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«Die Hochzeit des Figaro»

«Figaro» ist die Lieblingsoper der musikalischen Feinschmecker. Diesen aber bereitet er ein unaussprechliches jubelndes Entzücken, das sich in demselben Grade von Jahr zu Jahr steigert, als die musikalische Bildung des einzelnen wächst. Eine logische, mathematische Sauberkeit des kontrapunktischen Satzes, welcher sich keine Töne erlaubt, die nicht zugleich Stimmen wären, und hiemit das Gegenstück zu der modernen zyklopischen Massenarbeit bildet, macht schon den bloßen Anblick der Partitur zum Genuß. Die Duftigkeit und Klarheit der Instrumentation, mehr als anderswo vorwiegend durch das Streichorchester wirkend, läßt Arabesken von märchenhaftem Tonzauber vor uns erscheinen, auf welche man sich immer wieder zum voraus freut, wie auf den Anbruch des Frühlings; und das geschieht mitunter bei Anlässen, wo jeder andere Komponist nur eine öde, unmusikalische Stelle im Textbuch erblickt hätte, wie zum Beispiel bei Bartolos erstem Auftritt. Dann erscheinen die einzelnen Nummern des «Figaro» durch direkte Einheitlichkeit der Färbung untereinander verbunden, ein Umstand, welcher das Ohr des Anfängers ermüdet, welcher jedoch, nachdem das Verständnis für die feinern Unterschiede einmal erweckt ist, als ein neuer Reiz empfunden wird. Was aber den «Figaro» unter sämtlichen Opern deutscher Komponisten besonders auszeichnet, das ist die stürmische Glut des Tempos, wie sie am herrlichsten in dem Finale des zweiten und vierten Aktes zutage tritt. Dieses Tempo ist nicht deutsch; auch hat dasselbe kein Deutscher jemals wieder gefunden; es stammt aus der komischen Oper der Italiener des vorigen Jahrhunderts, vor allem aus Cimarosa, dessen Opernstil Mozart ebensosehr in Fleisch und Blut übergegangen war wie der haydnsche Stil für die Instrumentalmusik. Es ist auch kein Zufall, daß der einzige, welcher in einer spätem Epoche eine dem «Figaro» ähnliche und ebenbürtige Oper zu schreiben vermocht hat, wiederum ein Italiener gewesen ist: Rossini. Cimarosa, Mozart und Rossini, das sind die drei Männer aus dem Feuerofen, und zwischen «Figaro», der «Heimlichen Ehe» und dem «Barbier» führt eine direkte Straße, welche die deutsche Oper, die mit «Fidelio» und «Freischütz» beginnt, weitab zur Seite läßt.

Selbst dramaturgisch ist «Figaro» bedeutend, indem derselbe eine neue Gattung von Textbüchern ins Leben gerufen hat: die Intrige. So spärlich diese Gattung einstweilen noch assortiert erscheint, so bleibt sie doch zukunftsreich. Eben in diesem Augenblick zum Beispiel trägt sich, wenn wir recht berichtet sind, der größte unter den lebenden deutschen Komponisten mit dem Gedanken, eine solche Intrigenoper zu komponieren. Da wir eben von diesem Textbuch reden, können wir nicht umhin, auch in dieser Beziehung auf den schroffen Gegensatz des «Figaro» zu den Prinzipien der modernen deutschen Musik hinzuweisen. Hier sollte alles national und deutsch sein, bis auf den mythologischen Hintergrund des Textes. «Figaro» dagegen bietet uns ein Gemisch von nicht weniger als vier Nationalitäten. Ein Franzose von reinster gallischer Farbe schreibt eine spanische Intrige, und ein Deutscher komponiert eine italienische Oper darüber. Trotzdem übertrifft «Figaro» an Einheitlichkeit bei weitem einen «Tannhäuser», ja selbst einen «Lohengrin». Warum? Weil die Glut des Genies alles in einen Guß zu schmelzen vermocht hat.


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