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20
Die Folgen des Widerspruchs

Am nächsten Morgen stand ein Wagen vor der Tür. Herr von Stromberg, Obrist der Garde, kam und meldete, daß er Befehl habe, sie auf der Reise nach Kassel, zu der Frau Mutter, zu begleiten. Charlotte wollte ihren Vater sprechen, er ließ ihr sagen, daß er beschäftigt sei. So stieg sie denn in die Kutsche; die Frau Rätin begleitete sie. Auf der ganzen Reise sprachen beide kein Wort miteinander.

In Kassel angelangt, führte sie der Obrist in den Palast, den die von ihrem Manne getrennte Fürstin bewohnte. Charlotte weinte bittere Tränen, als sie das teure Antlitz ihrer Mutter wiedersah.

Im Laufe des Gesprächs brachte sie die Kurfürstin auf den Gegenstand, wegen dessen sie sich hier befand. Die Dame sprach ehrfurchtsvoll von ihrem Gemahl; sie hatte ihm den Fehltritt, den er begangen und infolge dessen die Trennung der Ehe stattgefunden, nicht vergessen und nicht verziehen, allein ihr mütterlicher Sinn fand es unschicklich, in diesem Augenblick davon zu sprechen, wo ein gemeinschaftliches Interesse die beiden Ehegatten vereinigte. »Liebe Tochter,« sagte sie, »es ist im Werke, dich eine gute Partie machen zu lassen, ich hoffe es von dir, ja ich erwarte es, daß du nichts dagegen einwenden wirst.« Dies sagte Luise mit dem bestimmten Tone, der ihr eigen war und der den unbeugsamen Sinn dieser vielgeprüften Frau verriet.

»Liebste Frau Mutter,« entgegnete Charlotte, »ich kenne den Mann nicht, den man mir gibt.«

»Wer kennt je die Männer, die wir bekommen?« entgegnete die Fürstin. »Immer ist's Zufall, wenn sie leidlich sind. Man hat daher stets zu gehorchen.«

»Aber wenn ich mit ihm unglücklich werde?«

»So wirst du es!« entgegnete die Fürstin kalt und trocken.

Charlotte erschrak. So hatte sie die Mutter noch nie sprechen hören. Das ganze Leiden ihres Hauses kam ihr in den Sinn, und mit Tränen in den Augen sprach sie: »Mutter, bedenkt, was Ihr sagt: ein ganzes jammervolles, zertretenes, geschändetes Leben!«

»Es ist das Los einer Fürstin,« entgegnete die Kurfürstin in demselben Tone.

»Und ohne das Recht zu haben, sich zu beklagen, sich trennen zu dürfen!« rief Charlotte.

»Was hast du erreicht, wenn du dich von dem Manne, der dich unglücklich macht, trennst? Ich habe es getan; ich lebe verlassen und unglücklich. Wenn mein Stolz nicht dagegen wäre, ich hätte längst wieder den Platz an deines Vaters Seite eingenommen; denn einer Frau gibt die Welt kein Recht; stets schlimm behandelt ist sie, stets schlimm gerichtet. Und was ist Liebe? Was Einigkeit zwischen Ehegatten? Eine Seifenblase, die der Wind hinwegführt. Der Mann liebt stets neu und setzt es durch, den Gegenstand seiner Liebe zu besitzen; was nutzt da die Trauer der Frau? Sie ist da, um zu dulden, sich zu fügen und zu resignieren. Der Rang, das Ansehen muß dich trösten, das ist die Vergoldung der Pille, die man uns zu schlucken gibt.«

Charlotte lag an ihrer Mutter Halse und weinte.

»Ich habe es mir so schön gedacht, die Hälfte meiner Tage wollte ich hier bei Euer Liebden zubringen!« seufzte die Prinzessin.

»Der Herr soll mich bewahren!« rief die Kurfürstin. »Selber verstoßen, auch noch mein verstoßenes Kind zur Seite! Nein, meine Tochter, das ist ein unglücklicher Plan, dazu würde ich nie meine Zustimmung geben.«

»Ihr verlaßt mich, Mutter! Ach, wen habe ich, zu dem ich mich rette!« seufzte die arme Fürstin und hob die Hände gen Himmel.

»Monsieur ist ein liebenswürdiger Herr; man hört ihn überall loben,« fuhr die Kurfürstin fort. »Er ist großmütig, gütig, er liebt und ehrt die Frauen. Es ist kein Grund vorhanden, daß er dich nicht gut behandeln sollte.«

»Kein Grund?« rief Charlotte bleich, »seine vorige Frau starb vergiftet.«

»Das war die Schwester Karls II. Engländerinnen haben oft seltsame Launen; wer weiß, wie es mit der Geschichte zusammenhängt!« bemerkte Luise.

