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«Cavalleria rusticana»

Es ist ein eigener, leider nur etwas seltener Genuß, im Theater einem neuen Stück entgegenzuharren, das uns von dem Ruhm als ein hervorragendes empfohlen wird. In der Tat hat seit «Carmen» kein theatralisches Musikwerk sich eine solche Popularität erobert wie der Einakter eines bisher völlig unbekannten Italieners. Und, was noch merkwürdiger ist, die zünftige Kritik stimmte in den allgemeinen Jubel ein, ja sogar die Ästhetik nahm das Werklein schützend auf ihre gestrengen Arme, neue Musikepochen und weiß was alles noch aus dem kleinen Ding dozierend. Es sind über die «Cavalleria» schon Bücher geschrieben, volkserzieherische Systeme ausgeheckt und eine ganze Flut von Theorien und Gegentheorien abstrahiert worden. Und wer wollte darin etwas Ungereimtes finden? Wozu wäre denn sonst die Kunst da, wenn nicht, um Systeme daraus zu brüten?

Wie dem übrigens sei, daß eine Partitur, welche binnen zwei Jahren schon soviel Schulstaub aufgewirbelt hat, weder Talent noch Kunst werde vermissen lassen, das traut jeder dem Urteil seiner Nebenmenschen zu; während auch wieder jeder sich selbst im geheimen als Oberrichter betrachtet, der den Urteilsspruch der Mitwelt zu ratifizieren oder zu kassieren habe.

Schon die Symphonie bewies, daß der Ruhm Mascagnis kein eitler ist, belehrte aber auch zugleich über die Grenzen des Talentes und den Kunststil. Gegensatzwirkung, das ist das Hauptgeheimnis des sensationellen Erfolges der «Cavalleria». Eine Orchestration von kolossaler und teilweise brutaler Massenwirkung, dann plötzlich süßes, weiches Säuseln, jedesmal aber mit technischer Sauberkeit bemeistert. Dazu Rhythmus und nachhaltende Leidenschaft und eine sichere Faktur, welche weder den klaren Abschluß der Einzelnummern noch die Melodie scheut. Ja man hat die Ahnung, die Melodie würde noch mehr vorherrschen, wenn sie dem Komponisten reichlicher flösse. Die «Cavalleria» ist aber mehr im allgemeinen melodiös als im besondern. Anklänge finden wir aus tausend Enden und Ecken benützt; doch sind dieselben durch ein ursprüngliches Talent in italienischer Sonnenglut verschmolzen worden; und obschon Mascagni Wagner manche Konzessionen im einzelnen gewährt, unterliegt es keinem Zweifel, daß sein Werk, ähnlich wie «Carmen», in entgegengesetzter Richtung läuft. Nietzsche würde es als Sturmbock gebrauchen. Hübsch ist folgender Gedankengang eines Wagnerianers in der «Freien Bühne»: Er könne leider in den übertriebenen Beifall, den die «Cavalleria» gefunden, nicht einstimmen, weil ein im alten Nummernstil gearbeitetes Werk unmöglich heute mehr Beifall finden könne.

Doch wozu Worte der Beschreibung, wenn es jedem Leser freisteht, sich diese merkwürdige «Carmen» in Holzschnitt und Duodezausgabe selbst anzusehen. Alles in allem bleibt das gewaltige Erstaunen der Gegenwart über die Entdeckung eines immerhin mäßigen Talentes das Merkwürdigste an dem ganzen Stück.


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