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35
Marquise von Montespan

Der Hof, ja ganz Paris wurde erschüttert durch die Nachricht von der Krankheit der Königin. Das Übel fing gering an, so daß man es für ein vorübergehendes Unwohlsein hielt; aber es entwickelte sich rasch. Es war ein Geschwür unter dem Arme. Herr Fagon, der erste Leibarzt des Königs, der vertraute Freund der Frau von Maintenon, war gleich bei Beginn der Krankheit gegenwärtig, und er war es, der jetzt einen Aderlaß anordnete. Herr Gervais, der ihm assistierte, vernahm den Befehl mit großer Verwunderung; dieser ging in Schrecken über, als er den Oberarzt in seiner Absicht beharren sah.

»Herr Fagon,« rief er leise, »bedenken Sie, was Sie tun, ein Aderlaß könnte hier ungünstig wirken. Man muß durch innere Mittel zu heilen suchen.«

»Ich halte es mit dem Aderlaß!« rief der herrschsüchtige und entscheidende Mann, indem er sich dabei auf seinen Stock stützte und mit einer Miene von Geringschätzung vor sich hinsah.

»So lassen Sie uns doch wenigstens erst einen Versuch mit einem anderen Heilmittel machen,« bat ihn Herr Gervais.

»Mit welchem?« rief der Arzt. »Ich wüßte keins, das augenblickliche Besserung verspricht, übrigens bin ich nicht gewohnt, daß man meinen Bestimmungen entgegenarbeitet.«

»Was mich betrifft,« rief Gervais, »so ist's meine Pflicht, Ihnen zu gehorchen; allein ich will nur mein Gewissen befreien. Nach meiner Kenntnis der Medizin ist hier ein Aderlaß geradezu tödlich.«

»Nach Ihren Kenntnissen, Herr Gervais!« rief Fagon. »Man sehe! Die meinigen werden doch auch einiges Gewicht haben!« Sein dickes, aufgeschwollenes Gesicht überzog sich hier mit einer ins Bläuliche streifenden roten Farbe. »Die Instrumente her!« Und an das Bett der fürstlichen Kranken tretend, sagte er dieser, daß man damit umgehe, ihr eine Ader zu öffnen und ihr darauf ein Brechmittel zu geben.

Die Königin hörte diese Worte gleichmütig an. Sie hatte die Blicke auf den König gerichtet, der am Bett saß und auf das Gespräch der beiden Ärzte hingehorcht hatte. Er betrachtete beide mit dem Auge des Zweifels. Herr Gervais war ihm von seiner Schwägerin empfohlen worden, er hielt die Pfalzgräfin für keine Gelehrte, er wußte, daß sich ihre ganze Kenntnis der Heilkräfte nur auf Beobachtung der Natur stützte, aber gerade dieser Umstand gab ihm Vertrauen zu ihren Aussprüchen. Wie sie, war auch er ein entschiedener Gegner der ärztlichen Künste, er nahm sie nur in den äußersten Fällen zuhilfe, und zum Glück waren diese selten, da er für gewöhnlich der gesündeste Mann war an seinem Hofe. Herr Fagon besaß sein Vertrauen, so wie ein Arzt es besitzen konnte, es hatte nur an einer Gelegenheit gefehlt, dieses Vertrauen zu enthüllen; sie war jetzt vorhanden. Ein Mann, der die Ehrlichkeit und Offenheit selbst war, was den Ausdruck seiner Physiognomie betraf, der von einer Frau ihm anempfohlen worden, die ebenfalls die Quacksalberei bis in den Tod verachtete, dieser Mann widersetzte sich jetzt den Verfügungen des Leibarztes.

»Ein Aderlaß!« rief der König, »kann denn ein Aderlaß so bedeutend sein?«

»Gewiß Sire,« entgegnete Gervais, an den die Frage gerichtet war. »Ein Aderlaß, zur unrechten Zeit angebracht, kann die Krankheit dahin wenden, daß sie den Tod mit sich führt.«

»Den Tod!« rief der König leise und erschreckt. »Alsdann wollen wir ihn lassen, Herr Fagon!«

»Wie Eure Majestät befehlen,« erwiderte dieser mit gleisnerischer Freundlichkeit. »Dann habe ich hier weiter nichts zu suchen und muß bitten, mich zu entlassen.« Er ergriff seinen Hut, und mit einem wütenden Blick auf seinen Gefährten machte er sich bereit, das Zimmer zu verlassen.