»Und dann ich?« rief die Tochter, »ich, mit einem deutschen Herzen, mit einem deutschen Sinne, mit meinem Glauben an Tugend und Rechtlichkeit! Wie habt Ihr mich erzogen? Habt Ihr mich gewöhnt, Lüge und Falschheit um mich zu dulden, selbst sie zu üben, wenn es nötig sein sollte? Nein, ich durfte stets wahr sein; Ihr gabet mir selbst das Beispiel, ich habe mich nie zu verstellen nötig gehabt, und nun soll ich in die Fremde hinaus, an einen Hof, wo nichts als Verstellung, Lüge und Falschheit herrscht! Neben einem Manne soll ich als sein ehelich Gemahl stehen, der der Vergiftung seines Weibes angeklagt ist! O Gott, heißt das nicht sein Kind in den feurigen Ofen stecken? Kann man eine ärgere Strafe ersinnen, um damit die leidende und gehorsame Unschuld zu verfolgen?« –

»Du siehst das alles mit den Augen eines Kindes an,« rief die Kurfürstin, »eines Kindes, das sein Spielwerk verlangt, und da man es ihm nicht geben will, ungebärdig wird. Vieles von dem, was du sagtest, ist noch nicht erwiesen. Daß der Herzog selbst zur Vergiftung seines ersten Weibes beigetragen, wird von Personen geleugnet, die es wissen können. Also Mut gefaßt! übrigens hast du auch keinen Ausweg; dein Vater will es, und er wird nie von seinem Willen abgehen, das glaube mir.«

Charlotte sank auf ihre Knie zu Boden. Sie rang die Hände und rief, aufs bitterste weinend: »Himmel, so gib mir denn deinen Trost, da die Menschen mich verlassen!«

Die Kurfürstin sah mit einem kalten Blick die Kniende an.

Eine Pause herrschte.

»So ist das Euer letztes Wort,« fragte Charlotte, sich erhebend, »Ihr steht mir nicht bei, Mutter?«

»In dieser Angelegenheit nicht, mein Kind!« entgegnete die Kurfürstin.

Dieser Ausgang des Gesprächs mit der Mutter hatte einen tiefen Eindruck auf das Herz der Tochter gemacht. Sie sah sich geopfert, dem Interesse der Eltern hingegeben; ein fester Widerwille, ein eiserner Trotz keimte in ihrem Busen. »So sei es!« rief sie bei sich, »ich bin nichts als ein Stück Möbel, das man für einen guten Preis dem Käufer überläßt. So will ich denn hingehen und heiraten – wenn man will.«

Nach diesem Entschluß war sie ruhig.

Die Rückreise nach Heidelberg wurde rasch zurückgelegt.

Die Prinzessin stieg bleich und schweigend aus dem Wagen. Der Kurfürst stand auf der Treppe, sie zu empfangen. Sie beugte sich und berührte seine Hand mit einem Kusse. Hinter ihm stand Frau von Degenfeld. Alle erwarteten, daß sie etwas sagen würde, doch sie sprach nichts.

Der Kurfürst hatte das Ende dieser Reise mit Spannung abgewartet, er erfuhr nichts. Sollte er zu dem letzten Mittel, zu Zwang seine Zuflucht nehmen? Sollte er die Ungehorsame einsperren? Sollte er – doch nein! Zuerst schickte er die Rätin ab, um sich nach dem Resultat der Reise zu erkundigen. Charlotte hörte die Abgesandten an und sprach dann: »Saget Seiner Liebden, dem Herrn Kurfürsten, daß ich seine gehorsame Tochter bin, und daß ich tun werde, wie er es will.«

Kaum war diese Antwort abgesendet, als der Kurfürst bei seiner Tochter eintrat. Er überschüttete sie mit Liebkosungen, er nannte sie sein liebes, sein einziges Kind. Er sprach von ihrem Gehorsam, ihrer Treue, ihren liebenswürdigen Tugenden. Charlotte sagte weich und sanft: »Lieber Vater, wenn Ihr mich so liebtet, wie ich Euch liebe, hättet Ihr mich nicht zu dieser Heirat gezwungen, in die ich nur aus purem Gehorsam willige.« Damit wandte sie sich ab und stand still am Fenster.

Der Kurfürst erwiderte: »Du wirst mich einst segnen für das, was ich für dich getan. Jetzt entschließe dich und gib den Herren Abgesandten deine Antwort; sie wollen zurück nach Paris. Morgen ist die Abschiedsaudienz.«

Und so geschah es. Den andern Morgen war der Audienzsaal auf der alten Burg zu Heidelberg festlich geschmückt; viele Gäste aus der Stadt waren zugegen. Charlotte wurde von der princesse palatine hereingeführt, einer Verwandten des Kurfürsten. Sie begrüßte die Herren. Der Marquis von Rohan trat auf sie zu und erinnerte sie, daß sie ihm ein Gegengeschenk für seine Gabe schuldig sei, und daß er erwarte, es werde ein Gruß an Monsieur, den Bruder des Königs, sein.

»Bringt der Hoheit dieses Geschenk!« sagte Charlotte und überreichte ihm ihr Bild, »und dankt ihm für den Antrag, den er die Güte gehabt mir zu machen.«

»Wir eilen, diese erfreuliche Botschaft Monsieur zu überbringen, der mit Ungeduld auf uns wartet.«

Der Kurfürst unterstützte seine Tochter, als er merkte, daß sie schwankte.

Der feierliche Akt ging ohne Störung vorüber. Am andern Tage waren die beiden Herren nebst ihrem Gefolge abgereist.


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