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«Der Zigeunerbaron»

Das Gesamturteil, welches sich jedem einzelnen nach Anhörung des «Zigeunerbarons» aufgedrängt hat, wird wohl ziemlich übereinstimmend dieses gewesen sein: die genannte Operette ist bedeutender und erfreulicher, als erwartet wurde. Der leidige Cancan fällt fast ganz weg, der Unsinn zieht sich auf die Einzelheiten des Verses und Reimes zurück, und dem entmutigenden Couplet ist bloß ein untergeordneter Platz angewiesen. Dagegen fesseln die Szenenbilder durch belebte und bewegte Volksgruppen, durch prächtige Kostüme, durch originelle humoristische Figuren (Kálmán Zsupán), teilweise sogar durch poetisch empfundene Gestalten wie die der Saffi. Vollends die Musik, selbst in der Operette der entscheidende Faktor, ist von eigentümlicher, fesselnder Beschaffenheit, mitunter sogar zu echter Schönheit sich erhebend. Unter den verschiedenartigen musikalischen Bestandteilen, welche die Straußsche Operette aufweist, kommt ohne Zweifel den ungarischen Motiven der höchste Wert zu; dem ungarischen Lokalkolorit verdankt nicht allein der Text, sondern auch die Musik weitaus das Beste. Immer und immer wieder setzt Strauß im «Zigeunerbaron» den Czardas in allen erdenklichen Variationen in Bewegung, mit seinem pompösen Largo, seiner stereotypen Kadenz, seinem jähen Tempowechsel, seinen Jauchzern und seinen rasenden ‹Frisken›. Zwar zu einer fertigen, geschlossenen Komposition ungarischen Stils vermag sich unser Komponist nicht aufzuschwingen; Strauß ist kein Brahms und kein Liszt, er begnügt sich mit Ansätzen, die er immer von neuem wiederholt, weil er sie nie zu beenden weiß; wie denn zum Beispiel die Ouvertüre, welche doch Einheitlichkeit nicht bloß erlaubt, sondern sogar begehrt hätte, nach schönen Anfängen in ein zerhacktes kunterbuntes Potpourri ausläuft. Immerhin wirkt der Reiz der ungarischen Rhythmik im «Zigeunerbaron» unwiderstehlich; wir werden von der unnachahmlichen Mischung von Feuer und Zucker, welche der ungarischen Melodik wie dem ungarischen Wein innewohnt, musikalisch berauscht, ohne jemals Widerwillen daran zu empfinden. Kein geringes Kunststück, das übrigens nur einem Wiener Komponisten gelingen konnte, war es ferner, innerhalb des ungarischen Stils noch den Zigeunercharakter deutlich zu unterscheiden und zur Geltung zu bringen. Die eigentümlichen Intervalle, Akzente und Jauchzer, welche die Lieder der Saffi und die Zigeunerchöre auszeichnen, sind ebenso erfreulich durch ihre direkt entzückende Schönheit wie durch ihre logische Vernünftigkeit, wir meinen durch den richtigen, überzeugenden Ausdruck der Keckheit. Dazwischen hinein wirft nun Strauß   wer könnte sichs auch anders denken   aus seinem unerschöpflichen Füllhorn ein Büschelchen prickelnder Walzer, ungerechnet die Polkas, die Galoppe und Geschwindmärsche. Freilich, das dürfen wir nicht verhehlen, versagt dem Walzerkönig bei den übrigen Tänzen die Erfindung, und hier wird er dann recht liederlich. Über den freien Teil der Komposition zwischen den Volksweisen und Tänzen ist nicht viel zu sagen; der Mangel an ursprünglicher Kraft zwingt auf diesem Gebiet den Komponisten zur Anlehnung.

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Astrologen und Ärzte sagen seit einiger Zeit mit Beharrlichkeit der Operette das nahe Ende voraus, weil die Symptome des Überdrusses sich mehrten. Angenommen, der Überdruß wäre wirklich in dem Grade vorhanden, wie man behauptet, so müßte man jedenfalls erst etwas Besseres finden, das zugleich ähnlich wäre, ehe man die Operette in die Antiquitätensammlung verweisen könnte. Auf Offenbach zurückgreifen, wie man jetzt vielfach versucht, hieße den Teufel mit Beelzebub austreiben, denn dem Cancan ist denn doch der Walzer noch überlegen, und eine Neubelebung der komischen Oper wird die Operette nur unter der Bedingung aus dem Felde zu schlagen vermögen, daß die komische Oper selber teilweise einen Operettencharakter annimmt. Auch gibt es der Komponisten, welche eine komische Oper zu schreiben imstande sind, in jedem Zeitalter gar wenige, ausnahmsweise einen oder zwei, und gewöhnlich gar keinen. Von nichts aber wird weder das Theater fett noch der Zuhörer satt. Das Publikum hat nun einmal die Leckerspeise prickelnder Tanzrhythmen und üppiger Augenweide genossen und verlangt seither danach; Verbesserungen, wie es im «Zigeunerbaron» erhalten, nimmt es dankbar an, Veränderungen werden sich erst zu erproben haben. Einstweilen ziehen die alten, längst totgesagten Operetten trotz allen Propheten immer von neuem.


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