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Heinrich Heine

Zu dem Buche von Robert Proelß

Wenn es einen Dichter gibt, dessen schmutzige Wäsche man nicht öffentlich waschen sollte, so ist es Heine. Seit zwanzig Jahren bemüht sich die Literaturgeschichte, uns den Mann im Gewand der Unschuld zu zeigen   es will nicht gelingen. Die Schwierigkeit wird noch dadurch vermehrt, daß die deutsche Literaturgeschichte sich verpflichtet glaubt, zugleich die Geliebten der Dichter blank zu fegen, weil ja erst die Geliebten einem Dichter den echten Glanz geben. Als ein Versuch zur Lösung dieser beiden Aufgaben müssen wir diese Monographie ansehen; und zwar erfreut sich die Mathilde der besondern Gunst des Verfassers. Die Frage: «Liebte er sie, liebte er sie nicht?» wird mit einer des Gegenstandes würdigen Gründlichkeit erörtert, obschon die vom Verfasser selbst zugegebene Tatsache, daß sein Klient zu gleicher Zeit noch ein halbes Dutzend andere liebte, dem Problem einiges von seiner transzendentalen Wichtigkeit raubt. Aber sämtliche poetischen Grundsätze Deutschlands konzentrieren sich nun heute einmal auf Gretchen-, Lotten- und Mathildenfragen.

Heine kreideweiß darzustellen hat der Verfasser allerdings nicht gewagt. Dagegen wird soviel wie möglich übertüncht, begütigt und beschönigt, wie es sich für einen Monographen ziemt. Es hilft alles nichts; wir vergeben gewiß dem Dichter alles, was mit seinem Dichtercharakter zusammenhängt, und noch manches darüber, nur nicht das eine: giftige Bosheit und feile Niedrigkeit. Ein Mensch, der Meyerbeer angreift, weil ihm derselbe kein Billett zur ersten Vorstellung des «Propheten» zugesandt, der wegen Ansprüchen auf Tantiemen mit einem Freunde bricht, der gegen einen feindlichen deutschen Dichter das niederträchtigste Buch schreibt, das je geschrieben worden ist, der wird allen Monographen zum Trotz das bleiben, was ihn Vischer genannt: ein Stern in der Jauche. Den Stern, nämlich die lyrischen Gedichte, haben wir längst in die poetische Astronomie einregistriert, für die Jauche werden wir uns dagegen stets unempfänglich zeigen, selbst dann, wenn man sie uns literarhistorisch desinfiziert und balsamiert. Proelß weiß auch das Pamphlet gegen Platen nicht anders zu entschuldigen, als indem er dasselbe nach dem Rezept, das für Aristophanes angewandt wird, als eine «prinzipielle Schrift» darzulegen sucht. Bei diesem Anlaß jedoch erlaube ich mir, der deutschen Kritik das Gleichnis von Mücken und Elefanten in Erinnerung zu bringen. Vor den ernsten Werken eines Zola, vor den poesieduftenden Sinnlichkeiten eines Sacher-Masoch schlagen die Herren das Kreuz und schwellen die sittlichen Stirnadern wie Truthähne; dagegen über eine von Schmutz und Ekel triefende Sauce wie die «Italienischen Reisebilder» Heines, wo nichts zu finden ist als Grinsen, Rülpsen und Verleumden, darüber gleiten sie lächelnd und anmutig hin, als schaukelten sie über reinem Quellwasser im Monat Mai.

Zu dem Buche von Stephan Born

Das literarische Porträt Heines zu zeichnen, ist eine schwierige Aufgabe, denn das Publikum sieht dem Zeichner besonders scharf auf die Finger. Heine zählt fast nur Verehrer oder Gegner; die erstern nun verlangen eine Ehrenrettung, die andern ertragen keinerlei Versuche der Beschönigung. Obschon wir uns bewußt sind, soviel in den Kräften eines Menschen liegt, in der Literatur das Widersprechendste gerne anzuerkennen, so können dennoch auch wir uns eines instinktiven Widerwillens gegen jenen Mann nicht erwehren, welcher den edlen Dichternamen durch Betätigung der gemeinsten Rachsucht und der raffiniertesten Verleumdung schändete. Es gibt ein Naturgesetz der Psychologie, daß nur edle Seelen, wie groß im übrigen ihre Schwächen sein mögen, echte Dichter sein können; als Ausnahme zu diesem Naturgesetz hat sich nun Heine hingestellt; die Welt steht also hier vor einem Problem, das ihr viel Mühe und wenig Erbauung verursacht. Um so mehr ist sie geneigt, dem Denker und Gelehrten, welcher die Aufgabe für sie löst, ihre Anerkennung zu schenken.

Unser Autor bringt alle Bedingungen mit, welche zur richtigen Lösung erfordert werden: vor allem die unbedingte Hochschätzung der Poesie, das heißt die Erkenntnis, daß der echte poetische Saft, den ein Mensch aus seinem Herzen absondert, durch seinen ewigen und unersetzlichen Wert ihm die Verzeihung aller Privatsünden erwirkt. Das ist der richtige Standpunkt; denn die Poesie selbst, die doch als Bedingung eine enorme und abnorme Vorherrschaft der Phantasie in einer Individualität voraussetzt, schließt eine schnurrichtige, geradlinige Tugendhaftigkeit aus. Der Dichter ist das Opfer seiner Muse, wie der Held das Opfer seiner Tapferkeit; wie man es diesem nicht zum Vorwurf macht, wenn er infolge einer Wunde schielt oder hinkt, so darf man den Dichter wegen des mangelnden seelischen Gleichgewichtes, das durch die Stürme seiner Phantasie abhanden gekommen, nicht schelten. Das ist die eine Seite: Heine bekommt um seines Dichterwertes willen zum voraus eine weitgehende Absolution. Auf der andern Seite fällt es dem Verfasser weder ein, zu loben, was zu tadeln ist, noch unliebsame Tatsachen zu vertuschen. Er spricht unverhohlen von der «verwerflichen Rache», von dem «Zynismus» des Dichters, fügt aber, seinem Amte des Monographen, mit andern Worten des Sachwalters getreu, alles hinzu, was zur Entschuldigung gesagt werden kann. So stimmt zum Beispiel die Taktlosigkeit Platens unsere Entrüstung über die Ruchlosigkeit Heines um einige Töne tiefer.

Der prozessualische Charakter des Schriftchens macht indessen selbstverständlich nicht den Hauptwert desselben aus, wie er sich denn auch keineswegs vordrängt. Vermieden kann er bei diesem streitigen Gegenstande nicht werden; doch den eigentlichen Inhalt bildet der Entwicklungsgang des Dichters. Es ist nicht die Aufgabe des Berichterstatters, alle wertvollen Aufschlüsse einzeln aufzuzählen, er muß sich damit begnügen, den Wert und die Menge derselben zu konstatieren; denn ein Referat ist kein Exzerpt. Einen unvergleichlich wichtigen Fund des Verfassers können wir doch unmöglich verheimlichen: Heine verdankt seinem Aufenthalt in Paris soviel wie nichts, das heißt nichts Wesentliches zugunsten seiner schriftstellerischen Größe. Weder die Lyrik noch selbst der Witz zeigt französische Einflüsse; das alles brachte Heine, wie der Autor schlagend nachweist, fertig nach Paris mit. Das will um so mehr betont werden, als die Franzosen Heine wie einen der ihrigen zu behandeln pflegen.


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