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Katerina Fjodorowna

Typus einer vornehmen russischen Dame

Ich will versuchen, Ihnen eine elegante russische Dame von Stand zu schildern. Eine schwere und delikate Aufgabe, doch werde ich mich hüten, die Musen zu Hilfe zu rufen, denn die Russin liebt noch weniger als die Französin die Überschwänglichkeit, und angebetet oder angesungen zu werden ist ihr zuwider wie Gift und Wanzen oder, um mich russischer auszudrücken, wie deutsche Sprache und Literatur.

Sie sind wohl einverstanden, daß wir als Beispiel eine junge Dame wählen? Sie soll also in dem Alter stehen, wo eine schöne Frau am schönsten ist, zwischen dreißig und vierzig. Genau kann ich Ihnen natürlich das Alter nicht angeben, denn es ist mir nicht eingefallen, danach zu fragen; einige behaupten, daß Katerina Fjodorowna sogar das vierzigste Jahr zurückgelegt habe, was aber unsere Augen unmöglich glauben können, obschon, unter uns gesagt, die Augen sich mit Unrecht in diese Angelegenheit mischen, denn ich habe in Rußland vierzigjährige Frauen gekannt, welche achtzehnjährigen Jünglingen Kopf und Herz verstörten. Immerhin hat Katerina Fjodorowna einen erwachsenen Sohn und ein Töchterchen von sechzehn Jahren.

 

Unsere Katerina ist groß gewachsen und hält sich gerade, aber zugleich frei und ungezwungen. Ihre Taille ist etwas stark, ein Bildhauer könnte sie für eine Psyche nicht gebrauchen. Das Gesicht zeigt Ihnen vor allem ein Paar ruhig blickende, verständige Augen, welche sich nicht die Mühe nehmen, zu sprühen oder zu funkeln; Madame ist zu bequem dazu. Zwar, wenn sie will, kann sie das auch; aber das Feuerwerk spielt nicht immerwährend wie bei der lebhaften, koketten Polin, bei deren Blicken man in dunkler Mitternacht eine Stecknadel auflesen könnte. Über dem klaren Auge wölben sich die Brauen in feinen, seidenen Bogen; das Haar ist kastanienbraun und üppig, die Gesichtshaut glatt und elastisch, Madame wird vor ihrem fünfundvierzigsten Jahr schwerlich Schminke nötig haben.

So wie sie dasteht, können Sie unmöglich die vornehme Dame verkennen. Wenn sich Katerina Fjodorowna für die Reise das älteste und verbrauchteste Kleid ausgesucht hat, so weichen an den Bahnhöfen von Wien und Berlin die Offiziere mit Achtung aus und sehen ihr flüsternd nach; tritt sie in Paris in ein Magazin, so steigen augenblicklich die Preise; in den Straßen aller Hauptstädte fällt sie auf, mag sie auch im einfachsten schwarzen Kaschmirkleid erscheinen.

Ihr Gang ist ruhig, fast phlegmatisch, ganz verschieden von dem unternehmenden, kecken Schritt der blonden Polin, welche leicht und graziös auf den Trottoirs Warschaus dem Feinde entgegenrückt; aber dafür hat die Russin die vornehmere, würdevollere Erscheinung voraus, während wir leicht verleitet werden, eine polnische Gräfin, die uns begegnet, für eine Frau aus dem Demimonde zu halten.

Dem Gange entspricht das übrige Benehmen unserer Russin. Sie bewegt sich, wo sie auch sei, mit der vollkommensten Sicherheit und Ruhe und redet auffallend langsam und laut. In ihrem Russisch ist Musik, und das Französische spricht sie mit eigentümlichem, an das Italienische erinnerndem Wohlklang. Das Deutsche hält sie nicht für eine Sprache, sondern für eine Beleidigung; ich würde Ihnen eher raten, Katerina Fjodorowna auf die Zehen zu treten, als sie deutsch anzureden. Ob sie sich nun russisch oder französisch ausdrücke, so ist ihre Rede verständig, klar, und die Worte fließen ungesucht und glatt aus ihrem Munde. Ihre Bildung ist bedeutend, und an Kenntnissen ist sie den französischen Frauen überlegen.

