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Kapitel 198

Begrüßungsszene an der Himmelspforte. Eine neue Probe zum Beweise, daß der Herr kommt wie ein Dieb in der Nacht. Das unscheinbare Nächste sucht man oft in der Ferne! Endlich wird das Dunkel hell!

1 Die drei Benannten treten nun schnell vor die Pforte hin, machen eine tiefste Verneigung ihrer Häupter und grüßen dann den Robert und dessen Weib Helena auf das allerherzlichste und zeigen eine große Freude, nun wieder bei Robert zu sein. Die ganze andere übergroße Gesellschaft aber fällt vor der Pforte auf's Angesicht und rufet ein himmlisch harmonisches »Hosianna« dem Herrn entgegen.

2 Robert aber schauet sich nach allen Seiten um, um zu erspähen, von wannen etwa der Herr käme. Aber es will sich eben nun von keiner Seite der Herr sehen lassen, wohl aber ersieht er hinter der Gesellschaft noch jemanden, der dem Kado nahe auf ein Haar gleich sieht. Aber während alledem hört das Hosianna rufen nicht auf und Robert merkt es auch den dreien ersten neben ihm in der Pforte stehenden Aposteln ganz genau an, daß sie in sich geheim von einer übergroßen Ehrfurcht ergriffen und vor lauter Liebe und heiliger Empfindung kaum etwas zu reden imstande sind.

3 Robert Uraniel kann's nun nicht länger mehr aushalten, fragt eiligst den Kado, sagend: »Aber lieber himmlischer Freund und Bruder! Diese alle sind von einer mir unbegreiflich heiligen Scheu hingerissen; die Erzväter, die Propheten alle, die Apostel, bis auf die drei ersten bei uns in der Pforte, die aber vor lauter Ehrfurcht nicht reden können, liegen auf ihren Angesichtern, ja sogar die allerseligste und glorreichste Jungfrau Maria an der Seite ihres allerwürdigsten Josephs macht von allen anderen keine Ausnahme und ich schaue mir nun samt meiner Helena schon beinahe die Augen nach allen Seiten aus und sehe alles, sogar dort im Hintergrunde einen knieenden Geist, der dir frappant gleichsehend – sich auch schon vor lauter Erbauung kaum mehr zu helfen weiß. Sage mir doch, vor wem sind denn diese alle gar so erbaulichst hingerissen, da doch der Herr noch nirgendswo zu ersehen ist. Oder sehen Ihn diese alle schon vielleicht irgendwo in großer Nähe und nur mein Auge allein und etwa das der Helena auch mag noch nichts erschauen? O ich bitte dich, liebster Freund, lasse mich doch jetzt nicht sitzen!« –

4 Spricht Kado: »Ja, aber du mein lieber Freund! was solle ich denn tun? Schau, schau, keine Augengläser gibt es hier mehr und Fernrohre auch nicht; was also solle ich dir tun?« – Spricht Robert: »Uns womöglich den Herrn zeigen und sonsten nichts! Denn zum Herrn muß ich hin und Ihn grüßen aus allen Kräften meines Lebens. Wo, wo, wo ist Er denn, wo steht Er, von wannen kommt Er? der Heiligste aller Himmel?« –

5 Spricht Kado: »Nun, wenn du den Herrn jetzt auch noch nicht siehst, da bist du aber doch wirklich aus dir selbst heraus ein wenig blind. Da frage die drei, vielleicht sehen diese Ihn auch nicht?« –

6 Spricht Robert: »Das ist aber wirklich sonderbar von dir, daß du mir gerade jetzt so halbe Antworten gibst, wo mir gerade eine ganze am dienlichsten wäre. Du verwunderst dich auch nicht darüber, daß diese ganze große Gesellschaft hier vor dieser Pforte gar zerknirscht dahin liegt und sich vor lauter Ehrfurcht nicht einmal aufzuschauen getrauet. Wahrlich, dich bringt nichts aus deiner Fassung, weder der offene Himmel, noch die finsterste Hölle. Wahrlich, du bist klassisch in allem, wie in deiner mir stets unbegreiflicher werdenden Weisheit und in deinem allerlangmütigsten Gleichmute über alles, also auch nun in deinen halben Antworten, die du mir bloß darum zu geben scheinest, um etwas geredet zu haben; aber was? das scheint dir nun ganz einerlei zu sein.« –

