Schönheit der nächtlichen Welt des gestirnten Himmels sich ihren hinaufschauenden Blicken offenbarte, er war in seinen Grundfesten erschüttert und drohte über uns zu fallen.
So wichen wir denn! Langsam zogen wir uns in den nahen Wald, bis hinauf zum Wolfsbrunnen! Da saßen wir einsam! Um uns flüsterten die Bäume im Westwind, unter uns das Meer von Flammen, das das Schloß und die Stadt verzehrte. Es war ein Anblick, den ich nie, ich mag so alt werden wie nur irgend möglich, vergessen werde. Die Stille oben, das Geschrei, der Tumult, das Wehgeheul unten. In diesem großen Moment fanden sich unsere Seelen zueinander. Wir faßten einer die Hand des andern, und mit deutschem Bruderschlag gelobten wir, die Schmach zu rächen, die fremde Plünderer an den Heiligtümern unseres edlen Vaterlandes verübten. Wir gelobten, so wenige wir waren, jeder auf seine Weise den heiligen Kampf der Rache gegen die nichtswürdige Nation, die auf so empörende Weise Krieg zu führen gewohnt ist. Und, Cousine, wir werden diesen Schwur halten. Jeder der Jünglinge zog seine Straße: es waren derbe, unverdorbene Naturen. Die Folgezeit wird lehren, was sie leisten, und wenn Jahrhunderte darüber vergehen, der Same ist ausgestreut: von Geschlecht zu Geschlecht erbt er fort. Der Brand Heidelbergs ist die Sonne gewesen, an deren Glutstrahlen er Kräfte sammelte!« –
Georg hielt hier inne in seiner Erzählung. Ein Blick auf seine Zuhörerin sagte ihm, daß er zu weit gegangen war in der Schilderung der Greuel, die er mitangesehen. Charlotte, immer aufmerksamer zuhörend, immer blässer werdend, vermochte zuletzt nicht dem Drange ihres empörten Gefühls Einhalt zu tun. Sie lehnte sich in ihren Stuhl zurück, sie schloß die Augen, und ein Marmorbild saß vor dem entsetzten Sprecher. »Was ist Euch?« rief er aufspringend und sich nach der Tür wendend, wo er hoffte, die Damen der Herzogin zu finden. Die edle Rathmannshausen kam ihm entgegen. Sie lief auf den Stuhl ihrer Dame zu und nahm sie in ihre Arme.
»Um Gottes willen!« rief Georg. »Daran bin ich schuld! Sie wollte es erfahren, ich Tor, ich habe ihr ihren Willen getan! Sie ist ohnmächtig.«
»Nur still!« rief die Rätin, »sie erholt sich wieder. Entfernt Euch, teurer Graf. So etwas will in Stille und Einsamkeit durchduldet sein! Die arme Frau, dieses Unglück Heidelbergs! Es kann ihr Tod sein. Sie grämt sich, sie weint, sie wacht jede Nacht im Bett, und von Zeit zu Zeit erhebt sie die klagende Stimme: ›Warum mir diese Qual, mein Gott! Warum mir diese Strafe! Habe ich es gewollt, diesen Platz hier am Hofe? Habe ich ihn mir gewählt?‹ – Sie erwacht! Meine teure Herrin, kommt zu Euch! Faßt Euch! Der Himmel sende Euch Tröstung in diesen Leiden.«
Georg hörte nur noch die letzten Worte: er stand auf der Türschwelle. Er sah seine Cousine sich erholen und ihr Haupt an die Brust der Vertrauten lehnen.
»Ist er fort?« fragte sie leise.
»Er ging, untröstlich über die Wirkung, die seine Worte hervorgebracht!« sagte die Rätin.
»Der gute Junge! Ich habe ihm nicht gedankt!« rief die Herzogin. »Und doch ist er des besten Dankes wert für so viel Größe und Uneigennützigkeit, wie er gezeigt. O Jammer! Habe ich irgend einmal Hochmut und Stolz gefühlt, jetzt ist er bestraft. Ich liege als Magd vor Gott, gedemütigt in meiner Herrlichkeit! Gescholten und gekränkt in meinem Hochmut! Ich – die Quelle so unaussprechlichen Elends!«
»Beruhigt Euch, teure Frau! Was der Himmel verfügt hat, nehmet Euch des nicht an!« rief die weinende Vertraute. Sie führte die tiefbetrübte Fürstin in ihre Gemächer, wo sie acht Tage lang für niemand sichtbar war.