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«Der Widerspenstigen Zähmung»

Durch seinen Wohnort wie durch seine Beziehungen und Verbindungen gehört Goetz der Schweiz. Als dreiundzwanzigjähriger Mann, kurz nach der Absolvierung des Konservatoriums, wurde er nach Winterthur als Organist berufen. Vier Jahre später siedelte er nach Zürich über, um in dem hoch und gesund gelegenen Hottingen Kräftigung zu suchen und seinen Phantasieschöpfungen nachzuleben. In Winterthur und Zürich war es denn auch, daß Goetz das Freundschaftsbündnis mit unserem damals eben in frischer Kraft aufstrebenden, um zwei Jahre jüngeren Dichter Joseph Viktor Widmann schloß, ein Bündnis, das sich für den Komponisten äußerst segensreich erweisen sollte. Während nämlich die Instrumentalwerke des Künstlers über die engeren Kreise der Musiker kaum hinauszudringen vermochten, trug ihm die Oper «Der Widerspenstigen Zähmung», zu welcher ihm Widmann den Text geliefert, einen sofortigen Triumph ein, in welchen die Masse wie die Gemeinde der Kenner gleicherweise einstimmte. Im Jahre 1874 wurde das Werk zum ersten Male aufgeführt, in Mannheim, in Gegenwart des Komponisten und des Dichters, die durch Hervorruf und mit Kränzen geehrt wurden. Seither ist die Oper zu einem Gemeingut der deutschen Bühnen geworden und gilt je länger, je mehr als Unikum an allseitiger Vortrefflichkeit. Der Partitur wird eine Originalität nachgerühmt, die sich schlechterdings in keine Schule einreihen lasse; daneben ist dieselbe thematisch und kontrapunktisch fein und ernst, freilich ungemein schwierig in der Ausführung, was indessen angesichts der übrigen Tugenden nur als ein Ansporn für tüchtige Sänger und Orchesterspieler wirkt. Eifrige und mutige Kapellmeister pflegen daher die «Widerspenstige» als ihre Lieblingsoper zu bezeichnen.

Was nun das Textbuch betrifft, so wird von der deutschen Kritik die außerordentliche Feinsinnigkeit in Abwägung des Operncharakters gegenüber dem Drama gerühmt. Die mutigen Abweichungen von Shakespeare sind jedesmal durch den musikalischen Zweck begründet, und zwar evident begründet, so daß die literarische Welt dieses Libretto geradezu für ein Musterlibretto ausgibt. Kein Wunder, daß der Dichter seither mit Anträgen um Textbücher von deutschen Komponisten geradezu überstürmt wird. So ist denn in diesen Tagen wieder eine Oper Widmannschen Textes in Hannover mit großem Erfolg aufgeführt worden. Ein neues Textbuch befindet sich in Arbeit, und wir hoffen, daß es nicht das letzte sein werde. Für diejenigen aber, die eine gute Librettoarbeit für gering anschlagen, diene die Bemerkung, daß dazu nicht minder als zwei seltene Dinge vonnöten sind: einmal muß der Autor ein gescheiter und geschickter Dramatiker und zweitens ein gründlicher Musikkenner sein. Darum fallen auch die Libretti gewöhnlich so schmählich aus.

Die «Widerspenstige» war auf dem Gebiet der Oper das erste und das letzte Werk des Komponisten, der schon den Todeskeim in sich trug. Ein neuer Stoff «Francesca von Rimini», ebenfalls mit einem Textbuch Widmanns, blieb unvollendet. Der immer schwerer dahinkrankende Künstler starb über der Arbeit.

Es war im Jahre 1863, unmittelbar nach der Ankunft des Künstlers in der Schweiz, als der Schreiber dieser Zeilen Goetz in Winterthur sah. Ein feiner, sinniger, nachdenklicher Kopf, schon damals mit leidendem Ausdruck. Man war gespannt, den jungen Organisten kennenzulernen, der dazu berufen war, den für unersetzlich gehaltenen Kirchner ersetzen zu sollen. Wohlwollend, aber nicht eben gläubig sah man ihm entgegen. Ein Klavierkonzert, das der Debütierende kurz nach seiner Ankunft gab, belehrte indessen bald die musikalische Welt eines bessern. Die große C-Dur-Sonate von Beethoven und nicht zum wenigsten auch das Fis-Dur-Nocturno von Chopin bewiesen einen Spieler von seltenem innern Wert.

Unvergeßlich tönte der Vortrag jener Stücke im Ohr des Hörers, und es wurde schon damals vereinzelt ausgesprochen, daß nur ein angehender Komponist von echtem Phantasieleben diese Ganzheit des Vortrages erreichen könne. Wer hätte aber gedacht, daß dem jungen Talent nur dreizehn Jahre zu seiner Ausbildung und Wirkung verbleiben sollten? Und wie dürfen wir uns glücklich schätzen, daß die dreizehn Jahre doch ein durchdachtes und bleibendes Werk zeitigten.


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