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Kapitel 301

In der achten Tür (zweite Tür in der Mittagsseite). Totalbild des Makrokosmos in Gestalt des verlorenen Sohnes und dessen Geheimnis

Am 30. Dezember 1850

1 Alle begeben sich darauf sogleich mit großer Wißbegierde in die zweite Mittagstüre, und als sie da anlangen, sagen alle: »Ach, da ist gut hinausschauen; denn da haben unsere Augen mit keinem gar so mächtigen Lichte zu kämpfen. So was tut sich; aber bei diesen Sonnen war es, besonders bei den letzten zweien, schon gar nicht mehr auszuhalten. Es fragt sich hier bloß, was wir hier denn so ganz eigentlich sehen? Es ist ein matt schimmernder Hintergrund, ungefähr also, wie auf der Erde die sogenannte Milchstraße schimmert in einer heiteren Sommernacht; aber was hinter diesem Schimmer verborgen sein solle, das möchten wir nun erfahren, so es Dir, o bester, liebevollster Vater, genehm wäre.« – Sage Ich: »Darum sind wir ja hier; tretet aber alle hier nur recht weit auf den Balkon hinaus, ansonst ihr das ganze Bild nicht völlig übersehen könnet.«

2 Auf diese Beheißung gehen nun alle bis an den Rand des großen Balkons hinaus, und Robert überschaut zuerst das große Schimmerbild, und sagt: »Merkwürdig, merkwürdig! Das ist ja eine vollkommene Menschengestalt; die Knie etwas vorgebogen; die Hände hängen ganz nachlässig herab, und das Haupt, mit langen Absalomshaaren versehen, ist wie das eines Trauernden nach vorwärts und in die bodenlose Tiefe hinabsehend geneigt. Die Lenden sind mit einer sehr zerrissen aussehenden Schürze zur Not bedeckt, kurz, die ganze Gestalt macht auf mich einen wehmütigen Eindruck. Die ungeheuerste Größe könnte einen gewisserart auf die Idee führen, als sei dies die Außengestalt des allwirkenden Geistes aus Dir, o Herr! aber die Trauergestalt sagt mir, daß dies unmöglich der Fall sein dürfte. Also müßte in Deinen Geiste, o Herr, auch ein Leben verspürbar sein; von so was aber ist bei dieser Großgestalt keine Spur zu entdecken. Es ist wahrlich nur wie ein Phosphorbild, durch Deine Allmacht, o Herr, an's unermeßliche Firmament hingehaucht, und wird seinen wichtigen Grund haben, den aber freilich außer Dir wohl niemand kennen wird. Herr! bitte, erläutere uns dies Bild.«

3 Sage Ich: »Ich möchte es wohl, aber du hast eine noch zu große Achtung vor materiellen Größen, und so möchtest du bei nur einiger Erklärung denn doch etwa ein wenig zu sehr zu fiebern anfangen, und da wäre es mir leid, dich hier in Meinem Reiche krank zu machen. Frage dich daher, ob du das Allerungeheuerste aus dem Reiche der Materie ertragen kannst oder es zu ertragen dir getrauest; sodann will Ich sogleich euch dies Bild ein wenig näher enthüllen.«

4 Sagt Robert: »Herr und Vater voll der höchsten Liebe! Jetzt ist schon alles eins; ich bin nun schon einmal in diesen Größen darinnen, und mein Gemüt ist damit auch schon ganz gehörig breit geschlagen. Jetzt ertrage ich schon gleichwohl noch einige Dutzend solcher Hülsengloben, in deren jeder meinetwegen dezillionenmal Dezillionen Sonnen kreisen sollen, wie sie wollen.«

5 Sage Ich: »Nun gut, so sieh' näher hin und sage Mir, was du nun erschauest?« – Sagt Robert: »Ich ersehe durchgehends die ganze ungeheure Gestalt, die nun beinahe alle Tiefen des endlosen Raumes auszufüllen scheint, wie sie aus lauter kleinsten, glitzelnden Sandkörnchen allerdichtest aufeinander gestreut besteht. Die Zahl dieser Glitzelpunkte ist offenbarst eine ewig unendliche oder doch sicher eine solche, die kein geschaffener Geist sich mehr vorstellen und versinnbildlichen kann. Die ganze Gestalt aber nimmt sich nun auch um vieles besser aus; denn dieses Glitzeln verleiht ihr nun einen ganz eigentümlichen Majestätsnimbus. Aber nun fragt es sich abermals, was da dieses alles besaget.«

6 Sage Ich: »Nun, so vernehmet denn alle das große Geheimnis! Dieser Mensch in seinem ganzen Gehalte ist der urgeschaffene Geist, den die Schrift Luzifer (Lichtträger) nennt, der noch immer im Vollbesitze seines großen Selbstbewußtseins, aber nicht mehr im Besitze seiner Urkraft ist. Er ist gefangen und gerichtet in allen seinen Teilen. Nur ein Weg steht ihm stets frei, und das ist der zu Meinem Vaterherzen. Für jeden anderen aber ist er gerichtet und so gut wie tot, und vermag keinen Fuß und keine Hand auch nur um ein Haar breit weiter wohin zu bewegen.«