Auch in der Kleidung zeigt sich das Ruhige und Phlegmatische des russischen Charakters; nur die allerkostbarsten und schwersten Stoffe sind diesen Damen eben noch ernst genug, die Qualität von Samt und Seide kann nie zu fein und zu teuer sein, und das Schoßkind der Pariser Mode, die ‹Fantaisie›, wird von Herren und Damen verschmäht; die Russen kleiden sich immer feierlich.

Was den Schnitt der Kleider betrifft, so vertrauen die Russen ebensowenig wie die übrigen außerfranzösischen Nationen auf ihre eigene Phantasie; sie sind ebenfalls ganz und gar von Paris abhängig. Doch zeigen sie viel negativen Geschmack, verwerfen alles Kokette und Bizarre, und mit Rat und Hilfe der französischen Schneiderinnen und Hutkünstlerinnen weiß sich die Russin elegant und anständig zu kleiden. Nach Paris sieht man die schönsten Toiletten in Petersburg.

Maßlos ist die Verachtung des deutschen Geschmacks: «In Berlin sieht man nur Köchinnen.»

Die Pariser Schneiderinnen sind denn auch in Petersburg wichtige und gefürchtete Persönlichkeiten, und sie treten auch danach auf, das heißt unverschämt und mit nackter Raubgier. «Mais Madame! Qui est-ce qui se met comme cela! Vous avez l'air d'une femme de chambre! Il vous faut absolument une nouvelle robe, je ne vous permets pas de vous montrer dans celle-ci.» «Ich gehe nur selten in Gesellschaft und werde mich also mit diesem Kleid begnügen; übrigens stammt dasselbe aus Ihrem eigenen Magazin, und indem Sie es schmähen, machen Sie sich selbst Schande.» «Quand je vous ai dit: il vous faut une nouvelle robe, c'est que c'est ainsi.» Dann heißt es natürlich: «Tenez! j'ai pensé à vous, j'ai quelque chose pour vous.» Und schließlich gar: «Eh bien, je ne vous quitterai pas avant que vous ne m'ayez commandé quelque chose.»

«Warum werfen Sie das freche Weib nicht die Treppe hinunter?» «Wohin denken Sie! Das ist Madame Delabonne Espérance, die einzige, welche ein Kleid mit Geschmack zuschneidet; wir müssen es für eine Gnade halten, daß sie sich unser annimmt, und darum muß ich jetzt bei ihr bestellen, wenn ich auch nichts brauche, sonst wird sie überhaupt nicht mehr für mich arbeiten.»

Es gibt übrigens auch recht gute russische Schneiderinnen, und der Kuriosität willen sei erwähnt, daß sich unter ihnen eine recht artige Fürstin befindet, und zwar, wohlverstanden, nicht eine der Fürstinnen vom Kaukasus her, aus denen man etwa auch Köchinnen zu nehmen pflegt, sondern eine echt russische von guter Bildung.

Ich denke nicht, daß ich mich zu lange bei diesem Gegenstande aufgehalten habe, denn wer könnte, wenn von Damen die Rede ist, zu viel von den Kleidern sprechen? Ich habe im Gegenteil viel zu wenig gesagt und müßte gewissenhafterweise die Einzelheiten einer Toilette beschreiben; doch das mögen diejenigen besorgen, welche es besser verstehen.

 

Was tut aber solch eine russische Dame? Womit ist ihr Geist und Gemüt erfüllt?