7 Spricht Kado: »O nein, nicht so, mein lieber Freund und Bruder! Ich gebe dir wohl ganze Antworten, die aber du leider nur halb verstehest. Warum hast du denn für deine so überaus pressante Angelegenheit nicht, wie ich dir's riet, die drei befragt? Die hätten es dir schon lange gesagt, wo dieses alles hinaus will und wo sich allenfalls der Herr befindet. Aber da fehlet dir, wie es scheint, der Mut; was von dir eigentlich so ein wenig dumm ist. Denn sie werden doch als Bürger der Himmel nicht mehr sein wollen als unsereins. Im Himmel ist alles gleich und der niederste ist der beste, und das ist der Herr Selbst; sehe dich also nach Dem um und du wirst Ihn bald haben, und hast Ihn eigentlich schon; aber Er ist dir zu wenig, so magst du Ihn auch nicht erkennen, obschon du Ihn schon lange siehst. Verstehst du das?«

Am 1. Juni 1850

8 Spricht Robert Uraniel: »Obschon ich Ihn schon lange sähe! Ach, das wäre doch im Ernste etwas komisch, Ihn sehen und nicht erkennen. Ihn nicht erkennen? Ich, der ich nun schon die geraumste Weile seit meiner höchst traurigen Ankunft in dieser Geisterwelt von der miserablen Erde um Ihn war, solle Ihn nun auf einmal nicht mehr erkennen mögen, so Er vor mir stünde! Nein, das wäre denn doch im Ernste etwas mehr als zu viel! Freund Kado, du bist wohl sehr weise, aber diese Behauptung scheint dir denn doch auch einmal so ein wenig mißlungen zu sein. Denn nach dieser deiner Behauptung müßtest entweder du selbst oder am Ende gar die Helena der Herr sein; denn ich bin es etwa doch ewig nicht und die drei Apostel neben uns auch nicht; die Helena ist doch ein Weib nur, und kann's darum nicht sein und ist dazu auch eines viel zu himmlischreichen Anzuges; Du bist unter uns wahrlich am einfachsten; denn diese deine nach dem Oriente riechenden höchst unansehnlichen Kleidungsstücke entbehren offenbar jeder Zierde, zieren Deinen Leib auch wahrlich nicht im geringsten, sondern decken bloß nur dessen Blöße und sind daher auch sicher wie Du selbst, im höchsten Grade einfach. Du mußt daher nach Deiner eigenen Behauptung es Selbst sein, obschon Du dem Kado noch immer wie ein Ei dem anderen gleich siehst. Es hat zwar die Physiognomie des Herrn mit deiner Kadoischen eine bedeutende Ähnlichkeit; aber du bist demungeachtet noch stets ganz derselbe Kado, der an jenem Hügel dort mit der Satana kämpfte. – Hm, hm, sollst Du also wirklich – der – Herr – Selbst es sein.

9 Nein, wenn das im Ernste so wäre, so träfe mich beinahe vor Schande ja ein Schlag, trotzdem ich nun ein Geist bin. Denn wie viel Dummes und sogar Schlechtes habe ich vor Dir durcheinander geredet und geschimpfet wie ein Narr. Ja, ja, jetzt geht mir auch noch ein anderes Licht auf; du hast mich überall auf's Evangelium hingewiesen, wo es bei mir zu stocken anfing und nicht weiter gehen wollte; und das hätte denn der eigentliche Kado, der mit der Schrift doch unmöglich so vertraut sein kann, doch nicht so umfassend zuwege bringen können, da es sogar bei mir hie und da hapert, obwohl ich schon von der Wiege an in der Bibel bin unterwiesen worden; und dazu begreife ich nun auch deine ewig unerreichbarste endloseste Weisheit. Ja, ja, Du bist es schon und es kann niemand anderer sein.

10 Aber da Du es bist und niemand anderer es sein kann, was auch diese ganze, große Gesellschaft bezeuget durch ihr unbegrenztes Ergriffensein vor Dir, o Herr! so lasse mich und meine Helena denn nun Dir auch zu Deinen heiligen Füßen hinfallen und Dir unseren lange her schon schuldigsten Dank in aller Zerknirschung unserer Herzen darbringen! Helena, sehe hierher! Dieser unser Begleiter, dieser Freund der Freunde, dieser überweise himmlische Kado ist nicht der eigentliche Kado; bloß nur das Kleid ist wie das des dir bekannten Kado; aber im Kleide steckt vor dir und mir nahe ganz unerkennbar der Herr Selbst. Verstehst du? der Herr Selbst!« –

11 Die Helena, solchen Ruf kaum vernehmend, stürzt sich jählings dem Herrn zu den Füßen und schreit: »O Herr, verdamme mich doch nicht, denn ich war ganz entsetzlich roh und grob vor Deinen Augen; o Gott, o Gott, was habe ich getan?« – Sage Ich noch immer als Kado: »Stehe auf, du meine liebste Tochter; denn Ich liebe dich eben deshalb, weil du so bist und warst, wie du nach Meinem Willen sein mußt. Stehe also nur auf; denn wir müssen nun nach Wien! Verstehest du das?«


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