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Reden


«Lachende Wahrheiten»

Gesprochen 1897 in Amsterdam

Was ich Ihnen heute vortragen will, sind Proben aus einem Buche, welches in den nächsten Tagen im Buchhandel erscheinen wird. Das Buch hat den Titel «Lachende Wahrheiten», und mit seiner Entstehung, respektive seinem Inhalt, hat es folgende Bewandtnis.

 

In den fünfzehn Jahren, da ich mich in der Literatur betätige, kam es mir natürlich ab und zu vor, über Fragen, die mich gerade interessierten, meine Meinung öffentlich zu äußern, in der Schweiz und in Deutschland, in Tagesblättern und Monatschriften.

Und zwar folgte ich hiebei dem Grundsatz, denjenigen literarischen Stellen, wo ich einmal bei Redaktion und Publikum eine freundliche Aufnahme gefunden, treu zu bleiben, so daß ich allmählich an einigen Orten daheim und zu Hause ward.

In Deutschland, welches für das vorliegende Buch hauptsächlich in Betracht kommt, war es namentlich der «Kunstwart», mit welchem mich ein vieljähriges, herzliches Verhältnis verband und noch verbindet.

Ich kam dort hinein als ein noch völlig unbekannter Autor, auf eine Empfehlung Nietzsches. Der Herausgeber, Avenarius, war vertrauensmutig genug, auf diese Empfehlung hin die Katze im Sack zu kaufen, ich meine, mir sofort für die ersten Nummern einen Aufsatz zu bestellen, war aber doch ein bißchen darauf gespannt, was es für eine Katze sein möge und was für Sprünge sie etwa verüben werde.

Nun, ich weiß nicht, ob jener erste Aufsatz «Kunstfron und Kunstgenuß» den Erwartungen des Herrn Avenarius entsprach, aber den Erfolg, den der Aufsatz beim Publikum hatte, hat er mir mitgeteilt: ein Sturm der Entrüstung um und um, ein Wutschrei des Direktors der Königlichen Akademie in Berlin, ein Hagel von Protesten und Erwiderungen, eine Verwüstung von zahlreichen Abonnementskündigungen. Das war mein Debüt in demselben «Kunstwart», von welchem ich Ihnen sagte, daß mich ein langjähriges Freundschaftsverhältnis mit Redaktion und Publikum verbindet.

Avenarius hielt glücklicher- und ehrenwerterweise dem Sturme tapfer stand, indem er sich damit entschuldigte, daß mein Aufsatz immerhin dem Zwecke des «Kunstwarts» entspreche, nämlich dem Zwecke, zur Diskussion anzuregen. Und hierin hatte er gewiß nicht unrecht; denn wenn man den Leuten ins Gesicht springt, so regt das ohne Zweifel zur Diskussion an.

Auch meine folgenden Artikel erzielten lebhaftes Aufjucken. Dann wurden die Erwiderungen immer zahmer, verklausulierter und ehrerbietiger, bis ich schließlich das Privileg einer gewissen Autorität genoß, mit all den Vorteilen und Nachteilen der Autorität. Wenn Sie aber wissen wollen, was das ist, die Nachteile der Autorität, so will ich Ihnen das an einem schlagenden Beispiel erklären:

Nicht länger als zwei, drei Wochen sind es her, daß ich abermals einen Aufsatz im «Kunstwart» veröffentlichte, diesmal einen so gesalzenen, daß jener erste, welcher einst allgemeine Entrüstung erregt hatte, dagegen den reinsten Soxhletschen Kinderapparat bedeutet. Dabei hatte ichs besonders auf eine gewisse Bande abgesehen und ganz besonders auf einen gewissen Bandenhäuptling. Was geschieht? Der Bandenhäuptling, auf den ich gezielt, druckt den ganzen Aufsatz mit beifälligem Schmunzeln ab, mit folgendem einleitenden Spruche: «Sehr beherzigenswerte Worte spricht Carl Spitteler im ‹Kunstwart›.» Sehen Sie, das nenne ich die Nachteile der Autorität.

 

Ebenso selbstverständlich gelangten nach einigen Jahren Aufforderungen an mich, meine Aufsätze zu sammeln und herauszugeben.

Den Aufforderungen habe ich bis zu diesem Sommer hartnäckig widerstanden, weil ich die Sammelarbeit verachtete und fürchtete und weil ich meine eigenen Arbeiten nicht aufzubewahren pflege, ja nicht einmal ein Verzeichnis davon besitze. Je mehr neue Aufsätze dann dazu kamen, desto schwieriger wurde natürlich die Geschichte, bis sie mir einfach unmöglich schien. Ich überließ also in Gedanken die ganze Angelegenheit einer gütigen Nachwelt, verschleuderte meine Aufsätze noch mehr als früher und freute mich der Mühe, die dereinst mein Biograph haben werde, alles aus den vier Weltgegenden zusammenzusuchen.