Am 31. Dezember 1850

7 »Das aber, was dir wie glitzelnde Sandkörnchen vorkommt, sind lauter Hülsengloben, in deren jeder Dezillionen mal Dezillionen Sonnen und dazu noch um's Millionenfache mehr Planeten, Monde und Kometen sind geschoben. Die Entfernung einer solchen Hülsenglobe von der anderen aber beträgt in einer runden Zahl durchschnittlich genommen fast stets eine Million Durchmesser einer Hülsenglobe. Daß sie hier dicht an einander gereiht erscheinen, das macht für's erste die scheinbar große Entfernung und mehr aber noch als diese das, weil du auch jene im Hintergrunde dieses Bildes erblickest und auf die Art auch alle, aus denen dieser ganze große Leib besteht, ungefähr also, wie man auf der Erde und eigentlich von der Erde den gestirnten Himmel sieht, der für's Auge auch wie eine gewölbte Fläche erscheint, die mit dicht aneinander gereihten Sternengruppen übersäet ist, während in der Wirklichkeit oft zwei scheinbar fest neben einander stehende Sternlein (eigentlich hinterienander) ganz gut mehrere Trillionen Meilen von einander abstehen können.

8 Das aber dieser Geist nun in sich also, wie gezeigt, in lauter solche feste Globen gesondert ist, das ist sein Gericht; und sein Leben, das dadurch in beinahe endlos viele abgeschlossene Teile getrennt ist, ist auch als kein Ganzes, sondern als ein höchst geteiltes anzusehen; denn nur in jeder Globe ist ist Leben, außer ihr aber kein anderes, außer das Meines ewig unwandelbar festen Gottwillens. Jede Globe steht fest und kann ihr Standverhältnis gegen ihre nächsten Nachbargloben auch nicht um ein Haar breit ändern.

9 Zu allerunterst in der kleinen linken Zehe aber ersiehst du einen etwas rötlich glitzelnden Punkt. Das ist eben jene Globe, in welcher sich naturmäßig unsere Erde und all' das Sonnenwerk, das wir bis jetzt geschaut haben, befindet;

10 und in eben diese Globe und darinnen nur auf den Punkt Erde ist das gesamte Leben dieses größten urgeschaffenen Geistes nun gebannt. Will er sich dort demütigen und zu Mir wiederkehren, so solle sein Urleben wieder frei gegeben werden, und dieser große Mensch wird dann wie von einem ganz freiesten Leben durchweht sein; will aber dieser Urgeist Meiner Schöpfungen in seinem hochmütigsten Starrsinne verharren, so mag diese Ordnung, wie sie nun bestellt ist, auch ewig verbleiben. Im günstigeren Falle aber wenigstens so lange, als bis die ganze Materie in ein neues endlos vervielfachtes Seelenleben und Geisterleben sich wird aufgelöst haben.

11 Diese letzte Ordnung wird aber auch dann fortbestehen, so der urgeschaffene große Geist eine rechte Umkehr machen würde. Er kann nunmehr nur als ein ganz einfacher Geist gedemütigt umkehren und muß dann frei aus sich seine Urtotalität für ewig fahren lassen, wofür ihm aber freilich eine unermeßbar größere, aber wie jedem anderen Menschengeiste nur ganz einfache zuteil würde.

12 Das Hülsen- und Schottenwerk, das ohnehin bloß nur aus Meinem ewig festesten und unwandelbarsten Willen besteht, aber wird dann bleiben, entblödet (entledigt) alles nun in sich gehaltenen Seelenlebens und Geisterlebens als feste Unterlage und als ein ewiges Denkmal unseres großen Wirkens, an das sich dann ewig neue und rein geistige Schöpfungen reihen sollen. – Robert und all' die anderen, saget, ob ihr das nun wohl ordentlich aufgefaßt und begriffen habet?«

13 Robert und alle anderen getrauen sich nun kaum zu atmen vor lauter Ehrfurcht; nur Robert allein sagt nach einer langen Weile des höchsten Staunens: »O Herr, o Gott, o heiligster Vater! Ich komme mir jetzt gerade so vor, als wie ein in sich selbst endlosfältig vernichtetes Nichts. O guter Vater! Lasse uns eher ein wenig zu uns selbst wieder kommen, bis Du uns etwa noch zu einer anderen Türe führst; denn das, was wir hier nun gesehen und gehört haben, hat uns alle zu sehr vernichtet, als daß wir nun imstande wären, noch etwas weiteres zu schauen und dasselbe begreifen. O Gott, wie groß und endlos erhaben bist Du doch! Nein, nein, das verträgt kein Geist, das alles ist zu ungeheuer! O Gott, o Gott, o Herr, o Vater!«


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