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Sind Adel und Adelstitel unrepublikanisch?

Ein Luzerner Korrespondent der «Neuen Zürcher Zeitung» rügt die Adelstitelsucht der Luzerner. Inwieferne diese Rüge zutrifft, vermag ich nicht zu beurteilen; aber der gelegentlich in jenen Zeilen ausgesprochene Gedanke, als ob Adel und Adelstitel überhaupt unrepublikanisch wären, scheint mir im höchsten Grade anfechtbar, übrigens auch einer Widerlegung wert, da man ihm hiezulande öfters im Gespräch begegnet.

Vorab war wohl ‹unrepublikanisch› schwerlich das genaue Wort, welches der Herr Verfasser sagen wollte; denn daß es von jeher nicht bloß Republiken mit Adel, sondern geradezu Adelsrepubliken gegeben hat, das wollte er jedenfalls nicht bestreiten. Im alten Griechenland, in Rom, im Italien der Renaissance, in der Schweizerischen Eidgenossenschaft bestand, ja herrschte zeitweise der Adel. Und Arnold von Winkelried war doch meines Wissens auch ein Republikaner, trotz seinem ‹von›. ‹Undemokratisch› wollte wohl der Verfasser sagen. In der Tat ließe sich das hören, wenigstens in der Theorie. In der Praxis freilich hat sich auch die Demokratie der Erfahrung beugen müssen, daß man zwar mit Erfolg und mit gutem Recht die Adelsprivilegien abschaffen kann, nicht aber die Adelsnamen und Adelstitel, ohne sich lächerlich zu machen. ‹Bürger Capet› für König Ludwig war eine Abgeschmacktheit. Nicht minder abgeschmackt wäre ‹Herr Orléans› oder ‹Herr Erlach› statt ‹Herzog von Orléans› und ‹Herr von Erlach›. Ich habe den Versuch einmal mit angehört: in einer Versammlung wurde ein Professor von der Goltz durch den Vereinspräsidenten mit «Professor Goltz» aufgerufen. Ich versichere Ihnen, das klang weder republikanisch noch demokratisch, sondern einfach läppisch.

Daß es einst einen schweizerischen Adel gegeben hat, ist eine Tatsache, die keiner anficht; auch nicht, daß er Nachkommen hatte und daß von diesen Nachkommen noch heute Proben vorhanden sind. Die Frage lautet mithin bloß: Sollen diese Nachkommen, die nach internationalem, europäischem Recht zu Titeln und Partikeln befugt sind   so gut befugt wie manche Fürsten des Auslandes  , sollen sie auf dieses Recht ein für allemal, dahin und weg, freiwillig verzichten? Um aber diese Frage zu beantworten, gilt es, den Schaden und den Nutzen der Adelstitel gegeneinander abzuwägen.

Nun, was schadet denn eigentlich der Adelstitel? Und wem schadet er? Doch wohl nichts und niemand. Wie denn auch zum Beispiel der geehrte Korrespondent ausdrücklich die Adelstitelsucht ein «harmloses» Vergnügen nennt. Gut denn. Was nützt dagegen der Adelstitel? Mit Verlaub: den dazu Berechtigten unermeßlich viel, unendlich viel mehr, als derjenige ahnt, welcher die Verhältnisse der außerschweizerischen Staaten nicht kennt. Die Adelspartikel erschließt ihren Inhabern im Auslande Ämter, Stellung und Einkommen, öffnet ihnen alle Türen, führt sie in jede Gesellschaft, leiht ihnen zum voraus Vertrauen, verschafft ihnen Ansehen und vermittelt ihnen vornehme Verschwägerung, verzuckert mit reichen Erbinnen, die sie oft dringend nötig haben. Aller dieser bedeutenden, teilweise klingenden Vorteile gehen sie mit einem einzigen Schlage verlustig, sobald sie sich des Partikelchens ‹von› begeben. Das ist lächerlich, meinetwegen sogar ekelhaft, aber es ist so. Ändern Sie das in Wien und Berlin, wenn Sie können; ich wünsche Ihnen von Herzen guten Erfolg. Nun frage ich: Können wir allen Ernstes angesichts solcher gewaltiger Vorteile den Leuten den Verzicht auf ein Titelchen zumuten, das keinem Menschen Eintrag tut? Zumal jetzt, da das Adelsprädikat jenseits der Grenze so enorm im Preise gestiegen ist? Nein; so wie die Dinge heute liegen, und namentlich in Deutschland liegen, würde ein schweizerischer Familienvater, der das ‹von› besitzt, sich eines unverantwortlichen Leichtsinns gegenüber seinen Kindern schuldig machen, wenn er dasselbe nicht sorgfältig zwischen Fließpapier im Spiegelschrank aufbewahrte, neben anderen köstlichen Reiseeffekten.

Denn ein Reiseeffekt ist es ja vor allem. Zu Hause, im Verkehr mit den Einheimischen, wird das Adelsprädikat, soweit meine Beobachtungen reichen, willig preisgegeben; zugleich mit dem Koffer kramt man es hingegen hervor. Ähnlich wie der russische Adel. Dieser würde es als eine plumpe Geschmacklosigkeit empfinden, sich gegenüber seinen Landsleuten durch Adelsprädikate auszeichnen zu wollen; ja er verspottet das Institut eines Adels und nennt das ‹von› den Gipfel der Abgeschmacktheit. Sobald er sich indessen auf die Reise macht, schnallt er sich mit den Gamaschen wohlweislich seine Titel und Partikel vor. Nach Italien der Strohhut, nach Sibirien der Pelz, nach Paris die gespickte Börse, nach Deutschland das ‹von›.