Gervais, hocherfreut, sah den König an; er hoffte, daß er fest bleiben werde. Aber Ludwig, bei den Zeichen des Zornes seines Leibarztes, schwankte und hielt ihn am Arm zurück. »Bleiben Sie,« rief er, »machen Sie, was Sie für gut finden.«

»So muß ich Ihre Majestät bitten, den Arm herzureichen!« rief Herr Fagon. »Tun Sie Ihre Schuldigkeit,« herrschte er den Unterarzt an.

Dieser ergriff das Instrument, ließ es aber auf dem Wege nach dem Arme der Patientin fallen, und rief: »Um Gott, ich kann es nicht! – Ich kann es nicht!«

»Wollen Sie gehorchen!« rief Fagon mit mühsam unterdrückter Wut, Herrn Gervais den Arm schüttelnd. »Soll ich einen andern kommen lassen, der weniger eigensinnig und kindisch ist als Sie?«

»Sie befehlen mir also, daß ich meiner Königin den Tod geben soll?« rief Gervais im äußersten Grade der Aufregung. »Ich – ich soll ihr aus dem Leben helfen?« Hierbei faltete er die Hände, Tränen flossen über seine Wangen, und er bebte heftig.

Die Königin, in der besten Laune und an ihrer Besserung nicht einen Augenblick zweifelnd, hielt den Arm hin und rief, über den weichgeschaffenen Wundarzt spottend, dem Könige zu: »Welche Albernheit! Ich würde es selbst tun, wenn ich es könnte!«

Diese Worte gossen plötzlich wunderbaren Mut in die Seele Gervais. Er ermannte sich, nahm das Instrument kunstgerecht in die Hand, und schlug die Wunde, aus der Blut hervorrieselte. Es war elf Uhr morgens. Zu Mittag bekam die Königin das Brechmittel, um drei Uhr war sie tot.

Dieser plötzliche Tod bildete den Schrecken des Hofes. Der König, für dessen Gesundheit man fürchtete, entschloß sich, nach St. Cloud zu gehen. Er blieb daselbst vom Freitag, dem Todestage der Königin, bis zum Montag, wo er nach Fontainebleau ging. Niemand wagte es, sich Herrn Gervais' anzunehmen, weil man hierdurch den allgewaltigen Fagon würde beleidigt haben, allein im geheimen behielt er den Sieg. Frau von Caylus allein hatte den Mut zu sagen: »Künftig wird man der Frau Pfalzgräfin besseren Glauben schenken, wenn sie sich in die Angelegenheiten der Medizin mischt: hier hat sie offenbar den rechten Mann, und dieser das rechte Mittel vorgeschlagen.«

Ludwig war bald getröstet: es beschäftigte ihn eine andere Angelegenheit. Schon längst war es bei ihm beschlossen, er wollte sich von Frau von Montespan trennen. Sie hatte ihm unterdessen noch zwei Kinder geschenkt, Fräulein von Blois und den Grafen von Toulouse. Er teilte der Frau von Maintenon seinen Entschluß mit, die ihn zum Schein bekämpfte, und zwar unter der heuchlerischen Teilnahme für die Frau, der sie ihr Glück dankte. Aber der König blieb bei seinem Vorsatz, der Montespan durch Frau von Maintenon ihr Schicksal verkünden zu lassen. Endlich fügte sich die Widerstrebende, aber sie bat, daß man die Bitte in einen Befehl verwandeln möge. Mit diesem Befehl ging sie an die Montespan ab, die sich gerade auf einem ihrer Lustschlösser befand. Frau von Montespan, nicht länger zweifelnd, daß es dem Könige ernst sei mit seiner grausamen Entschließung, brach in Klagen und Verwünschungen aus. Sie machte die bittersten Vorwürfe an Frau von Maintenon, die sie eine Falsche, eine Abtrünnige nannte, sie warf ihr die Wohltaten vor, die jene von ihr empfangen. Frau von Maintenon erwiderte hierauf mit dem ihr eigentümlichen, kalten Lächeln und bemerkte, daß sie sich dem Befehl des Königs widersetzt, der König aber darauf bestanden habe und ihr nichts übriggeblieben sei, als den unangenehmen Auftrag auszuführen. Sie bat, ihr das nicht zur Last zu legen.