Was sie tut? Sie regiert. Überdies macht sie Besuche und empfängt Besuche; das ist ihre Tätigkeit. Das Regiment des Hauswesens ist bei den vielen Dienstboten, bei dem häufigen Wohnungswechsel, bei der obligaten Doppelwirtschaft in Stadt und Land keine kleine Sache; ehe im Herbst und wieder im Frühjahr die komplizierte Hausmaschine in regelmäßigen Gang gebracht ist, geschieht viel Kopfzerbrechen. Mit den Händen greift Katerina Fjodorowna allerdings nie ein, selbst Stickereien nimmt sie nur äußerst selten vor, aber völlig falsch ist der Glaube, sie sei eine schlechte Wirtin und kümmere sich wenig um das Hauswesen. Sie kümmert sich im Gegenteil sehr viel darum, und der ganze Morgen ist diesem Geschäft gewidmet.

Ihr Geist und Gemüt ist vollständig von den Kindern erfüllt, was Sie wohl nicht erwartet hätten; aber, so leid es mir tut, es ist einfach unwahr, daß die vornehmen Russinnen gewissenlose Mütter seien. Möchten alle Mütter sich so sehr wie sie um die Erziehung der Kinder kümmern!

Katerina Fjodorowna schenkt dem Fleiß und den Fortschritten ihres Sohnes und ihrer Tochter andauernde Aufmerksamkeit; der Tochter opfert sie sogar den größten Teil ihrer freien Zeit. Sie ist vielleicht bei den Privatstunden persönlich anwesend und wacht darüber, daß neben den streng wissenschaftlichen Studien auch gehörig Französisch und Englisch, Klavier und Tanz gelernt werde. In dieser Hinsicht ergänzt sie die Forderungen des Vaters und der Schule; die Schule legt den Hauptakzent auf das Russische und die Mathematik, der Vater auf die Mathematik und das Russische. Die freien Künste und die modernen Sprachen dagegen stehen unter der besondern Protektion der Mama.

Handelt es sich darum, den Sohn in eine Schule zu bringen oder ihn in eine andere zu versetzen, dann begeht Madame «toutes sortes de bassesses», wie sie sich ausdrückt. Diese «toutes sortes de bassesses» sind harmloser, als sie klingen; sie beschränken sich darauf, in schönen Kleidern beim Direktor vorzufahren und ihn mit den Künsten weiblicher Überredung mürbe zu machen.

Ihre Seele ist so ganz und gar von ihren Kindern und, was dasselbe bedeutet, von dem Avancement ihres Mannes eingenommen, daß sie ihre immer noch große Schönheit wenig mehr leuchten läßt und sich von der Welt fast gänzlich zurückzieht. Es ist ihr zwar immer noch angenehm, gut auszusehen, und sie läßt sichs gnädig gefallen, wenn ihr in den Formen des guten Tones der Hof gemacht wird; wer aber ihre Eroberung unternehmen wollte, würde sein Latein verlieren. Ganz umsonst verschwendet der gefeierte X. Ypsilonowitsch seine Blicke und seine Seufzer; die Katerina Fjodorowna ist vor allem eine kluge Frau und weiß, daß jedes Ding seine Zeit hat; sie ist nicht aufgelegt, von vorne anzufangen und all die Aufregung nochmals durchzumachen.

Ehemals mag es wohl anders gewesen sein; aber was wissen wir davon! Man munkelt, daß Geheimrat Soundso ihr einst sehr nahe gestanden; doch werden wir das niemals glauben, wenn wir die beiden zusammensehen; ihr gegenseitiger Verkehr ist so sehr unbefangen, so ganz und gar respektvoll, daß jeder Verdacht ausgeschlossen bleibt. Ein wohlgezogener Russe ist überhaupt ein diskreter Liebhaber; er wird den Anstand nie aus den Augen lassen, und darum suchen sich die Damen vor allem gerne einen ‹homme comme il faut› aus, welchem man den Takt zutraut, sich nicht mehr zu erinnern, wenn es Madame gefällt zu vergessen.