Der Verfasser jener Korrespondenz hat es also selbst vollkommen richtig gedeutet: die Partikeln des schweizerischen Adels sind auf das Ausland gemünzt. Das Ausland aber bedeutet für unsern Adel viel, mitunter alles. Denn der schweizerische Adel ist ein Exportartikel. Nun sehe ich nicht ein, warum diesem Exportartikel nicht ebensoviel Duldung, Sympathie und Schutz gebührte wie irgendeinem andern, zum Beispiel dem Gouvernantenexport. Es freut uns doch, wenn unser Käse in Mailand gilt; warum sollten wir es übel aufnehmen, wenn unsere Adeligen an den europäischen Höfen geschätzt werden? Ist auch der Eintausch gegen diesen Export nicht so klar mit Ziffern auszudrücken wie beim Kirschwasser, so ist er darum keineswegs verächtlich. Denn er bringt den Schweizernamen in solchen Gegenden zu Ansehen und Ehre, wohin kein Jodel und kein Jaß dringt. Daß aber der Gewinn nicht direkt auch andern zugute kommt, was verschlägt das? Wie heißt es doch in unsern Festreden? Einer für alle, alle für einen. Das will auf deutsch ungefähr sagen: Was dem einen Schweizer gedeiht, dazu sollen wir alle neidlos schmunzeln. Läuft denn meinetwegen auch einmal ein Halbschlächtiger mit unter, so liegt es kaum in unserm Interesse, das an die große Glocke zu hängen. Man soll die einheimische Ware nicht selber heruntersetzen. So gut wie die hergelaufenen Sandgrafen und Wasserbarone, denen unsere Fremdenindustrie des Sommers so ehrerbietige Bücklinge erweist, so gut sind unsere fraglichsten ‹von› immer noch. Etwas weniger Empfindlichkeit gegen den einheimischen Adel und etwas weniger Respekt gegenüber ausländischer Durchlaucht und Durchlauft!

Oder meint einer vielleicht, durch Beseitigung der Adelstitelchen der gesellschaftlichen Gleichberechtigung der Schweizer untereinander Vorschub zu leisten? Dem Geburtsdünkel, der Sippschaftsklette, dem Hochmut und der Eitelkeit zu steuern? Das verriete doch wahrlich einen gar zu jugendlichen Optimismus. Als ob Geburts- und Sippschaftsdünkel an Titelchen gebunden wären! Wir haben ja das Exempel: es gibt ja in der Schweiz Städte, die keinen einzigen Adeligen unter ihren Bürgern zählen, andere, in welchen die wenigen adeligen Familien unter dem bürgerlichen Patriziat verschwinden. Herrscht nun etwa dort kein Geburts- und Sippschaftsdünkel? Ich aber sage euch: Er stinket gen Himmel. Und in den entlegensten Kleinstädtchen und Dörfchen, in den hintersten Weilern und Alpenwinkeln, wohnt da nicht gleichfalls die hochmütigste, engherzigste Absonderung des Vornehmeren gegen den Geringeren? So wenig ist Geburtseitelkeit und Geschlechterüberhebung eine unrepublikanische Erscheinung, daß wir im Gegenteil von diesem Kraut mehr haben und von jeher gehabt haben als irgendeine monarchische Nation. Darum, weil uns eine hauptstädtische Gesellschaft fehlt, welche die Menschen untereinander mischt, welche durch Stand und Amt und Talent die Geburtsunterschiede ausgleicht. Die einzigen Stände, die für unser gesellschaftliches Leben in Betracht kommen, sind der Zivilstand und der Ehestand. Im öffentlichen Leben zusammengejubelt, im Privatleben auseinanderverschwägert, das ist unser gesellschaftliches Merkmal. So viele Geschlechter: so viele Kasten; so viele Sippen: so viel Ausschließlichkeit. Und da sollte es einzig der Adelssippe verwehrt sein, ihren Absonderungsgelüsten zu frönen?

Um aber auf das Wort ‹republikanisch› zurückzukehren: das gerade verleiht der schweizerischen Republik ihre zähe Lebenskraft, daß sie niemals den Anspruch erhoben hat, eine logische oder moralische Idealrepublik zu sein, daß sie die Menschen und Einrichtungen lassen mochte, wie sie sie gefunden, daß sie für jede Sorte von Zweibein Platz hat, für den Hirten wie den Bauern, für den Burger wie den Adeligen, Platz sogar für jedermanns Fehler, Schwächen und Eitelkeiten. Sagen Sie doch selbst: wenn Lächerlichkeiten unrepublikanisch wären, wer von uns dürfte so vermessen sein, sich einen Republikaner zu rühmen? Lächerlichkeit ist weder unrepublikanisch noch unmonarchisch, sondern eines der heiligsten, unveräußerlichsten Menschenrechte.


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