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Kapitel 227

Der Herr erklärt den Sinn von der unübersteigbaren Kluft. Josef als milder Richter und als Freimaurer

Am 5. August 1850

1 Spricht Josef: »O Herr, was du nun geredet hast, habe ich wieder ganz vollkommen verstanden; aber noch einen einzigen kleinen Punkt in der Schrift verstehe ich nicht ganz, wie man ihn eigentlich verstehen solle, und das ist die unübersteigliche Kluft in der Parabel vom reichen Prasser, den Du, o Herr, vor den Augen der Welt in die Hölle gestellt hast; das ist eben dieser fragliche Punkt. So denn zwischen denen, die im Schoße Abrahams, Isaaks und Jakobs im Himmel sich befinden, und zwischen denen, deren schrecklichstes Los die Hölle ist, eine ewig nimmer übersteigbare Kluft sich befindet, darüber niemand mehr weder hinkommen noch herkommen kann, wie wird dann wohl eine Erlösung aus der Hölle möglich sein? Daß aber aus der Hölle schwerlich je eine Erlösung stattfinden dürfte, leuchtet auch noch aus einem anderen Lehrtexte der Schrift (Markus 3,29) hervor, wo nämlich den Sündern gegen Deinen heiligen Geist entweder eine nur sehr schwere oder auch gar keine Erlösung zugesichert ist, und das ausdrücklich, o Herr, aus Deinem heiligsten höchst eigenen Munde. Was hat es sonach mit der unübersteiglichen Kluft, und mit den Sündern gegen Deinen heiligen Geist für eine Bewandtnis?«

2 Sage Ich: »Dasselbe, wie da die sogenannten Rechtsgelehrten in der Welt sagen: Volenti non fit injuria. Wer es selbst also will, dem geschieht kein Unrecht. Die Kluft aber bedeutet wieder den nie übersteigbaren Unterschied zwischen Meiner freiesten Ordnung in den Himmeln und der ihr in allem schnurgerade widerstrebenden Unordnung in der Hölle. Dieser Text bezeichnet also nur die Unvereinbarkeit der Ordnung und der Unordnung, nicht aber eine quasi ewige Torsperre für denjenigen, der sich darin befindet.

3 Daß aber einer, der schon so schlecht ist, daß er sich selbst schon vollkommen zur Hölle wird vermöge seines freiwilligen Übergehens aus Meiner freiesten Ordnung in die notwendigst für ewig gerichtete Widerordnung, eben nicht gar zu bald und gar zu leicht aus der Hölle kommen wird, das versteht sich von selbst, indem es dir nur zu bekannt sein muß, wie schwer und hart es einem Bösestolzen und in allem Herrschsuchtshochmute Gefangenen ist, in die Sanftmut und Demut der Himmel überzugehen. Es ist so was gerade wohl keine Unmöglichkeit, aber dennoch eine große Schwierigkeit. Du wirst in der Zukunft es nur gar zu oft noch erfahren, wie schwer es hergeht, jemanden vollends aus der Hölle zu heben. Der Stolze kehrt immer wieder zum Stolze zurück, der Unkeusche zur Unkeuschheit, der Träge zur Trägheit, der Neider zum Neid, der Geizhals zum Geize, der Lügner zur Lüge, der Prasser und Schwelger zum Prassen und Schwelgen, der Dieb zum Stehlen, der Räuber zum Raube, der Mörder zum Morde, der Rohe zur Roheit, der Wollüstling zur Wollust usw. Wenn man ihnen die unordentlichen Eigenschaften auch tausendmal rügt, so verfallen sie alsobald wieder in die gleichen sündigsten Leidenschaften, als ihnen zu ihrer nötigen Sichselbstrichtung die für's ewige freie Leben bedungene Freiheit gegeben wird; und je öfter sie wieder in einen Rückfall kommen, desto schwächer werden sie stets, und desto schwerer wird es ihnen auch, sich aus den bösen Leidenschaften zu erheben und als lautere Geister in Meine wahre, ewige, göttliche Freiheit überzugehen.

4 Aber bei den Menschengeistern ist wohl gar vieles unmöglich, was aber Mir am Ende dennoch gar wohl möglich ist und sein wird; denn bei Mir sind alle Dinge möglich. Verstehst du dieses?«

5 Spricht Josef: »Ja, mein Herr, mein Gott, mein heiliger Vater! Jetzt sind mir alle jene Texte klar, die ich auf der Erde wohl geglaubt habe; aber sie haben auf mich nie einen wohltätigen Eindruck gemacht, obschon ich als ein irdisch plenipotenter (uneingeschränkter) bevollmächtigter Kaiser selbst alles auf die gewissenhafteste Gerechtigkeit halten mußte, und durfte nicht Gnade üben, wo mir irgend ein harter Sünder unterkam.