Haben Sie die elegante, verwöhnte und etwas bequeme Dame in Petersburg kennengelernt, so würden Sie schwerlich erraten, daß sie Energie und körperlichen Mut besitzt und Entbehrungen mit Leichtigkeit erträgt. Und doch ist dem so. Während einer Reise ißt sie so ziemlich nichts; vollends in Deutschland hungert sie freiwillig. Warum nicht lieber freiwillig hungern, wo man doch nichts Genießbares vorfindet? Sie hält es in dieser Beziehung mit jenem Bischof, der ein Fasten ausschrieb, als die Kreuzfahrer nichts mehr zu beißen hatten. Bei Reisen im Innern Rußlands ist sie von vorneherein auf alles gefaßt; zieht sie über den Kaukasus, so legt sie sich resigniert, ohne zu murren, auf den nackten Boden der Poststationen, wo ihr die Wanzen über die zarten Lippen kriechen. Sie liebt dergleichen nicht, Sie müssen nicht glauben, aber sie hat es zum voraus gewußt, und nachdem sie einmal gesagt: «C'est un pays impossible», ist es ein für alle Male genug. Überhaupt ist Murren und Klagen nicht ihre Sache, noch weniger Poltern und Schelten; dazu ist sie viel zu gut erzogen; sie überläßt das ihrem Manne; das gehört in sein Ressort. Ob der Diener ihr heiße Suppe über das Ballkleid gieße, ob das Kammermädchen eine kostbare Vase zerschelle, so preßt sie die Lippen zusammen, zieht die Brauen in die Höhe, blickt ironisch gen Himmel und seufzt.

Bei einer kleinen Unannehmlichkeit zuckt sie mit den Gesichtsmuskeln, und das ist genug. Hat sie jemand Vorwürfe zu machen, so tut sie es in ruhiger Rede, so daß nur der alterierte Ton der Stimme ihren Unmut verrät. Einige Damen wissen ihrer Stimme beim Schelten klagende Töne zu entlocken; es klingt, als ob die Herrin von dem Kammermädchen geschlagen würde. Andere werden ironisch und flechten zärtliche Worte ein. «Wie gehts dir, Wassilij, mein lieber Bruder? Hast du auf deinem Kutscherbock wohl geschlafen?» Das alles aber gilt nur von Damen ersten Ranges; denn die Russin mittlern Schlages geht ganz herzhaft ins Zeug und adressiert an ihre Dienstboten langatmige und kräftige Reden. Doch nur ganz Ungebildete schimpfen, denn, wie gesagt, der ‹Hundesohn› und das ‹Viehstück› stehen bloß im Diktionär des Mannes.

Den Mut betreffend sind die Russinnen wie die Polinnen durchweg mutig. Noch vor fünf Jahren, als Katerina Fjodorowna schlanker war, ritt sie jedes Pferd und setzte über jeden Graben; es machte ihr wenig aus, wenn das Pferd kopfüber stürzte und ihr auf die Beine fiel. Der blaue Himmel mag es wissen und die schwarze Erde mag es verantworten, wie sie immer mit dem Leben davongekommen, sie selbst fragt wenig danach. Jetzt freilich überläßt sie das Reiten den Kindern und begnügt sich mit Spazierengehen und Wagenfahren. Eigentliche Fußtouren macht sie natürlich nicht, weil die russische Landschaft sich nicht dazu eignet; wenn man sie aber einmal in der Schweiz oder in Tirol zu dem Entschluß bringt, einen Berg zu besteigen, so fürchtet sie sich auch nicht vor Abgründen. Sie fürchtet sich überhaupt vor nichts. «Ja nitschewo ne bajussj i nikowo ni bajussj». «Ich fürchte nichts und fürchte niemand». Das ist aus ihrem eigenen Munde die Wahrheit.

Was sagen Sie zu Katerina Fjodorowna?


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