Frau von Montespan brach zusammen. Das Gefühl ihres Unglücks, ihrer Verlassenheit kam mit einer solchen Gewalt über die stolze Frau, daß sie unfähig war auch nur eines Wortes, einer Miene. Sie lag wie tot da. Ihre Frauen kamen, um sie wieder zu sich selbst zu bringen.

Frau von Maintenon stand mit Lächeln da, und als dieses Lächeln bemerkt wurde, änderte sie es rasch in die Miene der Demut und der Zerknirschung. Sie faltete die Hände und beugte sich so über die in Ohnmacht Dahingeworfene.

Frau von Montespan sprang auf, stieß sie von sich und rief, daß man ihr den Wagen vorfahren lassen solle.

»Wohin?« fragte die ehemalige Gouvernante, indem sie sich ihr in den Weg stellte.

»Nach Paris!« rief die Unglückliche, »zum König!«

»Sie werden ihn nicht finden, Madame. Er ist auf einem seiner Lustschlösser, wo er die Vorkehrungen zu seiner Reise trifft.«

»Zu seiner Reise?« rief Frau von Montespan. »Wohin reist er?«

»Die Ärzte haben ihm die Bäder von Varèges anempfohlen« entgegnete die Gefragte, »er geht in diesen Tagen dahin ab.«

»So werde ich ihn begleiten!« rief die Dame.

»Die Liste der Damen, die ihm folgen, ist bereits gemacht,« rief Frau von Maintenon mit eisiger Kälte. »Sie, gnädige Frau, sind nicht darauf.«

»Aber Sie sind es wahrscheinlich!« rief die in wahnsinnige Wut Ausfahrende. »Sie sind darauf?«

»Der König befiehlt es!« entgegnete die Gefragte.

»O ja, der König befiehlt es, weil Sie es ihm eingegeben!« rief die Verzweifelte. »O, ich bin schändlich verlassen! Wie eine Überlästige werde ich von der Tür gewiesen! Doch Sie, Madame, Sie, die Sie auf meinen Sturz lauern, Sie sollen erfahren, was es heißt, mich zur Feindin zu haben.«

»Mein Schicksal steht in der Hand des Höchsten!« rief Frau von Maintenon mit demütiger Stimme. »Ich werde erleiden, was er mir zu leiden aufgibt.«

So trennten sich diese zwei Frauen, deren Los es war, lange Zeit Hand in Hand zu gehen, um sich in die Ehre zu teilen, den König zu beherrschen. Die, die am meisten Selbstüberwindung und geistige Macht hatte, siegte endlich über die andere. Frau von Maintenon empfand jetzt, daß sie die Auserwählte sei, und daß es an ihr war, den Weg zu gehen, den ihr höhere Mächte, die diese Leidenschaft in ihre Brust gelegt, anordneten. Das Wehgeschrei der gestürzten Nebenbuhlerin kümmerte sie wenig. Immer kalt, immer freundlich unterließ sie auch jetzt nicht, mit den Zeichen des äußern Gefühls und der Rücksicht sich von der Frau Marquise zu trennen, indem sie versprach, ihr möglichstes bei dem König anzuwenden, um sie wieder in Gunst zu bringen.

Doch war es vorauszusehen, daß, wenn sie auch in Wahrheit gestrebt hätte, das lügnerische Versprechen in seiner ganzen Ausdehnung in Anwendung zu bringen, dies doch nichts genützt hätte. Der König war der Marquise überdrüssig: sie hatte ihn zu despotisch beherrscht, ihn zu häufig ihre Launen fühlen lassen, er atmete wieder auf, als er sich von ihr befreit sah. Die geplante Reise nach den Bädern von Varèges unterblieb, weil des Königs Übelbefinden sich verzog. Er ließ dies der Marquise sagen, die es für ein Zeichen seiner wiedererwachenden Liebe betrachtend, rasch nach dem neuerbauten Versailles kam, wo der König sich aufhielt, doch sie mußte bald erkennen, daß das, was sie für Neigung gehalten, nur Form der Höflichkeit war.

Frau von Montespan zog sich in das Nonnenkloster von St. Joseph zurück.


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