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Kapitel 246

Der Offizier und sein Feldwebel im Gedankenaustausch über die wahre Weisheit aus der Liebe. Vom Geheimnis des Himmelsschatzes und wie derselbe zu suchen, zu finden und zu bewahren ist

1 Der Offizier wendet sich nun an seinen ehemaligen Feldwebel und sagt zu ihm: »Höre du, mein allerschätzbarster Freund! Du warst einige Jahre direkt bei meiner Kompanie und versahest deinen Dienst stets zu meiner vollsten Zufriedenheit. Hätte uns im Felde der Tod nicht ereilt, so wärest du zufolge meiner Verwendung ohne weiteres Offizier geworden. In dieser Welt aber, in der wir alle ex propriis dienten, war natürlich schon nach der göttlichen Ordnung, die gleich beim ersten Eintritte in diese Welt überaus fühlbar vorzuwalten beginnt, an kein Avancement eher zu denken, als bis derjenige Herr, dem alle Weltämter und Himmelsämter der ganzen Unendlichkeit untergeordnet sind, uns zu einem Avancement verhelfen werde.

2 Wir sind nun glücklich vor das allerheiligste Angesicht des großen Alleinbeherrschers der Unendlichkeit gelangt durch Seine alleinige Güte, Gnade und Barmherzigkeit. Wir haben Ihn kennen gelernt von einer Seite, von der Ihn wohl die ganze Erde im allgemeinen, wie im besonderen kaum kennen dürfte und haben Gnade, ohne die geringsten Verdienste – vor Ihm gefunden.

3 Du aber, wie es scheint, bist Ihm vor uns allen sicher am nächsten gekommen; denn als du mit Ihm in einer noch nie dagewesenen allererhabensten Art ehedem geredet hast, habe ich selbst Tränen im allerheiligsten Auge Gottes entdeckt; und Freund, das ist etwas, was die ganze Unendlichkeit kaum je fassen wird.

4 Sage mir denn, wie du es denn angestellt hast, daß dir solch eine ungeheure Weisheit zuteil geworden ist. Hast du diese etwa schon gar auf der Welt besessen und ließest davon nie etwas merken oder ist sie dir erst nach und nach in dieser Welt zuteil geworden, durch den allmächtigen Einfluß Jesus Christus, des Herrn von Ewigkeit? Wohl weiß ich es auch aus dem allerheiligsten Munde Gottes Selbst, daß dir deine große Liebe zu Ihm zu solcher Weisheit verhalf; aber nun erst kommt die Hauptfrage:

5 Wie bist du zu solch einer immensesten Liebe gelangt? Aus der in deinem Herzen eine solche Weisheit sprühet, wie sie kaum in der Flammenbrust des feurigsten Cherubs anzutreffen sein dürfte? Der Herr Selbst hat mich in dieser Angelegenheit an dich gewiesen. Sei demnach so gut und gib mir dazu eine gehörige Anleitung; denn ich liebe Jesus den Herrn wahrlich über alles, aus allen meinen Kräften, und ich wüßte wahrlich nicht, wie ich Ihn noch mehr lieben könnte. Du aber wirst es wohl wissen, weil dir der Herr Selbst darinnen das Zeugnis gibt. Weil du es aber weißt, so sage es mir, wie das mir bisher unmöglich Scheinende am Ende doch noch möglich sein kann.«

6 Sagt der Feldwebel: »Mein Hauptmann, mein Freund! Dein eigener Wahlspruch: »Bei Gott sind alle Dinge möglich,« sollte dir ja doch am ersten zeigen, daß die Liebe zu Gott dem Herrn eben so wenig zu begrenzen ist, als die Erkenntnisse über Gott selbst, die auch ewig keine Grenzen haben können. Wie möglich kommst du zu solch einer Frage? Kannst du denn irgend mehr sehen, als das Licht es dir gestattet? Und kann das Licht stärker sein, als das, was das Licht erzeuget? So du aber ein Material hast, zu erleuchten ein großes Gemach, dessen allein du bedarfst zu deiner Arbeit, warum zerteilst du dann das Material, zu erleuchten auch andere Gemächer, in denen du vorderhand nichts zu tun hast?

7 Sammle das Material nur allein für die Erleuchtung bloß des einen Gemaches und ist das einmal also erleuchtet, daß du darinnen alles wie am hellsten Tageslichte ausnehmen kannst, dann öffne Türen und Fenster und es wird aus dem einen Hauptgemache von selbst ein hinreichend Licht in die Nebengemächer dringen und dieselben erleuchten zur Genüge. So du nicht sammelst, da zerstreuest du schon deshalb, weil du nicht sammelst. Sammle also, auf daß dir ein reicher Schatz werde. Wer nicht sammelt und sparet, kommt nie zum Reichtume. Du mußt also sammeln und sparen, so du zu einem großen Reichtume gelangen willst. (echtjüdisch.)

8 Die Liebe ist der Himmel größter Reichtum; nach der muß man geizen und hat man sie, da muß man sie nicht sogleich aller Welt preisgeben. Die Nächstenliebe ist zwar gleich der Gottesliebe; aber sie muß nur wegen Gott in Werken bestehen, nie aber in der Flamme des Herzens unmittelbar an den Nächsten selbst gerichtet, sondern nie anders wie allein nur durch Gott, denn sonst schwächt das die Liebe zu Gott. Sieh' an deine schönste Mathilde! Siehe, siehe, die hat (bei dir) drei Viertel von dem, was der Herr allein haben solle! Merkst du den Grund deiner Liebesschwäche?«


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