Diesen Sommer aber wandte sich ein Leipziger Verleger mit einer besondern Empfehlung des Kunstwart-Herausgebers an mich, was mich halbweg umstimmte.

Ganz herum brachte er mich mit der Bemerkung, binnen vierzehn Tagen, spätestens drei Wochen möchte er mit dem Druck beginnen.

In zwei bis drei Wochen herbeisuchen, sammeln, sichten, korrigieren, abschreiben und so weiter, was man in fünfzehn Jahren geschrieben, das war eine siebenfache Unmöglichkeit. Aber eben die siebenfachen Unmöglichkeiten haben von jeher eine besondere Anziehungskraft auf mich geübt. Und so antwortete ich denn fröhlich bejahend.

Das vorliegende Buch «Lachende Wahrheiten» verdankt also dem Umstande seine Entstehung, daß ein Verleger mir die Riesenarbeit, vor der ich mich fürchtete und für die ich reichlich ein Jahr nötig erachtete, binnen vierzehn Tagen, spätestens drei Wochen zumutete.

Freilich, wenn ich geahnt hätte, daß die Arbeit noch schwieriger war, als ich befürchtete!

Das erste war natürlich, daß ich den Zeitungen und Zeitschriften, mit denen ich verkehrt hatte, den Auftrag gab, mir meine sämtlichen Aufsätze, die ich je eingesendet, zuzuschicken. Die gemeinsame Antwort lautete: «Ja, mein lieber Herr, wir bewahren die alten Jahrgänge nicht auf, dagegen haben doch jedenfalls Sie Ihre eigenen Aufsätze sorgfältig behalten und gesammelt.»

Da wurde mir blaß ums Herz, und hätte ich nicht den Grundsatz, ein gegebenes Wort nur in den alleräußersten Notfällen zurückzunehmen, so würde ich die Arbeit aufgegeben haben.

Ich will Sie nicht mit der Schilderung der nun beginnenden Mühseligkeiten behelligen. Aber als ich endlich das vorrätige Material beisammen oder wenigstens annähernd vollständig im Gedächtnis vor Augen hatte, sah es folgendermaßen aus: statt eines einzigen Bandes «Gesammelte Aufsätze», wie ich geglaubt hatte, Stoff für nicht weniger als acht besondere Bücher, das heißt ein Band Vorträge, ein Band kleinere Erzählungen, drei Bände Essays, zwei Bände Aufsätze aus schweizerischen Zeitungen, ein Band noch unveröffentlichter Manuskripte.

Nun galt es, aus der Masse auszuwählen, und zwar dasjenige, was am ehesten dem Wunsche des Verlegers entsprach, mit anderen Worten, was sich ungefähr auf der geistigen Höhe und im Stoffgebiet der Kunstwartleser bewegte. Mithin mußte die Sammlung einen ästhetischen Charakter haben.

Die Auswahl war, wie Sie wohl glauben, schwierig. Das Schwierigste aber war, daß ich, statt mich mit dieser Arbeit allein zu beschäftigen, eine beträchtliche Menge neuer Aufsätze frisch dazu schrieb, so daß ich mit jedem Tage mehr rückwärts statt vorwärts kam.

Darüber vergingen die drei Wochen, eine vierte und schließlich noch eine fünfte Woche kam dazu. Endlich mit der fünften Woche war ich mit der Vorarbeit zu Ende, aber auch mit meiner Kraft. Das Material lag da, gesammelt, korrigiert bis zum letzten Wort. Dagegen noch in völlig unleserlichem Zustand, mit Korrekturen dermaßen überhäuft, daß kein Mensch außer mir darauskommen konnte.

Das alles mußte also noch abgeschrieben werden, dreihundertfünfzig Druckseiten im kleinsten, engsten Druck. Das nun selber abzuschreiben, dazu hatte ich einfach nicht mehr die Kraft. Und ein bezahlter, gebildeter Abschreiber in Luzern? Das ist nicht so leicht zu finden. Überdies hätte ich ihn auf die Stör nehmen müssen und drei bis vier Wochen lang in meinem Zimmer behalten.

In dieser Not faßte ich einen verzweifelten Entschluß. Ich sandte plötzlich dem Verleger den ganzen Packen nude crude auf den Hals: Da, setzen Sies, drucken Sies, wenn Sie können. Wenn Sies nicht können, um so schlimmer für Sie. Ich rühre keinen Federstrich mehr daran.

Und siehe da, das Wunder geschah: er übernahm das schauderhafte Manuskript und fand sich wahrhaftig darin zurecht, was ich kaum für möglich gehalten hatte. Wie, ist mir noch ein Rätsel. Auch den Titel, mit dem ich schlechterdings nicht ins reine kommen konnte, hat er mir geschenkt.

So ist also das Buch «Lachende Wahrheiten» zur Welt gekommen. Eine Zangengeburt, das schwöre ich Ihnen.


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