6 Merkwürdig aber war das doch stets in meinem Gemüte, daß ich keinen harten und strengen Richter leiden konnte. Wer aus meinen vielen Amtsrichtern die in dem ihm angewiesenen Bezirke vorkommenden Sünder zu scharf richtete, dem war meine Gunst ferne; wer aber die Sünder nach ihren Vergehungen also richtete, daß er dem Sünder wohl die Größe und Schwere seiner Sünde recht genau zeigte, wie auch aus dem Strafkodex zeigte, welcher Strafe er verfallen, darauf aber bei den Reuigen auf meinen Namen hin den Akt der Gnade übte, und dem Sünder statt fünf Jahre schweren Kerker nur ein Jahr im milderen und leichteren Kerker als korrektive Strafe gab, der wurde bei mir im weißen Buche vorgemerkt, und hatte an mir seinen sicheren Freund;

7 und so war es denn auch, wenn ich das Evangelium las. Wenn ich die Verse durchging vom verlorenen Sohne, vom guten Hirten; wenn ich die Ehebrecherin in dem Tempel vor Dir betrachtete, den Zachäus vom Baume herabrufen hörte, den gerechtfertigten Zöllner im Tempel sagen hörte: O Herr! ich bin nicht wert, meine Augen zu Dir emporzuheben; und Dich, o Herr, mit dem samaritanischen Weibe am Jakobsbrunnen allerbedeutungsvollste heilige Worte tauschen vernahm, da konnte ich mich nie der Tränen erwehren. O welch ein Gefühl hat Dein Wort am Kreuze: »Herr! vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun«, in mir stets rege gemacht. Aber die Stellen, wo Du, wenn schon gerechtester Maßen, die Sünder mit schärfsten Fluch-Sentenzen zur Hölle wiesest, und wo ich überhaupt von Deiner Seite (Herr! vergib mir, daß ich so frei von Dir mir zu reden getraue) eine gewisse Unversöhnlichkeit entnahm, machten auf mein Gemüt wahrlich keinen guten Eindruck. Ich sah darin wohl einen gerechten, allmächtigen Gott walten, aber Ihm gegenüber nichts als allerohnmächtigste Wesen, die sich die endloseste Machtschwere ihres Schöpfers und ewigen Richters müssen gefallen lassen.

8 Ich zwang mein Herz, diesen allmächtigen Gott wohl aus allen Kräften zu lieben, und stellte mir auch die schrecklichsten Folgen so recht lebendig vor, so mein Herz Gott nicht über alles liebete; aber ich muß zu meiner Schande und zu meinem Ärger gestehen, mein Herz wollte sich in dieser Liebe nicht finden; und so ich ein hübsches, gemütliches Mädchen vor mir sah, und mein Herz emsiger pulsen vernahm, so fragte ich mich gleich wieder: Wie sieht es nun mit deiner Liebe zu Gott aus? Ist sie stärker oder schwächer als die zu diesem Mädchen? Und das zartfühlende Herz, ich muß es offen gestehen, fand in dem holden, sanften Mädchen unwillkürlich mehr Anziehendes, als in der die schärfste Gerechtigkeit donnernden Gottheit. Ich wurde durch solche Selbstprüfungen und Vergleiche denn auch ein Freimaurer, um da zur tieferen Kenntnis Gottes zu gelangen. Ich habe dabei wohl recht viel gewonnen, aber der allmächtige schärfest gerechteste Richter wollte um keinen Preis ein sanfteres Gesicht mir zeigen. Ich las viel von der reinen Liebe zu und in Gott; aber der ewig unerbittliche Richter wollte durchaus nicht untergehen, und die Hölle nicht verlöschen.

9 So stellte ich mir auch oft recht lebendig Dein Leiden und Sterben vor, und wie Du, Der Du aus Liebe zu den Menschen so viel leiden wolltest, um sie glücklich zu machen, eine gerechteste Ursache haben magst, mit den Sündern unbarmherzig zu sein, und ihre Sünden, die ein Grund Deiner Leiden waren, unerbittlich strenge zu ahnden; aber mein dummes Herz wollte sich alles dessen ungeachtet in die non plus ultra Liebe zu Dir dennoch nie ganz finden.


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