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Viktoria, die Königin von England.
Zum fünfzigsten Jahrestag ihrer Thronbesteigung

Es ist beinahe ein Reliquienfest, dies Jubiläum zu Ehren einer Königin, deren Thronbesteigung in die Friedens- und Begeisterungszeit der dreißiger Jahre hinaufreicht; kein anderer der gegenwärtigen Regenten saß schon auf dem Thron, als Viktoria den Purpur umlegte. Sie nimmt sich aber zugleich wie ein Anachronismus aus in unserm gewappneten Zeitalter, wo kein Fürst mehr ohne Uniform sich öffentlich zeigt, diese Dame, welche niemals einen Tschako oder Helm getragen hat. Man denkt, das verstehe sich bei einer Frau von selbst. Nicht so ganz; in andern monarchischen Staaten kann man Prinzessinnen im Husarenkostüm begegnen, so daß man glaubt, Mademoiselle Schneider in der Großherzogin von Gerolstein vor sich zu haben. Dieser Fürst im Unterrock ist charakteristisch für England, ist ein Widerspruch, und mehr als das, ein Protest gegen den kanonenfrohen Kontinent.

Viktoria hat die lichten und dunklen Seiten ihres Amtes kennengelernt: unbegrenzte, oft bis zum Lächerlichen verzerrte Ehrerbietung seitens der loyalen Aristokratie ihres Vaterlandes, welche es so weit brachte, für den Hund der Königin zu schwärmen und den Tod ihres alten Dieners wie einen Staatsverlust zu betrauern; ferner Popularität und europäischen Ruhm, Selbstmorde aus hoffnungsloser Liebe zu ihr, was wir natürlich jetzt kaum begreifen; endlich ein kleines Sümmchen von Attentaten, ohne welche es einmal dort oben nicht abgeht.

Das Privatleben der Königin war bekanntlich musterhaft; ihre Ehe mit dem Prinzen Albert und ihre tiefe, aufrichtige Trauer um seinen Tod (1861) ist ja sprichwörtlich geworden. Bei ihr kann man den Gemeinplatz nicht anwenden, daß auf dem Thron keine wahre Liebe und kein wahres Glück gedeihen könne; Viktoria hat die Freuden einer reinen, gesegneten Ehe genossen, trotz jeder Bürgerlichen, in dieser Beziehung ihrem heutigen Gegner, dem Zaren, nicht unähnlich; freilich blieben ihr auch die Schmerzen des Familienlebens nicht fern: die Sorgen um ihre Lieben, die Trennungen, die Todesfälle. Wer fünfzig Jahre regiert, von Kindern und Enkeln umgeben, die nach allen vier Richtungen der Erde sich verschwägern, der kommt natürlich oft in den Fall, Trauerkleider anzuziehen.

Über die privaten Fähigkeiten der Königin erfahren wir nichts Außerordentliches; ihr Horizont erschien den Zeitgenossen stets etwas eng, was auch ihr steifes Hofzeremoniell, das kein bedeutender Geist aushält, anderseits wieder die echt englische Vermischung von Moral und Religion mit Aristokratie und Hundesport und nicht zum wenigsten ihre Schriften bestätigen. Ganz anders lautet das Urteil über ihre staatsmännischen Talente; hier zeigte Viktoria den instinktiven Scharfblick der Frau, welche in Schwierigkeiten die einfache und vernünftige Entscheidung zu treffen weiß. England hat allen Grund, das Jubiläum seiner Königin zu feiern, denn die Regierung Viktorias ist eine Regierung des Stolzes und der Ehre gewesen und ist es noch.

Was aber Viktoria auszeichnet und in gewisser Hinsicht über sämtliche mitlebenden Fürsten erhebt, das ist ihr unbeugsames Gefühl der persönlichen Königswürde, ein Gefühl, das niemals einen Kompromiß mit der Staatsklugheit eingegangen ist, obschon es auch niemals die letztere beeinträchtigte. Was Viktoria für edel und gut hielt oder was ihr ehrwürdig war, das begünstigte sie, unbekümmert darum, wie die öffentliche Meinung Europas gerade beschaffen war, und ohne Rücksicht darauf, ob sie einen Nachbar verletze. Wen sie aber verabscheute, den ließ sie ihre Verachtung fühlen, obschon sie ihn vielleicht, den Gesetzen und dem Volkswillen gehorchend, gleichzeitig zu den höchsten Staatsehren berief. Sie hat Disraelis Größe erkannt und seinem erleuchteten Patriotismus die verdiente Gunst erhalten, während ein akuter Anfall von nationalem Blödsinn ihn mit Schmähungen überschüttete; sie hat Gladstone seine gewissenlose Aufhetzung gegen seinen größeren Rivalen nie verziehen und hat es ihm nie verhehlt. Als Napoleon III. gefallen war, als die unglückliche Exkaiserin mit ihrem Sohne überall nur Tadel, höchstens Mitleid erregte, da war es Viktoria allein, welche Eugenie Ehrerbietung und den edlen Trost einer heiligen Erinnerung an gemeinsames Glück gewährte. Als Patti mit ihren Diamanten und ihrem Nicolini die Theater beherrschte und die Hauptstädte unterjochte, da verbargen alle andern Fürsten ihre moralischen Bedenken gegen das unerlaubte Verhältnis in ein Schubfach, Viktoria aber weigerte sich, die Künstlerin zu empfangen. Das spricht gewiß nicht für ihren Geist, doch zeugt es für ihren königlichen Stolz. Das jüngste Beispiel ihres souveränen persönlichen Urteils und ihres die uniformierten Monarchen beschämenden moralischen Mutes ist nicht das unwichtigste. Fürst Alexander von Bulgarien fiel   wir wissen wie. Keiner der kontinentalen Königsgeneräle mit ihren Epauletten und Kavalleriesäbeln wagte ein Wort der Mißbilligung, aus Staatsklugheit; das Amtsblatt der deutschen Regierung beschuldigte statt der Verbrecher sogar das Opfer   Königin Viktoria allein drückte ihren Abscheu aus, bewies dem Gefallenen und seinem Verdienst die schuldigen Ehren und ehrte ihn mit besonderer Gunst. Nicht aus Staatsklugheit, aber aus Überzeugung und königlichem Stolze. Wenn man aber auf dem Thron einer großmächtigen Nation sitzt, dann ist Überzeugung und königlicher Stolz die beste Staatsklugheit, wie auch die Erfahrung bewiesen hat.

England kann nur gewinnen, wenn seine alte, erprobte Fürstin noch lange ihr einzigartiges Urteil über politischen Anstand und Würde im europäischen Konzert abgibt.


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